Leib "Leo" Eimer

Verlegeort
Alte Schönhauser Straße 4
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
25. Juni 2015
Geboren
1921 in Berlin
Flucht
1933 nach Palästina
Überlebt

Leo Eimer hat in seinen späteren Jahren den folgenden biographischen Text verfaßt, der sich mit seinem Erleben als 12-Jähriger in Berlin, mit der Flucht der Familie sowie seinem späteren Leben befaßt.<br />
<br />
Diesen hat sein Sohn zur Verfügung gestellt, der heute in New York lebt.</p><br />
<br />
<p><strong>MEINE KURZE BEGEGNUNG MIT ADOLF HITLER</strong></p><br />
<p>Von: Leo Eimer </p><br />
<br />
<p>Ich wurde in Berlin geboren, wo ich mit meinen Eltern, meinem Bruder und vielen Verwandten lebte. Meine früheste Erinnerung an Nazi-Deutschland ist ein Vorfall, der an einem Nachmittag Anfang 1933 passiert ist. <br />
<br />
An diesem Tag kam ich von der Schule nach Hause, als ich eine große Menschenmenge um einen Redner bemerkte. Es war genau vor einem großen Gebäude, welches die Nazis kürzlich von der Kommunistischen Partei übernommen und in Horst-Wessel-Haus umbenannt haben. Der Redner war Adolf Hitler. Als neugieriger Junge schlich ich mich näher an den Redner heran, um seine feurige Tirade zu hören, die Anpreisung seiner Partei usw... Ich trug meine Schulmütze mit dem jüdischen Abzeichen. Jemand stieß grob an meine Schulter und schrie "Judenjunge – nimm deine Kappe ab!". Ich erinnere mich hunderter jubelnder Menschen um Hitler, der mit hypnotischen Augen und kraftvoller Stimme das Publikum fesselte. Während ich ihm zusah hatte ich keine Ahnung, dass dieser teuflische Mann bald die Welt in Brand setzen und ein Drittel unseres Volkes vernichten würde. Damals war ich nicht an Politik interessiert und verlor das Interesse an diesem Schauspiel wie auch an seiner Rede. Alles, was ich im Kopf hatte, war, wie ich aus dieser Menge rauskommen und nach Hause zurückkehren kann. <br />
<br />
Nachdem Hitler Deutschlands Reichskanzler wurde manifestierte sich sein Judenhass in schwerer Verfolgung und Einschränkungen sämtlicher Rechte für Juden. Die Kohlevertriebslizenz meines Vaters wurde aufgehoben, somit seine Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu verdienen. Das war der Anfang vom Ende des Lebens unserer Familie in Deutschland. Meine Eltern beschlossen zu emigrieren. Mein Vater, ein glühender Zionist, entschied nach Palästina zu gehen. <br />
<br />
Da wir kein Visum erhalten konnten, wurden wir gezwungen, uns in der Nähe von Düsseldorf über die Grenze nach Holland zu schmuggeln. Wir blieben für ein paar Monate in Amsterdam. Mein Vater unterrichtete mich in Deutsch und Hebräisch. Geographieunterricht erhielt ich während unserer Wanderungen durch viele Länder und Kulturen. Ich vermisste meine Schulkameraden, meine Cousins und die Fußballspiele. Was als aufregendes Abenteuer anfing wurde eine mühsames, anstrengendes Leben auf dem Sprung. Wir verließen Holland und weiter anschließende Länder bis wir ein kurzfristiges Visum für Syrien erhalten konnten. Zwischendurch erhielt ich noch die Bar Mitzwa in einer kleinen Synagoge in Belgrad, Jugoslawien. Schließlich wurden wir von Syrien in einem kleinen Segelboot nach Palästina geschmuggelt. Die Ufer wurden von britischem Militär patrouilliert. Wundersamer Weise wurden wir von ein paar mutigen Kibbuzniks gerettet und dann im Kibbuz versteckt. Da die lange Reise von Berlin alle Ersparnisse unserer Familie verschlang sind wir in Tel Aviv mittellos angekommen... <br />
<br />
Mein idealistischer Vater wandte sich an meine Mutter und rief:<br />
"Ich habe zwar nur noch ein paar Piaster in meiner Tasche, aber schau dich um, wir sind zu Hause, in Eretz Israel [im Land Israel]!" <br />
<br />
In den Jahren 1934, 1935 war das Leben in Palästina sehr hart, und das Klima sehr streng für Europäer. Meine Eltern mussten um den Lebensunterhalt kämpfen. Obwohl mein Bruder und ich noch Teenager waren versuchten wir unser Bestes, ihren Kampf lindern zu helfen.<br />
<br />
Ein Teil unserer Familie aus Deutschland war in die USA emigriert. Von ihnen erhielt ich ein Visum. Ich erreichte New York 1939. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor wurde ich in die Armee eingezogen. Da ich fließend Deutsch sprach, wurde ich zu einer speziellen Militärschule geschickt, um als Vernehmungsbeamter ausgebildet zu werden. Nach Abschluss des Kurses wurde ich nach Southampton, England, geschickt, um die bevorstehende Invasion in der Normandie abzuwarten. Wir landeten dort zwei Tage nach 'D-Day' und wurden nach Cherbourg verlegt, wo wir das erste kontinentale Kriegsgefangenenlager in Frankreich organisierten. Wir hatten ungefähr dreihunderttausend deutsche Kriegsgefangene, darunter einige hohe Offiziere und Generäle. Ich wurde zum 'Staff Sergeant' befördert. Obwohl wir eine gewisse Macht über die Gefangenen hatten, wurden wir von der Internationalen Konvention für Kriegsgefangenen davon abgehalten, irgendwelche drastischen Rachemaßnahmen anzuwenden, auch wenn wir solche aus ganzem Herzen gewünscht hätten. <br />
<br />
In diesen Momenten erinnerte ich mich, wie ich vor Hitler stand und seine Rede voll von Hass und Gift hörte. Um dann gezwungen zu werden, meine Heimat zu verlassen... Irgendwie haben wir einen Dokumentarfilm erworben, welcher die grausamen Ereignisse in den Konzentrationslagern darstellt. Während meiner Armeezeit war mir das Ausmaß der Gräueltaten, welche die Deutschen an unserem Volk verübten, nicht bewußt. Ich war fassungslos. Ich führte den Film den Gefangenen vor. Es kam zu keiner vernehmbaren Reaktion ihrerseits, nur Stille. Wir schnappten Gerüchte auf, daß sie den Film als Propaganda-Maßnahme ansahen... Aus Sicherheitsgründen wurde das Personal angewiesen, sich nicht unter die Gefangenen zu mischen und so hatte ich sehr wenig Kontakt zu ihnen. Ich gab nur Befehle über Lautsprecher, es sei denn ich musste sie verhören. Unser Hauptziel war es, die Ordnung im Lager aufrechtzuerhalten, Flucht und Sabotage zu verhindern und kriegswichtige Informationen zu erhalten. Dieses schloss keinerlei Vernehmungen zu Nazi-Gräueltaten an den Juden mit ein... <br />
<br />
Nach dem Ende des Krieges bot mir der verantwortliche Hauptmann des Lagers eine weitere Karriere an. Sie würden mich in eine Militärverwaltungsschule in Deutschland schicken. Ich hätte mich für einige Jahre verpflichten müssen, um in der amerikanischen Verwaltung für Westdeutschland zu arbeiten. Es war ein sehr lukratives Angebot, aber ich lehnte ab, da ich mich ins zivile Leben zurücksehnte und auch keinerlei Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren...</p><br />

Leo Eimer hat in seinen späteren Jahren den folgenden biographischen Text verfaßt, der sich mit seinem Erleben als 12-Jähriger in Berlin, mit der Flucht der Familie sowie seinem späteren Leben befaßt.

Diesen hat sein Sohn zur Verfügung gestellt, der heute in New York lebt.

MEINE KURZE BEGEGNUNG MIT ADOLF HITLER


Von: Leo Eimer



Ich wurde in Berlin geboren, wo ich mit meinen Eltern, meinem Bruder und vielen Verwandten lebte. Meine früheste Erinnerung an Nazi-Deutschland ist ein Vorfall, der an einem Nachmittag Anfang 1933 passiert ist.

An diesem Tag kam ich von der Schule nach Hause, als ich eine große Menschenmenge um einen Redner bemerkte. Es war genau vor einem großen Gebäude, welches die Nazis kürzlich von der Kommunistischen Partei übernommen und in Horst-Wessel-Haus umbenannt haben. Der Redner war Adolf Hitler. Als neugieriger Junge schlich ich mich näher an den Redner heran, um seine feurige Tirade zu hören, die Anpreisung seiner Partei usw... Ich trug meine Schulmütze mit dem jüdischen Abzeichen. Jemand stieß grob an meine Schulter und schrie "Judenjunge – nimm deine Kappe ab!". Ich erinnere mich hunderter jubelnder Menschen um Hitler, der mit hypnotischen Augen und kraftvoller Stimme das Publikum fesselte. Während ich ihm zusah hatte ich keine Ahnung, dass dieser teuflische Mann bald die Welt in Brand setzen und ein Drittel unseres Volkes vernichten würde. Damals war ich nicht an Politik interessiert und verlor das Interesse an diesem Schauspiel wie auch an seiner Rede. Alles, was ich im Kopf hatte, war, wie ich aus dieser Menge rauskommen und nach Hause zurückkehren kann.

Nachdem Hitler Deutschlands Reichskanzler wurde manifestierte sich sein Judenhass in schwerer Verfolgung und Einschränkungen sämtlicher Rechte für Juden. Die Kohlevertriebslizenz meines Vaters wurde aufgehoben, somit seine Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu verdienen. Das war der Anfang vom Ende des Lebens unserer Familie in Deutschland. Meine Eltern beschlossen zu emigrieren. Mein Vater, ein glühender Zionist, entschied nach Palästina zu gehen.

Da wir kein Visum erhalten konnten, wurden wir gezwungen, uns in der Nähe von Düsseldorf über die Grenze nach Holland zu schmuggeln. Wir blieben für ein paar Monate in Amsterdam. Mein Vater unterrichtete mich in Deutsch und Hebräisch. Geographieunterricht erhielt ich während unserer Wanderungen durch viele Länder und Kulturen. Ich vermisste meine Schulkameraden, meine Cousins und die Fußballspiele. Was als aufregendes Abenteuer anfing wurde eine mühsames, anstrengendes Leben auf dem Sprung. Wir verließen Holland und weiter anschließende Länder bis wir ein kurzfristiges Visum für Syrien erhalten konnten. Zwischendurch erhielt ich noch die Bar Mitzwa in einer kleinen Synagoge in Belgrad, Jugoslawien. Schließlich wurden wir von Syrien in einem kleinen Segelboot nach Palästina geschmuggelt. Die Ufer wurden von britischem Militär patrouilliert. Wundersamer Weise wurden wir von ein paar mutigen Kibbuzniks gerettet und dann im Kibbuz versteckt. Da die lange Reise von Berlin alle Ersparnisse unserer Familie verschlang sind wir in Tel Aviv mittellos angekommen...

Mein idealistischer Vater wandte sich an meine Mutter und rief:
"Ich habe zwar nur noch ein paar Piaster in meiner Tasche, aber schau dich um, wir sind zu Hause, in Eretz Israel [im Land Israel]!"

In den Jahren 1934, 1935 war das Leben in Palästina sehr hart, und das Klima sehr streng für Europäer. Meine Eltern mussten um den Lebensunterhalt kämpfen. Obwohl mein Bruder und ich noch Teenager waren versuchten wir unser Bestes, ihren Kampf lindern zu helfen.

Ein Teil unserer Familie aus Deutschland war in die USA emigriert. Von ihnen erhielt ich ein Visum. Ich erreichte New York 1939. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor wurde ich in die Armee eingezogen. Da ich fließend Deutsch sprach, wurde ich zu einer speziellen Militärschule geschickt, um als Vernehmungsbeamter ausgebildet zu werden. Nach Abschluss des Kurses wurde ich nach Southampton, England, geschickt, um die bevorstehende Invasion in der Normandie abzuwarten. Wir landeten dort zwei Tage nach 'D-Day' und wurden nach Cherbourg verlegt, wo wir das erste kontinentale Kriegsgefangenenlager in Frankreich organisierten. Wir hatten ungefähr dreihunderttausend deutsche Kriegsgefangene, darunter einige hohe Offiziere und Generäle. Ich wurde zum 'Staff Sergeant' befördert. Obwohl wir eine gewisse Macht über die Gefangenen hatten, wurden wir von der Internationalen Konvention für Kriegsgefangenen davon abgehalten, irgendwelche drastischen Rachemaßnahmen anzuwenden, auch wenn wir solche aus ganzem Herzen gewünscht hätten.

In diesen Momenten erinnerte ich mich, wie ich vor Hitler stand und seine Rede voll von Hass und Gift hörte. Um dann gezwungen zu werden, meine Heimat zu verlassen... Irgendwie haben wir einen Dokumentarfilm erworben, welcher die grausamen Ereignisse in den Konzentrationslagern darstellt. Während meiner Armeezeit war mir das Ausmaß der Gräueltaten, welche die Deutschen an unserem Volk verübten, nicht bewußt. Ich war fassungslos. Ich führte den Film den Gefangenen vor. Es kam zu keiner vernehmbaren Reaktion ihrerseits, nur Stille. Wir schnappten Gerüchte auf, daß sie den Film als Propaganda-Maßnahme ansahen... Aus Sicherheitsgründen wurde das Personal angewiesen, sich nicht unter die Gefangenen zu mischen und so hatte ich sehr wenig Kontakt zu ihnen. Ich gab nur Befehle über Lautsprecher, es sei denn ich musste sie verhören. Unser Hauptziel war es, die Ordnung im Lager aufrechtzuerhalten, Flucht und Sabotage zu verhindern und kriegswichtige Informationen zu erhalten. Dieses schloss keinerlei Vernehmungen zu Nazi-Gräueltaten an den Juden mit ein...

Nach dem Ende des Krieges bot mir der verantwortliche Hauptmann des Lagers eine weitere Karriere an. Sie würden mich in eine Militärverwaltungsschule in Deutschland schicken. Ich hätte mich für einige Jahre verpflichten müssen, um in der amerikanischen Verwaltung für Westdeutschland zu arbeiten. Es war ein sehr lukratives Angebot, aber ich lehnte ab, da ich mich ins zivile Leben zurücksehnte und auch keinerlei Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren...