Lisa Polatschek geb. Epstein

Verlegeort
Wielandstr. 17
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
01. Juli 2010
Geboren
24. Juni 1915 in Stuttgart
Deportation
am 24. September 1942 nach Raasiku (b. Reval)
Ermordet

Lisa Polatschek wurde als Lisa Epstein am 24. Juni 1915 als Tochter des Kaufmanns Ludwig Epstein und seiner Frau Julia geb. Gailinger in Stuttgart geboren. Die Eltern führten eine Ledergroßhandlung. Lisa hatte einen älteren Bruder Kurt. Beide Kinder waren später in der Fotobranche tätig: Lisa machte eine Ausbildung als Fotolaborantin, Kurt wurde Inhaber eines Fotogeschäfts. <br />
<br />
Im Dezember 1935 heiratete Lisa den Kaufmann Otto Polatschek aus Ulm und zog dorthin. Er hatte zusammen mit seiner älteren Schwester Else das 1905 in Ulm von seinem Vater gegründete Schuhhaus Alois Polatschek geerbt. Alois war 1929 gestorben, 1932 auch Ottos Mutter Paula geb. Brumlik. Der Laden wurde 1933 auf Ottos Namen eingetragen. Das Geschäft war recht erfolgreich gewesen und Polatscheks eine vermögende Familie. Aber Otto hatte nicht mehr lange Freude daran. Schon 1933 fingen Diskriminierungen und Boykott jüdischer Kaufleute an, am 11. März 1933 war der Eingang des Schuhgeschäfts von SA- und SS-Leuten abgeriegelt. <br />
<br />
Im August 1935 wurde er in dem antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ persönlich angegriffen. Nach der Heirat im Dezember 1935 arbeitete Lisa noch mit, aber bereits zwei Jahre später sahen sich Otto und seine Schwester gezwungen, das Geschäft zu verkaufen. Es wurde 1938 liquidiert und von Johann Werdich erworben – ein Schuhhaus Werdich gibt es noch heute am gleichen Standort am Münsterplatz in Ulm.<br />
<br />
Nach diesen Erfahrungen beschlossen Otto und Lisa sowie Ottos Schwester, inzwischen mit Fritz Silberstein verheiratet und Mutter eines Kindes, nach Berlin zu ziehen, um dort wirkungsvoller ihre Auswanderung zu betreiben. 1938 wurde Otto eine hohe Strafe wegen „Devisenvergehens“ auferlegt. Es war ein beliebtes Mittel des Regimes, vermögende Juden auszurauben, indem sie sie beschuldigten, illegal Geld ins Ausland geschleust zu haben. Während es Else mit Familie gelang, nach Uruguay zu flüchten, zogen sich Ottos Verhandlungen hin. Zwei „Lifts“ mit seinen und Lisas Sachen lagerten schon im Hamburger Hafen, bereit für die Auswanderung. Aber die üppige „Judenabgabe“ nach dem Pogrom im November 1938 und die „Reichsfluchtsteuer“ nebst weiteren finanziellen Belastungen für Juden belasteten ihn so stark, dass er die Emigration nicht mehr finanzieren könne, wie er seiner Schwester schrieb. <br />
<br />
Im Mai 1939, zum Zeitpunkt der Volkszählung, bei der Juden – auch Untermieter – in einer „Ergänzungskartei“ erfasst wurden, lebten Lisa und Otto, wahrscheinlich schon beengt, zur Untermiete in der Wielandstraße 17. Sie sahen sich zu einem weiteren Umzug in die Küstriner Straße (heute: Damaschkestraße) 5 bei Ida Katz gezwungen, da die Nationalsozialisten bestrebt waren, durch das Zusammenpferchen von jüdischen Mietern Wohnraum für „Arier“ zu schaffen. Lisa und Otto, beide noch jung, wurden – wahrscheinlich 1941 – wie die meisten für arbeitsfähig befundenen Juden, zu Zwangsarbeit verpflichtet. Otto musste bei Ehrich&Graetz in Treptow, einer Elektrogerätefirma, arbeiten. Ein vom Werksausweis abgetrenntes Foto Otto Polatscheks befindet sich im Jüdischen Museum Berlin in der Sammlung von mehr als 500 Passbildern der ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter von Ehrich&Graetz. Seit 1940 waren mehrere hundert jüdische, russische, französische und holländische Zwangsarbeiter dorthin abgeordnet worden. Zusammen waren es etwa 1100. In welchen Betrieb Lisa geschickt wurde, ist nicht bekannt.<br />
<br />
Bevor sie im September 1942 verhaftet wurde, fand sie bei Peter Altmann in der Giesebrechtstraße 5 Unterschlupf, hier war sie nicht angemeldet. Lisa Polatschek wurde aus der Küstriner Straße abgeholt, in die als Sammellager umfunktionierte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 eingewiesen und zunächst – nach der Erinnerung Altmanns – ins KZ Ravensbrück gebracht. Otto Polatschek lebte zu dieser Zeit mit falschem Pass in der Odenwaldstraße 18 und kam im August 1943 bei einem Luftangriff um. <br />
<br />
Am 26. September 1942 wurde Lisa Poalschek mit weiteren 811 Berliner Juden vom Güterbahnhof Moabit aus deportiert. Dem Zug wurden Waggons mit 237 Juden aus Frankfurt am Main angekoppelt, die dort zwei Tage früher gestartet waren. Ziel der Deportation war Raasiku bei Reval (Tallinn) in Estland – der einzige „Transport“ von Berlin aus dorthin.<br />
<br />
In Estland bestanden schon mehrere Zwangsarbeitslager, in denen jüdische und nichtjüdische Häftlinge zu Arbeiten vor allem in der Ölschiefergewinnung herangezogen wurden. Die Lager wurden von der Sicherheitspolizei mit kräftiger Hilfe der estnischen Polizei betrieben. In diesem Zusammenhang stand auch der Berliner Zug, allerdings wurden gleich nach Ankunft nur 60-80 Männer und 100-150 Frauen zur Arbeit „selektiert“, die anderen wurden mit Bussen abtransportiert und von estnischen Polizisten erschossen. Es ist gut möglich, dass die erst 27-jährige Lisa zu den zur Zwangsarbeit bestimmten Frauen gehörte. Sie wurden in das Waldlager Jägala gebracht und hatten dort Holzfällerarbeiten zur Vorbereitung der Ölschiefergewinnung zu verrichten. Mitte 1943 wurde das Lager aufgelöst, die jeweils überlebenden Frauen durch verschiedene Arbeitslager geschleppt, bis sie Anfang 1945 in Bergen-Belsen landeten. Wir wissen nicht, wie viele dieser Lager Lisa Polatschek überstanden haben mag, jedenfalls gehörte sie nicht zu den lediglich 19 Berliner Überlebenden des Zuges, der am 26. September 1942 in Berlin-Moabit abgefahren war. <br />
<br />
Otto Polatscheks weiteres Schicksal ist von einigen Unklarheiten umweht. Am 24. August 1943 wurde nach einem Bombenangriff in einem Schöneberger Schutzraum eine unbekannte Leiche geborgen, die fast ein Jahr später, am 4. August 1944, von der Kriminalinspektion als Otto Polatschek aus der Küstriner Straße 5 identifiziert wurde. Seine Identität ist offensichtlich von einem jüdischen Flüchtling aus Polen verwendet worden: Nach dem Kriegsende stellte sich heraus, dass ein Otto Polatschek in Frankfurt/Main geheiratet habe, ein weiteres Dokument besagt, dass am 11. November 1954 ein Otto Polatschek mit diesem Geburtsdatum in New York die Einbürgerung erhielt. 1959 kam ein vom Amtsgericht Charlottenburg in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss, dass beide nicht identisch seien, Lisas Ehemann sei im August 1943 „durch Bombenabwurf getötet“ worden. <br />
<br />
Lisas Eltern, die 1938 auch ihr Geschäft in Stuttgart hatten verkaufen müssen, gelang 1940 die Flucht in die USA, wohin ihr Sohn Kurt, Lisas Bruder, bereits vor ihnen emigriert war.<br />
<br />
Lisas und Ottos Wirtin in der Küstriner Straße, Ida Katz, geboren am 18. Januar 1886, wurde am 29. Januar 1943, kurz nach ihrem 57. Geburtstag, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. <br />

Lisa Polatschek wurde als Lisa Epstein am 24. Juni 1915 als Tochter des Kaufmanns Ludwig Epstein und seiner Frau Julia geb. Gailinger in Stuttgart geboren. Die Eltern führten eine Ledergroßhandlung. Lisa hatte einen älteren Bruder Kurt. Beide Kinder waren später in der Fotobranche tätig: Lisa machte eine Ausbildung als Fotolaborantin, Kurt wurde Inhaber eines Fotogeschäfts.

Im Dezember 1935 heiratete Lisa den Kaufmann Otto Polatschek aus Ulm und zog dorthin. Er hatte zusammen mit seiner älteren Schwester Else das 1905 in Ulm von seinem Vater gegründete Schuhhaus Alois Polatschek geerbt. Alois war 1929 gestorben, 1932 auch Ottos Mutter Paula geb. Brumlik. Der Laden wurde 1933 auf Ottos Namen eingetragen. Das Geschäft war recht erfolgreich gewesen und Polatscheks eine vermögende Familie. Aber Otto hatte nicht mehr lange Freude daran. Schon 1933 fingen Diskriminierungen und Boykott jüdischer Kaufleute an, am 11. März 1933 war der Eingang des Schuhgeschäfts von SA- und SS-Leuten abgeriegelt.

Im August 1935 wurde er in dem antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ persönlich angegriffen. Nach der Heirat im Dezember 1935 arbeitete Lisa noch mit, aber bereits zwei Jahre später sahen sich Otto und seine Schwester gezwungen, das Geschäft zu verkaufen. Es wurde 1938 liquidiert und von Johann Werdich erworben – ein Schuhhaus Werdich gibt es noch heute am gleichen Standort am Münsterplatz in Ulm.

Nach diesen Erfahrungen beschlossen Otto und Lisa sowie Ottos Schwester, inzwischen mit Fritz Silberstein verheiratet und Mutter eines Kindes, nach Berlin zu ziehen, um dort wirkungsvoller ihre Auswanderung zu betreiben. 1938 wurde Otto eine hohe Strafe wegen „Devisenvergehens“ auferlegt. Es war ein beliebtes Mittel des Regimes, vermögende Juden auszurauben, indem sie sie beschuldigten, illegal Geld ins Ausland geschleust zu haben. Während es Else mit Familie gelang, nach Uruguay zu flüchten, zogen sich Ottos Verhandlungen hin. Zwei „Lifts“ mit seinen und Lisas Sachen lagerten schon im Hamburger Hafen, bereit für die Auswanderung. Aber die üppige „Judenabgabe“ nach dem Pogrom im November 1938 und die „Reichsfluchtsteuer“ nebst weiteren finanziellen Belastungen für Juden belasteten ihn so stark, dass er die Emigration nicht mehr finanzieren könne, wie er seiner Schwester schrieb.

Im Mai 1939, zum Zeitpunkt der Volkszählung, bei der Juden – auch Untermieter – in einer „Ergänzungskartei“ erfasst wurden, lebten Lisa und Otto, wahrscheinlich schon beengt, zur Untermiete in der Wielandstraße 17. Sie sahen sich zu einem weiteren Umzug in die Küstriner Straße (heute: Damaschkestraße) 5 bei Ida Katz gezwungen, da die Nationalsozialisten bestrebt waren, durch das Zusammenpferchen von jüdischen Mietern Wohnraum für „Arier“ zu schaffen. Lisa und Otto, beide noch jung, wurden – wahrscheinlich 1941 – wie die meisten für arbeitsfähig befundenen Juden, zu Zwangsarbeit verpflichtet. Otto musste bei Ehrich&Graetz in Treptow, einer Elektrogerätefirma, arbeiten. Ein vom Werksausweis abgetrenntes Foto Otto Polatscheks befindet sich im Jüdischen Museum Berlin in der Sammlung von mehr als 500 Passbildern der ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter von Ehrich&Graetz. Seit 1940 waren mehrere hundert jüdische, russische, französische und holländische Zwangsarbeiter dorthin abgeordnet worden. Zusammen waren es etwa 1100. In welchen Betrieb Lisa geschickt wurde, ist nicht bekannt.

Bevor sie im September 1942 verhaftet wurde, fand sie bei Peter Altmann in der Giesebrechtstraße 5 Unterschlupf, hier war sie nicht angemeldet. Lisa Polatschek wurde aus der Küstriner Straße abgeholt, in die als Sammellager umfunktionierte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 eingewiesen und zunächst – nach der Erinnerung Altmanns – ins KZ Ravensbrück gebracht. Otto Polatschek lebte zu dieser Zeit mit falschem Pass in der Odenwaldstraße 18 und kam im August 1943 bei einem Luftangriff um.

Am 26. September 1942 wurde Lisa Poalschek mit weiteren 811 Berliner Juden vom Güterbahnhof Moabit aus deportiert. Dem Zug wurden Waggons mit 237 Juden aus Frankfurt am Main angekoppelt, die dort zwei Tage früher gestartet waren. Ziel der Deportation war Raasiku bei Reval (Tallinn) in Estland – der einzige „Transport“ von Berlin aus dorthin.

In Estland bestanden schon mehrere Zwangsarbeitslager, in denen jüdische und nichtjüdische Häftlinge zu Arbeiten vor allem in der Ölschiefergewinnung herangezogen wurden. Die Lager wurden von der Sicherheitspolizei mit kräftiger Hilfe der estnischen Polizei betrieben. In diesem Zusammenhang stand auch der Berliner Zug, allerdings wurden gleich nach Ankunft nur 60-80 Männer und 100-150 Frauen zur Arbeit „selektiert“, die anderen wurden mit Bussen abtransportiert und von estnischen Polizisten erschossen. Es ist gut möglich, dass die erst 27-jährige Lisa zu den zur Zwangsarbeit bestimmten Frauen gehörte. Sie wurden in das Waldlager Jägala gebracht und hatten dort Holzfällerarbeiten zur Vorbereitung der Ölschiefergewinnung zu verrichten. Mitte 1943 wurde das Lager aufgelöst, die jeweils überlebenden Frauen durch verschiedene Arbeitslager geschleppt, bis sie Anfang 1945 in Bergen-Belsen landeten. Wir wissen nicht, wie viele dieser Lager Lisa Polatschek überstanden haben mag, jedenfalls gehörte sie nicht zu den lediglich 19 Berliner Überlebenden des Zuges, der am 26. September 1942 in Berlin-Moabit abgefahren war.

Otto Polatscheks weiteres Schicksal ist von einigen Unklarheiten umweht. Am 24. August 1943 wurde nach einem Bombenangriff in einem Schöneberger Schutzraum eine unbekannte Leiche geborgen, die fast ein Jahr später, am 4. August 1944, von der Kriminalinspektion als Otto Polatschek aus der Küstriner Straße 5 identifiziert wurde. Seine Identität ist offensichtlich von einem jüdischen Flüchtling aus Polen verwendet worden: Nach dem Kriegsende stellte sich heraus, dass ein Otto Polatschek in Frankfurt/Main geheiratet habe, ein weiteres Dokument besagt, dass am 11. November 1954 ein Otto Polatschek mit diesem Geburtsdatum in New York die Einbürgerung erhielt. 1959 kam ein vom Amtsgericht Charlottenburg in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss, dass beide nicht identisch seien, Lisas Ehemann sei im August 1943 „durch Bombenabwurf getötet“ worden.

Lisas Eltern, die 1938 auch ihr Geschäft in Stuttgart hatten verkaufen müssen, gelang 1940 die Flucht in die USA, wohin ihr Sohn Kurt, Lisas Bruder, bereits vor ihnen emigriert war.

Lisas und Ottos Wirtin in der Küstriner Straße, Ida Katz, geboren am 18. Januar 1886, wurde am 29. Januar 1943, kurz nach ihrem 57. Geburtstag, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.