Markus Michael Schlesinger

Verlegeort
Bartningallee 3
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
23. Mai 2014
Geboren
04. September 1934 in Berlin
Deportation
am 09. Dezember 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Michael Markus Schlesinger, dessen Rufname Michael war, wurde am 4. September 1934 in Berlin geboren. Er war der jüngste Sohn des Lehrers und Schuldirektors Dr. Nachman Schlesinger (*1883 in Hamburg). Seine Mutter Käthe Schlesinger, geborene Bauer (*1898 in Hamburg), stammte aus einer wohlhabenden Hamburger Familie; sein Vater aus einer Hamburger Lehrer- und Kaufmannsfamilie. Michaels Vater hatte an der Universität Berlin studiert und promoviert, ab Ende der 1900er-Jahre die Tachkemoni-Mittelschule in Jaffa geleitet und Ende der 1910er-Jahre einen Rektorenposten in Kaunas bekleidet. Anfang der 1920er-Jahre war er von der Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel nach Berlin berufen worden, wo er das dortige Schulwerk der Gemeinde mitaufbaute, als Oberlehrer Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtete und ab 1930 die Leitung des dortigen Reformrealgymnasiums und des Oberlyzeums als Rektor übernommen hatte. 1923 hatten Michaels Eltern in Hamburg geheiratet und sich nach der Hochzeit einen gemeinsamen Haushalt in Berlin eingerichtet, wo zwischen 1924 und 1934 neben Michael auch dessen acht älteren Geschwister zur Welt kamen: David (*1924), Hanna (*1924), Martin (*1926), Fanny (*1927), Rosa (*1929), Samuel (*1930), Rahel (*1931) und Betty (*1933). Die Familie bewohnte Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre eine Wohnung in der Levetzowstraße 16a in Moabit unweit der Synagoge der Jüdischen Gemeinde. 1933/1934 zogen die Schlesingers in eine Sechseinhalbzimmer-Wohnung in der Wullenweberstraße 4–5 und 1938 schließlich in eine Wohnung in der Lessingstraße 13 (heutige Bartningallee 3) im Hansaviertel.

Spätere Berichte von Bekannten der Familie, die in der Entschädigungsakte enthalten sind, vermitteln einen groben Eindruck von der Familienwohnung in der Wullenweberstraße zur Zeit der Weimarer Republik. So war die Wohnung im Berliner Westen nach übereinstimmenden Berichten gutbürgerlich eingerichtet. Zur Unterstützung bei der Kindesbetreuung halfen Kindermädchen, im Esszimmer befand sich ein Klavier, an dem musiziert wurde, ganz besonderen Eindruck machte aber die Bibliothek von Nachman Schlesinger im Herrenzimmer mit mehr als 2000 Werken – darunter seltenen Judaica, Hebraica, eine große Sammlung deutscher Klassiker sowie französische und englische Fachliteratur. Die mit der Familie befreundete Oberschullehrerin Rahel Lehmann berichtete: „Die Bibliothek umfasste die Wände des großen Herrenzimmers bis hoch hinauf an die Decke. Dieses Zimmer war sein [Dr. Schlesingers] Heiligtum. Doch immer bewunderte ich im Hause Schlesinger die geistige Atmosphäre, die auch durch die feinsinnige Gattin des Verstorbenen geschaffen wurde.“ Dr. Schlesinger war mit Pädagogen wie Joseph Carlebach (1883–1942) und Leo Deutschländer (1889–1935) einer der wichtigsten deutsch-(neo-)orthodoxen Lehrer seiner Zeit und die Verbindung von traditionellem Judentum und moderner weltlicher Zugewandtheit („Torah im Derech Eretz“-Ideal), der Verbindung von Religiosität, akademischer Bildung und deutsch-jüdischer Identität prägte Michaels Elternhaus.

Michael Schlesinger wurde in eine Gesellschaft geboren, in der er als Sohn jüdischer Eltern verfolgt wurde und in der die Angehörigen der Familie Schlesinger schrittweise Entrechtung und Verfolgung erlebten. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Michael und seine Geschwister erfuhren als Heranwachsende Rassismus und antijüdische Gesetze unmittelbar in der NS-Bildungspolitik. Anders als seine Geschwister konnte Michael nicht mehr am Schulwerk seines Vaters eingeschult werden, da dieses im März 1939 zwangsweise geschlossen wurde. Sein Vater verlor seinen Posten, fand aber noch eine Anstellung als einfache Lehrkraft an der Oberschule der jüdischen Religionsgemeinde in Berlin. Michael Schlesinger besuchte ab Ostern 1940 die 4. Jüdische Volksschule in Berlin, bis auch diese – wie alle verbliebenen jüdischen Schulen – 1942 schließen musste. Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Mitglieder der Familie Schlesinger in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte sich der sechsjährige Michael, genauso wie seine Eltern und Geschwister, mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Im Sommer 1942 erkrankte Michaels Vater schwer. Er wurde im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße 2 behandelt. Von dort wurde der Schwerkranke am 5. Dezember 1942 auf einer Trage in die Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt. Michael Schlesinger, seine Mutter Käthe und seine acht Geschwister mussten drei Tage später, am 8. Dezember 1942, ihre Wohnung verlassen. Sie wurden ebenfalls zunächst in der Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße interniert. Von dort aus wurden alle elf Familienmitglieder am 9. Dezember 1942 mit dem „24. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Michael Schlesinger war zum Zeitpunkt der Deportation acht Jahre alt.