Harry Hüttel

Verlegeort
Rykestraße 22
Bezirk/Ortsteil
Prenzlauer Berg
Verlegedatum
30. März 2013
Geboren
17. August 1897 in Berlin
Verhaftet
03. März 1936 in Zuchthaus Brandenburg
Verhaftet
in Sachsenhausen
Verhaftet
bis 05. Mai 1945 in Mauthausen
Deportation
1945 nach Mauthausen
Überlebt

Mein Onkel Harry Hüttel ist mir persönlich nicht in Erinnerung; als er im Mai 1950 starb, war ich erst drei Jahre alt. Dennoch bin ich ihm im Jahr 1969 begegnet: Als Besucherin in der Ausstellung der KZ-Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen. Erschüttert stand ich vor den Häftlingsfotos, die die Gestapo von ihm gemacht hatte. Fassungslos grübelte ich, wieso meine Mutter über ihren Bruder nicht berichtet hatte, dass er im KZ gewesen war. Niemand in der Familie hatte davon auch nur in Andeutungen gesprochen.<br />
Ich war nicht mehr dieselbe, als ich die Gedenkstätte verließ.<br />
Seitdem sind viele Jahrzehnte vergangen, bis ich endlich, ausgeschieden aus dem Berufsleben, Recherchen anstellen konnte (, ohne gelernt zu haben, wie das denn geht). Im Landesarchiv Berlin, im Bundesarchiv, im Brandenburgischen Landeshauptarchiv sowie im Wiener Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands fand ich mit Hilfe freundlichster Archivarinnen und Archivare Dokument um Dokument, so dass ich heute über meinen Onkel in groben Zügen, belegbar mitteilen kann:<br />
Harry Hüttel wurde am 17. August 1897 in Berlin als ältester Sohn von Oscar Hüttel und seiner ersten Frau Gertrud geboren. Er war aktives Mitglied der KPD und der Roten Hilfe in Berlin-Prenzlauer Berg. Er beteiligte sich am Widerstand gegen das Naziregime als Organisator der Roten Hilfe und als politischer Instrukteur der Bezirksleitung der KPD.<br />
In der ersten Hälfte des Jahres 1936 führte die Gestapo im Norden und Nordosten Berlins, „nach langwierigen Beobachtungen“ (wie sich selbst lobte) und aufgrund von durch Folter erpressten Aussagen Gefangener eine großangelegte Verhaftungswelle gegen die seit Anfang 1933 illegale KPD und die Rote Hilfe durch. In der Folge wurde gegen insgesamt 126 Personen Anklage erhoben.<br />
Zu den Festgenommenen gehörte auch Harry Hüttel, in seiner Wohnung in der Rykestraße 22 von der Gestapo am 3.3.1936 verhaftet. Dem Gestapo-Terror – wahrscheinlich in den Kellern der Prinz-Albrecht-Straße 8 – blieb er einen Monat lang ausgeliefert. Am 4. April 1936 wurde er schließlich vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz in das Untersuchungsgefängnis Moabit eingeliefert.<br />
Das Kammergericht Berlin verurteilte Harry Hüttel am 26. Januar 1934 zu vier Jahren Zuchthaus „wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ .<br />
Am 5. Februar 1937 wurde er in das Zuchthaus Brandenburg-Goerden überführt und erhielt die Nr. 1631/36 in der „Zugangsliste“. Die überlieferte Zuchthausakte bezeugt, welchen Qualen Harry Hüttel ausgesetzt war: Er verlor rapide an Gewicht; seine Schmerzen wurden ignoriert. Immerhin befürwortete der Zahnarzt der Anstalt eine Prothese für den seit den Gestapo-Verhören zahnlosen Oberkiefer. Harry Hüttel musste die Kosten dafür selbst tragen.<br />
Am 5. März 1940 wurde er, statt entlassen zu werden, in das Polizeigefängnis Berlin überführt. Einen Monat später, am 8. April 1940 erließ das Reichssicherheitshauptamt, gez. Heydrich, einen „Schutzhaftbefehl“, auf dessen Grundlage Harry Hüttel in das KZ Sachsenhausen ( in nördlicher Nähe von Berlin) eingeliefert wurde und die Häftlingsnummer 019617 erhielt. Fast fünf Jahre lang überlebte er die Torturen im KZ Sachsenhausen, häufige Aufenthalte im Krankenrevier eingeschlossen.<br />
Bei Näherrücken der Roten Armee wurde er mit anderen Häftlingen am 15. Februar 1945 nach Mauthausen in der Nähe von Linz überführt, in das einzige KZ der Stufe III. Mit der Häftlingsnummer 130988 und dem Vermerk „R.u.“ („Rückkehr unerwünscht“) wurde er registriert und in das sogenannte Sanitätslager gepfercht: Hier sollte er nicht etwa „Sanität“ erfahren, sondern war dem Hungertod preisgegeben.<br />
Die Befreier kamen am 5. Mai 1945 - Soldaten der 3. US-Armee. Die Erschütterung über das, was sie antrafen, blieb ihnen jahrzehntelang im Gedächtnis. Die Häftlinge waren in einem unvergleichlichen Jubel - aber viele, viele starben weiterhin, zur tiefen Trauer der Überlebenden. Im Namen aller politischen Häftlinge wandte sich am 16. Mai 1945 das Internationale Komitee von Mauthausen anlässlich des Abmarsches der sowjetischen Häftlinge, die mit als erste nach Hause gebracht wurden, in einem Appell an die Welt. Er schließt mit den Worten: „Auf den sicheren Grundlagen internationaler Gemeinschaft wollen wir das schönste Denkmal, das wir den gefallenen Soldaten der Freiheit setzen können, errichten: die Welt des freien Menschen. Wir wenden uns an die ganze Welt mit dem RufHelft uns bei dieser Arbeit! Es lebe die internationale Solidarität! Es lebe die Freiheit!“<br />
Mit anderen Befreiten kehrte Harry Hüttel nach Berlin zurück – als schwerkranker Mann. Trotzdem diente er vom 1. September 1947 bis Ende Oktober 1948 der Stadt Hennigsdorf als gewählter Bürgermeister.<br />
Auf dem einzigen Foto aus dieser Zeit erkennt man auf seinem Rockaufschlag das dreiwinklige Abzeichen der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.<br />
Am 4. Mai 1950 ist mein Onkel Harry, 52 Jahre alt, in seiner Heimatstadt Berlin an den schweren Zuchthaus- und KZ-Haftfolgen gestorben.<br />
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Mein Onkel Harry Hüttel ist mir persönlich nicht in Erinnerung; als er im Mai 1950 starb, war ich erst drei Jahre alt. Dennoch bin ich ihm im Jahr 1969 begegnet: Als Besucherin in der Ausstellung der KZ-Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen. Erschüttert stand ich vor den Häftlingsfotos, die die Gestapo von ihm gemacht hatte. Fassungslos grübelte ich, wieso meine Mutter über ihren Bruder nicht berichtet hatte, dass er im KZ gewesen war. Niemand in der Familie hatte davon auch nur in Andeutungen gesprochen.
Ich war nicht mehr dieselbe, als ich die Gedenkstätte verließ.
Seitdem sind viele Jahrzehnte vergangen, bis ich endlich, ausgeschieden aus dem Berufsleben, Recherchen anstellen konnte (, ohne gelernt zu haben, wie das denn geht). Im Landesarchiv Berlin, im Bundesarchiv, im Brandenburgischen Landeshauptarchiv sowie im Wiener Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands fand ich mit Hilfe freundlichster Archivarinnen und Archivare Dokument um Dokument, so dass ich heute über meinen Onkel in groben Zügen, belegbar mitteilen kann:
Harry Hüttel wurde am 17. August 1897 in Berlin als ältester Sohn von Oscar Hüttel und seiner ersten Frau Gertrud geboren. Er war aktives Mitglied der KPD und der Roten Hilfe in Berlin-Prenzlauer Berg. Er beteiligte sich am Widerstand gegen das Naziregime als Organisator der Roten Hilfe und als politischer Instrukteur der Bezirksleitung der KPD.
In der ersten Hälfte des Jahres 1936 führte die Gestapo im Norden und Nordosten Berlins, „nach langwierigen Beobachtungen“ (wie sich selbst lobte) und aufgrund von durch Folter erpressten Aussagen Gefangener eine großangelegte Verhaftungswelle gegen die seit Anfang 1933 illegale KPD und die Rote Hilfe durch. In der Folge wurde gegen insgesamt 126 Personen Anklage erhoben.
Zu den Festgenommenen gehörte auch Harry Hüttel, in seiner Wohnung in der Rykestraße 22 von der Gestapo am 3.3.1936 verhaftet. Dem Gestapo-Terror – wahrscheinlich in den Kellern der Prinz-Albrecht-Straße 8 – blieb er einen Monat lang ausgeliefert. Am 4. April 1936 wurde er schließlich vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz in das Untersuchungsgefängnis Moabit eingeliefert.
Das Kammergericht Berlin verurteilte Harry Hüttel am 26. Januar 1934 zu vier Jahren Zuchthaus „wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ .
Am 5. Februar 1937 wurde er in das Zuchthaus Brandenburg-Goerden überführt und erhielt die Nr. 1631/36 in der „Zugangsliste“. Die überlieferte Zuchthausakte bezeugt, welchen Qualen Harry Hüttel ausgesetzt war: Er verlor rapide an Gewicht; seine Schmerzen wurden ignoriert. Immerhin befürwortete der Zahnarzt der Anstalt eine Prothese für den seit den Gestapo-Verhören zahnlosen Oberkiefer. Harry Hüttel musste die Kosten dafür selbst tragen.
Am 5. März 1940 wurde er, statt entlassen zu werden, in das Polizeigefängnis Berlin überführt. Einen Monat später, am 8. April 1940 erließ das Reichssicherheitshauptamt, gez. Heydrich, einen „Schutzhaftbefehl“, auf dessen Grundlage Harry Hüttel in das KZ Sachsenhausen ( in nördlicher Nähe von Berlin) eingeliefert wurde und die Häftlingsnummer 019617 erhielt. Fast fünf Jahre lang überlebte er die Torturen im KZ Sachsenhausen, häufige Aufenthalte im Krankenrevier eingeschlossen.
Bei Näherrücken der Roten Armee wurde er mit anderen Häftlingen am 15. Februar 1945 nach Mauthausen in der Nähe von Linz überführt, in das einzige KZ der Stufe III. Mit der Häftlingsnummer 130988 und dem Vermerk „R.u.“ („Rückkehr unerwünscht“) wurde er registriert und in das sogenannte Sanitätslager gepfercht: Hier sollte er nicht etwa „Sanität“ erfahren, sondern war dem Hungertod preisgegeben.
Die Befreier kamen am 5. Mai 1945 - Soldaten der 3. US-Armee. Die Erschütterung über das, was sie antrafen, blieb ihnen jahrzehntelang im Gedächtnis. Die Häftlinge waren in einem unvergleichlichen Jubel - aber viele, viele starben weiterhin, zur tiefen Trauer der Überlebenden. Im Namen aller politischen Häftlinge wandte sich am 16. Mai 1945 das Internationale Komitee von Mauthausen anlässlich des Abmarsches der sowjetischen Häftlinge, die mit als erste nach Hause gebracht wurden, in einem Appell an die Welt. Er schließt mit den Worten: „Auf den sicheren Grundlagen internationaler Gemeinschaft wollen wir das schönste Denkmal, das wir den gefallenen Soldaten der Freiheit setzen können, errichten: die Welt des freien Menschen. Wir wenden uns an die ganze Welt mit dem RufHelft uns bei dieser Arbeit! Es lebe die internationale Solidarität! Es lebe die Freiheit!“
Mit anderen Befreiten kehrte Harry Hüttel nach Berlin zurück – als schwerkranker Mann. Trotzdem diente er vom 1. September 1947 bis Ende Oktober 1948 der Stadt Hennigsdorf als gewählter Bürgermeister.
Auf dem einzigen Foto aus dieser Zeit erkennt man auf seinem Rockaufschlag das dreiwinklige Abzeichen der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
Am 4. Mai 1950 ist mein Onkel Harry, 52 Jahre alt, in seiner Heimatstadt Berlin an den schweren Zuchthaus- und KZ-Haftfolgen gestorben.