Gertrud Itzig geb. Lazarus

Verlegeort
Reichenberger Str. 181
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
02. Dezember 2005
Geboren
23. Mai 1898 in Neidenburg (Ostpreußen) / Nidzica
Deportation
am 26. Februar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Gertrud Lazarus wurde am 23. Mai 1898 im damals ostpreußischen Neidenburg (heute Nidzica in Polen) geboren. Die etwa 140 Kilometer südlich von Königsberg (Kaliningrad), am südlichen Rande der Allensteiner Seenplatte gelegene Kreisstadt hatte nach der Eröffnung der Bahnstrecke Allenstein–Soldau 1887/1888 eine wirtschaftliche Blüte erlebt. Als industrielle Zentren siedelten sich hier eine Maschinen- sowie eine Zementfabrik, ein Kupferwarenwerk, eine Eisengießerei und mehrere Dampfmühlen an; daneben gab es eine ausgeprägte holzverarbeitende Industrie. Weithin sichtbar über der Ortschaft lag auf einem kleinen Hügel am Stadtrand ihre namensgebende Sehenswürdigkeit, die aus dem 14. Jahrhundert stammende gotische Ordensburg Neidenburg.<br />
<br />
Gertrud Lazarus war die Tochter des Kaufmanns Isaak Lazarus und seiner Frau Amalie, geborene Lauter. Ihr Vater war 1866 in Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) zur Welt gekommen und hatte am 12. Februar 1896 die zwei Jahre jüngere, gebürtige Neidenburgerin geheiratet. In den folgenden Jahren bekam das Ehepaar fünf Kinder: Gertruds Schwestern Lea, Cäcilie und Jertha (Shoshana) Lazarus wurden 1897, 1900 und 1901 in Neidenburg geboren; ihr Bruder Alfred Lazarus kam 1903 zur Welt. Über die Kindheit und Jugend von Gertrud und ihren Geschwistern in Neidenburg haben sich so gut wie keine Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur Jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zur Zeit der Geburt von Gertrud etwa 160 der rund 4200 Einwohner zählten. Im Jahr 1884 hatte die Gemeinde eine neue Synagoge eingeweiht. Bereits Jahrzehnte zuvor war der alte jüdische Friedhof an der Spokojna-Straße angelegt worden. Gertrud und ihre Geschwister dürften eine der örtlichen Schulen besucht haben. Es gab im Ort unter anderem eine dreistufige Elementarschule, eine Mädchenschule und seit 1862 eine Stadtschule, die 1926/1927 zum Realgymnasium wurde. Jüdische Schulkinder konnten hier in den Freistunden religiösen Unterricht erhalten.<br />
<br />
Die Familie Lazarus wohnte in der Innenstadt am Marktplatz. Als 16-jährige Jugendliche dürfte Gertrud Lazarus zur Zeugin geworden sein, wie Neidenburg zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 zum Kriegsschauplatz wurde. In der Stadt kam es auch zu Plünderungen und Brandschatzungen. 191 Wohnhäuser, die evangelische Kirche, eine Fabrik und mehrere Wirtschaftsgebäude wurden zerstört. Nach Kriegsende optierten die Einwohner der Stadt 1920 mehrheitlich für den Verbleib im damaligen Ostpreußen, wobei die Ortschaft nun in Grenzlage stark an wirtschaftlicher Bedeutung einbüßte. Die Zahl der Einwohner stieg dennoch in den Folgejahren durch Zuzug von Umsiedlern aus angrenzenden Regionen stark an. Zu diesen dürfte auch Gertruds Ehemann Arthur Itzig gehört haben, sollte er sich nicht bereits zum Ende des Krieges hin in Neidenburg niedergelassen haben. Der 1894 im benachbarten Soldau (dem heutigen Działdowo) geborene Arthur hatte wie sein Vater eine kaufmännische Laufbahn eingeschlagen. Am 3. November 1920 heiraten Gertrud Lazarus und Artur Itzig in Neidenburg, wo Arthur ein Manufakturwarenhaus eröffnete – also ein Warengeschäft für Meter- und Textilwaren, die nach Maßangabe des Käufers geschnitten und verkauft wurden. Mit dem Warenhaus bestritt das Ehepaar in den 1920er- und 1930er-Jahren seinen Lebensunterhalt. Ein Jahr nach der Hochzeit kam am 3. Oktober 1921 in Neidenburg ihre Tochter Amalie zur Welt. Mit Gerd Peter bekam das Ehepaar im Mai 1928 ihr zweites Kind. Ihr Sohn wurde in Königsberg geboren, wohin die Itzigs aber nicht dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt verlegt haben können, da sie auch später noch in Neidenburg gemeldet waren. Auch die meisten von Gertruds Geschwistern lebten weiterhin in Neidenburg: Alfred Lazarus mit seiner Ehefrau Ruth, geborene Ascher; Lea mit ihrem Ehemann Kurt Bach und ihrer 1926 zur Welt gekommenen Tochter Helga sowie die unverheiratete Cäcilie Lazarus. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Familienleben in der ostpreußischen Stadt zur Zeit der Weimarer Republik geben könnten.<br />
<br />
Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Gertrud Itzig und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Ab 1933 war das Ehepaar Itzig auch als Geschäftsinhaber in exponierter Lage am Neidenburger Marktplatz von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen. In der Region und besonders im Kreis Neidenburg hatte die NSDAP schon früh Wahlerfolge verzeichnet und konnte eine relativ große Anhängerschaft mobilisieren. Die angeordneten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte in der Stadt führten dazu, dass bereits 1933/1934 etwa 20 Geschäftsleute ihre Unternehmen aufgeben mussten. Die Itzigs führten ihr Geschäft noch wenigstens bis 1936 in der Stadt, mussten es aber spätestens Ende der 1930er-Jahre zwangsweise aufgeben. Vermutlich nach den Novemberpogromen 1938 – bei denen in Neidenburg zwei Menschen ermordet wurden, viele weitere verletzt und die Synagoge in Brand gesteckt wurde – flüchtete das Ehepaar mit seinen Kindern Amalie und Gerd Peter nach Berlin, wo zu dieser Zeit viele ihrer nahen Verwandten lebten: Kurt, Lea und Helga Bach in der Altonaer Straße 32 im Hansaviertel, Alfred und Ruth Lazarus in der Augsburger Straße 12 in Schöneberg und Gertruds Schwägerinnen Hedwig Israel und Jenny Brenner mit ihren Ehepartnern und Kindern zuletzt in der Artilleristraße 6 (der heutigen Tucholskystraße) in Mitte sowie der Mommsenstraße 19 in Charlottenburg.<br />
<br />
1939/1940 kamen Gertrud, Arthur, Amalie und Gerd Itzig in einer 3-Zimmer-Wohnung in der ersten Etage der Reichenberger Straße 181 in Kreuzberg nahe dem Kottbusser Tor unter. Neben der Familie Itzig wohnte in der Wohnung seit April 1940 auch Gertruds Schwester Cäcilie Lazarus zur Untermiete. Im Januar 1942 nahmen Gertrud und Arthur trotz ihrer Not außerdem einen Säugling als Pflegekind auf, Tana Stern, die im Dezember 1941 in Berlin zur Welt gekommen war. Ihre Mutter wurde in amtlichen Dokumenten als „verschollen“ geführt. Im Januar 1943 kam ein weiteres Pflegekind hinzu, die zwöfjährige Norma Fleischer.<br />
<br />
Das Leben nahm für die Familie spätestens Anfang der 1940er-Jahren den Charakter eines täglichen Existenzkampfes an. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Arthur, Amalie und Cäcilie mussten spätestens seit Anfang der 1940er-Jahre Zwangsarbeit leisten: Arthur Itzig bei einem Bautrupp der Deutschen Reichsbahn in Berlin-Schöneberg. Amalie Itzig war als Arbeiterin im Siemensstädter Kleinbauwerk und im Wernerwerk eingesetzt. Cäcilie Lazarus musste ebenfalls für Siemens Zwangsarbeit leisten. Sie war Arbeiterin im Siemens-Schuckert-Kabelwerk in Gartenfeld. Gerd Peter Itzig war zuletzt unbesoldeter Helfer bei der Jüdischen Kultusvereinigung (JKV) zu Berlin.<br />
<br />
Der Entrechtung folgte die Deportation: Gertrud Itzig, ihr Ehemann und ihre Kinder, ihre Pflegetöchter und ihre Schwester Cäcilie Lazarus erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Sie mussten ihre Berliner Wohnung in der Reichenberger Straße 181 räumen und wurden in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt. Am 21. Februar 1943 mussten alle Familienmitglieder im Sammellager eine 16-seitige „Vermögenserklärung“ zu den ihnen verbliebenen Habseligkeiten mitsamt des zurückgelassenen Hausrats ausfüllen, welche später von der Gestapo zusammen mit den Transportlisten an den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburgs geschickt wurde und der „Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden“ diente. Fünf Tage später, am 26. Februar 1943, wurden die damals 44-jährige Gertrud Itzig und ihre Familienangehörigen mit dem „30. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.<br />
<br />
Nur wenige von Gertruds Verwandten Verwandten überlebten die NS-Verfolgung. Ihr Bruder Alfred war mit seiner Ehefrau Ruth, geborene Ascher, am 14. November 1941 aus Berlin in das Ghetto Minsk deportiert und dort ermordet worden. Ihre Schwester Lea war mit ihrem Mann Kurt Bach und der 1926 geborenen Tochter Helga am 9. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und in dem Vernichtungslager ermordet worden. Ihre Schwester Shoshana Karter konnte sich nach Palästina retten und überlebte im Exil. Gertruds Schwägerin Hedwig Israel, deren Ehemann Fritz unter ungeklärten Umständen am 16. November 1941 verstorben war, wurde am 2. März 1943 aus Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Deren Sohn Georg Israel wurde mit demselben Transport wie Gertrud am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und nach seiner Ankunft ins Lager selektiert. Anlässlich des Vorrückens der Roten Armee wurde er wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz weiter in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er am 26. Januar 1945 als Häftling registriert wurde und im April 1945 durch die US-Armee befreit wurde. Gertruds Schwägerin Jenny Brenner, ihr Ehemann Joseph und ihre Kinder Hans und Gerhard Brenner konnten Anfang der 1940er-Jahre aus Deutschland flüchten und erreichten über Lissabon mit der „SS Nyassa“ am 14. Juni 1941 New York. Sie überlebten im Exil in den USA.

Gertrud Lazarus wurde am 23. Mai 1898 im damals ostpreußischen Neidenburg (heute Nidzica in Polen) geboren. Die etwa 140 Kilometer südlich von Königsberg (Kaliningrad), am südlichen Rande der Allensteiner Seenplatte gelegene Kreisstadt hatte nach der Eröffnung der Bahnstrecke Allenstein–Soldau 1887/1888 eine wirtschaftliche Blüte erlebt. Als industrielle Zentren siedelten sich hier eine Maschinen- sowie eine Zementfabrik, ein Kupferwarenwerk, eine Eisengießerei und mehrere Dampfmühlen an; daneben gab es eine ausgeprägte holzverarbeitende Industrie. Weithin sichtbar über der Ortschaft lag auf einem kleinen Hügel am Stadtrand ihre namensgebende Sehenswürdigkeit, die aus dem 14. Jahrhundert stammende gotische Ordensburg Neidenburg.

Gertrud Lazarus war die Tochter des Kaufmanns Isaak Lazarus und seiner Frau Amalie, geborene Lauter. Ihr Vater war 1866 in Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) zur Welt gekommen und hatte am 12. Februar 1896 die zwei Jahre jüngere, gebürtige Neidenburgerin geheiratet. In den folgenden Jahren bekam das Ehepaar fünf Kinder: Gertruds Schwestern Lea, Cäcilie und Jertha (Shoshana) Lazarus wurden 1897, 1900 und 1901 in Neidenburg geboren; ihr Bruder Alfred Lazarus kam 1903 zur Welt. Über die Kindheit und Jugend von Gertrud und ihren Geschwistern in Neidenburg haben sich so gut wie keine Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur Jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zur Zeit der Geburt von Gertrud etwa 160 der rund 4200 Einwohner zählten. Im Jahr 1884 hatte die Gemeinde eine neue Synagoge eingeweiht. Bereits Jahrzehnte zuvor war der alte jüdische Friedhof an der Spokojna-Straße angelegt worden. Gertrud und ihre Geschwister dürften eine der örtlichen Schulen besucht haben. Es gab im Ort unter anderem eine dreistufige Elementarschule, eine Mädchenschule und seit 1862 eine Stadtschule, die 1926/1927 zum Realgymnasium wurde. Jüdische Schulkinder konnten hier in den Freistunden religiösen Unterricht erhalten.

Die Familie Lazarus wohnte in der Innenstadt am Marktplatz. Als 16-jährige Jugendliche dürfte Gertrud Lazarus zur Zeugin geworden sein, wie Neidenburg zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 zum Kriegsschauplatz wurde. In der Stadt kam es auch zu Plünderungen und Brandschatzungen. 191 Wohnhäuser, die evangelische Kirche, eine Fabrik und mehrere Wirtschaftsgebäude wurden zerstört. Nach Kriegsende optierten die Einwohner der Stadt 1920 mehrheitlich für den Verbleib im damaligen Ostpreußen, wobei die Ortschaft nun in Grenzlage stark an wirtschaftlicher Bedeutung einbüßte. Die Zahl der Einwohner stieg dennoch in den Folgejahren durch Zuzug von Umsiedlern aus angrenzenden Regionen stark an. Zu diesen dürfte auch Gertruds Ehemann Arthur Itzig gehört haben, sollte er sich nicht bereits zum Ende des Krieges hin in Neidenburg niedergelassen haben. Der 1894 im benachbarten Soldau (dem heutigen Działdowo) geborene Arthur hatte wie sein Vater eine kaufmännische Laufbahn eingeschlagen. Am 3. November 1920 heiraten Gertrud Lazarus und Artur Itzig in Neidenburg, wo Arthur ein Manufakturwarenhaus eröffnete – also ein Warengeschäft für Meter- und Textilwaren, die nach Maßangabe des Käufers geschnitten und verkauft wurden. Mit dem Warenhaus bestritt das Ehepaar in den 1920er- und 1930er-Jahren seinen Lebensunterhalt. Ein Jahr nach der Hochzeit kam am 3. Oktober 1921 in Neidenburg ihre Tochter Amalie zur Welt. Mit Gerd Peter bekam das Ehepaar im Mai 1928 ihr zweites Kind. Ihr Sohn wurde in Königsberg geboren, wohin die Itzigs aber nicht dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt verlegt haben können, da sie auch später noch in Neidenburg gemeldet waren. Auch die meisten von Gertruds Geschwistern lebten weiterhin in Neidenburg: Alfred Lazarus mit seiner Ehefrau Ruth, geborene Ascher; Lea mit ihrem Ehemann Kurt Bach und ihrer 1926 zur Welt gekommenen Tochter Helga sowie die unverheiratete Cäcilie Lazarus. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Familienleben in der ostpreußischen Stadt zur Zeit der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Gertrud Itzig und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Ab 1933 war das Ehepaar Itzig auch als Geschäftsinhaber in exponierter Lage am Neidenburger Marktplatz von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen. In der Region und besonders im Kreis Neidenburg hatte die NSDAP schon früh Wahlerfolge verzeichnet und konnte eine relativ große Anhängerschaft mobilisieren. Die angeordneten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte in der Stadt führten dazu, dass bereits 1933/1934 etwa 20 Geschäftsleute ihre Unternehmen aufgeben mussten. Die Itzigs führten ihr Geschäft noch wenigstens bis 1936 in der Stadt, mussten es aber spätestens Ende der 1930er-Jahre zwangsweise aufgeben. Vermutlich nach den Novemberpogromen 1938 – bei denen in Neidenburg zwei Menschen ermordet wurden, viele weitere verletzt und die Synagoge in Brand gesteckt wurde – flüchtete das Ehepaar mit seinen Kindern Amalie und Gerd Peter nach Berlin, wo zu dieser Zeit viele ihrer nahen Verwandten lebten: Kurt, Lea und Helga Bach in der Altonaer Straße 32 im Hansaviertel, Alfred und Ruth Lazarus in der Augsburger Straße 12 in Schöneberg und Gertruds Schwägerinnen Hedwig Israel und Jenny Brenner mit ihren Ehepartnern und Kindern zuletzt in der Artilleristraße 6 (der heutigen Tucholskystraße) in Mitte sowie der Mommsenstraße 19 in Charlottenburg.

1939/1940 kamen Gertrud, Arthur, Amalie und Gerd Itzig in einer 3-Zimmer-Wohnung in der ersten Etage der Reichenberger Straße 181 in Kreuzberg nahe dem Kottbusser Tor unter. Neben der Familie Itzig wohnte in der Wohnung seit April 1940 auch Gertruds Schwester Cäcilie Lazarus zur Untermiete. Im Januar 1942 nahmen Gertrud und Arthur trotz ihrer Not außerdem einen Säugling als Pflegekind auf, Tana Stern, die im Dezember 1941 in Berlin zur Welt gekommen war. Ihre Mutter wurde in amtlichen Dokumenten als „verschollen“ geführt. Im Januar 1943 kam ein weiteres Pflegekind hinzu, die zwöfjährige Norma Fleischer.

Das Leben nahm für die Familie spätestens Anfang der 1940er-Jahren den Charakter eines täglichen Existenzkampfes an. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Arthur, Amalie und Cäcilie mussten spätestens seit Anfang der 1940er-Jahre Zwangsarbeit leisten: Arthur Itzig bei einem Bautrupp der Deutschen Reichsbahn in Berlin-Schöneberg. Amalie Itzig war als Arbeiterin im Siemensstädter Kleinbauwerk und im Wernerwerk eingesetzt. Cäcilie Lazarus musste ebenfalls für Siemens Zwangsarbeit leisten. Sie war Arbeiterin im Siemens-Schuckert-Kabelwerk in Gartenfeld. Gerd Peter Itzig war zuletzt unbesoldeter Helfer bei der Jüdischen Kultusvereinigung (JKV) zu Berlin.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Gertrud Itzig, ihr Ehemann und ihre Kinder, ihre Pflegetöchter und ihre Schwester Cäcilie Lazarus erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Sie mussten ihre Berliner Wohnung in der Reichenberger Straße 181 räumen und wurden in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt. Am 21. Februar 1943 mussten alle Familienmitglieder im Sammellager eine 16-seitige „Vermögenserklärung“ zu den ihnen verbliebenen Habseligkeiten mitsamt des zurückgelassenen Hausrats ausfüllen, welche später von der Gestapo zusammen mit den Transportlisten an den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburgs geschickt wurde und der „Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden“ diente. Fünf Tage später, am 26. Februar 1943, wurden die damals 44-jährige Gertrud Itzig und ihre Familienangehörigen mit dem „30. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Nur wenige von Gertruds Verwandten Verwandten überlebten die NS-Verfolgung. Ihr Bruder Alfred war mit seiner Ehefrau Ruth, geborene Ascher, am 14. November 1941 aus Berlin in das Ghetto Minsk deportiert und dort ermordet worden. Ihre Schwester Lea war mit ihrem Mann Kurt Bach und der 1926 geborenen Tochter Helga am 9. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und in dem Vernichtungslager ermordet worden. Ihre Schwester Shoshana Karter konnte sich nach Palästina retten und überlebte im Exil. Gertruds Schwägerin Hedwig Israel, deren Ehemann Fritz unter ungeklärten Umständen am 16. November 1941 verstorben war, wurde am 2. März 1943 aus Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Deren Sohn Georg Israel wurde mit demselben Transport wie Gertrud am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und nach seiner Ankunft ins Lager selektiert. Anlässlich des Vorrückens der Roten Armee wurde er wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz weiter in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er am 26. Januar 1945 als Häftling registriert wurde und im April 1945 durch die US-Armee befreit wurde. Gertruds Schwägerin Jenny Brenner, ihr Ehemann Joseph und ihre Kinder Hans und Gerhard Brenner konnten Anfang der 1940er-Jahre aus Deutschland flüchten und erreichten über Lissabon mit der „SS Nyassa“ am 14. Juni 1941 New York. Sie überlebten im Exil in den USA.