Lucie Freund geb. Lachmann

Verlegeort
Bamberger Str. 27
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
23. Oktober 2012
Geboren
24. Oktober 1884 in Glogau (Schlesien) / Głogów
Flucht in den Tod
19. Januar 1943 in Berlin

Bei der Verlegung hielt einer der Miteigentümer des Hauses Bamberger Straße 37, Peter Jahn, zum Gedenken an die vier Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns diese Ansprache:<br />
<br />
„Liebe Nachbarn, Mitbewohner, Mitbürger,<br />
<br />
heute realisieren wir, was wir vor einiger Zeit beschlossen hatten, und was vor uns schon viele in Berlin, in Deutschland getan haben: Mit den jetzt versenkten Stolpersteinen wollen wir an die Nachbarn, Bewohner des Hauses, die Mitbürger dauerhaft erinnern, die wegen ihrer jüdischen Herkunft, egal ob sie orthodoxe oder liberale Gläubige, ob sie getauft, glaubenslos oder kämpferische Atheisten waren, von den Nazis zu „Juden“ erklärt wurden, die ohne Unterschied überall in Europa vernichtet, das heißt ermordet werden sollten. Für die jüdischen Nachbarn dieses Hauses Bamberger Straße 27 war dieser Zeitpunkt im Januar und dann im Mai 1943 gekommen.<br />
<br />
Wir erinnern mit den Stolpersteinen<br />
<br />
– an Lucie Freund, geborene Lachmann, die am 24. Oktober 1884 Glogau geboren wurde und seit 1914 mit ihrem Ehemann, dem Kaufmann Herrmann Freund, in diesem Haus wohnte. Er starb 1936, Lucie Freund erhielt am 18. Januar 1943 den Deportationsbefehl und tötete sich selbst einen Tag später.<br />
<br />
– an Margarete Goldberg, die am 17. Juli 1894 in Elberfeld geboren wurde und seit 1939 in diesem Haus wohnte. Sie nahm sich am 21. Januar 1943 das Leben, bevor sie abtransportiert werden konnte.<br />
<br />
– an den Arzt und Universitätsprofessor Dr. Ernst Herzfeld, geboren am 24. Februar 1880 in Wilmersdorf, der seit 1910 im Vorderhaus im 2. Stock links wohnte. Er wurde am 17. Mai 1943 vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert, dann nach Auschwitz weitertransportiert und dort ermordet.<br />
<br />
– an seinen Bruder, den Kaufmann Walter Herzfeld, der 1883 ebenfalls in Wilmersdorf geboren wurde und hier zusammen mit seinem Bruder lebte. Auch er wurde am 17. Mai 1943 nach Auschwitz transportiert und dort ermordet.<br />
<br />
Mit den Stolpersteinen erinnern wir an vier Nachbarn – Mitbewohner dieses Hauses, denen Ungeheuerliches angetan wurde. In Berlin finden sich inzwischen einige Tausend dieser Gedenksteine, in Deutschland über 30 000. Auch schon diese Dimension von 30 000 Ermordeten ist nicht fassbar, wenn wir versuchen, den Schicksalen der einzelnen Opfer nahezukommen. Noch weniger kann es gelingen, etwas zu erfassen von den Schicksalen aller über 200 000 ermordeten deutschen Juden. Aber auch sie machen ja nicht einmal fünf Prozent aller jüdischen Opfer der NS-Mordpolitik in Europa aus. Seit wir alle irgendwann einmal in unserem Leben mit diesem Jahrhundertverbrechen konfrontiert wurden, wissen wir, dass unser Fassungsvermögen jenseits der puren Ziffern – sechs Millionen – dem nicht gewachsen ist. Und ist Empathie in das Schicksal der ermordeten Nachbarn – dem Arzt, dem Kaufmann, der bürgerlichen Witwe – noch in der Analogie herzustellen – wie sieht es denn mit dem Textilarbeiter aus Lodz, dem Handwerker aus Shitomir, dem Ingenieur aus Minsk aus? Wie nah können sie, die in Osteuropa die meisten Opfer zu beklagen hatten, uns kommen?<br />
<br />
Und wir sollten auch nicht vergessen: Zu dem Äußersten, dem hochorganisierten arbeitsteiligen Massenmord, führte ja noch ein langer Weg des Hasses, der Schikane, der Diskriminierung und der Ausgrenzung, ohne den ein Völkermord gar nicht realisierbar gewesen wäre. In unserem Viertel findet sich das vielleicht beste Denkmal, das diesen Weg zum Völkermord an den Juden, darunter auch unsere Nachbarn, deutlich macht. Die Tafeln in den umliegenden Straßen mit Symbolen auf der einen und den Verordnungen und Gesetzen zur schrittweisen Ausgrenzung und Diskriminierung auf der anderen Seite machen den Schrecken deutlich, der schon lange vor dem Mord selbst diesen schrittweise vorbereitet hatte.<br />
<br />
Und schließlich möchte ich auch noch das vielleicht Schwierigste ansprechen: Die meisten hier – und in Deutschland überhaupt – sind Kinder oder Enkelkinder: der Täter, der zahlreichen Mittäter, der so vielen die Verbrechen Billigenden, der ebenso vielen, die den Mord für zu weitgehend, aber die Diskriminierung durchaus berechtigt fanden, derjenigen, die damit nichts zu tun haben wollten. Und nur wenige können sich an einen Vorfahren erinnern, der aktiv den Opfern zu helfen suchte. Damit müssen wir leben, „die Nazis“ waren nicht von einem fremden Stern gekommen, und eine sentimentale Identifikation mit den Opfern befreit uns nicht von der eigenen, der deutschen Verantwortung. Dem muss sich jede Generation neu stellen.“

Bei der Verlegung hielt einer der Miteigentümer des Hauses Bamberger Straße 37, Peter Jahn, zum Gedenken an die vier Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns diese Ansprache:

„Liebe Nachbarn, Mitbewohner, Mitbürger,

heute realisieren wir, was wir vor einiger Zeit beschlossen hatten, und was vor uns schon viele in Berlin, in Deutschland getan haben: Mit den jetzt versenkten Stolpersteinen wollen wir an die Nachbarn, Bewohner des Hauses, die Mitbürger dauerhaft erinnern, die wegen ihrer jüdischen Herkunft, egal ob sie orthodoxe oder liberale Gläubige, ob sie getauft, glaubenslos oder kämpferische Atheisten waren, von den Nazis zu „Juden“ erklärt wurden, die ohne Unterschied überall in Europa vernichtet, das heißt ermordet werden sollten. Für die jüdischen Nachbarn dieses Hauses Bamberger Straße 27 war dieser Zeitpunkt im Januar und dann im Mai 1943 gekommen.

Wir erinnern mit den Stolpersteinen

– an Lucie Freund, geborene Lachmann, die am 24. Oktober 1884 Glogau geboren wurde und seit 1914 mit ihrem Ehemann, dem Kaufmann Herrmann Freund, in diesem Haus wohnte. Er starb 1936, Lucie Freund erhielt am 18. Januar 1943 den Deportationsbefehl und tötete sich selbst einen Tag später.

– an Margarete Goldberg, die am 17. Juli 1894 in Elberfeld geboren wurde und seit 1939 in diesem Haus wohnte. Sie nahm sich am 21. Januar 1943 das Leben, bevor sie abtransportiert werden konnte.

– an den Arzt und Universitätsprofessor Dr. Ernst Herzfeld, geboren am 24. Februar 1880 in Wilmersdorf, der seit 1910 im Vorderhaus im 2. Stock links wohnte. Er wurde am 17. Mai 1943 vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert, dann nach Auschwitz weitertransportiert und dort ermordet.

– an seinen Bruder, den Kaufmann Walter Herzfeld, der 1883 ebenfalls in Wilmersdorf geboren wurde und hier zusammen mit seinem Bruder lebte. Auch er wurde am 17. Mai 1943 nach Auschwitz transportiert und dort ermordet.

Mit den Stolpersteinen erinnern wir an vier Nachbarn – Mitbewohner dieses Hauses, denen Ungeheuerliches angetan wurde. In Berlin finden sich inzwischen einige Tausend dieser Gedenksteine, in Deutschland über 30 000. Auch schon diese Dimension von 30 000 Ermordeten ist nicht fassbar, wenn wir versuchen, den Schicksalen der einzelnen Opfer nahezukommen. Noch weniger kann es gelingen, etwas zu erfassen von den Schicksalen aller über 200 000 ermordeten deutschen Juden. Aber auch sie machen ja nicht einmal fünf Prozent aller jüdischen Opfer der NS-Mordpolitik in Europa aus. Seit wir alle irgendwann einmal in unserem Leben mit diesem Jahrhundertverbrechen konfrontiert wurden, wissen wir, dass unser Fassungsvermögen jenseits der puren Ziffern – sechs Millionen – dem nicht gewachsen ist. Und ist Empathie in das Schicksal der ermordeten Nachbarn – dem Arzt, dem Kaufmann, der bürgerlichen Witwe – noch in der Analogie herzustellen – wie sieht es denn mit dem Textilarbeiter aus Lodz, dem Handwerker aus Shitomir, dem Ingenieur aus Minsk aus? Wie nah können sie, die in Osteuropa die meisten Opfer zu beklagen hatten, uns kommen?

Und wir sollten auch nicht vergessen: Zu dem Äußersten, dem hochorganisierten arbeitsteiligen Massenmord, führte ja noch ein langer Weg des Hasses, der Schikane, der Diskriminierung und der Ausgrenzung, ohne den ein Völkermord gar nicht realisierbar gewesen wäre. In unserem Viertel findet sich das vielleicht beste Denkmal, das diesen Weg zum Völkermord an den Juden, darunter auch unsere Nachbarn, deutlich macht. Die Tafeln in den umliegenden Straßen mit Symbolen auf der einen und den Verordnungen und Gesetzen zur schrittweisen Ausgrenzung und Diskriminierung auf der anderen Seite machen den Schrecken deutlich, der schon lange vor dem Mord selbst diesen schrittweise vorbereitet hatte.

Und schließlich möchte ich auch noch das vielleicht Schwierigste ansprechen: Die meisten hier – und in Deutschland überhaupt – sind Kinder oder Enkelkinder: der Täter, der zahlreichen Mittäter, der so vielen die Verbrechen Billigenden, der ebenso vielen, die den Mord für zu weitgehend, aber die Diskriminierung durchaus berechtigt fanden, derjenigen, die damit nichts zu tun haben wollten. Und nur wenige können sich an einen Vorfahren erinnern, der aktiv den Opfern zu helfen suchte. Damit müssen wir leben, „die Nazis“ waren nicht von einem fremden Stern gekommen, und eine sentimentale Identifikation mit den Opfern befreit uns nicht von der eigenen, der deutschen Verantwortung. Dem muss sich jede Generation neu stellen.“