Siegbert Cohn

Verlegeort
Blücherstr. 61 b
Historischer Name
Urbanstr. 188
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Geboren
18. April 1921 in Berlin
Deportation
am 29. November 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Siegbert Cohn wurde am 18. April 1921 in Berlin geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns Philipp Cohn (*1881) und dessen Ehefrau Luise Cohn, geborene Silberstein (*1879). Seine Eltern hatten Anfang der 1910er-Jahre in Czempin in der damaligen preußischen Provinz Posen (dem heutigen Czempiń in Polen) geheiratet und dort ein Kolonialwarengeschäft geführt, das von Siegberts Großvater mütterlicherseits Hermann Silberstein (1847–1911) gegründet worden war. 1913 kam in Czempin Siegberts ältere Schwester Thea zur Welt und nachdem sein Vater im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient hatte wurde seine zweite Schwester Hertha 1919 ebenfalls in Czempin geboren. 1920, nachdem der Ort aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages polnisch wurde, hatten die Cohns Czempin verlassen und waren mit Siegberts Großmutter mütterlicherseits Marie (1852–1922) und seiner Tante Selma (*1881) zunächst nach Leesen (Leźno) bei Danzig an die Adresse Neuer Marktplatz 38 (Nowy Rynek) und von dort nach Berlin gezogen, wo Siegbert im April 1921 geboren wurde. In Berlin wuchsen Siegbert und seine Schwestern in Kreuzberg auf. Seine Eltern hatten eine Wohnung in der Lindenstraße 113 unweit des Belle-Alliance-Platzes (heute Mehringplatz). Siegberts Vater war als Kaufmann und zwischenzeitlich als Fabrikinspektor in der Hauptstadt tätig und sicherte mit seinem Einkommen den Lebensunterhalt der Familie. Über die Kindheit und Jugend von Siegbert Cohn und seinen Geschwistern im Berlin der Weimarer Republik haben sich sonst keine Zeugnisse erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Siegbert Cohn und seine Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Siegbert Cohn und seine Schwester Hertha haben die Diskriminierungen unmittelbar im Bildungswesen erfahren. Bereits 1933 war dem 12-Jährigen mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ die Chance auf einen höheren Bildungszweig versperrt worden und ein Erlass von 1935 sah eine „möglichst vollständige Rassentrennung“ in Schulen vor, bevor jüdischen Schülern 1938 der Besuch öffentlicher Schulen grundsätzlich verboten wurde. Siegbert konnte nach der Schule zwar noch eine Ausbildung zum Lederarbeiter abschließen, musste aber anschließend Zwangsarbeit in Berlin verrichten.

1934 waren die Cohns in eine neue Wohnung in der Urbanstraße 188 an der Kreuzung zur Blücherstraße in Kreuzberg gezogen. Siegberts Schwester Thea arbeitete Mitte der 1930er-Jahre bei einer jüdischen Vereinigung, die Auswanderungen insbesondere Jugendlicher vorbereitete und organisierte. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Alex Deutsch kennen, den sie im Juni 1938 heiratete. Ob auch die Cohns mit ihren Kindern Pläne verfolgten in den 1930er-Jahren das Land zu verlassen, ist nicht bekannt. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Ende der 1930er-Jahre konnte Siegberts Vater nicht mehr als Kaufmann tätig sein. In den Berliner Adressbüchern ist er letztmalig mit der Ausgabe von 1939 mit der Berufsbezeichnung Kaufmann zu finden. Anfang der 1940er-Jahre wurde der 60-Jährige zu Zwangsarbeit beim Bau herangezogen. In der Wohnung in der Urbanstraße lebten jetzt neben Siegbert Cohn und seinen Eltern seine ledige Schwester Hertha und seine Schwester Thea mit ihrem Ehemann Alex Deutsch, der ebenfalls Zwangsarbeit leisten musste, Siegberts im Oktober 1940 geborener Neffe Denny sowie Siegberts Tante Selma Silberstein. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Herbst 1942 erhielten Siegbert Cohn, seine Eltern Philipp und Luise sowie seine Schwester Hertha den Deportationsbescheid. Sie mussten ihre Wohnung in der Urbanstraße verlassen und wurden in einer der Berliner Sammelstellen interniert. Von dort wurden sie am 29. November 1942 mit dem „23. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft – ermordet. Siegbert Cohn war zum Zeitpunkt der Deportation 21 Jahre alt.

Die meisten seiner Verwandten überlebten die NS-Verfolgung nicht: Siegberts Schwester Thea und ihr Ehemann Alex Deutsch wurden im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, im Februar 1943 von der Gestapo verhaftet. Zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Denny wurde Thea am 2. März 1943 mit dem „32. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert, ihr Mann einen Tag später. Thea und Denny wurden unmittelbar nach der Ankunft des Transports ermordet. Alex Deutsch wurde als Häftling in das Lager Auschwitz-Monowitz selektiert, wo er schwerste körperliche Zwangsarbeit verrichten musste („Vernichtung durch Arbeit“). Im Januar 1945 verließ er Auschwitz auf dem Todesmarsch nach Gleiwitz (Gliwice). Von dort aus wurde er in das KZ Buchenwald weiterdeportiert und kam anschließend in das Außenlager Langenstein-Zwieberge in der Nähe von Halberstadt, wo er Ende April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit wurde. Siegberts Tante Selma Silberstein ist am 1. März 1943 aus Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden.