Julian Schwersenz

Verlegeort
Schillerstr. 14
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
19. April 2010
Geboren
16. August 1875 in Posen / Poznań
Deportation
am 29. Oktober 1941 nach Łódź / Litzmannstadt
Ermordet
10. Mai 1942 in Łódź / Litzmannstadt

Julian Meir Magnus Schwersenz wurde am 16. August 1875 in Posen geboren. Seine Mutter Rosalie oder Rosa geb. Wassermann war eine verwitwete Fränkel, bevor sie in zweiter Ehe Isidor Schwersenz, Julians Vater, heiratete. Mit ihm hatte sie noch zwei weitere Söhne, Max und Georg.<br />
<br />
Als Julian 10 Jahre alt war, gründete Isidor Schwersenz eine Fabrik für Jutegewebe, in der u.a. Säcke und Planen hergestellt wurden. Vermutlich ein Jahr zuvor, 1884, war die Familie nach Berlin gezogen, Wohnung und Betrieb waren in der Auguststrasse. Julian machte sicherlich eine kaufmännische Ausbildung, denn 1909 wurde er Mitinhaber der Firma, die in „Isidor Schwersenz und Sohn“ umbenannt wurde. Als 1914 Isidor starb, wurde Julian Alleininhaber, seine Brüder verzichteten auf einen Erbanteil an der Fabrik. <br />
<br />
Zwei Jahre vorher, 1912, hatte er Franziska Basch geheiratet, von allen Fränze genannt. Franziska war eine Tochter von Max Basch und Amalie, geb. Silber und wurde am 5. Juli 1884 in Freiburg, Schlesien, geboren. Wann sie mit ihren Eltern nach Berlin kam, ist nicht gewiss. 1913 wurde ihre Tochter Ilse geboren, sie sollte das einzige Kind des Paares bleiben. Die junge Familie lebte seit der Heirat in einer gediegenen Wohnung am Alexanderufer 6; die Firma lief gut, wurde in größere Räume am Schiffbauerdamm verlegt. <br />
<br />
1915 jedoch wurde Julian „zur Fahne einberufen“ und kam gesundheitlich angeschlagen aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Dennoch prosperierte die Firma weiter, sie soll 20-30 Angestellte gehabt haben, in den 1920er Jahren wurde zur Herstellung von Säcken und Planen noch der Vertrieb von Chemikalien wie Glycerin und Schellack dazugenommen. Die Reichsbahn und der Botanische Garten zählten zu den Kunden. Fränze war als Buchhalterin im Geschäft tätig. Nach 1933 verschlechterte sich die Geschäftslage: große Teile der Kundschaft brachen aus antisemitischen Gründen weg, das Regime führte immer weiter Einschränkungen für jüdische Unternehmen ein. 1936 zogen Schwersenzes in eine vermutlich kleinere (3-Zimmer-) Wohnung in der Schillerstrasse 14/15. Wahrscheinlich wohnte auch Fränzes Vater Max Basch bei ihnen. <br />
<br />
1938 wanderte Tochter Ilse nach Palästina aus und heiratete dort im Januar 1939 den ebenfalls aus Berlin emigrierten Musiklehrer Harry Timar. Im Dezember 1938 schrieb Julian an seine Tochter: „... Meine Verdienstmöglichkeiten hören Anfang des Jahres so gut wie ganz auf...“ und in einem Brief von Juli 1939 von Fränze ist zu lesen: „... Vati ist heute zum Gericht gegangen um nun endgültig unsere gute alte 56-jährige Firma löschen zu lassen.“ <br />
<br />
Am 16. Oktober 1941 wurde von Julian und Franziska Schwersenz, wie auch am gleichen Tag von anderen jüdischen Bewohnern der Schillerstrasse 14/15, eine „Vermögenserklärung“ verlangt, der Vorbote ihrer Deportation. Sie wurde von Julian Schwersenz auffallend minutiös ausgefüllt, offenbar war er Kunstliebhaber und -sammler und legte Wert darauf, davon Zeugnis zu hinterlassen. U. a. führte er 28 Miniaturen auf, 2 alte ägyptische Bronzen und ein „Bruchstück eines Sargnagels einer ägyptischen Mumie“. Auch „ca. 100 Bücher“ sind erwähnt, der amtliche Schätzer fügte hinzu „teilweise verbotene Literatur“. Auch minutiös sind die Ausgaben für den Lebensunterhalt aufgezählt, im ganzen 380 RM im Monat. Julian und Franziska besaßen mehrere tausend Reichsmark, über die sie aber nicht frei verfügen konnten. Die Behörden führten 1940 und 1941 detailliert Buch über alle Ausgaben des Ehepaares, so auch darüber, dass Fränze von einem nach USA emigrierten Verwandten 2000 RM zur Unterhaltung ihres Vaters Max Basch bekommen hatte und davon für 1941 – inklusive Kosten für „Zigarren, Stärkungsmittel, Kekse“ – 1820 RM ausgegeben habe. <br />
<br />
Max Basch war 1939 in eine Pension Polke gezogen, ab März 1941 war er vermutlich in einem jüdischen Altenheim untergebracht, sein weiteres Schicksal ist nicht geklärt. Bei dem bescheidenen erlaubten Lebensstandard war im Oktober 1941 noch ein beträchtlicher Teil des Vermögens vorhanden, der, zusammen mit dem Erlös der auf über 2000 RM geschätzten Wohnungseinrichtung, zugunsten des Reiches „eingezogen“ wurde. Die Verfügung darüber bekamen Julian und Fränze pro forma am 27. Oktober 1941 in der als Sammellager missbrauchten ehemaligen Synagoge in der Levetzowstrasse 7-8 zugestellt. Noch am gleichen Tag wurden sie zusammen mit etwa 1000 weiteren Juden – unter ihnen auch weitere Bewohner der Schillerstrasse 14/15 – in das Ghetto Litzmannstadt (Łodz) deportiert. <br />
<br />
In dem hoffnungslos überfüllten Ghetto wurden sie hinter Stacheldraht und unter menschenunwürdigen Lebensverhältnissen in einer der Hauptstrassen, der Hohensteinstrasse, „eingesiedelt“ und zur Zwangsarbeit in Munitionsfabriken oder Uniformschneidereien herangezogen, da sie beide für „arbeitsfähig“ befunden wurden. Es gelang ihnen zunächst, trotz dieser Bedingungen den harten Winter 1941/42 zu überleben. Im Oktober 1942 erhielt Ilse Timar, die in Palästina lebende Tochter, einen Rotkreuzbrief mit dem Wortlaut: „Fränze leider verwitwet: Litzmannstadt Getto/Warthegau, Reiterstr. 23 Wohnung 16.21. Eventuelle Weiterwanderung ...“. <br />
<br />
Julian Schwersenz war am 10. Mai 1942 an den Lebensumständen im Ghetto gestorben. Fränze war offenbar danach ein anderer Wohnplatz zugewiesen worden. Eine „eventuelle Weiterwanderung“ konnte für Ghettobewohner nur die Verschleppung in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) bedeuten, wo die Deportierten im Mai und September 1942 bei Ankunft in „Speziallastwagen“ mit Auspuffgasen ermordet wurden. Für Franziska Schwersenz kam es nicht mehr dazu: sie starb noch in Łodz am 31. August 1942. Möglich auch, dass sie sich das Leben nahm, um der erneuten Deportation zu entgehen, möglich auch, dass Julian dies getan hatte: die Deportationen nach Chelmno im Frühjahr fanden zwischen 4. und 15. Mai statt. Die Absenderin jenes Rotkreuzbriefes, Käthe Tobias – eine Verwandte oder Freundin – hatte keine Details geben können. Auch sie wurde später ermordet, vermutlich in Treblinka.

Julian Meir Magnus Schwersenz wurde am 16. August 1875 in Posen geboren. Seine Mutter Rosalie oder Rosa geb. Wassermann war eine verwitwete Fränkel, bevor sie in zweiter Ehe Isidor Schwersenz, Julians Vater, heiratete. Mit ihm hatte sie noch zwei weitere Söhne, Max und Georg.

Als Julian 10 Jahre alt war, gründete Isidor Schwersenz eine Fabrik für Jutegewebe, in der u.a. Säcke und Planen hergestellt wurden. Vermutlich ein Jahr zuvor, 1884, war die Familie nach Berlin gezogen, Wohnung und Betrieb waren in der Auguststrasse. Julian machte sicherlich eine kaufmännische Ausbildung, denn 1909 wurde er Mitinhaber der Firma, die in „Isidor Schwersenz und Sohn“ umbenannt wurde. Als 1914 Isidor starb, wurde Julian Alleininhaber, seine Brüder verzichteten auf einen Erbanteil an der Fabrik.

Zwei Jahre vorher, 1912, hatte er Franziska Basch geheiratet, von allen Fränze genannt. Franziska war eine Tochter von Max Basch und Amalie, geb. Silber und wurde am 5. Juli 1884 in Freiburg, Schlesien, geboren. Wann sie mit ihren Eltern nach Berlin kam, ist nicht gewiss. 1913 wurde ihre Tochter Ilse geboren, sie sollte das einzige Kind des Paares bleiben. Die junge Familie lebte seit der Heirat in einer gediegenen Wohnung am Alexanderufer 6; die Firma lief gut, wurde in größere Räume am Schiffbauerdamm verlegt.

1915 jedoch wurde Julian „zur Fahne einberufen“ und kam gesundheitlich angeschlagen aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Dennoch prosperierte die Firma weiter, sie soll 20-30 Angestellte gehabt haben, in den 1920er Jahren wurde zur Herstellung von Säcken und Planen noch der Vertrieb von Chemikalien wie Glycerin und Schellack dazugenommen. Die Reichsbahn und der Botanische Garten zählten zu den Kunden. Fränze war als Buchhalterin im Geschäft tätig. Nach 1933 verschlechterte sich die Geschäftslage: große Teile der Kundschaft brachen aus antisemitischen Gründen weg, das Regime führte immer weiter Einschränkungen für jüdische Unternehmen ein. 1936 zogen Schwersenzes in eine vermutlich kleinere (3-Zimmer-) Wohnung in der Schillerstrasse 14/15. Wahrscheinlich wohnte auch Fränzes Vater Max Basch bei ihnen.

1938 wanderte Tochter Ilse nach Palästina aus und heiratete dort im Januar 1939 den ebenfalls aus Berlin emigrierten Musiklehrer Harry Timar. Im Dezember 1938 schrieb Julian an seine Tochter: „... Meine Verdienstmöglichkeiten hören Anfang des Jahres so gut wie ganz auf...“ und in einem Brief von Juli 1939 von Fränze ist zu lesen: „... Vati ist heute zum Gericht gegangen um nun endgültig unsere gute alte 56-jährige Firma löschen zu lassen.“

Am 16. Oktober 1941 wurde von Julian und Franziska Schwersenz, wie auch am gleichen Tag von anderen jüdischen Bewohnern der Schillerstrasse 14/15, eine „Vermögenserklärung“ verlangt, der Vorbote ihrer Deportation. Sie wurde von Julian Schwersenz auffallend minutiös ausgefüllt, offenbar war er Kunstliebhaber und -sammler und legte Wert darauf, davon Zeugnis zu hinterlassen. U. a. führte er 28 Miniaturen auf, 2 alte ägyptische Bronzen und ein „Bruchstück eines Sargnagels einer ägyptischen Mumie“. Auch „ca. 100 Bücher“ sind erwähnt, der amtliche Schätzer fügte hinzu „teilweise verbotene Literatur“. Auch minutiös sind die Ausgaben für den Lebensunterhalt aufgezählt, im ganzen 380 RM im Monat. Julian und Franziska besaßen mehrere tausend Reichsmark, über die sie aber nicht frei verfügen konnten. Die Behörden führten 1940 und 1941 detailliert Buch über alle Ausgaben des Ehepaares, so auch darüber, dass Fränze von einem nach USA emigrierten Verwandten 2000 RM zur Unterhaltung ihres Vaters Max Basch bekommen hatte und davon für 1941 – inklusive Kosten für „Zigarren, Stärkungsmittel, Kekse“ – 1820 RM ausgegeben habe.

Max Basch war 1939 in eine Pension Polke gezogen, ab März 1941 war er vermutlich in einem jüdischen Altenheim untergebracht, sein weiteres Schicksal ist nicht geklärt. Bei dem bescheidenen erlaubten Lebensstandard war im Oktober 1941 noch ein beträchtlicher Teil des Vermögens vorhanden, der, zusammen mit dem Erlös der auf über 2000 RM geschätzten Wohnungseinrichtung, zugunsten des Reiches „eingezogen“ wurde. Die Verfügung darüber bekamen Julian und Fränze pro forma am 27. Oktober 1941 in der als Sammellager missbrauchten ehemaligen Synagoge in der Levetzowstrasse 7-8 zugestellt. Noch am gleichen Tag wurden sie zusammen mit etwa 1000 weiteren Juden – unter ihnen auch weitere Bewohner der Schillerstrasse 14/15 – in das Ghetto Litzmannstadt (Łodz) deportiert.

In dem hoffnungslos überfüllten Ghetto wurden sie hinter Stacheldraht und unter menschenunwürdigen Lebensverhältnissen in einer der Hauptstrassen, der Hohensteinstrasse, „eingesiedelt“ und zur Zwangsarbeit in Munitionsfabriken oder Uniformschneidereien herangezogen, da sie beide für „arbeitsfähig“ befunden wurden. Es gelang ihnen zunächst, trotz dieser Bedingungen den harten Winter 1941/42 zu überleben. Im Oktober 1942 erhielt Ilse Timar, die in Palästina lebende Tochter, einen Rotkreuzbrief mit dem Wortlaut: „Fränze leider verwitwet: Litzmannstadt Getto/Warthegau, Reiterstr. 23 Wohnung 16.21. Eventuelle Weiterwanderung ...“.

Julian Schwersenz war am 10. Mai 1942 an den Lebensumständen im Ghetto gestorben. Fränze war offenbar danach ein anderer Wohnplatz zugewiesen worden. Eine „eventuelle Weiterwanderung“ konnte für Ghettobewohner nur die Verschleppung in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) bedeuten, wo die Deportierten im Mai und September 1942 bei Ankunft in „Speziallastwagen“ mit Auspuffgasen ermordet wurden. Für Franziska Schwersenz kam es nicht mehr dazu: sie starb noch in Łodz am 31. August 1942. Möglich auch, dass sie sich das Leben nahm, um der erneuten Deportation zu entgehen, möglich auch, dass Julian dies getan hatte: die Deportationen nach Chelmno im Frühjahr fanden zwischen 4. und 15. Mai statt. Die Absenderin jenes Rotkreuzbriefes, Käthe Tobias – eine Verwandte oder Freundin – hatte keine Details geben können. Auch sie wurde später ermordet, vermutlich in Treblinka.