Margarete Preuss geb. Brasch

Verlegeort
Lützowstraße 15
Bezirk/Ortsteil
Tiergarten
Verlegedatum
06. Juni 2013
Geboren
15. November 1888 in Lüneburg
Deportation
am 14. Dezember 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Margarete Brasch wurde am 15. November 1888 in der Hansestadt Lüneburg (heutiges Niedersachsen) geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Adolf Abraham Brasch (1860–1901) und seiner Frau Gertrud, geb. Cohn (1860–1925). Ihr Vater stammte ursprünglich aus der ostpreußischen Ortschaft Deutsch Thierau (dem heutigen Iwanzowo in Polen) und hatte ihre Mutter in den 1880er-Jahren geheiratet. Margarete wuchs im Kreis von fünf Geschwistern auf: Ihre Schwester Anna kam 1890 zur Welt, ihre Brüder Joachim und Erich in den Jahren 1891 und 1893. Mitte der 1890er-Jahre zog die Familie nach Berlin, wo 1895 ihre Schwester Dorothea Brasch und 1897 ihr Bruder Kurt geboren wurden. Die Familie lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Wohnung in der Brückenstraße 8 in Berlin-Mitte unweit des Märkischen Ufers. Im Familienbesitz befindet sich eine Karte von Hermann Preuss, ihrem späteren Schwager, aus dem Jahr 1901 an sie und ihre Schwester Anna, auf der Hermann während seiner Militärzeit in Uniform abgebildet ist, und die zeigt, dass es längere Zeit Kontakt und freundschaftliche Beziehungen zwischen ihren Familien gab. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Margarete Brasch und ihren Geschwistern im Berlin der Kaiserzeit haben sich keine weiteren Quellen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.

Nach ihrem Schulabschluss war Margarete Brasch in Berlin als Verkäuferin tätig, bis sie als Zwanzigjährige am 19. August 1909 den acht Jahre älteren Kaufmann Philipp Paul Preuss heiratete. Er war der jüngste von drei Söhnen von Philipp und Henriette Preuss und nach dem Tod seines Vaters mit seiner verwitweten Mutter und den Brüdern um die Jahrhundertwende aus dem ostpreußischen Barten (dem heutigen Barciany) nach Berlin gekommen. Die Hochzeit war überschattet von einem Todesfall. Wenige Wochen zuvor war Margaretes Schwester Anna im Alter von 19 Jahren im April 1909 in Berlin verstorben. Nach der Eheschließung gingen die Eheleute zeitweilig nach Nürnberg, wo sich die Brüder von Philipp Paul Preuss niedergelassen hatten. Am 4. August 1910 wurde in Nürnberg das erste von vier Kindern der Eheleute Philipp Paul und Margarete Preuss geboren, ihr Sohn Adolf. Bald darauf zog es sie zurück nach Berlin, wo im Februar 1913 ihr Sohn Martin Preuss zur Welt kam.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs meldeten sich Philipp Paul Preuss, sein Bruder Willi sowie Margaretes Brüder Joachim und Erich zum Kampfeinsatz und wurden als Frontsoldaten an verschiedenen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Joachim und Erich Brasch fielen beide noch im ersten Kriegsjahr: Joachim als Musketier des 45. Infanterieregiments am 27. Oktober 1914 an der Ostfront bei Wolka und Erich als Füsilier des Reserve-Infanterie-Regiment 203 am 30. Dezember 1914 in Lombardsijde in Westflandern. Philipp Paul Preuss wurde am 4. Juni 1917 – vermutlich als Teilnehmer der Schlacht bei Messines in Belgien – verwundet. Nach Ende des Ersten Weltkriegs kehrte Philipp Preuss zu Margarete Preuss und den Kindern nach Berlin zurück. In den Jahren 1923 und 1926 wurden die Söhne Lothar und Gert Preuss geboren. Seit 1919 lebte die Familie in einer Wohnung in der Melchiorstraße 20 in der Berliner Luisenstadt nahe dem Michaelkirchplatz. Margaretes Ehemann wurde laut späteren Angaben der befreundeten Eheleute Eisenstaedt in der Nachkriegszeit als sogenannter Kriegsbeschädigter bei einer Berliner Großhandelsfirma angestellt. Margarete Preuss gründete und leitete in den 1920er- und 1930er-Jahre eine Strickwarenmanufaktur mit mehreren Angestellten in Berlin. Sie belieferte mit ihren Produkten mehrere Modehäuser. Ihr Sohn Adolf erinnerte sich später an die Manufaktur: „Meine Mutter hatte die Strickwarenerzeugung zuerst in einem gemieteten Fabrikgebäude. […] Dann nahm sie eine 8 Zimmerwohnung in der Leipzigerstraße […] gegenüber von Tietz Warenhaus und betrieb in 3 Zimmer[n] die Strickmaschinen. Sie hatte Spulmaschinen, Rauhmaschinen, Strickmaschinen sowie Spezialnähmaschinen, also einen ganzen Betrieb. Ca. 1932 zog meine Mutter [an] den Luztowplatz und führte den selben Betrieb dort weiter. Als nach 1933 durch die Verfolgungsmaßnahme das Geschäft schlechter ging, zog meine Mutter mit dem Betrieb in die Lützowstraße 15, dies war ca. 1934. Meine Mutter fertigte alles nach Maß an, wie Pullover, Badeanzüge, Skianzüge.“ Kunden waren laut Adolf Preuss neben dem Warenhaus Tietz unter anderem das Unternehmen „Grünthal, Wolff und Co.“ in der Charlottenstraße und der renommierte Wiener Herrenausstatter „Kniže & Comp.“ in der Wilhelmstraße. Die Angaben ihres Sohnes decken sich recht genau mit den Daten der Berliner Adressbücher dieser Zeit. Bis 1930 firmierte die Maschinenstickerei – im Fernsprechbuch Berlin 1932 wird sie als „Atelier für maschinengestrickte Wollbekleidung“ geführt – an der Wohnadresse der Familie in der Melchiorstraße 20; 1931 in der Leipziger Straße 83; ab 1933 in der Schillstraße 8 nahe dem Lützowplatz und ab 1935 in der Lützowstraße 15. Eine weitere Wohnung war Anfang bis Mitte der 1930er-Jahre auf Philipp Preuss in der Brückenstraße 6a gemeldet.

Die Familie Preuss zählte trotz der Kriegsverletzung von Margarete Ehemann in der Zeit der Weimarer Republik zur einkommensstärkeren Bevölkerungsschicht der Hauptstadt. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse zum Leben der Familie Preuss im Berlin der Weimarer Republik, zeichnen das Bild von einer dem deutschen Bürgertum angehörenden Familie, deren Angehörige am Aufschwung und den technischen Innovationen der sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre partizipierten und Teil des aufblühenden kulturellen und gesellschaftlichen Lebens der Hauptstadt waren. Kunst, Musik und Bildung spielten im Familienleben eine herausragende Rolle – es wurde besonderer Wert auf die Ausbildung der Söhne gelegt. So ist etwa von Adolf Preuss bekannt, dass er privaten Klavierunterricht erhielt in einer Qualität, die es ihm später im Exil ermöglichte, ein Auskommen als Berufspianist zu finden, und in der Ausstattung der Berliner Wohnung von Philipp Paul und Margarete Preuss befanden sich auch Kunstgegenstände wie Ölgemälde. In einem späteren Lebensbericht des 1936 in Berlin geborenen Sohnes von Adolf, Rolf Preuss, erwähnt dieser Aufnahmen seines Vaters aus der Vorkriegszeit, die einen Mann zeigen, der „immer gut gekleidet war in modischen Anzügen, verschiedene neue Autos fuhr, seine Freizeit in Straßencafés verbrachte, Gruppenausflüge unternahm (Camping, Bootfahren, Skifahren usw.) und immer von vielen Freunden umgeben war.“ Margaretes ältester Sohn Adolf Preuss war beruflich als Pelzhändler in Berlin tätig. Welchen Beruf der Sohn Martin Preuss, ist nicht bekannt. Die jüngeren Söhne waren noch im schulpflichtigen Alter, als die NS-Gesetzgebung ihnen eine Chance auf Ausbildung und freie Berufsentfaltung erschwerte.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Margarete Preuss und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Seit 1933 war das Ehepaar Preuss als Geschäftsinhaber von den antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im Mai und November 1938 in Berlin erfuhren. In Nürnberg wurde das Schuhgeschäft von Margaretes Schwager Hermann Preuss im November 1938 geplündert. Im selben Jahr musste sie den Betrieb der Maschinenstrickerei, welche seit Mitte der 1930er-Jahre immer größere Schwierigkeiten gehabt hat, Kunden zu akquirieren, schließlich zwangsweise aufgeben. Ihr Ehemann war in den 1930er-Jahren aus seinem Anstellungsverhältnis gekündigt worden.

Im Sommer 1939 gelang es Margaretes Sohn Adolf, mit seiner Ehefrau und seinem dreijährigen Sohn Deutschland zu verlassen. Sie alle konnten sich über Frankreich und Italien über den Seeweg nach Shanghai retten. Ein Schreiben der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an das „Committee for the Assistance of European Jewish Refugees in Shanghai“ vom 6. Mai 1940 deutet darauf hin, dass auch Margarete und Philipp Paul Preuss nach Möglichkeiten suchten, mit ihren Kindern Martin, Lothar und Gert nach Shanghai zu fliehen. Mit dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 war die Fluchtroute über See aber blockiert und mit dem Ausreiseverbot vom Oktober 1941 zerschlug sich jede Hoffnung auf Auswanderung. Für die in Berlin zurückgebliebenen Familienmitglieder wurde das Leben spätestens Ende der 1930er-Jahre/ Anfang der 1940er-Jahre zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Seit Anfang der 1940er-Jahre mussten Margaretes Ehemann und ihr Sohn Martin außerdem Zwangsarbeit leisten: der Kriegsinvalide Philipp Paul Preuss als Arbeiter bei der „Deutsche Waffen und Munitionsfabriken AG“ im Werk Berlin-Borsigwalde am Eichborndamm 103–127, der Sohn Martin als Arbeiter in der „Berliner Wellpappen-Werk GmbH“ Berlin-Lichtenberg in der Herzbergstraße 26.

Im Sommer 1941 wurde der damals 18-jährige Schüler Lothar Preuss wegen „unerlaubten Reisens“ in Weimar aufgegriffen. Er wurde am 30. Juli 1941 im Gestapogefängnis Weimar in „Schutzhaft“ genommen und zwei Tage später, am 1. August 1941, in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Am 26. August 1941 wurde er in Buchenwald ermordet. Sein Nachlass – eine Armbanduhr und einige Kleidungsstücke – wurden am 12. September 1941 an die Kriminalpolizeileitstelle Berlin zur Aushändigung an seine Eltern geschickt, aber offenbar nie übergeben. In der Vermögenserklärung, die Margarete Preuss am 20. November 1942, kurz vor ihrer Deportation, ausfüllen musste, gibt sie unter dem Punkt „Welche Familienangehörigen wandern mit aus?“ neben ihren Söhnen Gert und Martin auch den Namen von Lothar mit Fragezeichen an. Anscheinend vermutete sie ihn weiterhin in Haft und wusste auch mehr als ein Jahr danach noch nichts von seinem gewaltsamen Tod. Ein letztes Lebenszeichen von Margarete Preuss aus eigener Hand hat sich mit einer Rotkreuz-Nachricht, die auf 25 Wörter beschränkt war, an ihren Sohn und dessen Frau in Shanghai erhalten. Darin schrieb sie am 14. September 1942: „Liebe Kinder! Hoffe jetzt bald eine Nachricht von Euch zu erhalten, dass Ihr gesund seid. Geht Rolfchen schon zur Schule? Gratulieren Rolfchen zum Geburtstag. Mama, Ohmi.“

Der vollständigen Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlin informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Die Familie Preuss erhielt den Deportationsbescheid im Winter 1942. Im November 1942 musste sie ihre letzte Berliner Wohnung in der Lützowstraße 15 verlassen und wurde im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Von dort aus wurde die 54-jährige Margarete zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Söhnen Martin und Gert Preuss am 14. Dezember 1942 mit dem „25. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo alle ermordet wurden.

Margaretes ältester Sohn Adolf, dessen geschiedene Frau und sein Sohn Rolf überlebten im Exil in Shanghai. Sie lebten später in den USA. Margaretes Schwester Dorothea Levy war mit ihrem Ehemann 1941 in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert und 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) ermordet worden. Ihre 1928 in Berlin geborene Tochter Gerda Levy hatten sie 1939 mit einem Kindertransport nach England retten können. Sie emigrierte nach dem Krieg in die USA. Margaretes Bruder Kurt, der bis zu seinem Tod in sogenannter privilegierter Mischehe in Berlin lebte, verstarb im Januar 1944. Sein 1922 in Berlin geborener Sohn Joachim Brasch überlebte die Verfolgung und wanderte nach 1945 in die USA aus. Aus dem Familienzweig ihres Ehemannes überlebte Hermann Preuss in „privilegierter Mischehe“ in Nürnberg. Margaretes Schwager Willi Preuss war zusammen mit seiner Ehefrau Helena am 24. März 1942 aus Nürnberg in das Ghetto Izbica deportiert und ermordet worden.

Margarete Brasch wurde am 15. November 1888 in der Hansestadt Lüneburg (heutiges Niedersachsen) geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Adolf Abraham Brasch (1860–1901) und seiner Frau Gertrud, geb. Cohn (1860–1925). Ihr Vater stammte ursprünglich aus der ostpreußischen Ortschaft Deutsch Thierau (dem heutigen Iwanzowo in Polen) und hatte ihre Mutter in den 1880er-Jahren geheiratet. Margarete wuchs im Kreis von fünf Geschwistern auf: Ihre Schwester Anna kam 1890 zur Welt, ihre Brüder Joachim und Erich in den Jahren 1891 und 1893. Mitte der 1890er-Jahre zog die Familie nach Berlin, wo 1895 ihre Schwester Dorothea Brasch und 1897 ihr Bruder Kurt geboren wurden. Die Familie lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Wohnung in der Brückenstraße 8 in Berlin-Mitte unweit des Märkischen Ufers. Im Familienbesitz befindet sich eine Karte von Hermann Preuss, ihrem späteren Schwager, aus dem Jahr 1901 an sie und ihre Schwester Anna, auf der Hermann während seiner Militärzeit in Uniform abgebildet ist, und die zeigt, dass es längere Zeit Kontakt und freundschaftliche Beziehungen zwischen ihren Familien gab. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Margarete Brasch und ihren Geschwistern im Berlin der Kaiserzeit haben sich keine weiteren Quellen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.

Nach ihrem Schulabschluss war Margarete Brasch in Berlin als Verkäuferin tätig, bis sie als Zwanzigjährige am 19. August 1909 den acht Jahre älteren Kaufmann Philipp Paul Preuss heiratete. Er war der jüngste von drei Söhnen von Philipp und Henriette Preuss und nach dem Tod seines Vaters mit seiner verwitweten Mutter und den Brüdern um die Jahrhundertwende aus dem ostpreußischen Barten (dem heutigen Barciany) nach Berlin gekommen. Die Hochzeit war überschattet von einem Todesfall. Wenige Wochen zuvor war Margaretes Schwester Anna im Alter von 19 Jahren im April 1909 in Berlin verstorben. Nach der Eheschließung gingen die Eheleute zeitweilig nach Nürnberg, wo sich die Brüder von Philipp Paul Preuss niedergelassen hatten. Am 4. August 1910 wurde in Nürnberg das erste von vier Kindern der Eheleute Philipp Paul und Margarete Preuss geboren, ihr Sohn Adolf. Bald darauf zog es sie zurück nach Berlin, wo im Februar 1913 ihr Sohn Martin Preuss zur Welt kam.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs meldeten sich Philipp Paul Preuss, sein Bruder Willi sowie Margaretes Brüder Joachim und Erich zum Kampfeinsatz und wurden als Frontsoldaten an verschiedenen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Joachim und Erich Brasch fielen beide noch im ersten Kriegsjahr: Joachim als Musketier des 45. Infanterieregiments am 27. Oktober 1914 an der Ostfront bei Wolka und Erich als Füsilier des Reserve-Infanterie-Regiment 203 am 30. Dezember 1914 in Lombardsijde in Westflandern. Philipp Paul Preuss wurde am 4. Juni 1917 – vermutlich als Teilnehmer der Schlacht bei Messines in Belgien – verwundet. Nach Ende des Ersten Weltkriegs kehrte Philipp Preuss zu Margarete Preuss und den Kindern nach Berlin zurück. In den Jahren 1923 und 1926 wurden die Söhne Lothar und Gert Preuss geboren. Seit 1919 lebte die Familie in einer Wohnung in der Melchiorstraße 20 in der Berliner Luisenstadt nahe dem Michaelkirchplatz. Margaretes Ehemann wurde laut späteren Angaben der befreundeten Eheleute Eisenstaedt in der Nachkriegszeit als sogenannter Kriegsbeschädigter bei einer Berliner Großhandelsfirma angestellt. Margarete Preuss gründete und leitete in den 1920er- und 1930er-Jahre eine Strickwarenmanufaktur mit mehreren Angestellten in Berlin. Sie belieferte mit ihren Produkten mehrere Modehäuser. Ihr Sohn Adolf erinnerte sich später an die Manufaktur: „Meine Mutter hatte die Strickwarenerzeugung zuerst in einem gemieteten Fabrikgebäude. […] Dann nahm sie eine 8 Zimmerwohnung in der Leipzigerstraße […] gegenüber von Tietz Warenhaus und betrieb in 3 Zimmer[n] die Strickmaschinen. Sie hatte Spulmaschinen, Rauhmaschinen, Strickmaschinen sowie Spezialnähmaschinen, also einen ganzen Betrieb. Ca. 1932 zog meine Mutter [an] den Luztowplatz und führte den selben Betrieb dort weiter. Als nach 1933 durch die Verfolgungsmaßnahme das Geschäft schlechter ging, zog meine Mutter mit dem Betrieb in die Lützowstraße 15, dies war ca. 1934. Meine Mutter fertigte alles nach Maß an, wie Pullover, Badeanzüge, Skianzüge.“ Kunden waren laut Adolf Preuss neben dem Warenhaus Tietz unter anderem das Unternehmen „Grünthal, Wolff und Co.“ in der Charlottenstraße und der renommierte Wiener Herrenausstatter „Kniže & Comp.“ in der Wilhelmstraße. Die Angaben ihres Sohnes decken sich recht genau mit den Daten der Berliner Adressbücher dieser Zeit. Bis 1930 firmierte die Maschinenstickerei – im Fernsprechbuch Berlin 1932 wird sie als „Atelier für maschinengestrickte Wollbekleidung“ geführt – an der Wohnadresse der Familie in der Melchiorstraße 20; 1931 in der Leipziger Straße 83; ab 1933 in der Schillstraße 8 nahe dem Lützowplatz und ab 1935 in der Lützowstraße 15. Eine weitere Wohnung war Anfang bis Mitte der 1930er-Jahre auf Philipp Preuss in der Brückenstraße 6a gemeldet.

Die Familie Preuss zählte trotz der Kriegsverletzung von Margarete Ehemann in der Zeit der Weimarer Republik zur einkommensstärkeren Bevölkerungsschicht der Hauptstadt. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse zum Leben der Familie Preuss im Berlin der Weimarer Republik, zeichnen das Bild von einer dem deutschen Bürgertum angehörenden Familie, deren Angehörige am Aufschwung und den technischen Innovationen der sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre partizipierten und Teil des aufblühenden kulturellen und gesellschaftlichen Lebens der Hauptstadt waren. Kunst, Musik und Bildung spielten im Familienleben eine herausragende Rolle – es wurde besonderer Wert auf die Ausbildung der Söhne gelegt. So ist etwa von Adolf Preuss bekannt, dass er privaten Klavierunterricht erhielt in einer Qualität, die es ihm später im Exil ermöglichte, ein Auskommen als Berufspianist zu finden, und in der Ausstattung der Berliner Wohnung von Philipp Paul und Margarete Preuss befanden sich auch Kunstgegenstände wie Ölgemälde. In einem späteren Lebensbericht des 1936 in Berlin geborenen Sohnes von Adolf, Rolf Preuss, erwähnt dieser Aufnahmen seines Vaters aus der Vorkriegszeit, die einen Mann zeigen, der „immer gut gekleidet war in modischen Anzügen, verschiedene neue Autos fuhr, seine Freizeit in Straßencafés verbrachte, Gruppenausflüge unternahm (Camping, Bootfahren, Skifahren usw.) und immer von vielen Freunden umgeben war.“ Margaretes ältester Sohn Adolf Preuss war beruflich als Pelzhändler in Berlin tätig. Welchen Beruf der Sohn Martin Preuss, ist nicht bekannt. Die jüngeren Söhne waren noch im schulpflichtigen Alter, als die NS-Gesetzgebung ihnen eine Chance auf Ausbildung und freie Berufsentfaltung erschwerte.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Margarete Preuss und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Seit 1933 war das Ehepaar Preuss als Geschäftsinhaber von den antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im Juni und November 1938 in Berlin erfuhren. In Nürnberg wurde das Schuhgeschäft von Margaretes Schwager Hermann Preuss im November 1938 geplündert. Im selben Jahr musste sie den Betrieb der Maschinenstrickerei, welche seit Mitte der 1930er-Jahre immer größere Schwierigkeiten gehabt hat, Kunden zu akquirieren, schließlich zwangsweise aufgeben. Ihr Ehemann war in den 1930er-Jahren aus seinem Anstellungsverhältnis gekündigt worden.

Im Sommer 1939 gelang es Margaretes Sohn Adolf, mit seiner Ehefrau und seinem dreijährigen Sohn Deutschland zu verlassen. Sie alle konnten sich über Frankreich und Italien über den Seeweg nach Shanghai retten. Ein Schreiben der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an das „Committee for the Assistance of European Jewish Refugees in Shanghai“ vom 6. Mai 1940 deutet darauf hin, dass auch Margarete und Philipp Paul Preuss nach Möglichkeiten suchten, mit ihren Kindern Martin, Lothar und Gert nach Shanghai zu fliehen. Mit dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 war die Fluchtroute über See aber blockiert und mit dem Ausreiseverbot vom Oktober 1941 zerschlug sich jede Hoffnung auf Auswanderung. Für die in Berlin zurückgebliebenen Familienmitglieder wurde das Leben spätestens Ende der 1930er-Jahre/ Anfang der 1940er-Jahre zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Seit Anfang der 1940er-Jahre mussten Margaretes Ehemann und ihr Sohn Martin außerdem Zwangsarbeit leisten: der Kriegsinvalide Philipp Paul Preuss als Arbeiter bei der „Deutsche Waffen und Munitionsfabriken AG“ im Werk Berlin-Borsigwalde am Eichborndamm 103–127, der Sohn Martin als Arbeiter in der „Berliner Wellpappen-Werk GmbH“ Berlin-Lichtenberg in der Herzbergstraße 26.

Im Sommer 1941 wurde der damals 18-jährige Schüler Lothar Preuss wegen „unerlaubten Reisens“ in Weimar aufgegriffen. Er wurde am 30. Juli 1941 im Gestapogefängnis Weimar in „Schutzhaft“ genommen und zwei Tage später, am 1. August 1941, in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Am 26. August 1941 wurde er in Buchenwald ermordet. Sein Nachlass – eine Armbanduhr und einige Kleidungsstücke – wurden am 12. September 1941 an die Kriminalpolizeileitstelle Berlin zur Aushändigung an seine Eltern geschickt, aber offenbar nie übergeben. In der Vermögenserklärung, die Margarete Preuss am 20. November 1942, kurz vor ihrer Deportation, ausfüllen musste, gibt sie unter dem Punkt „Welche Familienangehörigen wandern mit aus?“ neben ihren Söhnen Gert und Martin auch den Namen von Lothar mit Fragezeichen an. Anscheinend vermutete sie ihn weiterhin in Haft und wusste auch mehr als ein Jahr danach noch nichts von seinem gewaltsamen Tod. Ein letztes Lebenszeichen von Margarete Preuss aus eigener Hand hat sich mit einer Rotkreuz-Nachricht, die auf 25 Wörter beschränkt war, an ihren Sohn und dessen Frau in Shanghai erhalten. Darin schrieb sie am 14. September 1942: „Liebe Kinder! Hoffe jetzt bald eine Nachricht von Euch zu erhalten, dass Ihr gesund seid. Geht Rolfchen schon zur Schule? Gratulieren Rolfchen zum Geburtstag. Mama, Ohmi.“

Der vollständigen Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlin informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Die Familie Preuss erhielt den Deportationsbescheid im Winter 1942. Im November 1942 musste sie ihre letzte Berliner Wohnung in der Lützowstraße 15 verlassen und wurde im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Von dort aus wurde die 54-jährige Margarete zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Söhnen Martin und Gert Preuss am 14. Dezember 1942 mit dem „25. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo alle ermordet wurden.

Margaretes ältester Sohn Adolf, dessen geschiedene Frau und sein Sohn Rolf überlebten im Exil in Shanghai. Sie lebten später in den USA. Margaretes Schwester Dorothea Levy war mit ihrem Ehemann 1941 in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert und 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) ermordet worden. Ihre 1928 in Berlin geborene Tochter Gerda Levy hatten sie 1939 mit einem Kindertransport nach England retten können. Sie emigrierte nach dem Krieg in die USA. Margaretes Bruder Kurt, der bis zu seinem Tod in sogenannter privilegierter Mischehe in Berlin lebte, verstarb im Januar 1944. Sein 1922 in Berlin geborener Sohn Joachim Brasch überlebte die Verfolgung und wanderte nach 1945 in die USA aus. Aus dem Familienzweig ihres Ehemannes überlebte Hermann Preuss in „privilegierter Mischehe“ in Nürnberg. Margaretes Schwager Willi Preuss war zusammen mit seiner Ehefrau Helena am 24. März 1942 aus Nürnberg in das Ghetto Izbica deportiert und ermordet worden.