Eva Haarzopf

Verlegeort
Schönhauser Allee 41
Bezirk/Ortsteil
Prenzlauer Berg
Verlegedatum
05. Juli 2008
Geboren
28. März 1933 in Stettin / Szczecin
Deportation
am 26. Februar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
27. Februar 1943 in Auschwitz

„<i>Ich erinnere mich, dass mein Onkel Hugo ein gütiger, hilfsbereiter Mensch war“, schrieb mir Rosemarie Fleischer aus Argentinien, wohin ihre Mutter Martha, eine geborene Haarzopf, mit ihrem Mann vor den Nazis geflohen war. „Mit einem Teilhaber, der hieß mit Nachnamen Troram, hatte er eine Stofffabrik. Das Letzte, das wir von Onkel Hugo gehört haben, war ein Brief an meinen Vater mit der Frage, was die Miete einer Zehn-Zimmer-Wohnung in Buenos Aires kosten würde, um mit seinen Maschinen nach Argentinien zu kommen. Leider war es dem Onkel nicht mehr möglich auszuwandern.</i>“ <br />
<br />
Hugo Haarzopf wurde am 20. August 1896 in dem damals südpreußischen Städtchen Graetz (heute und vor der polnischen Teilung: Grodzisk Wielkopolski) geboren. Er hatte drei Schwestern: Paula war schon sieben Jahre vor ihm auf der Welt, Martha zwei und Julie kam nach ihm. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte Hugo mit einigen Orden und einer schweren Gesichtsverletzung in die Heimat zurück, die 1920 wieder polnisch wurde. Vater Louis war 1917 noch in Graetz gestorben, seine Witwe zog mit ihren schon erwachsenen Kindern nach Berlin und gründete mit ihnen in bescheidenen Verhältnissen eine neue Familienexistenz. Hugo Haarzopf wurde Kaufmann, gründete mit einem Kompagnon ein Handelsunternehmen, das Konfektionswaren aus den Niederlanden importierte. <br />
<br />
1930 oder 1931 heiratete er Paula Jakob. „Onkel Hugo mochte Kinder sehr“, berichtete Anneliese Klawonn (*1923) aus eigener Erfahrung, denn er hat sie oft beschenkt. Sie und ihr Bruder Robert Lehmann (*1926) waren die Kinder von Hugo Haarzopfs Schwester Julie. Seine älteste Schwester war ledig und kinderlos geblieben. Am 29. März 1933 wurde seine Tochter Eva geboren, die Einzelkind blieb. „Es war ein wunderhübsches Mädchen mit blauen Augen“, erzählte Anneliese Klawonn. „Ich erinnere mich noch, als sie mich einmal vor dem Haus erwartete, ein weißes Kleid anhatte und darauf den Judenstern.“<br />
<br />
Die Schikanen nahmen in der Nazizeit immer mehr zu, doch konnte Haarzopf seinen Betrieb noch bis 1938 halten. Danach kaufte er acht Kurbelstickmaschinen und eröffnete in einem Zimmer seiner großen Wohnung in der Schönhauser Allee 41 eine Schneiderei, in der er mit seinen beiden Schwestern Julie und Paula, seiner Mutter und seiner Frau Morgenröcke herstellte. Die Wohnung befand sich in der ersten Etage. <br />
<br />
Martha Joachimsthal geb. Haarzopf war zu dieser Zeit mit ihrem Mann über Paris und Uruguay bereits in Argentinien angelangt. In der Meinung, dass ihm als ehemaligem Kriegsteilnehmer nichts passieren könnte, schob ihr Bruder eine Ausreise vor sich her, bis sie nicht mehr möglich war. Seine Schwester Julie Lehmann, die mit einem Protestanten verheiratet war, unternahm unter dem Eindruck der politischen Entwicklung zwei Suizidversuche, an deren Folgen sie am 29. Januar 1941 starb. Kurz danach wurde Hugo Haarzopf bei Siemens zu Zwangsarbeit verpflichtet. Im Frühsommer 1942 verhaftete die Gestapo seine Schwester Paula und seine Mutter und brachte sie ins Abschiebelager in der Großen Hamburger Straße, dem vormaligen Jüdischen Altersheim. Seine Mutter – Ulrike Haarzopf geb. Himmelweit – wurde am 27. August 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie am 2. Oktober 1942, wahrscheinlich entkräftet, ums Leben kam. Und am 13. September 1942 wurde seine Schwester Paula in KZ Majdanek deportiert und dort ermordet.<br />
<br />
Hugo Haarzopf blieb nur noch eine kurze Frist. Am 16. Februar 1943 verhaftete die Gestapo ihn, seine Frau und seine Tochter bei einer nächtlichen Razzia, ebenso wie Heinz Galinski (den späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland) und dessen Frau Gisela, die damals wenige Häuser weiter in der Schönhauser Allee 31 wohnten. Am 26. Februar 1943 wurden die drei Haarzopfs im Zug mit über 900 Berliner Juden nach Auschwitz deportiert. Die 36-jährige Ehefrau und das 9-jährige Töchterchen wies die Lager-SS sofort in die Gaskammer, Hugo Haarzopf, 47 Jahre alt, befahl sie ins Lager Auschwitz-Monowitz. Dort musste er als Zwangsarbeiter für die Buna-Werke arbeiten.<br />
<br />
Nach knapp zwei Monaten in Monowitz schickte ihn ein Arzt wegen eines Geschwürs am rechten Fuß zur Wundbehandlung ins Stammlager Auschwitz, wo eine Art Lazarett eingerichtet war. Weitere sieben Wochen später selektierten in diesem Block sowie in Block 10 zwei Anthropologen im Auftrag der SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“ jüdische Frauen und Männer für ein Vorhaben des Anatomie-Professors August Hirt, der an der Reichsuniversität Straßburg seinen Lehrstuhl hatte. Für Zwecke seiner rassenbiologischen Forschungen wollte Hirt eine Skelettsammlung von Juden aufbauen. Und weil er das Leben von KZ-Häftlingen ohnehin für „verwirkt“ ansah, wie er es formulierte, hatte er keine Bedenken, sie nach der anthropologischen Vermessung ermorden zu lassen.<br />
<br />
Mit 56 Männern und 29 Frauen wurde Hugo Haarzopf Ende Juli 1943 ins KZ Struthof/Natzweiler gebracht und am 17. oder 19. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Aus technischen Gründen konnten die Leichen nicht sofort präpariert werden, weshalb sie konserviert und im Anatomiekeller der Reichsuniversität bis nach dem Krieg aufbewahrt werden sollten. Als die Alliierten Straßburg befreiten, entdeckten sie die Verbrechen. Die meisten Leichen waren überhastet zerstückelt worden, doch war es Hirts Mitarbeitern nicht mehr gelungen, sie zu beseitigen. Die Überreste ruhen heute auf dem Jüdischen Friedhof von Strasbourg, identifiziert sind sie erst seit 2006. Seither erinnert dort ein Grabstein an ihr Schicksal, mit allen Namen, auch dem von Hugo Haarzopf.

Ich erinnere mich, dass mein Onkel Hugo ein gütiger, hilfsbereiter Mensch war“, schrieb mir Rosemarie Fleischer aus Argentinien, wohin ihre Mutter Martha, eine geborene Haarzopf, mit ihrem Mann vor den Nazis geflohen war. „Mit einem Teilhaber, der hieß mit Nachnamen Troram, hatte er eine Stofffabrik. Das Letzte, das wir von Onkel Hugo gehört haben, war ein Brief an meinen Vater mit der Frage, was die Miete einer Zehn-Zimmer-Wohnung in Buenos Aires kosten würde, um mit seinen Maschinen nach Argentinien zu kommen. Leider war es dem Onkel nicht mehr möglich auszuwandern.

Hugo Haarzopf wurde am 20. August 1896 in dem damals südpreußischen Städtchen Graetz (heute und vor der polnischen Teilung: Grodzisk Wielkopolski) geboren. Er hatte drei Schwestern: Paula war schon sieben Jahre vor ihm auf der Welt, Martha zwei und Julie kam nach ihm. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte Hugo mit einigen Orden und einer schweren Gesichtsverletzung in die Heimat zurück, die 1920 wieder polnisch wurde. Vater Louis war 1917 noch in Graetz gestorben, seine Witwe zog mit ihren schon erwachsenen Kindern nach Berlin und gründete mit ihnen in bescheidenen Verhältnissen eine neue Familienexistenz. Hugo Haarzopf wurde Kaufmann, gründete mit einem Kompagnon ein Handelsunternehmen, das Konfektionswaren aus den Niederlanden importierte.

1930 oder 1931 heiratete er Paula Jakob. „Onkel Hugo mochte Kinder sehr“, berichtete Anneliese Klawonn (*1923) aus eigener Erfahrung, denn er hat sie oft beschenkt. Sie und ihr Bruder Robert Lehmann (*1926) waren die Kinder von Hugo Haarzopfs Schwester Julie. Seine älteste Schwester war ledig und kinderlos geblieben. Am 29. März 1933 wurde seine Tochter Eva geboren, die Einzelkind blieb. „Es war ein wunderhübsches Mädchen mit blauen Augen“, erzählte Anneliese Klawonn. „Ich erinnere mich noch, als sie mich einmal vor dem Haus erwartete, ein weißes Kleid anhatte und darauf den Judenstern.“

Die Schikanen nahmen in der Nazizeit immer mehr zu, doch konnte Haarzopf seinen Betrieb noch bis 1938 halten. Danach kaufte er acht Kurbelstickmaschinen und eröffnete in einem Zimmer seiner großen Wohnung in der Schönhauser Allee 41 eine Schneiderei, in der er mit seinen beiden Schwestern Julie und Paula, seiner Mutter und seiner Frau Morgenröcke herstellte. Die Wohnung befand sich in der ersten Etage.

Martha Joachimsthal geb. Haarzopf war zu dieser Zeit mit ihrem Mann über Paris und Uruguay bereits in Argentinien angelangt. In der Meinung, dass ihm als ehemaligem Kriegsteilnehmer nichts passieren könnte, schob ihr Bruder eine Ausreise vor sich her, bis sie nicht mehr möglich war. Seine Schwester Julie Lehmann, die mit einem Protestanten verheiratet war, unternahm unter dem Eindruck der politischen Entwicklung zwei Suizidversuche, an deren Folgen sie am 29. Januar 1941 starb. Kurz danach wurde Hugo Haarzopf bei Siemens zu Zwangsarbeit verpflichtet. Im Frühsommer 1942 verhaftete die Gestapo seine Schwester Paula und seine Mutter und brachte sie ins Abschiebelager in der Großen Hamburger Straße, dem vormaligen Jüdischen Altersheim. Seine Mutter – Ulrike Haarzopf geb. Himmelweit – wurde am 27. August 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie am 2. Oktober 1942, wahrscheinlich entkräftet, ums Leben kam. Und am 13. September 1942 wurde seine Schwester Paula in KZ Majdanek deportiert und dort ermordet.

Hugo Haarzopf blieb nur noch eine kurze Frist. Am 16. Februar 1943 verhaftete die Gestapo ihn, seine Frau und seine Tochter bei einer nächtlichen Razzia, ebenso wie Heinz Galinski (den späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland) und dessen Frau Gisela, die damals wenige Häuser weiter in der Schönhauser Allee 31 wohnten. Am 26. Februar 1943 wurden die drei Haarzopfs im Zug mit über 900 Berliner Juden nach Auschwitz deportiert. Die 36-jährige Ehefrau und das 9-jährige Töchterchen wies die Lager-SS sofort in die Gaskammer, Hugo Haarzopf, 47 Jahre alt, befahl sie ins Lager Auschwitz-Monowitz. Dort musste er als Zwangsarbeiter für die Buna-Werke arbeiten.

Nach knapp zwei Monaten in Monowitz schickte ihn ein Arzt wegen eines Geschwürs am rechten Fuß zur Wundbehandlung ins Stammlager Auschwitz, wo eine Art Lazarett eingerichtet war. Weitere sieben Wochen später selektierten in diesem Block sowie in Block 10 zwei Anthropologen im Auftrag der SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“ jüdische Frauen und Männer für ein Vorhaben des Anatomie-Professors August Hirt, der an der Reichsuniversität Straßburg seinen Lehrstuhl hatte. Für Zwecke seiner rassenbiologischen Forschungen wollte Hirt eine Skelettsammlung von Juden aufbauen. Und weil er das Leben von KZ-Häftlingen ohnehin für „verwirkt“ ansah, wie er es formulierte, hatte er keine Bedenken, sie nach der anthropologischen Vermessung ermorden zu lassen.

Mit 56 Männern und 29 Frauen wurde Hugo Haarzopf Ende Juli 1943 ins KZ Struthof/Natzweiler gebracht und am 17. oder 19. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Aus technischen Gründen konnten die Leichen nicht sofort präpariert werden, weshalb sie konserviert und im Anatomiekeller der Reichsuniversität bis nach dem Krieg aufbewahrt werden sollten. Als die Alliierten Straßburg befreiten, entdeckten sie die Verbrechen. Die meisten Leichen waren überhastet zerstückelt worden, doch war es Hirts Mitarbeitern nicht mehr gelungen, sie zu beseitigen. Die Überreste ruhen heute auf dem Jüdischen Friedhof von Strasbourg, identifiziert sind sie erst seit 2006. Seither erinnert dort ein Grabstein an ihr Schicksal, mit allen Namen, auch dem von Hugo Haarzopf.