Marie Lion geb. Stern

Verlegeort
Schlüterstr. 54
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
23. September 2010
Geboren
08. August 1865 in Berlin
Deportation
am 03. Oktober 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
27. Februar 1943 in Theresienstadt

Marie Lion wurde in Berlin am 8. August 1865 geboren. Ihr Mädchenname war Stern, ein im Adressbuch häufiger Name, so dass schwerlich herauszufinden ist, wer ihre Eltern waren.<br />
<br />
Ihr Ehemann war Isaac Lion, der von 1914 bis 1924 in der Kantstraße 44/45 wohnte. Ein Jahr später war an dieser Adresse Isaac Lion nicht mehr verzeichnet, dafür aber „Lion Marie geb. Stern, Witwe“. Isaac Lion war also mittlerweile gestorben. Er hatte eine Agentur für Tuche gehabt, später wurde er auch als „Vertreter für auswärtige Tuchfabriken“ bezeichnet. Das Gewerbe hatte er 1902 von seinem Vater, Isaac Lion sen., übernommen, der es seit den 1890er Jahren betrieb.<br />
<br />
In der Kantstraße wohnte Marie Lion noch weitere zehn Jahre, sie ist als „Rentier“ eingetragen, konnte also von ihrem Vermögen leben. Um 1934 wechselte sie in die Schlüterstrasse 52, vielleicht in eine kleinere Wohnung. Als am 17. Mai 1939 bei der Volkszählung jüdische Mieter auf speziellen „Ergänzungskarten“ erfasst wurden, wohnte Marie Lion zwei Häuser weiter in der Pension Phiebig, Schlüterstraße 54. Sie war sicherlich noch nicht lange dort, da das Adressbuch sie noch kurz zuvor als Hauptmieterin in der Nr. 52 erwähnte. Wir wissen nicht, ob Marie Lion aus Bequemlichkeit in die Pension Phiebig zog – dort wurde sie auch verpflegt – oder ob sie genötigt wurde, ihre Wohnung aufzugeben. 1939 unterlagen Juden schon vielen Einschränkungen im Alltag, viele davon nach dem Pogrom vom November 1938 eingeführt. Auch das Mietrecht für Juden war im April gelockert worden, so dass sie leicht gekündigt werden konnten und so „Wohnraum für Deutschblütige“ geschaffen wurde, wie die Nationalsozialisten propagierten.<br />
<br />
Marie Lion musste noch einmal umziehen, in eine mit Sicherheit noch bescheidenere Behausung. Ihre letzte Wohnung, von der aus sie zur Deportation abgeholt wurde, war ein Zimmer in einem der beiden „Fremdenheime“ in der Sächsischen Straße 5. Sie wurde von dort zunächst in einem der jüdischen Altersheime interniert, die im September und Oktober 1942 zusätzlich zu dem in der Großen Hamburger Straße als Sammellager herhalten mussten. Denn in diesen Monaten organisierte die Gestapo vier sogenannte „große Transporte“ von je über 1000 Menschen nach Theresienstadt, die Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße reichte dafür nicht aus. Die Opfer wurden in geschlossenen Sonderzügen befördert. Am 3. Oktober 1942 fuhr der dritte dieser Züge nach Theresienstadt vom Güterbahnhof Moabit (Putlitzstraße) ab mit Marie Lion und weiteren 1020 Berliner und Brandenburger Juden. <br />
<br />
Nur 72 von ihnen überlebten, Marie Lion gehörte nicht zu ihnen. Weit über die Hälfte der Ghettoinsassen wurden weiter in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. Etwa ein Drittel starb schon vorher in Theresienstadt aufgrund der unerträglichen Lebensumstände: Überfüllung, mangelhafte Ernährung, Kälte und miserable Hygiene waren der Nährboden für Seuchen und Krankheiten, die sie dahinrafften. Marie Lion hielt noch den Winter über diesen Verhältnissen stand, am 27. Februar 1943 jedoch starb auch sie in dem ihr zugewiesenen Zimmer 15 des Gebäudes Q 601. Laut offizieller „Todesfallanzeige“ soll sie an einer Lungenentzündung umgekommen sein, was in diesem Fall vielleicht sogar stimmt, aber mit Sicherheit die Folge der Theresienstädter Lebensbedingungen war. Marie Lion ist 77 Jahre alt geworden.

Marie Lion wurde in Berlin am 8. August 1865 geboren. Ihr Mädchenname war Stern, ein im Adressbuch häufiger Name, so dass schwerlich herauszufinden ist, wer ihre Eltern waren.

Ihr Ehemann war Isaac Lion, der von 1914 bis 1924 in der Kantstraße 44/45 wohnte. Ein Jahr später war an dieser Adresse Isaac Lion nicht mehr verzeichnet, dafür aber „Lion Marie geb. Stern, Witwe“. Isaac Lion war also mittlerweile gestorben. Er hatte eine Agentur für Tuche gehabt, später wurde er auch als „Vertreter für auswärtige Tuchfabriken“ bezeichnet. Das Gewerbe hatte er 1902 von seinem Vater, Isaac Lion sen., übernommen, der es seit den 1890er Jahren betrieb.

In der Kantstraße wohnte Marie Lion noch weitere zehn Jahre, sie ist als „Rentier“ eingetragen, konnte also von ihrem Vermögen leben. Um 1934 wechselte sie in die Schlüterstrasse 52, vielleicht in eine kleinere Wohnung. Als am 17. Mai 1939 bei der Volkszählung jüdische Mieter auf speziellen „Ergänzungskarten“ erfasst wurden, wohnte Marie Lion zwei Häuser weiter in der Pension Phiebig, Schlüterstraße 54. Sie war sicherlich noch nicht lange dort, da das Adressbuch sie noch kurz zuvor als Hauptmieterin in der Nr. 52 erwähnte. Wir wissen nicht, ob Marie Lion aus Bequemlichkeit in die Pension Phiebig zog – dort wurde sie auch verpflegt – oder ob sie genötigt wurde, ihre Wohnung aufzugeben. 1939 unterlagen Juden schon vielen Einschränkungen im Alltag, viele davon nach dem Pogrom vom November 1938 eingeführt. Auch das Mietrecht für Juden war im April gelockert worden, so dass sie leicht gekündigt werden konnten und so „Wohnraum für Deutschblütige“ geschaffen wurde, wie die Nationalsozialisten propagierten.

Marie Lion musste noch einmal umziehen, in eine mit Sicherheit noch bescheidenere Behausung. Ihre letzte Wohnung, von der aus sie zur Deportation abgeholt wurde, war ein Zimmer in einem der beiden „Fremdenheime“ in der Sächsischen Straße 5. Sie wurde von dort zunächst in einem der jüdischen Altersheime interniert, die im September und Oktober 1942 zusätzlich zu dem in der Großen Hamburger Straße als Sammellager herhalten mussten. Denn in diesen Monaten organisierte die Gestapo vier sogenannte „große Transporte“ von je über 1000 Menschen nach Theresienstadt, die Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße reichte dafür nicht aus. Die Opfer wurden in geschlossenen Sonderzügen befördert. Am 3. Oktober 1942 fuhr der dritte dieser Züge nach Theresienstadt vom Güterbahnhof Moabit (Putlitzstraße) ab mit Marie Lion und weiteren 1020 Berliner und Brandenburger Juden.

Nur 72 von ihnen überlebten, Marie Lion gehörte nicht zu ihnen. Weit über die Hälfte der Ghettoinsassen wurden weiter in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. Etwa ein Drittel starb schon vorher in Theresienstadt aufgrund der unerträglichen Lebensumstände: Überfüllung, mangelhafte Ernährung, Kälte und miserable Hygiene waren der Nährboden für Seuchen und Krankheiten, die sie dahinrafften. Marie Lion hielt noch den Winter über diesen Verhältnissen stand, am 27. Februar 1943 jedoch starb auch sie in dem ihr zugewiesenen Zimmer 15 des Gebäudes Q 601. Laut offizieller „Todesfallanzeige“ soll sie an einer Lungenentzündung umgekommen sein, was in diesem Fall vielleicht sogar stimmt, aber mit Sicherheit die Folge der Theresienstädter Lebensbedingungen war. Marie Lion ist 77 Jahre alt geworden.