Gertrud Katzenstein geb. Michalski

Verlegeort
Schlüterstr. 54
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
23. September 2010
Geboren
20. August 1866 in Graudenz (Westpreußen) / Grudziądz
Deportation
am 17. August 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
02. September 1942 in Theresienstadt

Gertrud Katzenstein kam als Gertrud Michalski am 20. August 1866 zur Welt in Graudenz/Westpreußen (heute Grudziądz), eine Stadt an der Weichsel, rund 90 km südlich von Danzig. Der Vater Moritz Michalski hatte Natalie Beer geheiratet, nachdem seine erste Frau, Natalies Schwester Emma, gestorben war. Wahrscheinlich ist Emma Gertruds leibliche Mutter. Gertrud hatte einen Bruder, Max, später verheiratet mit Gertrud Bredt, und eine Schwester, Johanna, die später Ignatz Bythiner heiratete. Um 1875 ließ sich Moritz Michalski in Berlin nieder mit einem Geschäft für Herrenwäsche, später in Agentur für Leinen- und Wollwaren gewandelt. 1898 heiratete Gertrud den 7 Jahre älteren Siegmund Katzenstein. Sie wohnten zunächst in der Mayeerbeerstraße 8, 1918 in der Leibnitzstraße 3. Sie hatten einen Sohn, Fritz. Siegmund Katzenstein war Prokurist bei der Firma Paul Blumenthal & Co.<br />
<br />
Am 24. September 1918 starb Siegmund Katzenstein und Gertrud zog ein oder zwei Jahre später in die Heilbronner Straße 3. Das Adressbuch gibt in diesem und den folgenden Jahren für sie keinen Beruf an, obwohl sie eine Krankenschwesterausbildung gehabt haben soll. Man kann also annehmen, dass ihr verstorbener Ehemann wohlhabend genug war, um sie gut versorgt zu hinterlassen.<br />
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Gertrud Katzenstein engagierte sich in der jüdischen Frauenvereinsarbeit. In dem „Israelitisch-humanitären Frauenverein“ arbeitete sie mit der Vorsitzenden Sidonie Werner aus Hamburg zusammen. Sidonie Werner leitete den 1893 gegründeten Verein ab 1908. Der Verein war nicht nur in Bereichen klassischer Wohlfahrt aktiv sondern betrieb auch Sozialarbeit im modernen Sinne. Er unterhielt Einrichtungen zur Bekämpfung der Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit, unter anderem auch Gemeinschaftsheime und Kinderheime, letztere v.a. in Hamburg. Das politische Engagement des Vereins galt speziell den Rechten der Frauen in der Jüdischen Gemeinde und der Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels. Der Verein trat für die jüdische Identität und gegen die Assimilation ein. <br />
<br />
1909 suchte Sidonie Werner einen Standort für Ferienheime für die vom Verein betreuten Kinder. In dem sich als Kurort entwickelndem Segeberg (ab 1924 Bad Segeberg) in Holstein erwarb sie mit der Zeit drei Villen in der Bismarckallee zu diesem Zweck. Es entstand dort ein Ferienheim für Kinder, das außerhalb der Sommerzeit auch ein Erholungsheim für junge Frauen und eine Haushaltungsschule beherbergte. In den Sommermonaten waren dort bis zu 100 Kinder untergebracht und Sidonie Werner verlegte für diese Zeit ihren Wohnsitz von Hamburg nach Segeberg. <br />
<br />
Sidonie Werner war auch Mitbegründerin und prominente Akteurin im 1904 in Berlin gegründeten Jüdischen Frauenbund, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Gertrud Katzenstein in diesem aktiv war. Denn nach dem Tod Sidonie Werners 1932 übernahm sie den Vorsitz des Israelitisch-humanitären Frauenvereins und die Leitung der Segeberger Häuser. Wahrscheinlich war auch sie nur in den Sommermonaten in Segeberg, denn sie behielt ihre Berliner Wohnung in der Heilbronner Straße. <br />
<br />
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Zeiten für jüdische Vereine jedoch zunehmend schlechter und auch in Bad Segeberg war der Antisemitismus auf der Tagesordnung. 1936 verließ Gertrud Katzenstein mit ihren Schützlingen Bad Segeberg und kehrte ganz nach Berlin zurück, zwei Jahre später wurde der Verein ganz aufgelöst, seine Häuser weit unter Preis an die Stadt verkauft. In Berlin, folgt man den Angaben des Adressbuches, gab Gertrud Katzenstein die Wohnung in der Heilbronner Straße nun auf. Wahrscheinlich war das der Zeitpunkt, an dem sie in die Schlüterstraße 54 zog, zur Untermiete bei der Witwe Hedwig Rosenbaum. <br />
<br />
Dort wohnte sie noch, als sie im August 1942 von der Gestapo abgeholt wurde. Sie sollte nach Theresienstadt deportiert werden, wurde zunächst in ein Sammellager gebracht – wir wissen nicht welches, denn längst reichte das umfunktionierte Altersheim in der Großen Hamburger Straße nicht mehr aus. Anders als bisher wollte die Gestapo nicht nur 50-100 Menschen in „geschlossenen Wagons“ nach Theresienstadt verschleppen, offenbar ging ihr das zu langsam. Erstmalig sollte das 10fache an Menschen in einem geschlossenen Sonderzug dorthin deportiert werden. Um sie zu „sammeln“ wurden vorübergehend mehrere jüdische Einrichtungen in Berlin als Lager in Anspruch genommen. Am 17. August 1942 verließ der Sonderzug den Bahnhof Putlitzstraße mit 1002 Menschen, Gertrud Katzenstein unter ihnen.<br />
<br />
In Theresienstadt bekam Gertrud Katzenstein nicht wie vorgetäuscht einen Platz in einem Alterswohnsitz zugewiesen, sondern Koje Nr. 27 auf dem „Boden“ (gemeint ist wohl der Dachspeicher) von Gebäude B IV. Auch sonst herrschten im sogenannten „Altersghetto“ Überfüllung, Kälte und Hunger vor. Miserable Hygiene, Seuchen und Krankheiten setzten den Menschen zu und viele starben daran. Auch Gertrud Katzenstein überlebte diese Lebensbedingungen nicht: am 2. September 1942, gut zwei Wochen nach Ankunft und knapp zwei nach ihrem 76. Geburtstag, erlag sie in ihrer „Koje“ den Umständen von Reise und Ghetto , angeblich an Alters- und Herzschwäche – so die offizielle „Todesfallanzeige“, die so zur Verschleierung der wahren Ursachen beiträgt. <br />
<br />
Für Gertrud Katzenstein liegt auch ein Stolperstein in Bad Segeberg, vor dem Haus Bismarckallee 5. Die Inschrift lautet: „Hier arbeitete Gertrud Katzenstein Jg. 1866 deportiert 1942 Theresienstadt tot 2.9.1942“ <br />

Gertrud Katzenstein kam als Gertrud Michalski am 20. August 1866 zur Welt in Graudenz/Westpreußen (heute Grudziądz), eine Stadt an der Weichsel, rund 90 km südlich von Danzig. Der Vater Moritz Michalski hatte Natalie Beer geheiratet, nachdem seine erste Frau, Natalies Schwester Emma, gestorben war. Wahrscheinlich ist Emma Gertruds leibliche Mutter. Gertrud hatte einen Bruder, Max, später verheiratet mit Gertrud Bredt, und eine Schwester, Johanna, die später Ignatz Bythiner heiratete. Um 1875 ließ sich Moritz Michalski in Berlin nieder mit einem Geschäft für Herrenwäsche, später in Agentur für Leinen- und Wollwaren gewandelt. 1898 heiratete Gertrud den 7 Jahre älteren Siegmund Katzenstein. Sie wohnten zunächst in der Mayeerbeerstraße 8, 1918 in der Leibnitzstraße 3. Sie hatten einen Sohn, Fritz. Siegmund Katzenstein war Prokurist bei der Firma Paul Blumenthal & Co.

Am 24. September 1918 starb Siegmund Katzenstein und Gertrud zog ein oder zwei Jahre später in die Heilbronner Straße 3. Das Adressbuch gibt in diesem und den folgenden Jahren für sie keinen Beruf an, obwohl sie eine Krankenschwesterausbildung gehabt haben soll. Man kann also annehmen, dass ihr verstorbener Ehemann wohlhabend genug war, um sie gut versorgt zu hinterlassen.

Gertrud Katzenstein engagierte sich in der jüdischen Frauenvereinsarbeit. In dem „Israelitisch-humanitären Frauenverein“ arbeitete sie mit der Vorsitzenden Sidonie Werner aus Hamburg zusammen. Sidonie Werner leitete den 1893 gegründeten Verein ab 1908. Der Verein war nicht nur in Bereichen klassischer Wohlfahrt aktiv sondern betrieb auch Sozialarbeit im modernen Sinne. Er unterhielt Einrichtungen zur Bekämpfung der Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit, unter anderem auch Gemeinschaftsheime und Kinderheime, letztere v.a. in Hamburg. Das politische Engagement des Vereins galt speziell den Rechten der Frauen in der Jüdischen Gemeinde und der Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels. Der Verein trat für die jüdische Identität und gegen die Assimilation ein.

1909 suchte Sidonie Werner einen Standort für Ferienheime für die vom Verein betreuten Kinder. In dem sich als Kurort entwickelndem Segeberg (ab 1924 Bad Segeberg) in Holstein erwarb sie mit der Zeit drei Villen in der Bismarckallee zu diesem Zweck. Es entstand dort ein Ferienheim für Kinder, das außerhalb der Sommerzeit auch ein Erholungsheim für junge Frauen und eine Haushaltungsschule beherbergte. In den Sommermonaten waren dort bis zu 100 Kinder untergebracht und Sidonie Werner verlegte für diese Zeit ihren Wohnsitz von Hamburg nach Segeberg.

Sidonie Werner war auch Mitbegründerin und prominente Akteurin im 1904 in Berlin gegründeten Jüdischen Frauenbund, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Gertrud Katzenstein in diesem aktiv war. Denn nach dem Tod Sidonie Werners 1932 übernahm sie den Vorsitz des Israelitisch-humanitären Frauenvereins und die Leitung der Segeberger Häuser. Wahrscheinlich war auch sie nur in den Sommermonaten in Segeberg, denn sie behielt ihre Berliner Wohnung in der Heilbronner Straße.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Zeiten für jüdische Vereine jedoch zunehmend schlechter und auch in Bad Segeberg war der Antisemitismus auf der Tagesordnung. 1936 verließ Gertrud Katzenstein mit ihren Schützlingen Bad Segeberg und kehrte ganz nach Berlin zurück, zwei Jahre später wurde der Verein ganz aufgelöst, seine Häuser weit unter Preis an die Stadt verkauft. In Berlin, folgt man den Angaben des Adressbuches, gab Gertrud Katzenstein die Wohnung in der Heilbronner Straße nun auf. Wahrscheinlich war das der Zeitpunkt, an dem sie in die Schlüterstraße 54 zog, zur Untermiete bei der Witwe Hedwig Rosenbaum.

Dort wohnte sie noch, als sie im August 1942 von der Gestapo abgeholt wurde. Sie sollte nach Theresienstadt deportiert werden, wurde zunächst in ein Sammellager gebracht – wir wissen nicht welches, denn längst reichte das umfunktionierte Altersheim in der Großen Hamburger Straße nicht mehr aus. Anders als bisher wollte die Gestapo nicht nur 50-100 Menschen in „geschlossenen Wagons“ nach Theresienstadt verschleppen, offenbar ging ihr das zu langsam. Erstmalig sollte das 10fache an Menschen in einem geschlossenen Sonderzug dorthin deportiert werden. Um sie zu „sammeln“ wurden vorübergehend mehrere jüdische Einrichtungen in Berlin als Lager in Anspruch genommen. Am 17. August 1942 verließ der Sonderzug den Bahnhof Putlitzstraße mit 1002 Menschen, Gertrud Katzenstein unter ihnen.

In Theresienstadt bekam Gertrud Katzenstein nicht wie vorgetäuscht einen Platz in einem Alterswohnsitz zugewiesen, sondern Koje Nr. 27 auf dem „Boden“ (gemeint ist wohl der Dachspeicher) von Gebäude B IV. Auch sonst herrschten im sogenannten „Altersghetto“ Überfüllung, Kälte und Hunger vor. Miserable Hygiene, Seuchen und Krankheiten setzten den Menschen zu und viele starben daran. Auch Gertrud Katzenstein überlebte diese Lebensbedingungen nicht: am 2. September 1942, gut zwei Wochen nach Ankunft und knapp zwei nach ihrem 76. Geburtstag, erlag sie in ihrer „Koje“ den Umständen von Reise und Ghetto , angeblich an Alters- und Herzschwäche – so die offizielle „Todesfallanzeige“, die so zur Verschleierung der wahren Ursachen beiträgt.

Für Gertrud Katzenstein liegt auch ein Stolperstein in Bad Segeberg, vor dem Haus Bismarckallee 5. Die Inschrift lautet: „Hier arbeitete Gertrud Katzenstein Jg. 1866 deportiert 1942 Theresienstadt tot 2.9.1942“