Siegbert Wenik

Verlegeort
Savignyplatz 4
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
07. Juni 2011
Geboren
25. April 1921 in Tilsit / Sowetsk
Zwangsarbeit
Dreher (Erich & Graetz)
Deportation
am 15. August 1942 nach Riga
Ermordet
18. August 1942 in Riga

Siegbert Wenik kam am 25. April 1921 in Tilsit/Ostpreußen (heute Sovetsk/Russische Föderation) auf die Welt. Dort verbrachte er auch den größten Teil seines Lebens. <br />
Sein Vater, der Kaufmann Julius Wenik (1886–1942), stammte aus der Kleinstadt Schirwindt an der Grenze zu Litauen. Dort lebten noch immer Verwandte als Lebensmittel- und Textilhändler, andere waren in die größeren Städte gezogen. Julius Wenik hatte 1919 die aus dem Kreis Ortelsburg stammende Ida Zelasnitzky (1892–1942) geheiratet und im selben Jahr in Tilsit mit einem Kompagnon die Firma Leiner & Wenik, ein großes Bekleidungsgeschäft mit eigener Maßschneiderei, eröffnet. Siegberts Großeltern und zwei der vier Onkel mütterlicherseits lebten in Allenstein, wo sie als Holzhändler arbeiteten und auch von den Enkelkindern besucht wurden. Die Großeltern starben in Allenstein. Die vier Onkel konnten sich Ende der 1930er-Jahre vor den Nationalsozialisten ins Ausland retten.<br />
Am 21. Mai 1923 kamen Siegberts Schwester Hanna Renate und am 25. April 1928 die Schwester Lieselotte auf die Welt. Die Familie wohnte Mitte der 1920er-Jahre in der Fabrikstraße. Später besaß der Vater Julius Wenik ein Haus in der Oberbürgermeister-Pohl-Promenade 27, einer Promenade am idyllischen Schlossteich der Stadt. Dort sollte die Familie in den folgenden Jahren leben. Wie die Schulzeit und Jugend von Siegbert Wenik ausgesehen hat, ist nicht bekannt.<br />
Sein Vater verließ 1934 die Firma Leiner & Wernik und wurde Mitinhaber und 1935 Alleininhaber des Textilgeschäftes Wenik & Alterthum. Am 30. Mai 1938 wurde das Geschäft von dem Kaufmann und Gastwirt Robert Noetzel „übernommen“. Im November 1938 wurden auch in Tilsit die Synagoge in Brand gesteckt und die Geschäfte jüdischer Inhaberinnen und Inhaber demoliert. Laut Adressbuch für das Jahr 1939 wohnte die Familie Wenik noch immer im eigenen Haus an der Oberbürgermeister-Pohl-Promenade 27. Siegbert Wenik war anscheinend schon berufstätig: Im Adressbuch ist er im Haus seines Vaters mit dem Beruf „Seifensieder“ verzeichnet – eine Seifenfabrik gab es in der Nähe, dort könnte er gearbeitet haben. Im Frühjahr 1939 mussten viele Tilsiter Juden ihre Häuser verlassen. Auch die Familie Wernik lebte während der Volkszählung im Mai 1939 nicht mehr im eigenen Haus, sondern in der Deutschen Straße 59. <br />
Ungefähr im Herbst 1939 verließen die Eltern Wernik mit Sohn Siegfried und ihren beiden Töchtern die Heimat Ostpreußen und gingen nach Berlin. Es begann ein Leben zur Untermiete bei anderen Juden. (Dabei bleibt vieles unklar, Daten widersprechen sich, es gibt Lücken, es bleibt die Frage nach dem letzten freiwillig gewählten Wohnsitz.) Nach den wenigen erhaltenen Dokumenten wechselte die Familie zweimal die Wohnung: Zuerst wohnte sie im Bezirk Wilmersdorf in der Sächsischen Straße 7 bei der jüdischen Witwe und Rentiere Ida Jolowicz. Dann zog sie nach Charlottenburg und wohnte dort zur Untermiete bei dem Kaufmann Max Bergwerk in der Bleibtreustraße 17. (Max Bergwerk wurde mit Ehefrau und Tochter am 30. November 1941 nach Riga deportiert.) Die Familie Wenik zog wieder um und fand eine Bleibe bei Martha Treitel (1858–1942) und ihrer Tochter Margarethe (1878–1969) im dritten Stock des Hauses Savignyplatz 4 in Charlottenburg. Untermieter von Martha Treitel können die Weniks nur kurze Zeit gewesen sein: Im Juni 1942 wurden Mutter und Tochter nach Theresienstadt deportiert. Wer war nun der Hauptmieter?<br />
Julius Wenik musste als Lagerarbeiter Zwangsarbeit leisten. Lieselotte, das jüngste Kind, ging noch bis Ende März 1942 zur Schule. Was tat Hanna Renate? Siegbert Wenik hatte wohl anfangs eine „Chemieschule“ (so eine Karteikarte der Reichsvereinigung der Juden) besucht. Später wurde er als Dreher zur Zwangsarbeit bei Ehrich & Graetz verpflichtet, einer Metall- und Elektrofirma in der Elsenstraße 87–96 im Bezirk Treptow. Am 26. Oktober 1941 hatte Siegbert Wenik „laut Besichtigungsbericht der Norddeutschen Metall- Berufsgenossenschaft Berlin vom 26. November 1942 (?) einen Arbeitsunfall an der Drehbank“. – Sein Photo fand sich in einer von zwei Mitarbeiterinnen der Firma geretteten „Schachtel voller Schicksale“ mit mehr als 500 Passfotos von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die zwischen dem Herbst 1940 und Februar 1943 bei Ehrich & Graetz arbeiten mussten. <br />
Am 28. Juli 1942 starb die Mutter Ida Wenik in der Wohnung am Savignyplatz. Wenige Wochen nach ihrem Tod begann die Deportation der anderen Familienmitglieder: Als erster wurde Siegbert Wenik am 15. August 1942 mit fast 1000 Männern, Frauen und Kindern vom Güterbahnhof Moabit aus nach Riga deportiert. Nach drei Tagen Fahrt erreichte der Zug Riga. Die Insassen wurden nicht in das Ghetto von Riga gebracht, sondern gleich nach der Ankunft auf dem Bahnhof Riga-Skirotava in den Wäldern von Rumbula und Bikernieki ermordet. (Eine einzige Frau soll überlebt haben, weil sie als ausgebildete Krankenschwester gebraucht wurde.)<br />
Siegberts Vater Julius Wenik und seine Schwester Hanna Renate wurden am 9. Dezember 1942 gemeinsam nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Am 12. März 1943 wurde die Schwester Lieselotte nach Auschwitz deportiert. Sie hatte noch immer in der Wohnung am Savignyplatz gelebt, nun bei der Familie Gumpel. Auch Lieselotte Wenik kehrte nicht zurück. <br />

Siegbert Wenik kam am 25. April 1921 in Tilsit/Ostpreußen (heute Sovetsk/Russische Föderation) auf die Welt. Dort verbrachte er auch den größten Teil seines Lebens.
Sein Vater, der Kaufmann Julius Wenik (1886–1942), stammte aus der Kleinstadt Schirwindt an der Grenze zu Litauen. Dort lebten noch immer Verwandte als Lebensmittel- und Textilhändler, andere waren in die größeren Städte gezogen. Julius Wenik hatte 1919 die aus dem Kreis Ortelsburg stammende Ida Zelasnitzky (1892–1942) geheiratet und im selben Jahr in Tilsit mit einem Kompagnon die Firma Leiner & Wenik, ein großes Bekleidungsgeschäft mit eigener Maßschneiderei, eröffnet. Siegberts Großeltern und zwei der vier Onkel mütterlicherseits lebten in Allenstein, wo sie als Holzhändler arbeiteten und auch von den Enkelkindern besucht wurden. Die Großeltern starben in Allenstein. Die vier Onkel konnten sich Ende der 1930er-Jahre vor den Nationalsozialisten ins Ausland retten.
Am 21. Mai 1923 kamen Siegberts Schwester Hanna Renate und am 25. April 1928 die Schwester Lieselotte auf die Welt. Die Familie wohnte Mitte der 1920er-Jahre in der Fabrikstraße. Später besaß der Vater Julius Wenik ein Haus in der Oberbürgermeister-Pohl-Promenade 27, einer Promenade am idyllischen Schlossteich der Stadt. Dort sollte die Familie in den folgenden Jahren leben. Wie die Schulzeit und Jugend von Siegbert Wenik ausgesehen hat, ist nicht bekannt.
Sein Vater verließ 1934 die Firma Leiner & Wernik und wurde Mitinhaber und 1935 Alleininhaber des Textilgeschäftes Wenik & Alterthum. Am 30. Mai 1938 wurde das Geschäft von dem Kaufmann und Gastwirt Robert Noetzel „übernommen“. Im November 1938 wurden auch in Tilsit die Synagoge in Brand gesteckt und die Geschäfte jüdischer Inhaberinnen und Inhaber demoliert. Laut Adressbuch für das Jahr 1939 wohnte die Familie Wenik noch immer im eigenen Haus an der Oberbürgermeister-Pohl-Promenade 27. Siegbert Wenik war anscheinend schon berufstätig: Im Adressbuch ist er im Haus seines Vaters mit dem Beruf „Seifensieder“ verzeichnet – eine Seifenfabrik gab es in der Nähe, dort könnte er gearbeitet haben. Im Frühjahr 1939 mussten viele Tilsiter Juden ihre Häuser verlassen. Auch die Familie Wernik lebte während der Volkszählung im Mai 1939 nicht mehr im eigenen Haus, sondern in der Deutschen Straße 59.
Ungefähr im Herbst 1939 verließen die Eltern Wernik mit Sohn Siegfried und ihren beiden Töchtern die Heimat Ostpreußen und gingen nach Berlin. Es begann ein Leben zur Untermiete bei anderen Juden. (Dabei bleibt vieles unklar, Daten widersprechen sich, es gibt Lücken, es bleibt die Frage nach dem letzten freiwillig gewählten Wohnsitz.) Nach den wenigen erhaltenen Dokumenten wechselte die Familie zweimal die Wohnung: Zuerst wohnte sie im Bezirk Wilmersdorf in der Sächsischen Straße 7 bei der jüdischen Witwe und Rentiere Ida Jolowicz. Dann zog sie nach Charlottenburg und wohnte dort zur Untermiete bei dem Kaufmann Max Bergwerk in der Bleibtreustraße 17. (Max Bergwerk wurde mit Ehefrau und Tochter am 30. November 1941 nach Riga deportiert.) Die Familie Wenik zog wieder um und fand eine Bleibe bei Martha Treitel (1858–1942) und ihrer Tochter Margarethe (1878–1969) im dritten Stock des Hauses Savignyplatz 4 in Charlottenburg. Untermieter von Martha Treitel können die Weniks nur kurze Zeit gewesen sein: Im Juni 1942 wurden Mutter und Tochter nach Theresienstadt deportiert. Wer war nun der Hauptmieter?
Julius Wenik musste als Lagerarbeiter Zwangsarbeit leisten. Lieselotte, das jüngste Kind, ging noch bis Ende März 1942 zur Schule. Was tat Hanna Renate? Siegbert Wenik hatte wohl anfangs eine „Chemieschule“ (so eine Karteikarte der Reichsvereinigung der Juden) besucht. Später wurde er als Dreher zur Zwangsarbeit bei Ehrich & Graetz verpflichtet, einer Metall- und Elektrofirma in der Elsenstraße 87–96 im Bezirk Treptow. Am 26. Oktober 1941 hatte Siegbert Wenik „laut Besichtigungsbericht der Norddeutschen Metall- Berufsgenossenschaft Berlin vom 26. November 1942 (?) einen Arbeitsunfall an der Drehbank“. – Sein Photo fand sich in einer von zwei Mitarbeiterinnen der Firma geretteten „Schachtel voller Schicksale“ mit mehr als 500 Passfotos von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die zwischen dem Herbst 1940 und Februar 1943 bei Ehrich & Graetz arbeiten mussten.
Am 28. Juli 1942 starb die Mutter Ida Wenik in der Wohnung am Savignyplatz. Wenige Wochen nach ihrem Tod begann die Deportation der anderen Familienmitglieder: Als erster wurde Siegbert Wenik am 15. August 1942 mit fast 1000 Männern, Frauen und Kindern vom Güterbahnhof Moabit aus nach Riga deportiert. Nach drei Tagen Fahrt erreichte der Zug Riga. Die Insassen wurden nicht in das Ghetto von Riga gebracht, sondern gleich nach der Ankunft auf dem Bahnhof Riga-Skirotava in den Wäldern von Rumbula und Bikernieki ermordet. (Eine einzige Frau soll überlebt haben, weil sie als ausgebildete Krankenschwester gebraucht wurde.)
Siegberts Vater Julius Wenik und seine Schwester Hanna Renate wurden am 9. Dezember 1942 gemeinsam nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Am 12. März 1943 wurde die Schwester Lieselotte nach Auschwitz deportiert. Sie hatte noch immer in der Wohnung am Savignyplatz gelebt, nun bei der Familie Gumpel. Auch Lieselotte Wenik kehrte nicht zurück.