Else Cohen geb. Stern

Verlegeort
Dortmunder Straße 13
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
20. Mai 2014
Geboren
27. Dezember 1886 in Hachen
Deportation
am 28. März 1942 nach Piaski
Ermordet

Else Stern wurde am 27. Dezember 1886 im sauerländischen Hachen (heute eingemeindeter Ortsteil von Sundern) nahe Arnsberg geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Bernhard Stern (1852–1919) und dessen Ehefrau Jenny Stern, geborene Labowsky (1859–1936). Ihr Vater war ebenfalls in Hachen geboren worden, ihre Mutter stammte aus Rendsburg, das damals unter dänischer Landeshoheit stand (heutiges Schleswig-Holstein). Elses Familie zog nach ihrer Geburt in die nahegelegene Ortschaft Hüsten (heute eingemeindeter Ortsteil von Arnsberg). Über ihr Elternhaus und ihre Kindheit und Jugend im Hüsten der Kaiserzeit haben sich so gut wie keine Informationen erhalten. Sie hatte zwei Geschwister: Ein älterer Bruder namens Hugo war 1881 in Hachen zur Welt gekommen; ein jüngerer Bruder namens Walter wurde 1893 in Hüsten geboren. Walter Stern diente später im Ersten Weltkrieg als Soldat und wurde für seinen Einsatz mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Elses Eltern gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde von Hüsten, die um die Jahrhundertwende etwa 20 Familien der rund 5000 Einwohner der Ortschaft ausmachte. In Hüsten besuchten die jüdischen Kinder Ende des 19. Jahrhunderts die katholische oder die evangelische Schule. Jüdischer Religionsunterricht wurde von Lehrern aus dem benachbarten Neheim gegeben. Über die schulische und berufliche Ausbildung von Else Stern haben sich keine Zeugnisse erhalten.

Am 6. August 1909 heiratete die damals 22-Jährige den gut sechs Jahre älteren Berthold Cohen, der aus Soest stammte und dort als Kaufmann das väterliche Speditionsunternehmen „B. Cohen“ übernommen hatte und leitete. Das Ehepaar bekam in den Vorkriegsjahren 1910 und 1913 mit Lotte und Anni zwei Töchter, die in Soest geboren wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte im November 1919 ein Sohn namens Georg. Über die Verhältnisse seiner Familie in den 1920er-Jahren berichtete Georg später: „Wir lebten auf einem hohen Lebensstandard. Mein Vater besaß zwei nebeneinanderliegende Häuser in Soest, Jacobistraße Nr. 27. Das ältere frühere Wohnhaus baute mein Vater als Lager- und Geschäftshaus um, das neue erbaute er selbst mit Tischlerei und Garage im Erdgeschoß. Wir hatten Telefon [und] machten regelmäßig Erholungsreisen. Meine Eltern auch ins Ausland.“ Mit der Familie lebten in den 1920er-Jahren in den beiden Häusern in der Jacobistraße zwei Schwägerinnen von Else, Rosa und Amalie Cohen.

Im Soest der Weimarer Republik zählten die Cohens zur gutbürgerlichen Mittelschicht. Das Speditionsunternehmen modernisierte Berthold Cohen sukzessive und baute es aus: Mit einem Fuhrpark von zehn Möbeltransportern und Sattelschleppern, eigener Garage und Tischlerei. Bis zu zehn Fachangestellte waren in dem Unternehmen beschäftigt. Für den Haushalt waren zwei Dienstmädchen angestellt und die Kinder besuchten in Soest höhere Schulen. Die Cohens waren außerdem bis 1933 Mitglied des Deutschen Internationalen Transports- und Speditionsverbandes. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie zu dieser Zeit geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Else Cohen und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Die Cohens wurden auch als Geschäftsinhaber in Soest zum Ziel von antisemitischen Anfeindungen, Boykotten und Ausschreitungen. Bereits im Frühjahr 1933 initiierten die Nationalsozialisten erste Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte, wobei wie der Soester Anzeiger berichtete, „SA-Leute vor einigen Warenhäusern und Kaufhäusern postiert“ wurden. Ende März 1933 schickte der Kreispropagandaleiter der NSDAP erneut SA- und SS-Gruppen zu jüdischen Geschäften in Soest und der Soester Anzeiger vom 31. März 1933 listete eine Vielzahl an Betrieben und Geschäften auf, die daraufhin schlossen, darunter auch das Geschäft Cohen. Georg Cohen berichtete über die Situation später: „Infolge des Boykotts am 1. April 1933 hörte das Geschäft sofort auf. Mein Vater sah sich deswegen nach einer anderen Beschäftigung um und meine Eltern übersiedelten im Jahre 1934 nach Berlin, wo mein Vater als Leiter der Möbeltransport-Abteilung bei der Firma Brasch & Rothenstein angestellt wurde.“

Im März 1935 wurde der Betrieb in Soest eingestellt und 1937 aus dem Handelsregister gelöscht, aber Else Cohens Ehemann konnte einen Teil seines Fuhrparks retten und mit Zugmaschinen, Möbelwagen und Anhänger in Berlin zeitweise als eigenständiger Teilhaber der Berliner Spedition „Brasch & Rothenstein“ arbeiten. In Berlin nahmen sich Else und Berthold Cohen eine Dreieinhalbzimmer-Wohnung in der Dortmunder Straße 13 in Moabit. 1935 gelang es Elses Bruder, Walter Stern, Deutschland zu verlassen und sich ins Ausland zu retten. Auch die drei Kinder von Else und Berthold Cohen konnten in den 1930er-Jahren in das britische Mandatsgebiet Palästina fliehen: Anni Cohen heiratete 1935 und emigrierte im selben Jahr mit ihrem Mann nach Palästina. Lotte Cohen verlor 1936 ihre damalige Anstellung in Köln und wurde in ihrer Heimatstadt Soest von einem SA-Mann physisch attackiert, wovon sie bleibende körperliche Schäden davontrug. Sie lebte noch eine Zeitlang in Berlin, bevor sie nach Palästina emigrierte. Georg Cohen absolvierte zwischen 1934 und 1937 eine landwirtschaftliche Ausbildung in einer Gartenbauschule in Ahlen, bevor er sich Anfang 1939 ebenfalls nach Palästina retten konnte. Ob auch Else und Berthold Cohen Pläne verfolgten, Deutschland zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Ende 1938 wurde Berthold Cohen aus seiner Anstellung bei „Brasch & Rothenstein“ infolge der sogenannten „Arisierung“ des Unternehmens entlassen. Er übte zuletzt noch eine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Reichsvereinigung der Juden in der Kantstraße aus. Spätestens Ende der 1930er- / Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für das Ehepaar Cohen in Berlin zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Anfang 1941 waren Else und Berthold Cohen gezwungen ihre Berliner Wohnung in der Dortmunder Straße 13 zu verlassen. Sie fanden eine Unterkunft als Untermieter bei Rosa Levy in der Geisbergerstraße 33 in Schöneberg, wo sie gemeinsam ein Zimmer bewohnten. Im Frühjahr 1942 erhielten sie den Deportationsbescheid. Sie wurden in einem der Berliner Sammellager interniert und von dort aus am 28. März 1942 mit dem „11. Osttransport“ in das Lager Piaski deportiert. Sie gehörten nicht zu den wenigen Überlebenden dieser Transporte und wurden vermutlich im Vernichtungslager Belzec ermordet. Zum Zeitpunkt der Deportation war Else Cohen 55 Jahre und Berthold Cohen 62 Jahre alt.

Elses Kinder, (Georg) Arie Cohen, Anni Cohen, verheiratete Lichtenfeld und Lotte Cohen, verheiratete Kraus, überlebten die NS-Verfolgung im Exil in Palästina. Ebenso überlebten ihre Brüder Hugo und Walter Stern im Exil. Hugo Stern konnte sich mit seiner Ehefrau Irma Stern, geborene Labowsky, aus ihrem Wohnsitz in Gelsenkirchen Ende der 1930er-Jahre in die USA retten; Walter Stern lebte später in Israel. Elses Schwägerinnen Rosa und Amalie Mally Cohen wurden zusammen am 29. Juli 1942 aus Dortmund in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Von dort aus wurden sie am 23. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.