Walter Wolfgang Weisstein

Verlegeort
Thomasiusstraße 3
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
25. Juli 2012
Geboren
05. Juni 1900 in Ortelsburg (Ostpreußen) / Szczytno
Beruf
Kaufmann
Deportation
am 01. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Walter Wolfgang wurde am 5. Juni 1900 in Ortelsburg (heute Szczytno) als Sohn von Margarethe Weisstein geboren. Er lebte Ende der 1930er Jahre in der Thomasiusstr. 3 in Berlin-Moabit. Von Beruf war er Kaufmann. Am 1. März 1943 wurde der 42-Jährige mit dem „31. Osttransport“ nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

Walter Wolfgang Weisstein wurde am 5. Juni 1900 im ostpreußischen Ortelsburg (dem heutigen Szczytno in Polen), das im masurischen Seengebiet etwa 50 Kilometer südöstlich von Allenstein (Olsztyn) liegt, geboren. Er war der Sohn des Architekten und königlichen Baurats Hermann Weisstein (1854–1924) und der Margarethe Weisstein, geborene Baswitz (1874–1942). Walters Vater stammte aus Berlin, hatte an der dortigen Universität sowie in München und Wien ein Baustudium absolviert, war dann als Bauführer in der Garnisonsverwaltung Karlsruhe tätig und anschließend Baumeister in Lyck (Ełk), Stralsund, Düsseldorf und Köln. Ende des 19. Jahrhunderts hatte er die aus Frankfurt an der Oder stammende Margarethe Baswitz geheiratet und sich mit ihr in Ortelsburg niedergelassen, wo er als Bauinspektor tätig war und Walter zur Welt kam.

Als Walters Vater eine neue Stelle als Inspektor in einer anderen Stadt antrat, zog die Familie 1906 nach Brieg (Brzeg), wo noch im selben Jahr Walters Bruder, Herbert Gerhard Weisstein, geboren wurde. Die Wohnung der Weissteins lag in der Innenstadt nahe des Zentralparks in der Reußstraße 3 (heutige ul. Spacerowa). Walter wuchs in einem Elternhaus auf, das vom preußischen Bildungsbürgertum geprägt war. Sein Vater und seine Mutter hatten vielfältige Interessen und waren sehr engagiert in ihrem Umfeld und im Gemeinwesen der Stadt. So gründeten sie 1908 das erste schlesische Dorfmuseum und 1910 das Städtische Museum in Brieg, dessen Leiter Hermann Weisstein bis zu seinem Tod blieb. Im Haus stapelten sich um den jungen Walter Sammlungsstücke – sein Vater, der in den 1910er-Jahren zum Geheimrat ernannt wurde, war privat ein bekannter Sammler von Raritäten, insbesondere von Ofenplatten und –türen sowie bedruckten Erinnerungstüchern. Als Architekt und Bauinspektor war er 1909 an der Wiederherstellung der Hedwigskirche und im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1917 am Wiederaufbau staatlicher Domänen in den Bezirken Allenstein und Gumbinnen beteiligt. Sein vielfältiges Engagement auf kommunaler Ebene übte Hermann Weisstein unter anderem als Stadtverordneter in Brieg aus, als Mitglied der städtischen Baudeputation, als künstlerischer Berater der Baupolizeibehörde, als Leiter des Wohnungsamtes, als Mitbegründer und Kassenführer der Volkshochschule sowie als Mitglied des Repräsentantenkollegiums der Synagogengemeinde.

Walters Onkel väterlicherseits war der in Berlin lebende Schriftsteller und Journalist Gotthilf Weisstein (1852–1907), der für das Berliner Tageblatt und später die National-Zeitung Kritiken, Essays und Feuilletons verfasste. Seine Spezialgebiete waren die Berliner Geschichte und Theatergeschichte und er hatte eine bedeutende Sammlung an deutschen Privatdrucken und Schriften angelegt. Die Sammlung Weisstein ging nach dem Tod Gotthilfs in den Besitz von Walters Vater über, der die Sammlung erweitern und katalogisieren ließ. 1921 gaben die Weissteins die Bibliothek, die damals ungefähr 11.000 Bände umfasste, als Dauerleihgabe an die Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz.

Während die frühe Jugend Walters sicher vom reichhaltigen kulturellen Leben seines Elternhauses, den Erlebnismöglichkeiten in der von Promenaden, Gärten und Stadtparks durchzogenen „Gartenstadt“ Brieg und den Ablenkungen durch Zuckerwaren, für die die Stadt ebenfalls bekannt war, geprägt worden sein dürfte, traf die Familie, nach dem Einschnitt, den der beginnende Erste Weltkrieg bedeutete, auch ein persönlicher Schicksalsschlag. Mit nur acht Jahren verstarb 1915 Walters jüngerer Bruder Herbert Gerhard. Walter besuchte in Brieg die Schule und begann nach dem Abschluss eine kaufmännische Ausbildung. Als 1924 Walters Vater starb, übernahm seine Mutter eine Zeitlang die Leitung des Brieger Stadtmuseums. Mitte bis Ende der 1920er-Jahre siedelte die Familie nach Berlin über, wo Walter die 1908 in Nürnberg geborene Lotte Klein kennenlernte und heiratete. Seine Ehefrau war die Tochter des Kaufmanns Sigmund Klein (1871–1942) und der Gertrud Klein, geborene Salinger (1878–1935). Sie war ebenfalls in den 1920er-Jahren mit ihren Eltern nach Berlin gekommen. 1931/1932 lebte das Ehepaar in einer Wohnung in der Wilmersdorfer Straße 80 an der Ecke zur Sybelstraße in Charlottenburg, unweit der Wohnung, die sich Walters Mutter in der Niebuhrstraße 11a genommen hatte. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick von Walter und Lotte Weisstein im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Walter Weisstein und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten die Angehörigen der Familie Weisstein zunehmend in die Position von Rechtlosen. Noch im Jahr 1933 hatte Walters Mutter mit Verweis auf dringendste Verpflichtungen den Leihvertrag mit der Staatsbibliothek Berlin gelöst, um die Bibliothek Weisstein – vermutlich bereits unter dem Eindruck zunehmender antijüdischer Repressionen – antiquarisch zu veräußern. Aus den erhaltenen Zeugnissen geht nicht hervor, ob das Ehepaar Walter und Lotte Weisstein sowie Walters Mutter und Lottes Eltern in den 1930er-Jahren den Versuch unternahmen, Deutschland zu verlassen. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

Im Januar 1939 bezog Walter zusammen mit Lotte und deren inzwischen verwitweten Vater Sigmund eine Dreizimmerwohnung im vierten Stock des Vorderhauses Thomasiusstraße 3 in Moabit. Walters Mutter lebte zur Untermiete bei Gertrud Fürst in die Badenschen Straße 21 in Wilmersdorf. Später wohnte sie zur Untermiete bei Frau Clara Böhm in die Badenschen Straße 6. Für das Ehepaar Weisstein und ihre Verwandten war das Leben im Berlin spätestens Anfang der 1940er-Jahre zum reinen Existenzkampf geworden. So konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ vom 19. des Monats an nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Sowohl Walter als auch Lotte wurden außerdem zur Zwangsarbeit herangezogen: Beide wurden zuletzt als Arbeiter im als kriegswichtig eingestuften Glühlampenwerk (Werk S) der Siemens & Halske AG in der Charlottenburger Helmholtzstraße 4/8 eingesetzt.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Walter und Lotte Weisstein mussten miterleben, wie Lottes Vater im Spätsommer 1942 aus der gemeinsamen Wohnung ins Sammellager in der Gerlachstraße 18–21 verbracht wurde. Von dort aus wurde der 71-Jährige am 14. September 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo er am 8. Dezember 1942 ermordet wurde – entweder durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlicher Misshandlungen.

Walter und Lotte Weisstein lebten noch bis zum Frühjahr 1943 in der Berliner Thomasiusstraße. Sie wurden im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Jüdinnen und Juden deportiert werden sollten, Ende Februar 1943 von der Gestapo verhaftet und in die als Sammelstelle missbrauchte Reithalle der Rathenower Kaserne in der Moabiter Feldzeugmeisterstraße verschleppt. Von dort aus wurden Walter und Lotte am 1. März 1943 mit dem „31. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports – ermordet. Walter war zum Zeitpunkt der Deportation 42 Jahre alt; seine Ehefrau 35. Von ihren nächsten Verwandten überlebte niemand die NS-Verfolgung: Walters Mutter Margarethe war am 31. August 1942 von Berlin nach Theresienstadt deportiert worden, wo sie am 30. September 1942 ermordet wurde.