Thea Deutsch geb. Cohn

Verlegeort
Blücherstr. 61 b
Historischer Name
Urbanstr. 188
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Geboren
18. Dezember 1913 in Czempin (Posen) / Czempiń
Deportation
am 02. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Thea Cohn wurde am 18. Dezember 1913 in Czempin in der damaligen preußischen Provinz Posen (dem heutigen Czempiń in Polen) geboren. Die Ortschaft liegt etwa 30 Kilometer südwestlich der Stadt Posen (Poznań). Thea war die Tochter des Kaufmanns Philipp Cohn (*1881) und seiner Frau Luise Cohn, geborene Silberstein (*1879). Ihre Eltern hatten Anfang der 1910er-Jahre in Czempin geheiratet und den von Theas Großvater mütterlicherseits gegründeten Familienbetrieb am Grünen Markt 7 (plac Zielony Rynek) als Kolonialwarengeschäft übernommen. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurde Theas Vater eingezogen oder er meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Nachdem Philipp Cohn mit dem Ende des Kriegs nach Czempin zurückgekehrt war, kam im Dezember 1919 Theas jüngere Schwester Hertha zur Welt.

Aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde Theas Geburtsstadt 1920 polnisch. Die Cohns verkauften am 31. März 1920 den Besitz am Grünen Markt – die Mietshäuser samt dem Ladengeschäft – und zogen mit Theas verwitweter Großmutter Marie, geborene Machol (1852–1922) und ihrer Tante Selma Silberstein (*1881) zunächst nach Leesen (Leźno) bei Danzig an die Adresse Neuer Marktplatz 38 (Nowy Rynek) und von dort nach Berlin, wo im April 1921 Theas Bruder Siegbert zur Welt kam. Die Familie nahm sich eine Wohnung in der Lindenstraße 113 in Kreuzberg unweit des Belle-Alliance-Platzes (heute Mehringplatz). Theas Vater war in der Hauptstadt als Kaufmann und zwischenzeitlich als Fabrikinspektor tätig und sicherte mit seinem Einkommen den Lebensunterhalt der Familie. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben der Cohns im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Thea Cohn und ihre Familienangehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Thea Cohn und ihre Familienangehörigen zunehmend in die Position von Rechtlosen. 1934 zogen die Cohns in eine neue Wohnung in der Urbanstraße 188 an der Kreuzung zur Blücherstraße in Kreuzberg. Thea arbeitete Mitte der 1930er-Jahre bei einer jüdischen Vereinigung, die Auswanderungen insbesondere Jugendlicher vorbereitete und organisierte. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Alex Deutsch kennen, den sie im Juni 1938 heiratete. Ob auch Thea und ihre Familie Pläne verfolgten in den 1930er-Jahren das Land zu verlassen, ist nicht bekannt. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Ihr späterer Ehemann Alex Deutsch trat seinen Ausreiseplatz in die USA an den Sohn seines Bruders ab. Ende der 1930er-Jahre konnte Theas Vater nicht mehr als Kaufmann tätig sein. In den Berliner Adressbüchern ist er letztmalig mit der Ausgabe von 1939 mit der Berufsbezeichnung Kaufmann zu finden. Anfang der 1940er-Jahre wurde der 60-Jährige zu Zwangsarbeit beim Bau herangezogen. Theas Bruder Siegbert hatte noch eine Ausbildung zum Lederarbeiter abschließen können, wurde aber in dieser Zeit ebenfalls zu Zwangsarbeit verpflichtet – genauso wie Alex Deutsch. Alex war 1913 in Berlin geboren worden und, nachdem sein Vater an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung gestorben war, 1922 in ein Waisenhaus der Jüdischen Gemeinde aufgenommen worden. Ab 1928 absolvierte er eine Bäckerlehre, konnte aber seit den Nürnberger Gesetzen 1935 und dem Verbot von Juden in allen Bereichen des Lebensmittelgewerbes nicht mehr als Bäcker arbeiten und verdiente sein Auskommen als Laufbursche und Straßenreiniger. Seit 1933 hatte er außerdem bei der jüdischen Vereinigung ausgeholfen, bei der er Thea kennenlernte. Ab 1937 musste er Zwangsarbeit in Berlin leisten: Unter anderem war er bei Arbeiten zum Abriss des Berliner Diplomatenviertels als Bauarbeiter zwangsverpflichtet worden und leistete 1938/1939 Zwangsarbeit in der Kohlehandlung Ludwig in der Bülowstraße in Berlin-Schöneberg. Am 29. Juni 1938 heirateten Thea und Alex Deutsch in Berlin und Alex zog in die Wohnung der Cohns in der Urbanstraße. Zu diesem Zeitpunkt lebten dort neben Theas Eltern und ihren alleinstehenden Geschwistern Hertha und Siegbert noch ihre Tante Selma Silberstein, die ebenfalls zu Zwangsarbeit dienstverpflichtet war; zuletzt als Arbeiterin bei „Siemens & Halske“ im Wernerwerk F für Fernmeldetechnik in Berlin-Siemensstadt. Am 12. Oktober 1940 bekamen Thea und Alex Deutsch einen Sohn, dem sie den Namen Dennis gaben, er wurde auch Denny genannt. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Herbst 1942 wurde die Familie in der Urbanstraße gewaltsam auseinandergerissen, als Theas Eltern und ihre Geschwister Hertha und Siegbert den Deportationsbescheid erhielten. Sie mussten ihre Wohnung verlassen und wurden in einer der Berliner Sammelstellen interniert. Von dort wurden sie am 29. November 1942 mit dem „23. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Thea und Alex Deutsch sowie Theas Tante Selma Silberstein lebten noch bis ins Frühjahr 1943 in Berlin. Sie wurden im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, im Februar 1943 von der Gestapo verhaftet. Zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Dennis wurde Thea am 2. März 1943 mit dem „32. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurden Mutter und Sohn in Auschwitz ermordet. Thea Deutsch war zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt.

Ihr Ehemann Alex Deutsch wurde einen Tag nach ihnen am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert, wo er als Häftling in das Lager Auschwitz-Monowitz selektiert wurde und schwerste körperliche Zwangsarbeit verrichten musste („Vernichtung durch Arbeit“). Nach seinen späteren Berichten erfuhr er etwa 14 Tage nach seiner Ankunft in Auschwitz von der Ermordung seiner Frau und seines Kindes und schwor sich, das Lager zu überleben, um sich zu rächen. Im Januar 1945 wurde er mit anderen Häftlingen auf einen „Todesmarsch“ nach Gleiwitz (Gliwice) geschickt. Von dort aus wurde er in das KZ Buchenwald weiterdeportiert und kam anschließend in das Außenlager Langenstein-Zwieberge in der Nähe von Halberstadt, wo er Ende April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit wurde. Theas Tante Selma war am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden.