Fritz Cohn

Verlegeort
Niebuhrstr. 72
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
11. Dezember 2006
Geboren
24. August 1887 in Kattowitz (Schlesien) / Katowice
Deportation
am 12. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Fritz (Shlomo) Cohn ist am 24. August 1887 als Sohn des Rabbiners Dr. Jakob Cohn (1843–1916) und seiner Ehefrau Ernestine geb. Goldstein (1853–1896) in Kattowitz/O.S. (heute Katowice in Polen) auf die Welt gekommen. Die Stadt im oberschlesischen Industrierevier gehörte seit 1871 zum Deutschen Reich. Sein Vater wurde in demselben Jahr von der jüdischen Gemeinde zum ersten Rabbiner von Kattowitz gewählt, und er sollte bis zu seinem Tod einer der angesehensten Rabbiner in Oberschlesien sein: ein traditionell-gesetzestreuer Mann, Religionslehrer auch an öffentlichen Schulen, Vorsitzender von und Mitglied in vielen Verbänden und Vereinen der Provinz und der Stadt – und dies nicht allein in jüdischen Organisationen, sondern auch als Mitglied des städtischen Armenausschusses und der städtischen Schuldeputation. <br />
Die Wohnung der Familie lag neben der Synagoge in der Grundmannstraße (heute Ulica 3 Maja). In den ersten Jahren der Amtszeit des Vaters wurden die älteren Geschwister von Fritz Cohn geboren: Martin (1874–1911, später Arzt in Kattowitz), Paul (1876–1938, Kaufmann in Gleiwitz), Selma (1877–1931, in Gleiwitz verheiratet mit dem Anwalt und liberalen Kommunalpolitiker Dr. Arthur Kochmann) und Gertrud (in Berlin verheiratet mit dem Lehrer und Leiter des Auerbachschen Waisenhauses Dr. Gustav Altmann, beide zu Beginn der 1920er Jahre gestorben). <br />
Fritz Cohns Mutter starb bereits 1896. Der Vater lebte bis zu seinem Tod in der Grundmannstraße, auch als 1900 eine neue Synagoge an anderer Stelle gebaut wurde. Die große Familie hielt bis in die Zeit von Verfolgung, Flucht und Deportation engen Kontakt – so wuchs der 1910 geborene Sohn der Schwester Gertrud, der „Seppel“ genannte Franz Josef, nach dem frühen Tod seiner Eltern bei Fritz und Erna Cohn auf. <br />
Fritz Cohn studierte an der 1906 gegründeten Handelshochschule in Berlin-Mitte und wurde Diplomkaufmann. Er heiratete die 1893 in Kattowitz geborene und nicht weit von seinem Elternhaus aufgewachsene Erna Weichmann. Die beiden zogen nach Berlin und bekamen dort drei Töchter: 1920 Esther (Ernestine), 1921 Miriam (Mirjam) und 1926 Hannah. Fritz Cohn arbeitete als Prokurist bei der Rawack & Grünfeld AG, einer großen Erzhandelsfirma, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs ihren Hauptsitz aus Beuthen in Oberschlesien (heute Bytom/Polen) nach Berlin verlegt hatte. Er blieb dort, bis die Firma im November 1938 „arisiert“ und Teil des Flick-Konzerns wurde. <br />
Die Familie wohnte bis Mitte der 1920er-Jahre in der Danckelmannstraße 31 in Charlottenburg, einem repräsentativen Eckhaus zum Kaiserdamm, direkt gegenüber vom Lietzenseepark. Mit der Geburt von Hannah zog sie in die Pestalozzistraße 53a, wiederum in der Nähe des Parks. Fritz Cohn engagierte sich in der orthodoxen Synagoge Münchener Straße 37 im Bayerischen Viertel in Schöneberg und wurde schließlich Vorsteher der Gemeinde. Der Familie ging es finanziell gut. Eltern und Kinder verreisten in den Ferien und besuchten regelmäßig die Verwandten in Oberschlesien. <br />
Zwei Jahre nach Beginn der NS-Diktatur zog Fritz Cohn mit seiner Familie in eine große Wohnung im 2. Stock der Niebuhrstraße 72, Ecke Wielandstraße. Noch besaß er seinen Arbeitsplatz bei der Rawack & Grünfeld AG. Die Töchter besuchten die zionistische Theodor-Herzl-Schule, konnten verreisen, hatten Klavierstunden und waren im Sportverein. <br />
Als Fritz Cohn Ende 1938 entlassen wurde, änderte sich das Leben. Zwar erhielt er bis 1942 eine Rente, aber die Familie wurde auseinandergerissen: Im Mai 1939 schickten die Eltern die jüngste Tochter Hannah mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Ende August 1939 floh Miriam in die Niederlande und lebte dort in Enschede in einem Ausbildungslager für Palästina der orthodoxen Agudas Jisrael. In die Niederlande flohen auch der Pflegesohn Franz Josef Altmann und die Nichte Annemarie, Tochter von Fritz Cohns Bruder Paul. Allein Esther blieb bei den Eltern und absolvierte eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. <br />
Fritz und Erna Cohn lebten in den nächsten Jahren sehr zurückgezogen. Fritz Cohn besuchte einen Buchhaltungskursus, einen englischen Sprachkursus und schließlich einen Optikerkursus. Er sandte immer wieder Bitten um Affidavits (Bürgschaften) an Bekannte im sicheren Ausland. Zwei, dann drei Zimmer der Wohnung mussten untervermietet werden, und Fritz, Erna und Esther Cohn bewohnten nur noch das ehemalige Esszimmer und die beiden Kinderzimmer. 1941 arbeitete Fritz Cohn ehrenamtlich bei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Die Familie musste in die Tile-Wardenberg-Straße 19 in Tiergarten ziehen, in ein Eckhaus zur Solinger Straße 7. Die neue Wohngegend blieb ihnen fremd, und sie wurden immer einsamer. Erna Cohn war chronisch krank und trotzdem zuletzt Zwangsarbeiterin, Fritz Cohn musste wegen der Arbeit bei der Reichsvereinigung seine Kurse aufgeben. <br />
Am 26.Oktober 1942 wurde Esther Cohn nach Riga deportiert und dort gleich nach der Ankunft am 29. Oktober 1942 ermordet. Fritz und Erna Cohn, die überlegt hatten, ob sie ihre Tochter nicht begleiten sollten, mussten ein letztes Mal die Wohnung wechseln: In demselben Eckhaus Solinger Straße 7 bewohnten sie seit dem 1. Februar 1943 zwei Zimmer einer 5-Zimmer-Wohnung. <br />
Am 12. März 1943 wurden Fritz Cohn und seine Ehefrau Erna Cohn geb. Weichmann mit dem „36. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. <br />
<br />
Und die anderen? Seine Schwiegermutter Sarah Weichmann und die Schwägerin Ruth, die im seit 1921 polnischen Kattowitz geblieben waren, wurden nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen in das Ghetto im nahen Sosnowitz (heute Sosnowiec/Polen) deportiert und in Auschwitz ermordet. Dort war bereits 1942 die Nichte Annemarie Cohn umgekommen. Der Pflegesohn Franz Josef Altmann wurde im Juni 1943 in Sobibor getötet. Am 28. Dezember desselben Jahres wurde der Schwager Dr. Arthur Kochmann als letzter Jude Oberschlesiens nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. <br />
Es überlebten die beiden Töchter Miriam und Hannah: Miriam überlebte in der Illegalität in den Niederlanden und heiratete Justin Seligmann aus Nördlingen, Hannah heiratete Michael Feist. Beide gingen nach Palästina/Israel und gründeten Familien. Es überlebte auch die 1905 geborene Nichte Susanne Kochmann, Tochter von Fritz Cohns Schwester Selma – über sie wurde geschrieben und auch nachgedacht: Susanne Kochmann hatte 1927 den italienischen Faschisten Guiseppe Renzetti geheiratet und in Berlin in einer ganz anderen Welt gelebt. <br />
<br />
Nach Berlin „zurückgekehrt“ ist David Gewirtz (Kwirz), ein Urenkel von Fritz und Erna Cohn, Enkel von Miriam Seligmann. Er arbeitet seit vielen Jahren als Rabbiner an der Schule der orthodoxen Bewegung von Chabad Lubawitsch. <br />
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Fritz (Shlomo) Cohn ist am 24. August 1887 als Sohn des Rabbiners Dr. Jakob Cohn (1843–1916) und seiner Ehefrau Ernestine geb. Goldstein (1853–1896) in Kattowitz/O.S. (heute Katowice in Polen) auf die Welt gekommen. Die Stadt im oberschlesischen Industrierevier gehörte seit 1871 zum Deutschen Reich. Sein Vater wurde in demselben Jahr von der jüdischen Gemeinde zum ersten Rabbiner von Kattowitz gewählt, und er sollte bis zu seinem Tod einer der angesehensten Rabbiner in Oberschlesien sein: ein traditionell-gesetzestreuer Mann, Religionslehrer auch an öffentlichen Schulen, Vorsitzender von und Mitglied in vielen Verbänden und Vereinen der Provinz und der Stadt – und dies nicht allein in jüdischen Organisationen, sondern auch als Mitglied des städtischen Armenausschusses und der städtischen Schuldeputation.
Die Wohnung der Familie lag neben der Synagoge in der Grundmannstraße (heute Ulica 3 Maja). In den ersten Jahren der Amtszeit des Vaters wurden die älteren Geschwister von Fritz Cohn geboren: Martin (1874–1911, später Arzt in Kattowitz), Paul (1876–1938, Kaufmann in Gleiwitz), Selma (1877–1931, in Gleiwitz verheiratet mit dem Anwalt und liberalen Kommunalpolitiker Dr. Arthur Kochmann) und Gertrud (in Berlin verheiratet mit dem Lehrer und Leiter des Auerbachschen Waisenhauses Dr. Gustav Altmann, beide zu Beginn der 1920er Jahre gestorben).
Fritz Cohns Mutter starb bereits 1896. Der Vater lebte bis zu seinem Tod in der Grundmannstraße, auch als 1900 eine neue Synagoge an anderer Stelle gebaut wurde. Die große Familie hielt bis in die Zeit von Verfolgung, Flucht und Deportation engen Kontakt – so wuchs der 1910 geborene Sohn der Schwester Gertrud, der „Seppel“ genannte Franz Josef, nach dem frühen Tod seiner Eltern bei Fritz und Erna Cohn auf.
Fritz Cohn studierte an der 1906 gegründeten Handelshochschule in Berlin-Mitte und wurde Diplomkaufmann. Er heiratete die 1893 in Kattowitz geborene und nicht weit von seinem Elternhaus aufgewachsene Erna Weichmann. Die beiden zogen nach Berlin und bekamen dort drei Töchter: 1920 Esther (Ernestine), 1921 Miriam (Mirjam) und 1926 Hannah. Fritz Cohn arbeitete als Prokurist bei der Rawack & Grünfeld AG, einer großen Erzhandelsfirma, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs ihren Hauptsitz aus Beuthen in Oberschlesien (heute Bytom/Polen) nach Berlin verlegt hatte. Er blieb dort, bis die Firma im November 1938 „arisiert“ und Teil des Flick-Konzerns wurde.
Die Familie wohnte bis Mitte der 1920er-Jahre in der Danckelmannstraße 31 in Charlottenburg, einem repräsentativen Eckhaus zum Kaiserdamm, direkt gegenüber vom Lietzenseepark. Mit der Geburt von Hannah zog sie in die Pestalozzistraße 53a, wiederum in der Nähe des Parks. Fritz Cohn engagierte sich in der orthodoxen Synagoge Münchener Straße 37 im Bayerischen Viertel in Schöneberg und wurde schließlich Vorsteher der Gemeinde. Der Familie ging es finanziell gut. Eltern und Kinder verreisten in den Ferien und besuchten regelmäßig die Verwandten in Oberschlesien.
Zwei Jahre nach Beginn der NS-Diktatur zog Fritz Cohn mit seiner Familie in eine große Wohnung im 2. Stock der Niebuhrstraße 72, Ecke Wielandstraße. Noch besaß er seinen Arbeitsplatz bei der Rawack & Grünfeld AG. Die Töchter besuchten die zionistische Theodor-Herzl-Schule, konnten verreisen, hatten Klavierstunden und waren im Sportverein.
Als Fritz Cohn Ende 1938 entlassen wurde, änderte sich das Leben. Zwar erhielt er bis 1942 eine Rente, aber die Familie wurde auseinandergerissen: Im Mai 1939 schickten die Eltern die jüngste Tochter Hannah mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Ende August 1939 floh Miriam in die Niederlande und lebte dort in Enschede in einem Ausbildungslager für Palästina der orthodoxen Agudas Jisrael. In die Niederlande flohen auch der Pflegesohn Franz Josef Altmann und die Nichte Annemarie, Tochter von Fritz Cohns Bruder Paul. Allein Esther blieb bei den Eltern und absolvierte eine Ausbildung zur Kindergärtnerin.
Fritz und Erna Cohn lebten in den nächsten Jahren sehr zurückgezogen. Fritz Cohn besuchte einen Buchhaltungskursus, einen englischen Sprachkursus und schließlich einen Optikerkursus. Er sandte immer wieder Bitten um Affidavits (Bürgschaften) an Bekannte im sicheren Ausland. Zwei, dann drei Zimmer der Wohnung mussten untervermietet werden, und Fritz, Erna und Esther Cohn bewohnten nur noch das ehemalige Esszimmer und die beiden Kinderzimmer. 1941 arbeitete Fritz Cohn ehrenamtlich bei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Die Familie musste in die Tile-Wardenberg-Straße 19 in Tiergarten ziehen, in ein Eckhaus zur Solinger Straße 7. Die neue Wohngegend blieb ihnen fremd, und sie wurden immer einsamer. Erna Cohn war chronisch krank und trotzdem zuletzt Zwangsarbeiterin, Fritz Cohn musste wegen der Arbeit bei der Reichsvereinigung seine Kurse aufgeben.
Am 26.Oktober 1942 wurde Esther Cohn nach Riga deportiert und dort gleich nach der Ankunft am 29. Oktober 1942 ermordet. Fritz und Erna Cohn, die überlegt hatten, ob sie ihre Tochter nicht begleiten sollten, mussten ein letztes Mal die Wohnung wechseln: In demselben Eckhaus Solinger Straße 7 bewohnten sie seit dem 1. Februar 1943 zwei Zimmer einer 5-Zimmer-Wohnung.
Am 12. März 1943 wurden Fritz Cohn und seine Ehefrau Erna Cohn geb. Weichmann mit dem „36. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Und die anderen? Seine Schwiegermutter Sarah Weichmann und die Schwägerin Ruth, die im seit 1921 polnischen Kattowitz geblieben waren, wurden nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen in das Ghetto im nahen Sosnowitz (heute Sosnowiec/Polen) deportiert und in Auschwitz ermordet. Dort war bereits 1942 die Nichte Annemarie Cohn umgekommen. Der Pflegesohn Franz Josef Altmann wurde im Juni 1943 in Sobibor getötet. Am 28. Dezember desselben Jahres wurde der Schwager Dr. Arthur Kochmann als letzter Jude Oberschlesiens nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Es überlebten die beiden Töchter Miriam und Hannah: Miriam überlebte in der Illegalität in den Niederlanden und heiratete Justin Seligmann aus Nördlingen, Hannah heiratete Michael Feist. Beide gingen nach Palästina/Israel und gründeten Familien. Es überlebte auch die 1905 geborene Nichte Susanne Kochmann, Tochter von Fritz Cohns Schwester Selma – über sie wurde geschrieben und auch nachgedacht: Susanne Kochmann hatte 1927 den italienischen Faschisten Guiseppe Renzetti geheiratet und in Berlin in einer ganz anderen Welt gelebt.

Nach Berlin „zurückgekehrt“ ist David Gewirtz (Kwirz), ein Urenkel von Fritz und Erna Cohn, Enkel von Miriam Seligmann. Er arbeitet seit vielen Jahren als Rabbiner an der Schule der orthodoxen Bewegung von Chabad Lubawitsch.