Tina Wieruszowski geb. Kutner

Verlegeort
Helmstedter Str. 24
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
13. Oktober 2009
Geboren
19. Februar 1885 in Groß Lassowitz (Schlesien) / Lasowice Wielkie
Deportation
am 03. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Tina Wieruszowski, geb. Kutner stammte aus einer sehr großen Familie: Am 19. Februar 1885 kam sie als eins von mehr als 12 (nach einer Datenbank sogar mehr als 20) Kindern des Kaufmanns Leopold Kutner (1851–1928) und seiner Ehefrau Fanni, geb. Zwirner (1854–1930) auf die Welt. Ihr Geburtsort Groß-Lassowitz im Kreis Rosenberg (heute: Lasowice Wielkie/Polen) war ein Dorf nordöstlich von Oppeln in Oberschlesien. Ihr Vater war Mehlhändler, ihre Mutter stammte aus dem Kreis Kempen/Posen – wie auch die spätere Schwiegermutter von Tina Kutner. Eine Reihe ihrer jüngeren Geschwister wurde in Stubendorf, ebenfalls in der Nähe von Oppeln, geboren: Pauline Martha 1886, Max Marcus 1888, Hermann 1890, Salo 1891, Helene 1893 und Selma 1894. (Die Schwester Helene starb bereits nach knapp zwei Monaten.)

Im neuen Jahrhundert zog die Familie nach Oppeln. Die Stadt an der Oder war ein Verwaltungszentrum, im Unterschied zu den großen Industriestädten Oberschlesiens mit ihren Hütten, Gruben und Fabriken fast (!) idyllisch. Die jüdische Gemeinde besaß seit 1840 eine erste Synagoge. 1897 wurde von Leo Baeck, für kurze Zeit Rabbiner in Oppeln, eine neue Synagoge für die inzwischen groß und einflussreich gewordene Gemeinde eingeweiht.

Die Familie Kutner wohnte in der Falkenberg(er)straße, heute ul. Niemodlinska. 1908 starb dort Tinas Schwester Pauline Martha, von Beruf Kassiererin. .

Am 3. November 1913 heiratete Tina Kutner, die „ohne Beruf“ war, ihren Vetter Salo Wieruszowski. Dieser war am 15. Dezember 1886 in Kempen in der Provinz Posen als Sohn des Fleischers Simon Wieruszowski (1852–1894) und dessen Ehefrau Friederike, geb. Zwirner (1862–1934) auf die Welt gekommen. Zum Zeitpunkt seiner Hochzeit lebte Salo Wieruszowski bereits in Greiffenberg, einer kleinen Stadt in Niederschlesien. Für die Hochzeit reiste er nach Oppeln, in die Heimatstadt seiner Braut – so war es in den jüdischen Familien üblich.

Das junge Ehepaar lebte die nächsten Jahre in der Kleinstadt Greiffenberg. Tina Wieruszowski bekam dort am 4. Juni 1919 ihr erstes Kind, den Sohn Rudi Simon. Ihr zweites Kind, der Sohn Ernst, kam am 19. Dezember 1923 in Breslau, der Hauptstadt der Provinz Schlesien, auf die Welt. Ihr Ehemann war anfangs Mitinhaber und dann Alleininhaber einer Großhandlung für Kurz-, Weiss- und Wollwaren, die später auch Kopfbedeckungen herstellte. Die Familie wohnte viele Jahre in der ersten Etage eines prächtigen (noch immer existierenden) Mietshauses in der Sternstraße 114. – Ihr 1874 geborener Bruder Riben/Reinhold Kutner, der Neurologe und Psychiater geworden war, lebte ebenfalls in Breslau, die Schwager Moritz und Victor (Viktor) Wieruszowski besaßen dort einen Sanitärgroßhandel. – 1928 starb Tinas Vater Leopold und 1920 ihre Mutter Fanni Kutner in Oppeln.

Ehemann Salo Wieruszowski ging zu Beginn der 1930er-Jahre ohne seine Familie nach Berlin. Er hatte die Hutfabrik „Grotehenn & Co GmbH, Hutfabrikation und Großhandel für Kopfbedeckungen“ erworben – eine große und bekannte Firma mit über 100 Beschäftigten, die auch ins Ausland exportierte.

1933/34 folgten ihm seine Ehefrau Tina und die Kinder nach Berlin, und die Familie zog gleich in die Wohnung in der Helmstedter Straße 24.

Die NS-Diktatur bedeutete das Ende der Hutfabrik: 1939 wurde die Firma liquidiert. Ehemann Salo Wieruszowski ist im Berliner Adressbuch 1940 noch ein letztes Mal als Prokurist in der Helmstedter Straße 24 notiert. Der Sohn Rudi Simon konnte ins Ausland emigrieren, nannte sich Rudy S. Weir und lebte schließlich in den USA, der jüngere Sohn Ernst blieb bei den Eltern. 1939 floh Tinas Schwager Viktor Wieruszowski, der mit seiner Familie noch immer in Breslau lebte, aus Deutschland. Er konnte auch seine Familie retten.

Tina Wieruszowskis Ehemann Salo wurde am 27. Mai 1942 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen geschafft. An diesem Tag wurden in Berlin 404 jüdische Männer aus Rache für einen Brandanschlag auf die antisowjetische und rassistische Ausstellung „Das Sowjetparadies“ durch zwei kommunistische Widerstandsgruppen verhaftet – dass unter den Widerstandskämpfern auch Juden waren, hatte die Nationalsozialisten ganz besonders empört. Am 28. und 29. Mai 1942 erschoss man 154 dieser Geiseln und 96 bereits im Lager inhaftierte Juden. Die anderen Geiseln überlebten zwar den Massenmord dieser beiden Tage, starben aber in der folgenden Zeit: Salo Wieruszowski wurde im Oktober 1942 aus Sachsenhausen nach Auschwitz transportiert. In dem Vernichtungslager wurde Salo Wieruszowski am 27. Oktober 1942 ermordet.

Die Familie wohnte zuallerletzt in einem sogenannten Judenhaus in der Knesebeckstraße 70/71.

Tina Wieruszowski und ihr Sohn Ernst wurden am 3. März 1943 im Rahmen der „Fabrikaktion“ aus der Knesebeckstraße nach Auschwitz deportiert und dort ebenfalls ermordet.

Von ihren bekannten Geschwistern konnte der Bruder Reinhold Kutner in die USA entkommen. Ermordet wurden: Hermann Kutner 1942 in Auschwitz, Benno 1943 in Auschwitz, Selma 1944 in Auschwitz, Berta 1942 in Treblinka, Max 1943 in Riga. Sie starben mit ihren Ehemännern, Ehefrauen, Kindern. Schwager Moritz Wieruszowski wurde am 2. April 1943 aus Breslau nach Theresienstadt und von dort Ende September 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo auch er getötet wurde. Schwägerin Minna kam in Theresienstadt um. Allein die Schwägerin Martha konnte sich und ihre vier Kinder ins Ausland retten.