Marion Zellner geb. Mieschel

Verlegeort
Bundesplatz 17
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
20. Mai 2014
Geboren
13. Januar 1904 in Magdeburg
Flucht
1937 Belgien
Verhaftet
1943 in Marseille
Verhaftet
in Drancy
Deportation
am 15. November 1944 nach Ravensbrück
Überlebt

Marion Zellner geb. Mieschel wurde am 13. Januar 1904 in Magdeburg geboren. Sie stammte aus einer protestantischen Familie, ihr Vater war der schon 1907 oder 1908 gestorbene Bürovorsteher der Magdeburgischen Baugewerbegenossenschaft Wilhelm Mieschel, die Mutter war die Klavierlehrerin Anna Luise Margarete Mieschel geb. Dittmann.

Am 30. April 1928 heiratet Marion Mieschel in Magdeburg Herbert Goldschmidt. Marion hat mit der Eheschließung offenbar ihre Arbeit aufgegeben, wie das damals üblich war.

1931 wurde Goldschmidt für die Staatspartei zum Bürgermeister der Stadt Magdeburg gewählt. Damit war er Stellvertreter des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Ernst Reuter, der später als Regierender Bürgermeister von Berlin berühmt wurde.

Am 11. März 1933, eine Woche nach dem Sieg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl, wurden Goldschmidt und Reuter von SA-Trupps aus dem Rathaus gejagt. Goldschmidt wurde gezwungen, ohne Mantel mit einer Hakenkreuzfahne an der Spitze eines SA-Zugs mit Musik durch Magdeburg zu laufen. Er wurde dabei schwer misshandelt. Beide Männer wurden in sogenannte Schutzhaft genommen und nach drei Stunden freigelassen. Herbert Goldschmidt wurde am 24. April 1933 auf Grund des “Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das sich gegen politisch oder rassisch „Unerwünschte“ richtete, fristlos entlassen.

Das Ehepaar verließ Magdeburg nach diesem Vorfall fluchtartig, weil mit weiteren lebensbedrohlichen Anschlägen zu rechnen war. Sie gingen nach Berlin und lebten dort, wie sie in einem ihrer Lebensläufe schrieb, in bescheidensten Verhältnissen, “wo aber weder für meinen Mann noch für mich bei dem jüdischen Namen irgendeine Möglichkeit bestand, eine Existenz aufzubauen. Herbert Goldschmidt bekam nur eine kleine stark gekürzte Pension…“. Marion hat durch Handarbeiten und Stricken etwas zum Lebensunterhalt dazuverdient. Sie versuchte ihren Mann zu überreden, Deutschland zu verlassen, aber wie viele Verfolgte war er der Meinung, das Naziregime werde bald abgewirtschaftet haben und man müsse durchhalten – was sich als Irrtum herausstellte.

Nach Aussagen von Marion war die Ehe der beiden freundlich und harmonisch, aber nicht sonderlich aufregend für eine so junge Frau. Sie hatten geheiratet, als sie gerade 24 Jahre alt war, und er war immerhin 14 Jahre älter. Sie hat sich immer voller Hochachtung und mit Wärme über ihn geäußert. Er war außerordentlich engagiert und ging in seiner beruflichen Tätigkeit auf. Dann kamen die Belastungen der Nazizeit, in denen er offenbar nicht die Kraft fand, die Situation durch Emigration zu verändern.

So kam es, dass sie sich 1936 in einen anderen Mann verliebte: Hans Zellner, der – außer dass er auch Jude war – in nichts Herbert Goldschmidt ähnelte. Hans Zellner wurde am 18. Oktober 1901 in Hannover als Sohn jüdischer Eltern geboren. Der Vater Heinrich Zellner war Chemiker. Seine Mutter hieß Paula. Von 1930 bis 1934 war er Sekretär der Genossenschaft Deutscher Tonkünstler in Berlin. Dort wurde er als Jude entlassen. Anschließend arbeitete er als Bildberichterstatter für verschiedene amerikanische Magazine, auch für LIFE.

Marion brannte im März 1937 mit Hans Zellner nach Belgien durch, nachdem sie Herbert Goldschmidt um die Scheidung gebeten hatte, die er zunächst verweigerte. Er hat aber schließlich selbst im Oktober 1938 die Scheidung eingereicht. Marion wurde im Januar 1939 rechtskräftig schuldig geschieden.

Marion wollte sich aber nicht etwa von Herbert Goldschmidt scheiden lassen, um dem Druck der Nazis zu entgehen, sondern weil sie sich in Hans Zellner verliebt hatte. Sie hat sich bis an ihr Lebensende Vorwürfe wegen dieser Scheidung gemacht. Sie dachte, Herbert Goldschmidt wäre vielleicht durch die Ehe mit ihr geschützt gewesen. Man nannte diese Ehen „privilegierte Mischehen“, die jüdischen Partner waren vor Deportation und Ermordung geschützt. Allerdings wusste man 1936/1937 noch nicht genug darüber, wie weit der Terror und das verbrecherische Ausmaß der Nazis gehen würden. Sie hätte sich vielleicht nicht von Goldschmidt getrennt, wenn sie gewusst hätte, was passieren würde. Auch nach der Scheidung bemühte sie sich intensiv, Herbert Goldschmidt zu helfen.

Seit 1937 lebte Marion also mit Hans Zellner in Brüssel und arbeitete mit ihm in dem Fotolabor, das sie dort betrieben. Beim Überfall der Nazis auf Polen im August 1939 wurde sie von den belgischen Behörden sofort als deutsche Staatsangehörige über die Grenze nach Deutschland abgeschoben und lebte wieder in Berlin. Hans Zellner blieb in Belgien. Er war offenbar als Verfolgter/Jude geduldet. Sie arbeitete unter ihrem Mädchennamen von 1939 bis Mai 1940 in einem Kunstgewerbegeschäft in der Nürnberger Straße in Berlin.

Sie versuchte dann bis zum Frühjahr 1940, legal nach Belgien zurückzukehren, bekam aber keine Ausreisegenehmigung – mit der Begründung, sie sei ein “unwürdiger Repräsentant des Deutschtums im Ausland”.

Hans Zellner schrieb darüber in einem Brief an seinen Bruder im Herbst 1941):
Ihr wisst ja, welche Versuche ich gemacht hatte, um Marion nach Brüssel zu bekommen, und nachdem die ganzen Formalitäten damals durchgeführt waren und sie Ende Februar 1940 kommen sollte, ein Stoss von Dokumenten beigebracht war, hat man ihr in letzter Minute die Ausreise verboten. Alles war also umsonst, und ich habe schliesslich einen Waldläufer gechartert, der sie unter abenteuerlichen Umständen am 8. Mai in Brüssel ablieferte. Zwei Tage später waren die Deutschen da – 10.Mai 1940.

Marion und Hans wurden verhaftet und getrennt mit Sammeltransporten nach Südfrankreich geschickt. Marion kam in das Camp von Gurs in den Pyrenäen, und er über mehrere Zwischenstationen in ein Lager nach St. Cyprien am Mittelmeer.

Aus dem Brief von Hans:
Ich wurde verhaftet und mit 8000 Gespielen nach Frankreich gebracht. Dort reizende Aufnahme, die bis heute anhält. Also … im Camp 1, dort freiwillig gemeldet; [dann] … im Camp 2. Kurz vor Beginn der Ausbildung sind die Deutschen in der Nähe und wir landen wieder im Viehwagen – weiter bis an die spanische Grenze am Mittelmeer, 3. Camp: [St.Cyprien]. Dort findet mich Marion durch Rundschreiben. Sie war ebenfalls verhaftet und sass in einem Camp in den Pyrenäen.

Marion wurde am 13. September (nach ihrer eigenen Erinnerung im Oktober) wegen Haftunfähigkeit entlassen. Sie hatte schon von Gurs aus verzweifelt versucht herauszufinden, wo Hans war. Laut Marion war er aus St. Cyprien geflohen, als dort Typhus ausbrach (was in vielen Lagern wegen der schrecklichen sanitären Verhältnisse dauernd passierte).

Marion hatte inzwischen illegal bei einer jüdischen Familie in Mouans Sartoux bei Grasse als Haushälterin gearbeitet; sie erzählte, dass sie häufig mit dem Bus nach Nizza geschickt wurde, um dort einzukaufen. Sie wurde von der Familie schlecht behandelt, die ausnutzte, dass sie illegal war und sich nicht wehren konnte. Hans und Marion lebten nach ihrer „Wiedervereinigung“ Anfang September zwei Monate in der Villa in Cannes zusammen, bis er am 18. November 1940 von der französischen Polizei verhaftet und nun seinerseits in Gurs in den Pyrenäen interniert wurde.

Marion und Hans hatten sich in dieser Zeit – wie viele andere Emigranten in Südfrankreich – bemüht, in die USA auszuwandern. Das war sehr kompliziert, nicht nur, weil man dafür sogenannte Affidavits brauchte (also die Bürgschaft einer dort lebenden Person, die sich verpflichtete, sämtliche anfallenden Kosten für den Einwanderer zu übernehmen); die amerikanischen Konsuln gingen bei ihren Visa-Entscheidungen sehr restriktiv vor. Außer diesem Affidavit brauchte man nicht nur ein US-Visum, sondern auch die Schiffspassage, die Ausreisegenehmigung aus Frankreich, ein Transit-Visum für Spanien und eins für Portugal; außerdem brauchte man – wenn man ein Konto in Frankreich hatte – von den Franzosen eine Genehmigung, sein eigenes Geld abzuheben. Alles zur gleichen Zeit zusammen zu bekommen, und dann noch praktisch ohne Geld, war extrem schwierig, zumal die unterschiedlichen Visen unterschiedliche zeitliche Begrenzungen hatten und oft das erste schon nicht mehr gültig war, wenn das letzte endlich eintraf. Eine verzweifelte Situation!

Marion und Hans erhielten die begehrten Affidavits 1941 mit Hilfe der Quäker, für die Marion später auch bei der Kinderverschickung arbeitete. Sie bekamen auch fast die Visa, mit Hilfe des Emergency Rescue Committee in Marseille; offenbar war sogar die Schiffspassage bezahlt, aber es fehlte immer noch etwas. Hans wurde von Gurs nach Les Milles bei Aix en Provence verlegt, um von dort die Möglichkeit zu haben, sich um die weiteren für die Auswanderung notwendigen Unterlagen zu kümmern. So kam es, dass Marion und Hans am 3. Mai 1941 in Aix en Provence endlich heiraten konnten.

Trotz der erwähnten Hilfen gelang es den beiden nicht, die notwendigen Papiere rechtzeitig zusammenzubekommen. Seit der letzten Verhaftung von Hans, mit dem nach drei Wochen erfolgten Freispruch, waren, wie er in seinem Brief schrieb, die Visa-Bestimmungen verschärft worden. Hans war weiter in Les Milles interniert, und Marion lebte in Marseille im Hotel Touring direkt im Zentrum. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt “nur von einer kleinen Unterstützung der Protestantischen Kirche, den Quäkern und von gelegentlichen kleinen Unterstützungen von Freunden aus USA“. Sie schrieb weiter: „Während der ganzen Zeit, in der ich in Frankreich vegetierte, habe ich keinerlei legale Arbeit leisten können“.

Am 13. August 1942 wurde Hans Zellner mit dem zweiten Transport, der von Les Milles abging, mit 538 anderen Gefangenen nach Drancy bei Paris verschleppt. Schon am 19. August 1942 wurde er von Drancy nach Auschwitz deportiert, wie den Transportlisten, die erhalten geblieben sind, zu entnehmen ist. Er wurde offensichtlich dort im Alter von 40 Jahren ermordet. Denn er taucht auf den Lagerlisten und den ebenfalls vorliegenden Listen der Befreiten nicht auf. Das bedeutet, dass er sofort nach seiner Ankunft dort ermordet wurde. Es wurden in solchen Fällen gar keine Lagerakten angelegt.

Am 11. November 1942 marschierte die deutsche Wehrmacht im bisher unbesetzten Süd-Frankreich ein. Marion tauchte im Februar 1943 in Marseille unter, nachdem der Sicherheitsdienst, wie sich die Geheime Staatspolizei dort nannte, mehrfach im Hotel nach ihr gefragt hatte. Französische Hafenarbeiter (Madame Cossedue, 1 rue Bernabos, in Marseille-Eustaque) haben sie, die dann mit einer gefälschten carte d’identité leben musste, bei sich zuhause versteckt und ernährt. Sie wurde am 1. Dezember 1943 bei und mit den Freunden, die sie versteckt hatten, vom Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Paris, in Marseille verhaftet – von einem jüdischen Emigranten aus Wien, Arnold Kupferberg, der sie um Hilfe gebeten hatte, an den Sicherheitsdienst verkauft – wie sie schreibt.

Damit begann Marions schrecklicher Weg durch diverse Gefängnisse und Lager – bis zuletzt ins KZ Ravensbrück. Sie wurde verhaftet, weil sie mit einem Juden verheiratet war und musste mit dieser Begründung in den Gefängnissen und Lagern in Frankreich auch den gelben Stern tragen.

Zunächst war sie im Gestapogefängnis les Beaumettes in Marseille, dann drei Monate in Drancy bei Paris, wo sie bei jedem abgehenden Transport damit rechnen musste, mit den Juden nach Auschwitz geschickt zu werden.

Der französische evangelische Geistliche Pasteur Toureille intervenierte schließlich zu ihren Gunsten und erklärte sie “eindeutig als Arierin” und verhinderte so ihren Abtransport nach Auschwitz; danach war sie im Gefängnis Frèsnes bei Paris. Sie schrieb:

Nach einem Monat auf langwierigen Transporten im Gefängnis Frankfurt a.M., Halle an der Saale, Saarbrücken.“ Von dort wurde sie Anfang August 1944 ins Gefängnis in Magdeburg ‘überstellt’.

Am 15. November 1944 wurde sie in das Konzentrationslager Ravensbrück überführt. Dort musste sie statt des gelben Judensterns den schwarz-gelben Winkel tragen, mit dem nicht-jüdische „Rassenschänderinnen“ gekennzeichnet wurden.

Ende April 1945 beim Vormarsch der Roten Armee sollten viele Häftlinge von Ravensbrück in Außenlager im Norden bzw. Westen verlegt werden. Dazu schrieb Marion:
“Ich bin auf einem Transport, der nach dem Lager Rechlin gehen sollte, und der bereits in die völlige Auflösung hineinkam, meine eigenen Wege gegangen” d.h. sie hat sich, wie sie sagte, „in die Büsche geschlagen“ – mitsamt ihrer offenbar aus der Registratur entwendeten KZ-Akte.

“Nach einem zweimonatigen Aufenthalt auf einem mecklenburgischen Gute, der meiner Erholung diente … [bin ich] Nach vielen Mühen und Ängsten … schliesslich im August 1945 in meiner Heimatstadt Magdeburg gelandet,” wo ihr Bruder Manfred mit seiner Familie lebte. Dieser Bruder hatte als Sozialdemokrat jahrelang aktiv gegen die Nazis gearbeitet und hatte nach der Befreiung eine leitende Stelle bei der örtlichen Polizei.

Nachdem sie sich einigermaßen von den schlimmsten Folgen der KZ-Haft erholt hatte, wurde sie ab 17. September 1945 als ärztliche Helferin bei der Gesundheitsverwaltung Magdeburg angestellt.

Sie ging nach Berlin, wo sie beim Hauptausschuss Opfer des Faschismus und beim International Rescue Committee arbeitete und 1949 in die USA. 1955 nahm sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Sie kehrte 1965/66 nach Deutschland zurück und lebte wieder in Berlin, wo sie kurz vor ihrem 100. Geburtstag am 3. November 2004 gestorben ist.
 

Marion Zellner geb. Mieschel wurde am 13. Januar 1904 in Magdeburg geboren. Sie stammte aus einer protestantischen Familie, ihr Vater war der schon 1907 oder 1908 gestorbene Bürovorsteher der Magdeburgischen Baugewerbegenossenschaft Wilhelm Mieschel, die Mutter war die Klavierlehrerin Anna Luise Margarete Mieschel geb. Dittmann.

Am 30. April 1928 heiratet Marion Mieschel in Magdeburg Herbert Goldschmidt. Marion gab mit der Eheschließung offenbar ihre Arbeit auf, wie das damals üblich war.

1931 wurde Goldschmidt für die Staatspartei zum Bürgermeister der Stadt Magdeburg gewählt. Damit war er Stellvertreter des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Ernst Reuter, der später als Regierender Bürgermeister von Berlin berühmt wurde.

Am 11. März 1933, eine Woche nach dem Sieg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl, wurden Goldschmidt und Reuter von SA-Trupps aus dem Rathaus gejagt. Goldschmidt wurde gezwungen, ohne Mantel mit einer Hakenkreuzfahne an der Spitze eines SA-Zugs mit Musik durch Magdeburg zu laufen. Er wurde dabei schwer misshandelt. Beide Männer wurden in sogenannte Schutzhaft genommen und nach drei Stunden freigelassen. Herbert Goldschmidt wurde am 24. April 1933 auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das sich gegen politisch oder rassisch „Unerwünschte“ richtete, fristlos entlassen.

Das Ehepaar verließ Magdeburg nach diesem Vorfall fluchtartig, weil mit weiteren lebensbedrohlichen Anschlägen zu rechnen war. Sie gingen nach Berlin und lebten dort, wie Marion in einem ihrer Lebensläufe schrieb, in bescheidensten Verhältnissen, „wo aber weder für meinen Mann noch für mich bei dem jüdischen Namen irgendeine Möglichkeit bestand, eine Existenz aufzubauen. Herbert Goldschmidt bekam nur eine kleine stark gekürzte Pension …“. Marion trug durch Handarbeiten und Stricken etwas zum Lebensunterhalt bei. Sie versuchte ihren Mann zu überreden, Deutschland zu verlassen, aber wie viele Verfolgte war er der Meinung, das Naziregime werde bald abgewirtschaftet haben und man müsse durchhalten – was sich als Irrtum herausstellte.

Nach Aussagen von Marion war die Ehe der beiden freundlich und harmonisch, aber nicht sonderlich aufregend für eine so junge Frau. Sie hatten geheiratet, als sie gerade 24 Jahre alt war, und er war immerhin 14 Jahre älter. Sie hat sich immer voller Hochachtung und mit Wärme über ihn geäußert. Er war außerordentlich engagiert und ging in seiner beruflichen Tätigkeit auf. Dann kamen die Belastungen der Nazizeit, in denen er offenbar nicht die Kraft fand, die Situation durch Emigration zu verändern.

So kam es, dass sie sich 1936 in einen anderen Mann verliebte: Hans Zellner, der – außer dass er auch Jude war – in nichts Herbert Goldschmidt ähnelte. Hans Zellner wurde am 18. Oktober 1901 in Hannover als Sohn jüdischer Eltern geboren. Der Vater Heinrich Zellner war Chemiker, die Mutter hieß Paula. Von 1930 bis 1934 war Hans Zellner Sekretär der Genossenschaft Deutscher Tonkünstler in Berlin. Dort wurde er als Jude entlassen. Anschließend arbeitete er als Bildberichterstatter für verschiedene amerikanische Magazine, auch für LIFE.

Marion brannte im März 1937 mit Hans Zellner nach Belgien durch, nachdem sie Herbert Goldschmidt um die Scheidung gebeten hatte, die dieser zunächst verweigerte. Herbert Goldschmidt reichte aber schließlich selbst im Oktober 1938 die Scheidung ein. Marion wurde im Januar 1939 rechtskräftig schuldig geschieden.

Marion wollte sich aber nicht etwa von Herbert Goldschmidt scheiden lassen, um dem Druck der Nazis zu entgehen, sondern weil sie sich in Hans Zellner verliebt hatte. Sie hat sich bis an ihr Lebensende Vorwürfe wegen dieser Scheidung gemacht. Sie dachte, Herbert Goldschmidt wäre vielleicht durch die Ehe mit ihr geschützt gewesen. Man nannte diese Ehen „privilegierte Mischehen“, die jüdischen Partner waren vor Deportation und Ermordung geschützt. Allerdings wusste man 1936/1937 noch nicht genug darüber, wie weit der Terror und das verbrecherische Ausmaß der Nazis gehen würden. Sie hätte sich vielleicht nicht von Goldschmidt getrennt, wenn sie gewusst hätte, was passieren würde. Auch nach der Scheidung bemühte sie sich intensiv, Herbert Goldschmidt zu helfen.

Seit 1937 lebte Marion also mit Hans Zellner in Brüssel und arbeitete mit ihm in dem Fotolabor, das sie dort betrieben. Nach dem Überfall der Nazis auf Polen im August 1939 wurde sie von den belgischen Behörden sofort als deutsche Staatsangehörige über die Grenze nach Deutschland abgeschoben und lebte wieder in Berlin. Hans Zellner blieb in Belgien. Er war offenbar als Verfolgter/Jude geduldet. Marion arbeitete unter ihrem Mädchennamen von 1939 bis Mai 1940 in einem Kunstgewerbegeschäft in der Nürnberger Straße in Berlin.

Sie versuchte dann bis zum Frühjahr 1940, legal nach Belgien zurückzukehren, bekam aber keine Ausreisegenehmigung – mit der Begründung, sie sei ein „unwürdiger Repräsentant des Deutschtums im Ausland“.

Hans Zellner schrieb darüber in einem Brief an seinen Bruder im Herbst 1941:

„Ihr wisst ja, welche Versuche ich gemacht hatte, um Marion nach Brüssel zu bekommen, und nachdem die ganzen Formalitäten damals durchgeführt waren und sie Ende Februar 1940 kommen sollte, ein Stoss von Dokumenten beigebracht war, hat man ihr in letzter Minute die Ausreise verboten. Alles war also umsonst, und ich habe schliesslich einen Waldläufer gechartert, der sie unter abenteuerlichen Umständen am 8. Mai in Brüssel ablieferte. Zwei Tage später waren die Deutschen da – 10.Mai 1940.“

Marion und Hans wurden verhaftet und getrennt mit Sammeltransporten nach Südfrankreich geschickt. Marion kam in das Camp von Gurs in den Pyrenäen und Hans über mehrere Zwischenstationen in ein Lager nach St. Cyprien am Mittelmeer.

Aus dem Brief von Hans:

„Ich wurde verhaftet und mit 8000 Gespielen nach Frankreich gebracht. Dort reizende Aufnahme, die bis heute anhält. Also […] im Camp 1, dort freiwillig gemeldet; [dann] […] im Camp 2. Kurz vor Beginn der Ausbildung sind die Deutschen in der Nähe und wir landen wieder im Viehwagen – weiter bis an die spanische Grenze am Mittelmeer, 3. Camp: [St.Cyprien]. Dort findet mich Marion durch Rundschreiben. Sie war ebenfalls verhaftet und sass in einem Camp in den Pyrenäen.“

Marion wurde am 13. September (nach ihrer eigenen Erinnerung im Oktober) wegen Haftunfähigkeit entlassen. Sie hatte schon von Gurs aus verzweifelt versucht herauszufinden, wo Hans war. Laut Marion war er aus St. Cyprien geflohen, als dort Typhus ausbrach (was in vielen Lagern wegen der schrecklichen sanitären Verhältnisse dauernd passierte).

Marion hatte inzwischen illegal bei einer jüdischen Familie in Mouans Sartoux bei Grasse als Haushälterin gearbeitet; sie erzählte, dass sie häufig mit dem Bus nach Nizza geschickt wurde, um dort einzukaufen. Sie wurde von der Familie schlecht behandelt, die ausnutzte, dass sie illegal war und sich nicht wehren konnte. Hans und Marion lebten nach ihrer „Wiedervereinigung“ Anfang September zwei Monate in der Villa in Cannes zusammen, bis Hans am 18. November 1940 von der französischen Polizei verhaftet und nun seinerseits in Gurs in den Pyrenäen interniert wurde.

Marion und Hans hatten sich in dieser Zeit – wie viele andere Emigranten in Südfrankreich – bemüht, in die USA auszuwandern. Das war sehr kompliziert, nicht nur, weil man dafür sogenannte Affidavits brauchte (also die Bürgschaft einer dort lebenden Person, die sich verpflichtete, sämtliche anfallenden Kosten für den Einwanderer zu übernehmen); die amerikanischen Konsuln gingen bei ihren Visa-Entscheidungen sehr restriktiv vor. Außer diesem Affidavit brauchte man nicht nur ein US-Visum, sondern auch die Schiffspassage, die Ausreisegenehmigung aus Frankreich, ein Transit-Visum für Spanien und eins für Portugal; außerdem brauchte man – wenn man ein Konto in Frankreich hatte – von den Franzosen eine Genehmigung, sein eigenes Geld abzuheben. Alles zur gleichen Zeit zusammenzubekommen, und dann noch praktisch ohne Geld, war extrem schwierig, zumal die unterschiedlichen Visen unterschiedliche zeitliche Begrenzungen hatten und oft das erste schon nicht mehr gültig war, wenn das letzte endlich eintraf. Eine verzweifelte Situation!

Marion und Hans erhielten die begehrten Affidavits 1941 mit Hilfe der Quäker, für die Marion später auch bei der Kinderverschickung arbeitete. Sie standen kurz davor, die Visa zu bekommen, mit Hilfe des Emergency Rescue Committee in Marseille; offenbar war sogar die Schiffspassage bezahlt, aber es fehlte immer noch etwas. Hans wurde von Gurs nach Les Milles bei Aix en Provence verlegt, um von dort die Möglichkeit zu haben, sich um die weiteren für die Auswanderung notwendigen Unterlagen zu kümmern. So kam es, dass Marion und Hans am 3. Mai 1941 in Aix en Provence endlich heiraten konnten.

Trotz der erwähnten Hilfen gelang es den beiden nicht, die notwendigen Papiere rechtzeitig zusammenzubekommen. Seit der letzten Verhaftung von Hans, mit dem nach drei Wochen erfolgten Freispruch, waren die Visa-Bestimmungen verschärft worden, wie er in seinem Brief schrieb. Hans war weiter in Les Milles interniert, und Marion lebte in Marseille im Hotel Touring direkt im Zentrum. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt „nur von einer kleinen Unterstützung der Protestantischen Kirche, den Quäkern und von gelegentlichen kleinen Unterstützungen von Freunden aus USA“. Sie schrieb weiter: „Während der ganzen Zeit, in der ich in Frankreich vegetierte, habe ich keinerlei legale Arbeit leisten können“.

Am 13. August 1942 wurde Hans Zellner mit dem zweiten Transport, der von Les Milles abging, mit 538 anderen Gefangenen nach Drancy bei Paris verschleppt. Schon am 19. August 1942 wurde er von Drancy nach Auschwitz deportiert, wie den Transportlisten, die erhalten geblieben sind, zu entnehmen ist. Er wurde offensichtlich dort im Alter von 40 Jahren ermordet. Denn er taucht auf den Lagerlisten und den ebenfalls vorliegenden Listen der Befreiten nicht auf. Das bedeutet, dass er sofort nach seiner Ankunft dort ermordet wurde. Es wurden in solchen Fällen gar keine Lagerakten angelegt.

Am 11. November 1942 marschierte die deutsche Wehrmacht im bisher unbesetzten Süd-Frankreich ein. Marion tauchte im Februar 1943 in Marseille unter, nachdem der Sicherheitsdienst der SS mehrfach im Hotel nach ihr gefragt hatte. Französische Hafenarbeiter (Madame Cossedue, 1 rue Bernabos, in Marseille-Eustaque) haben sie, die dann mit einer gefälschten carte d’identité leben musste, bei sich zuhause versteckt und ernährt. Sie wurde am 1. Dezember 1943 bei und mit den Freunden, die sie versteckt hatten, vom Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Paris, in Marseille verhaftet – von einem jüdischen Emigranten aus Wien, Arnold Kupferberg, der sie um Hilfe gebeten hatte, an den Sicherheitsdienst verkauft – wie sie schreibt.

Damit begann Marions schrecklicher Weg durch diverse Gefängnisse und Lager – bis zuletzt ins KZ Ravensbrück. Sie wurde verhaftet, weil sie mit einem Juden verheiratet war und musste mit dieser Begründung in den Gefängnissen und Lagern in Frankreich auch den gelben Stern tragen.

Zunächst war sie im Gestapogefängnis les Beaumettes in Marseille, dann drei Monate in Drancy bei Paris, wo sie bei jedem abgehenden Transport damit rechnen musste, mit den Juden nach Auschwitz geschickt zu werden.

Der französische evangelische Geistliche Pasteur Toureille intervenierte schließlich zu ihren Gunsten und erklärte sie „eindeutig als Arierin” und verhinderte so ihren Abtransport nach Auschwitz; danach war sie im Gefängnis Frèsnes bei Paris. Sie schrieb: „Nach einem Monat auf langwierigen Transporten im Gefängnis Frankfurt a.M., Halle an der Saale, Saarbrücken.“ Von dort wurde sie Anfang August 1944 ins Gefängnis in Magdeburg überstellt.

Am 15. November 1944 wurde sie in das Konzentrationslager Ravensbrück überführt. Dort musste sie statt des gelben Judensterns den schwarz-gelben Winkel tragen, mit dem nichtjüdische „Rassenschänderinnen“ gekennzeichnet wurden.

Ende April 1945 beim Vormarsch der Roten Armee sollten viele Häftlinge von Ravensbrück in Außenlager im Norden bzw. Westen verlegt werden. Dazu schrieb Marion:

„Ich bin auf einem Transport, der nach dem Lager Rechlin gehen sollte, und der bereits in die völlige Auflösung hineinkam, meine eigenen Wege gegangen“ – sie hat sich also, wie sie sagte, „in die Büsche geschlagen“ – mitsamt ihrer offenbar aus der Registratur entwendeten KZ-Akte.

„Nach einem zweimonatigen Aufenthalt auf einem mecklenburgischen Gute, der meiner Erholung diente [… bin ich] nach vielen Mühen und Ängsten […] schliesslich im August 1945 in meiner Heimatstadt Magdeburg gelandet,“ wo ihr Bruder Manfred mit seiner Familie lebte. Dieser Bruder hatte als Sozialdemokrat jahrelang aktiv gegen die Nazis gearbeitet und hatte nach der Befreiung eine leitende Stelle bei der örtlichen Polizei.

Nachdem sie sich einigermaßen von den schlimmsten Folgen der KZ-Haft erholt hatte, wurde sie ab 17. September 1945 als ärztliche Helferin bei der Gesundheitsverwaltung Magdeburg angestellt.

Sie ging nach Berlin, wo sie beim Hauptausschuss Opfer des Faschismus und beim International Rescue Committee arbeitete, und 1949 in die USA. 1955 nahm sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Sie kehrte 1965/66 nach Deutschland zurück und lebte wieder in Berlin, wo sie kurz vor ihrem 100. Geburtstag am 3. November 2004 gestorben ist.