Willy Angerthal

Verlegeort
Bismarckstr. 17
Bezirk/Ortsteil
Wannsee
Verlegedatum
12. Juni 2021
Geboren
18. Februar 1882 in Kasekow (Pommern)
Beruf
Kaufmann
Deportation
am 28. Mai 1942 nach Sachsenhausen
Ermordet
28. Mai 1942 in Sachsenhausen

Willy Angerthal wurde 1882 in Kasekow/Pommern geboren.

Wie und wann er nach Berlin kam ist uns nicht bekannt.
Aus Adressbüchern kann man entnehmen, dass er Kaufmann war und bis ca. 1931 in Berlin Mitte gewohnt hat. Seine Fabrik für "Knaben und Buerschenkonfektion" lag in der Roßstr. 29 in Kreuzberg.
Ab 1933 ist er Eigentümer des Hauses in der Bismarckstraße 17 und wird hier auch gewohnt haben, andere Bewohner sind nicht aufgeführt.
(Im Bundesgedenkbuch ist er als wohnhaft in der Hausnummer 1 beschrieben, was wir für einen Schreib- oder Übertragungsfehler halten, da an dieser Adresse kein Hinweis auf ihn zu finden ist.)

Nur über seine grausame Ermordung ist uns dann wieder etwas bekannt.
Willy Angerthal galt den Nazis als Jude und wurde am 27. Mai 1942, nach einem Brandanschlag auf die Ausstellung "Das Sowjetparadies", als eine von 500 sogenannten "jüdischen Geiseln" verhaftet, nach Sachsenhausen ins Konzentrationslager gebracht und dort am kommenden Tag mit 249 weiteren Opfern erschossen.

Willy Angerthal wurde am 10. Februar 1882 in Casekow im damaligen Kreis Randow in der preußischen Provinz Pommern geboren.

Seine Eltern, der Kaufmann Max Angerthal und seine Frau Henriette geb. Unger, hatten insgesamt vier Kinder, drei Söhne, neben Willy noch Siegfried (Jg. 1878) und Gustav (Jg. 1888), und die Tochter Elise (Jg. 1883). Über die Kindheit und Jugend von Willy wissen wir nichts, aber er scheint als gelernter Kaufmann dann doch recht früh von Casekow nach Berlin gegangen zu sein.

1910 taucht er im Berliner Adressbuch mit der Anschrift Greifswalderstr. 197 auf. Er ist dort als Kaufmann der Firma ‚Nord-Ost‘ Bekleidungsindustrie für Herren- und Knaben-Garderobe notiert. 1920 wird er als Inhaber der Firma Bruno Winkel & Co. Knabenkonfektion in der Fruchtstraße 51 in Berlin-Mitte genannt, 5 Jahre später als Inhaber der ‚Fabrik von Knaben- und Burschenkonfektion‘ in der Roßstraße 19/20. Diese Firma führte er bis zum Ende seiner Berufstätigkeit.
1938 ist ein neuer Eigentümer im Adressbuch vermerkt.

Willy Angerthal war in 1. Ehe verheiratet mit Helene Rosenthal. Wann die beiden geheiratet haben, ist nicht bekannt, aber aus der Ehe entstammt der Sohn Kurt, geb. am 8. Juli 1918 in Berlin. Die Familie zog nach vielen Jahren, in denen sie in der Greifswalderstraße am Prenzlauer Berg gewohnt hatte, 1923 in die Kirchstraße 20 nach Moabit, 1932 zog man dann in eine repräsentative Villa in die Bismarckstr. 17/19 am Wannsee.

Die Veränderung der Wohnsituation zeigt deutlich, dass die Familie zu diesem Zeitpunkt über entsprechendes Vermögen und Einkommen verfügte. Als Eigentümerin war Helene Angerthal eingetragen, evtl. hatte sie entsprechendes Vermögen in die Ehe eingebracht. Auch ein gewerblich genutztes Grundstück in der Rosenheimerstraße 18 in Schöneberg gehörte den Angerthals.

Am 5. Januar 1936 starb Helene Angerthal. In den folgenden Jahren verschärft sich die Diskriminierung und Verfolgung der Juden im deutschen Reich immer mehr. Vermutlich versuchten Vater und Sohn Angerthal ihre Auswanderung zu organisieren. Bereits im Oktober 1936 verkaufte Willy Angerthal das Grundstück in Schöneberg zum Preis von 84.500 RM, im März 1939 verkaufte er auch das von seiner Frau geerbte Haus Bismarckstraße 17/19, in dem er immer noch mit dem Sohn Kurt wohnte, für 43.000 RM an ein Ehepaar aus Wien. Dieses Haus war zu dem Zeitpunkt bereits mit einer Sicherungshypothek von 20.900 RM belegt als Sicherheit für eine evtl. anfallende Reichsfluchtsteuer. Darüber hinaus zahlte Willy Angerthal 3.500 RM Judenvermögensabgabe.

Die Auswanderung ist Vater und Sohn nicht mehr gelungen. 1942 heiratete Willy Angerthal ein zweites Mal und zwar Margarethe Orbach, geb. am 2. September 1893 in Kreuzburg. Auch für sie war es die 2. Ehe. Nach der Scheidung von Karl Zander, mit dem sie in Krefeld wohnend zwei Kinder hatte, kam sie nach Berlin. Schon bald nach der Heirat, am 27. Mai 1942, wurde Willy Angerthal, der jetzt am Engeldamm in Berlin-Kreuzberg wohnte, im Rahmen einer Racheaktion zusammen mit weiteren 153 jüdischen Männern verhaftet. Sie wurden in das KZ Sachsenhausen geschafft und am nächsten Tag dort erschossen. Am 29. Mai wurden weitere 96 jüdische Männer aus bereits im Lager Inhaftierte ausgewählt und ebenfalls ermordet. Die Racheaktion war von Goebbels und Himmler nach dem Anschlag der sog. Gruppe Baum im Lustgarten am 18. Mai 1942 in Gang gesetzt worden.
Auch der Sohn und seine zweite Frau überlebten den Holocaust nicht. Margarethe Angerthal wurde nur drei Wochen nach der Ermordung ihres Mannes mit dem 8. Alterstransport am 19. Juni 1942 von Berlin nach Theresienstadt deportiert. Nach mehr als zwei Jahren Überleben unter den schrecklichen Bedingungen des Ghettos wurde sie mit dem Transport Ep Nr. 190 am 9. Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz geschafft und dort ermordet.

Über das Schicksal von Kurt Angerthal fehlt jede Spur.
Die Übernahme des Vermögens der Familie Angerthal durch den nationalsozialistischen Staat nach Ermordung und Deportation lässt sich nicht mehr rekonstruieren, da die entsprechenden Akten der Finanzverwaltung vernichtet bzw. verloren gegangen sind. Aus einer Mitteilung der Commerzbank aus dem Jahre 1966 an die Restitutionsstelle beim Landgericht Berlin geht aber hervor, dass noch am 2. März 1945 Wertpapiere aus dem ‚Nachlass-Depot‘ von Willy Angerthal auf die Reichsbank übertragen wurden. 1955 ging ein letzter noch im Bankdepot verbliebener Wertpapierbestand an die JRSO (Jewish Restitution Successor Organization).
Nach dem Krieg gab es verschiedene Rückerstattungsverfahren im Zusammenhang mit den zwei Grundstücken in der Rosenheimerstraße 38 in Schöneberg und der Bismarckstr. 17/18 in Wannsee von Willy Angerthal. Diese Verfahren wurden nicht von Erben, sondern von der JRSO angestrengt. Diese jüdische Institution war die von der amerikanischen Besatzungsmacht legitimierte Interessenvertreterin und Treuhänderin für jüdische Vermögen im US-Sektor. 1959 wurden erneut Rückerstattungsanträge gestellt, dieses Mal von Elsa Zollmann geb. Orbach, wohnhaft in Los Angeles, und Alfred Orbach, wohnhaft in Israel, Geschwister von Margarete Angerthal. Dabei geht es um Entschädigungen für den Hausrat, die zwangsweise abgelieferten Gold- und Silberwaren und den Schmuck sowie den gesamten Hausrat. Der durch Gutachten berechnete und zu entschädigende Wert betrug rund 15.000 DM und macht deutlich, dass die Angerthals in gut bürgerlichen Verhältnissen gelebt hatten. 1963 meldete sich Elsa Paulick geb. Orbach, eine Verwandte von Margarethe Angerthal, und beantragte als Erbin entsprechende Entschädigung. Ein Ergebnis hierzu liegt nicht vor.