Hertha Cohn

Verlegeort
Blücherstr. 61 b
Historischer Name
Urbanstr. 188
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Geboren
18. Dezember 1919 in Czempin (Posen) / Czempiń
Deportation
am 29. November 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Hertha Cohn wurde am 18. Dezember 1919 in Czempin in der damaligen preußischen Provinz Posen (dem heutigen Czempiń in Polen) geboren. Die Ortschaft liegt etwa 30 Kilometer südwestlich der Stadt Posen (Poznań). Hertha Cohn war die Tochter des Kaufmanns Philipp Cohn (*1881) und von Luise Cohn, geborene Silberstein (*1879). Ihr Vater stammte aus der benachbarten Ortschaft Murowana Goslin (Murowana Goślina). Anfang der 1910er-Jahre war er nach Czempin übergesiedelt und hatte die von dort stammende Kaufmannstochter Hertha Silberstein geheiratet. Die Cohns lebten an der Adresse Grüner Markt 7, wo Herthas Großvater mütterlicherseits um die Jahrhundertwende Wohnhäuser errichtet hatte und ein Ladengeschäft führte, welches um das Jahr 1913 von Philipp und Luise Cohn als Kolonialwarenladen übernommen worden war. Im Dezember 1913 war Herthas ältere Schwester Thea als erstes Kind des Ehepaares zur Welt gekommen. Im Ersten Weltkrieg war Philipp Cohn als Soldat eingezogen worden und nachdem er nach Kriegsende nach Czempin zurückgekehrt war, kam im Dezember 1919 Hertha zur Welt. Aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde Czempin 1920 polnisch, woraufhin die Cohns den Ort verließen.

Sie verkauften am 31. März 1920 den Besitz am Grünen Markt – die Mietshäuser samt dem Ladengeschäft – und zogen mit Herthas Großmutter mütterlicherseits, Marie (1852–1922), und ihrer Tante Selma (*1881) zunächst nach Leesen (Leźno) bei Danzig an die Adresse Neuer Marktplatz 38 (Nowy Rynek) und von dort nach Berlin, wo im April 1921 Herthas Bruder Siegbert geboren wurde. In Berlin wuchsen Hertha und ihre Geschwister in Kreuzberg auf. Ihre Eltern hatten eine Wohnung in der Lindenstraße 113 unweit des Belle-Alliance-Platzes (heute Mehringplatz). Herthas Vater war als Kaufmann und zwischenzeitlich als Fabrikinspektor in der Hauptstadt tätig und sicherte mit seinem Einkommen den Lebensunterhalt der Familie. Über die Kindheit und Jugend von Hertha Cohn und ihren Geschwistern im Berlin der Weimarer Republik haben sich sonst keine Zeugnisse erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Hertha Cohn und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Hertha Cohn und ihr Bruder Siegbert haben die Diskriminierungen unmittelbar im Bildungswesen erfahren. Bereits 1933 war der 13-Jährigen mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ die Chance auf einen höheren Bildungszweig versperrt worden und ein Erlass von 1935 sah eine „möglichst vollständige Rassentrennung“ in Schulen vor, bevor jüdischen Schülerinnen und Schülern 1938 der Besuch öffentlicher Schulen grundsätzlich verboten wurde. Es ist nicht bekannt, wann Hertha aus der Schule austrat und welche Ausbildung sie im Anschluss erhielt. Ihr Bruder Siegbert konnte noch eine Ausbildung zum Lederarbeiter abschließen, wurde aber im Anschluss als Zwangsarbeiter dienstverpflichtet.

1934 waren die Cohns in eine neue Wohnung in der Urbanstraße 188 an der Kreuzung zur Blücherstraße in Kreuzberg gezogen. Herthas Schwester Thea arbeitete Mitte der 1930er-Jahre bei einer jüdischen Vereinigung, die Auswanderungen insbesondere Jugendlicher vorbereitete und organisierte. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Alex Deutsch kennen, den sie im Juni 1938 heiratete. Ob auch die Cohns mit ihren Kindern in den 1930er-Jahren Pläne verfolgten das Land zu verlassen, ist nicht bekannt. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Ende der 1930er-Jahre konnte Herthas Vater nicht mehr als Kaufmann tätig sein. In den Berliner Adressbüchern ist er letztmalig mit der Ausgabe von 1939 mit der Berufsbezeichnung Kaufmann zu finden. Anfang der 1940er-Jahre wurde der 60-Jährige zu Zwangsarbeit in Berlin als Arbeiter beim Bau herangezogen. In der Wohnung in der Urbanstraße lebten jetzt neben Hertha Cohn und ihre Eltern, ihr Bruder Siegbert, ihre Schwester Thea mit ihrem Ehemann Alex Deutsch, der ebenfalls Zwangsarbeit leisten musste, Herthas im Oktober 1940 geborener Neffe Denny sowie ihre Tante Selma Silberstein. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Herbst 1942 erhielten Hertha Cohn, ihre Eltern Philipp und Luise sowie ihr Bruder Siegbert Cohn den Deportationsbescheid. Sie mussten ihre Wohnung in der Urbanstraße verlassen und wurden in einer der Berliner Sammelstellen interniert. Von dort wurden sie am 29. November 1942 mit dem „23. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft – ermordet. Hertha Cohn war zum Zeitpunkt der Deportation 22 Jahre alt.

Die meisten ihrer Verwandten überlebten die NS-Verfolgung nicht: Herthas Schwester Thea und ihr Ehemann Alex Deutsch wurden im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, im Februar 1943 von der Gestapo verhaftet. Zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Denny wurde Thea am 2. März 1943 mit dem „32. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert; Alex Deutsch einen Tag später am 3. März 1943. Thea und Denny wurden unmittelbar nach der Ankunft des Transports ermordet. Alex Deutsch wurde als Häftling in das Lager Auschwitz-Monowitz selektiert, wo er schwerste körperliche Zwangsarbeit verrichten musste („Vernichtung durch Arbeit“). Im Januar 1945 verließ er Auschwitz auf dem Todesmarsch nach Gleiwitz (Gliwice). Von dort aus wurde er in das KZ Buchenwald weiterdeportiert und kam anschließend in das Außenlager Langenstein-Zwieberge in der Nähe von Halberstadt, wo er Ende April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit wurde. Herthas Tante Selma Silberstein war am 1. März 1943 aus Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden.