Martha Korngold geb. Hecht

Verlegeort
Leibnizstr. 57
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
12. Mai 2006
Geboren
25. Juni 1878 in Klein-Chelm / Mały Chełm
Flucht
2. Juni 1939 Flucht in die Niederlande
Verhaftet
01. Juni 1943 bis 01. Februar 1944 im Lager Westerbork
Deportation
am 01. Februar 1944 nach Bergen-Belsen
Später deportiert
am 10. April 1945 nach Theresienstadt
Für tot erklärt
24. April 1945 in Tröbitz (im "Verlorenen Zug")

Das Ehepaar Martha und Paul Korngold gehörte zum wohlhabenden Teil der jüdischen Gemeinde in Berlin-Charlottenburg. Zusammen mit ihren vier Kindern Carla, Heinz, Ingeborg und dem adoptierten Hermann lebten die Korngolds in einer großzügig ausgelegten Wohnung im zweiten Stock in der Leibnizstraße 57. Grundlage des Wohlstandes waren zwei Möbelfabriken, die von Marthas Bruder Richard Hecht zusammen mit Paul Korngold geleitet wurden. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete das Glück. Das Schicksal von Martha und Paul Korngold ist vor allem deshalb berührend, weil sie Emigration und das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebten, um schließlich kurz vor Ende der Nazi-Herrschaft dennoch im sogenannten „verlorenen Zug“ zu sterben.<br />
<br />
Paul Feivel Korngold wurde am 13. März 1885 im galizischen Biadoliny im Kreis Tarnów geboren, heute polnisches Staatsgebiet. Seine Mutter hieß mit Vornamen Esther, sein Vater Wolf. Noch vor der Jahrhundertwende zog die Familie nach Berlin. Hier heiratete Paul Martha Hecht, die sieben Jahre älter als er war. Sie hatte am 25. Juni 1878 im schlesischen Klein-Chelm (heute: Mały Chełm/Polen) das Licht der Welt erblickt. (Die zu den Stolperstein-Aufschriften leicht abweichenden Geburtsjahre erklären sich durch zunächst ungenaue Angaben von Angehörigen gegenüber der Datenbank von YadVashem. Inzwischen hat das Bundesarchiv die Daten korrigiert). 1914 gründete Pauls Schwager Richard Hecht die Möbelfabriken „Richard Hecht & Co“ und nahm Paul in die Geschäftsführung auf. Die Fabriken befanden sich am Küstriner Platz 4 sowie in der Fruchtstraße in Friedrichshain.<br />
<br />
Als die Inflation begann, kauften Paul und Richard das Landgut „Waldfrieden“ am Scharmützelsee, auf dem die weitverzweigte Familie immer wieder unbeschwerte Ferien verbrachte. Eine Verwandte von Martha, Margot Friedländer, schreibt in ihrem Buch „Versuche, dein Leben zu machen“ (Rowohlt-Verlag): „Wenn wir am Sommeranfang mit einer Wagenladung voller Koffer und unserem Dienstmädchen ins Waldgut zogen, kam es mir so vor, als müssten wir nie mehr in die Stadt zurück. Am Scharmützelsee gab es keine Langeweile, schließlich hatte ich neun Onkel und zwei Tanten, und daher eine Menge Vettern und Cousinen, mit denen wir spielen, schwimmen und Bootsausflüge machen konnten.“<br />
<br />
Auch zu Hause in der Leibnizstraße wurde ein geselliges Leben geführt. Die Korngolds galten als großzügig und gastfreundlich. Und natürlich brachten die vier Kinder immer reichlich Freunde ins Haus. Besonders strenggläubig war man im Hause Korngold nicht. Margot Friedländer. „Wir feierten nicht nur die jüdischen Feste. Dezember – das war für uns nicht allein die Zeit von Chanukka, dem Lichterfest, sondern auch die Weihnachtszeit. Zumindest bei Onkel Paul und Tante Martha und ihren Kindern in der Leibnizstraße wurde jedes Jahr ein riesiger, üppig geschmückter Weihnachtsbaum aufgestellt – „für die christlichen Dienstboten“, hieß es offiziell. Doch auch wir Kinder bekamen am ersten Weihnachtstag bunte Teller mit Nüssen, Süßigkeiten und Geschenken. „Weihnukka“ nannten wir diese Zeit.“<br />
<br />
Mit der Machtübernahme Hitlers zogen auch über dieser jüdischen Familie dunkle Wolken auf. Berufsverbote und wirtschaftliche Einschränkungen machten ihr zu schaffen, Perspektiven für eine gute Zukunft gab es nicht. Das Waldgut wurde in einer Sommerpension umgewandelt, die Möbelfabrik 1941 liquidiert. Alle vier Kinder von Martha und Paul hatten schon zuvor Deutschland verlassen und in den USA ihr Überleben und ihr Glück gesucht.<br />
<br />
Das Ehepaar Korngold emigrierte Anfang Juni 1939 gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des Zweites Weltkrieges in die Niederlande. Dorthin war schon früh Marthas Bruder Georg gegangen, der nun die ganze Familie nachholte. In Hilversum hatte ein anderer Bruder – Erich – eine kleine Pension aufgemacht. Dort beherbergte er große Teile der Familien Korngold und Hecht.<br />
<br />
Nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen war dieses Refugium nicht mehr sicher. Jeden Tag wurden jüdische Emigranten verhaftet. Martha und Paul Korngold traf es am 1. Juni 1943. Zusammen mit ihren Verwandten aus der Villa wurden sie von der Gestapo und ihren niederländischen Helfern „abgeholt“ und in das von den Nazis eingerichtete Durchgangslager Westerbork gebracht. Acht Monate lang blieben sie dort, immer zwischen Hoffen und Bangen. Am 1. Februar 1944 wurden sie in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Es folgten viele Monate, die von Hunger, Krankheiten und alltäglichen Demütigungen geprägt waren.<br />
<br />
Kurz vor Kriegsende, im April 1945, verließen drei Züge Bergen-Belsen mit insgesamt 6800 ausgemergelten Häftlingen. Ihr Ziel: Theresienstadt. Die Nazis wollten Bergen-Belsen evakuieren, um den näher rückenden Siegerarmeen das Ausmaß des Schreckens zu verheimlichen. Im letzten dieser Züge befanden sich, zusammen mit rund 2400 Gefangenen, Martha und Paul Korngold.<br />
<br />
Doch wohin mit all den Menschen? Ein Durchkommen nach Theresienstadt gab es nicht mehr. Von der einen Seite kamen die Amerikaner, von der anderen die Russen. Tagelang irrte der Zug durch Deutschland; Tiefflieger beschossen ihn, immer wieder wurde er in völlig zerstörte Ortschaften umgeleitet. Im Zug wüteten Hunger und Typhus. Am 23. April 1945 strandete er schließlich in Tröbitz, einer kleinen Stadt im Süden Brandenburgs. Soldaten der Roten Armee, die den Zug befreiten, bot sich ein Bild des Schreckens: Hunderte von Toten. Und Überlebende, die vom nahen Tod gezeichnet waren.<br />
<br />
Auch für Martha Korngold endete die Fahrt im „verlorenen Zug“ mit dem Tod. Sie starb einen Tag vor der Befreiung der Zuges an den Folgen des Typhus. Am 24. April 1944 wurde sie für tot erklärt und in einem Massengrab beigesetzt. Ihr Mann Paul überlebte sie nur um drei Wochen. Mit anderen Schicksalsgefährten hatte man ihn zunächst in Tröbitz untergebracht. Aber er war zu schwach, um wieder zu genesen. Am 14. Mai 1945 starb Paul Korngold.

Das Ehepaar Martha und Paul Korngold gehörte zum wohlhabenden Teil der jüdischen Gemeinde in Berlin-Charlottenburg. Zusammen mit ihren vier Kindern Carla, Heinz, Ingeborg und dem adoptierten Hermann lebten die Korngolds in einer großzügig ausgelegten Wohnung im zweiten Stock in der Leibnizstraße 57. Grundlage des Wohlstandes waren zwei Möbelfabriken, die von Marthas Bruder Richard Hecht zusammen mit Paul Korngold geleitet wurden. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete das Glück. Das Schicksal von Martha und Paul Korngold ist vor allem deshalb berührend, weil sie Emigration und das Konzentrationslager Bergen-Belsen überlebten, um schließlich kurz vor Ende der Nazi-Herrschaft dennoch im sogenannten „verlorenen Zug“ zu sterben.

Paul Feivel Korngold wurde am 13. März 1885 im galizischen Biadoliny im Kreis Tarnów geboren, heute polnisches Staatsgebiet. Seine Mutter hieß mit Vornamen Esther, sein Vater Wolf. Noch vor der Jahrhundertwende zog die Familie nach Berlin. Hier heiratete Paul Martha Hecht, die sieben Jahre älter als er war. Sie hatte am 25. Juni 1878 im schlesischen Klein-Chelm (heute: Mały Chełm/Polen) das Licht der Welt erblickt. (Die zu den Stolperstein-Aufschriften leicht abweichenden Geburtsjahre erklären sich durch zunächst ungenaue Angaben von Angehörigen gegenüber der Datenbank von YadVashem. Inzwischen hat das Bundesarchiv die Daten korrigiert). 1914 gründete Pauls Schwager Richard Hecht die Möbelfabriken „Richard Hecht & Co“ und nahm Paul in die Geschäftsführung auf. Die Fabriken befanden sich am Küstriner Platz 4 sowie in der Fruchtstraße in Friedrichshain.

Als die Inflation begann, kauften Paul und Richard das Landgut „Waldfrieden“ am Scharmützelsee, auf dem die weitverzweigte Familie immer wieder unbeschwerte Ferien verbrachte. Eine Verwandte von Martha, Margot Friedländer, schreibt in ihrem Buch „Versuche, dein Leben zu machen“ (Rowohlt-Verlag): „Wenn wir am Sommeranfang mit einer Wagenladung voller Koffer und unserem Dienstmädchen ins Waldgut zogen, kam es mir so vor, als müssten wir nie mehr in die Stadt zurück. Am Scharmützelsee gab es keine Langeweile, schließlich hatte ich neun Onkel und zwei Tanten, und daher eine Menge Vettern und Cousinen, mit denen wir spielen, schwimmen und Bootsausflüge machen konnten.“

Auch zu Hause in der Leibnizstraße wurde ein geselliges Leben geführt. Die Korngolds galten als großzügig und gastfreundlich. Und natürlich brachten die vier Kinder immer reichlich Freunde ins Haus. Besonders strenggläubig war man im Hause Korngold nicht. Margot Friedländer. „Wir feierten nicht nur die jüdischen Feste. Dezember – das war für uns nicht allein die Zeit von Chanukka, dem Lichterfest, sondern auch die Weihnachtszeit. Zumindest bei Onkel Paul und Tante Martha und ihren Kindern in der Leibnizstraße wurde jedes Jahr ein riesiger, üppig geschmückter Weihnachtsbaum aufgestellt – „für die christlichen Dienstboten“, hieß es offiziell. Doch auch wir Kinder bekamen am ersten Weihnachtstag bunte Teller mit Nüssen, Süßigkeiten und Geschenken. „Weihnukka“ nannten wir diese Zeit.“

Mit der Machtübernahme Hitlers zogen auch über dieser jüdischen Familie dunkle Wolken auf. Berufsverbote und wirtschaftliche Einschränkungen machten ihr zu schaffen, Perspektiven für eine gute Zukunft gab es nicht. Das Waldgut wurde in einer Sommerpension umgewandelt, die Möbelfabrik 1941 liquidiert. Alle vier Kinder von Martha und Paul hatten schon zuvor Deutschland verlassen und in den USA ihr Überleben und ihr Glück gesucht.

Das Ehepaar Korngold emigrierte Anfang Juni 1939 gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des Zweites Weltkrieges in die Niederlande. Dorthin war schon früh Marthas Bruder Georg gegangen, der nun die ganze Familie nachholte. In Hilversum hatte ein anderer Bruder – Erich – eine kleine Pension aufgemacht. Dort beherbergte er große Teile der Familien Korngold und Hecht.

Nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen war dieses Refugium nicht mehr sicher. Jeden Tag wurden jüdische Emigranten verhaftet. Martha und Paul Korngold traf es am 1. Juni 1943. Zusammen mit ihren Verwandten aus der Villa wurden sie von der Gestapo und ihren niederländischen Helfern „abgeholt“ und in das von den Nazis eingerichtete Durchgangslager Westerbork gebracht. Acht Monate lang blieben sie dort, immer zwischen Hoffen und Bangen. Am 1. Februar 1944 wurden sie in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Es folgten viele Monate, die von Hunger, Krankheiten und alltäglichen Demütigungen geprägt waren.

Kurz vor Kriegsende, im April 1945, verließen drei Züge Bergen-Belsen mit insgesamt 6800 ausgemergelten Häftlingen. Ihr Ziel: Theresienstadt. Die Nazis wollten Bergen-Belsen evakuieren, um den näher rückenden Siegerarmeen das Ausmaß des Schreckens zu verheimlichen. Im letzten dieser Züge befanden sich, zusammen mit rund 2400 Gefangenen, Martha und Paul Korngold.

Doch wohin mit all den Menschen? Ein Durchkommen nach Theresienstadt gab es nicht mehr. Von der einen Seite kamen die Amerikaner, von der anderen die Russen. Tagelang irrte der Zug durch Deutschland; Tiefflieger beschossen ihn, immer wieder wurde er in völlig zerstörte Ortschaften umgeleitet. Im Zug wüteten Hunger und Typhus. Am 23. April 1945 strandete er schließlich in Tröbitz, einer kleinen Stadt im Süden Brandenburgs. Soldaten der Roten Armee, die den Zug befreiten, bot sich ein Bild des Schreckens: Hunderte von Toten. Und Überlebende, die vom nahen Tod gezeichnet waren.

Auch für Martha Korngold endete die Fahrt im „verlorenen Zug“ mit dem Tod. Sie starb einen Tag vor der Befreiung der Zuges an den Folgen des Typhus. Am 24. April 1944 wurde sie für tot erklärt und in einem Massengrab beigesetzt. Ihr Mann Paul überlebte sie nur um drei Wochen. Mit anderen Schicksalsgefährten hatte man ihn zunächst in Tröbitz untergebracht. Aber er war zu schwach, um wieder zu genesen. Am 14. Mai 1945 starb Paul Korngold.