Ernestine Katz geb. Blaustein

Verlegeort
Giesebrechtstr. 17
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
08. Mai 2011
Geboren
15. August 1860 in Łomża
Deportation
am 14. September 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
14. Dezember 1942 im Ghetto Theresienstadt

Ernestine Katz wurde als Ernestine Blaustein am 15. August 1860 in Lomza (polnisch Łomża), 150 km nordöstlich von Warschau, geboren. Als Ernestine auf die Welt kam, gehörte Lomza zu dem sog. „Kongresspolen“, das 1815 auf dem Wiener Kongress konstituiert wurde und das dem zaristischen Russland unterstand. Schon seit dem 16. Jahrhundert hatte sich die Stadt Lomza zu einem bedeutendem jüdischen Zentrum entwickelt. <br />
<br />
Ernestines Eltern waren Abraham und Lina Blaustein. Sie hatte eine 1874 geborene Schwester Clara, ob sie weitere Geschwister hatte, war leider nicht zu ermitteln. Abraham Blaustein, der aus Riga stammte, hatte 1860 in Lomza eine Stelle als Kantor inne. Später war er auch Kantor in Vilna und Mitte der 1870er Jahre übte er diesen Beruf in Bromberg aus. Hier lebte er mit seiner Familie in der Mauerstraße 5. 1877 - Ernestine war 17 Jahre alt - wurde er zum Oberkantor von Bromberg ernannt. Von 1879 an gab er die Zeitschrift „Der jüdische Cantor“ heraus und engagierte sich auch bei der Gründung einer Standesvertretung jüdischer Kantoren.<br />
<br />
Ihr Elternhaus verließ Ernestine, als sie 1881 den drei Jahre älteren Lehrer Max Katz heiratete. Wahrscheinlich verließ sie mit ihm auch Bromberg. Im Juni 1883 kam ihr ältester Sohn Siegfried Salomon in Preußisch Friedland, Kreis Schlochau (heute Debrzno) zur Welt. Max Katz wurde als Lehrer mehrmals versetzt und so wurde 1887 der zweite Sohn Arthur in Antonienhütte, Kreis Kattowitz (heute Wirek) geboren. Zehn Jahre später bekam Ernestine ihren dritten Sohn Hans Georg in Gnesen, heute Gniezno. Max Katz bezeichnete sich inzwischen als Hauptlehrer, 1904 wohnte er mit seiner Familie in der Hornstraße 8. In Gnesen blieben sie bis zu Max’ frühem Tod 1908 - er wurde 50 Jahre alt.<br />
<br />
Ernestine scheint kurz darauf nach Berlin gezogen zu sein. Sohn Arthur heiratete 1910 in Charlottenburg und gab auf der Heiratsurkunde als Adresse bereits die Giesebrechtstraße 17 an und auch, dass seine Mutter wohnhaft in Charlottenburg sei. Im Adressbuch ist sie dort erst 1912 verzeichnet, Gartenhaus, 2. Stock. Entweder wohnte sie zunächst in der Giesebrechtstraße zur Untermiete, oder sie war erst dort später gemeldet. Eine eigene Wohnung hatte laut Adressbuch Arthur (genannt Katz - Foerstner) 1909 in der Joachimsthaler Straße und 1910 in der Nestorstraße. 1913 gründete er den „Deutschen Handels- und Industrie-Verlag“ und bezog zwei Stockwerke in der Markgraf-Albrecht-Straße 14, in einem wohnte er mit seiner Frau Milada, in dem darüber liegenden befanden sich die Büroräume des Verlags.<br />
<br />
Als Hauptlehrerwitwe bekam Ernestine eine Pension und wurde außerdem von ihren Söhnen monatlich finanziell unterstützt, vor allem von Arthur, dessen Verlag sehr gut lief. Unter anderem fanden die von ihm herausgegebenen Wirtschaftshandbücher viel Beachtung und Verbreitung. Mit diesen finanziellen Mitteln konnte Ernestine nicht nur „gut leben“, sondern auch, wie ihr Sohn Arthur betonte, Ersparnisse machen.<br />
<br />
1932 beschloss Arthur in Anbetracht des drohenden Nationalsozialismus, mit seiner Frau nach Frankreich zu ziehen. Der Sitz des Verlages verblieb bei seinem Rechtsanwalt in der Kantstraße 76. Arthur versuchte, von Frankreich aus den Verlag weiter zu betreiben, scheiterte aber weitgehend, da wegen des Judenboykottes Anfang April 1933 bereits zugesagte Anzeigen und Aufträge zurückgenommen wurden. Der spätere Versuch, in Frankreich einen neuen Verlag aufzubauen, wurde durch den Kriegsbeginn vereitelt.<br />
<br />
Ernestine konnte ihren Sohn noch mehrmals treffen. 1935 fuhr sie mit Hans Georg, der inzwischen geschieden war und bei ihr wohnte, zu Besuch zu Arthurs damaligem Wohnsitz in Deauville. Ihr ältester Sohn Siegfried war schon 1929 gestorben. 1937 konnte sie sich, trotz der zunehmenden Einschränkungen für Juden, mit Arthur in Marienbad treffen. Dieses sollte das letzte Mal sein, dass sie sich sahen. Nach den Pogromen im November 1938 wurden die diskriminierenden und erniedrigenden Verordnungen gegen Juden so zahlreich, dass Ernestine keine Freizügigkeit mehr hatte und auch über ihr Vermögen nicht mehr frei verfügen konnte. Falls sie erwogen hatte, zu ihrem Sohn nach Frankreich zu fliehen, war das nach Kriegsbeginn unmöglich geworden. Arthur wurde zunächst als feindlicher Ausländer interniert, nach der deutschen Besetzung durchlief er verschiedene Lager - aus dem vorerst letzten konnte er kurz vor der Deportation der dortigen Juden entkommen und im September 1941 in die nicht besetzte Zone nach Nizza fliehen. <br />
<br />
Inzwischen waren in Berlin Ernestine und Hans Georg im Mai 1941 gezwungen worden, ihre langjährige Wohnung in der Giesebrechtstraße 17 aufzugeben und zur Untermiete bei Julius Rosendorf in die Dortmunder Straße 9 zu ziehen. Juden wurden systematisch aus ihren Wohnungen vertrieben und bei anderen Juden zwangseinquartiert, um so Wohnraum für Nicht-Juden zu schaffen. Ab September 1941 hatte Ernestine mit ihrem Sohn abermals umzuziehen, diesmal in den Kaiserdamm 102.<br />
<br />
Ein Jahr später musste Ernestine erleben, wie ihr Sohn Hans Georg abgeholt wurde, um am 5. September 1942 nach Riga deportiert zu werden. Nur wenige Tage danach wurde sie selbst abgeholt und zunächst in das Sammellager Gerlachstraße 18-21 verbracht, ein kurzfristig umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Von dort wurde sie am 14. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Im gleichen Zug waren auch Else Elkisch und Elise Misch, die Ernestine vermutlich aus der Giesebrechtstraße 17 kannte. Vielleicht konnten sich die Frauen noch gegenseitig Mut zusprechen. Möglich aber auch, dass sie nicht voneinander wussten, denn dieser war ein sogenannter „großer Transport“, er umfasste nicht wie sonst 100 Menschen, sondern 1000 und es dürfte nicht leicht gewesen sein, unter so vielen Menschen Bekannte zu finden.<br />
<br />
Theresienstadt war keineswegs, wie behauptet wurde, ein Alterssitz für einen ruhigen Lebensabend, sondern vielmehr ein Durchgangslager, in dem die Insassen entweder durch die menschenverachtenden Lebensbedingungen - Überfüllung, Hunger, Kälte, Krankheiten aufgrund fataler Hygieneumstände - zu Tode kamen, oder aber weiter in Vernichtungslager verschleppt wurden. Ernestine Katz überlebte diese Zustände nur drei Monate. Die 82-Jährige starb im Lager am 14. Dezember 1942. Im Krematorium Theresienstadt erhielt sie die Nummer 6768.<br />
<br />
In Hans Georgs Deportations-„Transport“ nach Riga, der vom Güterbahnhof Moabit ausging, waren 796 Juden aus Berlin. In Insterburg kamen noch 250 weitere dazu. In Riga angekommen, wurden 80 Männer zur Zwangsarbeit aussortiert, alle anderen wurden erschossen. Von den 80 Männern überlebten nur 6 - einer von ihnen war Hans Georg Katz. Außer dieser erfreulichen Tatsache, konnte nichts über sein weiteres Schicksal ermittelt werden.<br />
<br />
Arthur Katz wurde 1941 in Nizza durch französische Gendarmen der Vichy-Regierung verhaftet und nach 6 Wochen Gefängnis in die Gemeinde Meyssac/Corrèze gewiesen, da Marschall Pétain eine Residenzpflicht für Juden verhängt hatte. Im Februar 1943 - nachdem die Deutschen auch die Südzone Frankreichs besetzt hatten - entkam Arthur Katz dank der Hilfe des Bürgermeisters von Meyssac nur knapp der Verhaftung und Deportation. Er überlebte mit seiner Frau Milada in Frankreich, wo er auch nach dem Krieg blieb.<br />
<br />
Ernestines Schwester Clara hatte sich bereits 1895 mit dem Tabakfabrikanten Norbert Canard aus Kapstadt verlobt, ihn geheiratet und war nach Südafrika gezogen. Dort starb sie im September 1945.<br />
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Ernestine Katz wurde als Ernestine Blaustein am 15. August 1860 in Lomza (polnisch Łomża), 150 km nordöstlich von Warschau, geboren. Als Ernestine auf die Welt kam, gehörte Lomza zu dem sog. „Kongresspolen“, das 1815 auf dem Wiener Kongress konstituiert wurde und das dem zaristischen Russland unterstand. Schon seit dem 16. Jahrhundert hatte sich die Stadt Lomza zu einem bedeutendem jüdischen Zentrum entwickelt.

Ernestines Eltern waren Abraham und Lina Blaustein. Sie hatte eine 1874 geborene Schwester Clara, ob sie weitere Geschwister hatte, war leider nicht zu ermitteln. Abraham Blaustein, der aus Riga stammte, hatte 1860 in Lomza eine Stelle als Kantor inne. Später war er auch Kantor in Vilna und Mitte der 1870er Jahre übte er diesen Beruf in Bromberg aus. Hier lebte er mit seiner Familie in der Mauerstraße 5. 1877 - Ernestine war 17 Jahre alt - wurde er zum Oberkantor von Bromberg ernannt. Von 1879 an gab er die Zeitschrift „Der jüdische Cantor“ heraus und engagierte sich auch bei der Gründung einer Standesvertretung jüdischer Kantoren.

Ihr Elternhaus verließ Ernestine, als sie 1881 den drei Jahre älteren Lehrer Max Katz heiratete. Wahrscheinlich verließ sie mit ihm auch Bromberg. Im Juni 1883 kam ihr ältester Sohn Siegfried Salomon in Preußisch Friedland, Kreis Schlochau (heute Debrzno) zur Welt. Max Katz wurde als Lehrer mehrmals versetzt und so wurde 1887 der zweite Sohn Arthur in Antonienhütte, Kreis Kattowitz (heute Wirek) geboren. Zehn Jahre später bekam Ernestine ihren dritten Sohn Hans Georg in Gnesen, heute Gniezno. Max Katz bezeichnete sich inzwischen als Hauptlehrer, 1904 wohnte er mit seiner Familie in der Hornstraße 8. In Gnesen blieben sie bis zu Max’ frühem Tod 1908 - er wurde 50 Jahre alt.

Ernestine scheint kurz darauf nach Berlin gezogen zu sein. Sohn Arthur heiratete 1910 in Charlottenburg und gab auf der Heiratsurkunde als Adresse bereits die Giesebrechtstraße 17 an und auch, dass seine Mutter wohnhaft in Charlottenburg sei. Im Adressbuch ist sie dort erst 1912 verzeichnet, Gartenhaus, 2. Stock. Entweder wohnte sie zunächst in der Giesebrechtstraße zur Untermiete, oder sie war erst dort später gemeldet. Eine eigene Wohnung hatte laut Adressbuch Arthur (genannt Katz - Foerstner) 1909 in der Joachimsthaler Straße und 1910 in der Nestorstraße. 1913 gründete er den „Deutschen Handels- und Industrie-Verlag“ und bezog zwei Stockwerke in der Markgraf-Albrecht-Straße 14, in einem wohnte er mit seiner Frau Milada, in dem darüber liegenden befanden sich die Büroräume des Verlags.

Als Hauptlehrerwitwe bekam Ernestine eine Pension und wurde außerdem von ihren Söhnen monatlich finanziell unterstützt, vor allem von Arthur, dessen Verlag sehr gut lief. Unter anderem fanden die von ihm herausgegebenen Wirtschaftshandbücher viel Beachtung und Verbreitung. Mit diesen finanziellen Mitteln konnte Ernestine nicht nur „gut leben“, sondern auch, wie ihr Sohn Arthur betonte, Ersparnisse machen.

1932 beschloss Arthur in Anbetracht des drohenden Nationalsozialismus, mit seiner Frau nach Frankreich zu ziehen. Der Sitz des Verlages verblieb bei seinem Rechtsanwalt in der Kantstraße 76. Arthur versuchte, von Frankreich aus den Verlag weiter zu betreiben, scheiterte aber weitgehend, da wegen des Judenboykottes Anfang April 1933 bereits zugesagte Anzeigen und Aufträge zurückgenommen wurden. Der spätere Versuch, in Frankreich einen neuen Verlag aufzubauen, wurde durch den Kriegsbeginn vereitelt.

Ernestine konnte ihren Sohn noch mehrmals treffen. 1935 fuhr sie mit Hans Georg, der inzwischen geschieden war und bei ihr wohnte, zu Besuch zu Arthurs damaligem Wohnsitz in Deauville. Ihr ältester Sohn Siegfried war schon 1929 gestorben. 1937 konnte sie sich, trotz der zunehmenden Einschränkungen für Juden, mit Arthur in Marienbad treffen. Dieses sollte das letzte Mal sein, dass sie sich sahen. Nach den Pogromen im November 1938 wurden die diskriminierenden und erniedrigenden Verordnungen gegen Juden so zahlreich, dass Ernestine keine Freizügigkeit mehr hatte und auch über ihr Vermögen nicht mehr frei verfügen konnte. Falls sie erwogen hatte, zu ihrem Sohn nach Frankreich zu fliehen, war das nach Kriegsbeginn unmöglich geworden. Arthur wurde zunächst als feindlicher Ausländer interniert, nach der deutschen Besetzung durchlief er verschiedene Lager - aus dem vorerst letzten konnte er kurz vor der Deportation der dortigen Juden entkommen und im September 1941 in die nicht besetzte Zone nach Nizza fliehen.

Inzwischen waren in Berlin Ernestine und Hans Georg im Mai 1941 gezwungen worden, ihre langjährige Wohnung in der Giesebrechtstraße 17 aufzugeben und zur Untermiete bei Julius Rosendorf in die Dortmunder Straße 9 zu ziehen. Juden wurden systematisch aus ihren Wohnungen vertrieben und bei anderen Juden zwangseinquartiert, um so Wohnraum für Nicht-Juden zu schaffen. Ab September 1941 hatte Ernestine mit ihrem Sohn abermals umzuziehen, diesmal in den Kaiserdamm 102.

Ein Jahr später musste Ernestine erleben, wie ihr Sohn Hans Georg abgeholt wurde, um am 5. September 1942 nach Riga deportiert zu werden. Nur wenige Tage danach wurde sie selbst abgeholt und zunächst in das Sammellager Gerlachstraße 18-21 verbracht, ein kurzfristig umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Von dort wurde sie am 14. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Im gleichen Zug waren auch Else Elkisch und Elise Misch, die Ernestine vermutlich aus der Giesebrechtstraße 17 kannte. Vielleicht konnten sich die Frauen noch gegenseitig Mut zusprechen. Möglich aber auch, dass sie nicht voneinander wussten, denn dieser war ein sogenannter „großer Transport“, er umfasste nicht wie sonst 100 Menschen, sondern 1000 und es dürfte nicht leicht gewesen sein, unter so vielen Menschen Bekannte zu finden.

Theresienstadt war keineswegs, wie behauptet wurde, ein Alterssitz für einen ruhigen Lebensabend, sondern vielmehr ein Durchgangslager, in dem die Insassen entweder durch die menschenverachtenden Lebensbedingungen - Überfüllung, Hunger, Kälte, Krankheiten aufgrund fataler Hygieneumstände - zu Tode kamen, oder aber weiter in Vernichtungslager verschleppt wurden. Ernestine Katz überlebte diese Zustände nur drei Monate. Die 82-Jährige starb im Lager am 14. Dezember 1942. Im Krematorium Theresienstadt erhielt sie die Nummer 6768.

In Hans Georgs Deportations-„Transport“ nach Riga, der vom Güterbahnhof Moabit ausging, waren 796 Juden aus Berlin. In Insterburg kamen noch 250 weitere dazu. In Riga angekommen, wurden 80 Männer zur Zwangsarbeit aussortiert, alle anderen wurden erschossen. Von den 80 Männern überlebten nur 6 - einer von ihnen war Hans Georg Katz. Außer dieser erfreulichen Tatsache, konnte nichts über sein weiteres Schicksal ermittelt werden.

Arthur Katz wurde 1941 in Nizza durch französische Gendarmen der Vichy-Regierung verhaftet und nach 6 Wochen Gefängnis in die Gemeinde Meyssac/Corrèze gewiesen, da Marschall Pétain eine Residenzpflicht für Juden verhängt hatte. Im Februar 1943 - nachdem die Deutschen auch die Südzone Frankreichs besetzt hatten - entkam Arthur Katz dank der Hilfe des Bürgermeisters von Meyssac nur knapp der Verhaftung und Deportation. Er überlebte mit seiner Frau Milada in Frankreich, wo er auch nach dem Krieg blieb.

Ernestines Schwester Clara hatte sich bereits 1895 mit dem Tabakfabrikanten Norbert Canard aus Kapstadt verlobt, ihn geheiratet und war nach Südafrika gezogen. Dort starb sie im September 1945.