Siegmund Stöckel

Verlegeort
Fregestr. 71
Bezirk/Ortsteil
Friedenau
Verlegedatum
16. Oktober 2014
Geboren
27. August 1868 in Czortkow/Tarnopol
Beruf
Bauunternehmer
Abgeschoben
28. Oktober 1938 nach Polen (im Rahmen der so genannten "Polenaktion")
Tot
10. Januar 1939 in Warschau

Siegmund Nikolaus Stöckel (eigentlich Samuel Nuchem Steckel) wurde am 27. August 1868 in Czortkow/Tarnopol geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt, außer, dass er noch eine Schwester namens Sara (geb. 1864) und zwei Brüder namens Siegmund und Moritz (geb. 1862) hatte. Moritz und Siegmund Stöckel hatten die polnische Staatsbürgerschaft und zogen Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin, um hier die wirtschaftlichen Aufstiegschancen einer prosperierenden Großstadt zu nutzen. In Berlin eröffnete jeder der beiden Baukaufleute ein eigenes Baugeschäft. Sie kauften Grundstücke, rissen die alten Gebäude ab und errichteten darauf neue, große Mietshäuser. Das Baugeschäft von Siegmund Stöckel befand sich zunächst in der Menzelstraße 19, anschließend in der Cranachstraße 42, in der Ringstraße 43 (heute: Dickhardtstraße) und schließlich an verschiedenen Adressen der Fregestraße. Insbesondere auf die Fregestraße konzentrierten sich die beruflichen Aktivitäten der beiden Brüder. So errichtete Siegmund Stöckel dort die großen Mietshäuser mit den Hausnummerm 7, 7a, 8 und 9. Sein Bruder Moritz erbaute die Häuser in der Fregestraße 25, 26 und 27. In Berlin lernte Siegmund Stöckel auch seine künftige Lebensgefährtin kennen und lieben. Er führte mit der "Arierin" Marie Weidner eine neun Jahre währende Beziehung. Aus dieser Verbindung ging 1894 die Tochter Marie hervor. Sie starb aber noch als Kleinkind im Jahre 1985. 1896 wurde die Tochter Alma Irmgard geboren. Eine Heirat war aber vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Konfessionen nicht möglich. Deshalb strebte Siegmund Stöckel eine Heirat mit einer jüdischen Frau an, zahlte seiner Lebensgefährtin eine Abfindung in Höhe von 5.000,-- RM und beendete die Beziehung zu ihr. Marie Weidner eröffnete mit der Abfindungssumme einen Pensionsbetrieb. Der Kontakt zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin und seiner Tochter brach über die nächsten 40 Jahre aber niemals ab. Er traf sich regelmäßig mit seiner Tochter und übergab ihr anlässlich ihrer Hochzeit in den 1920er Jahren eine Mitgift in Höhe von 20.000,-- RM. Über einen jüdischen Heiratsvermittler lernte er Elise Hollaender kennen und vermählte sich mit ihr am 19. März 1903. Elise Hollaender brachte eine beträchtliche Aussteuer mit in die Ehe. Ihre Großmutter hatte dafür ihre Bergwerksaktien veräußert. Diese Mitgift bildete ein nicht unwesentliches Startkapital für sein erfolgreiches Baugeschäft. Siegmund Stöckel kaufte im Jahre 1909 für seine Frau eine kleine Villa in der Fregestraße 71. Das Haus hatte einen kleinen Garten, in dem ein Magnolienbaum stand, den Elise Stöckel sehr liebte. Die Ehe wurde sehr harmonisch, obwohl die Ehepartner zu ihrem Kummer kinderlos blieben. Von der vorehelichen Beziehung ihres Mannes zu Marie Weidner und von dem gemeinsamen unehelichen Kind wusste Elise Stöckel indes nichts. Siegmund Stöckel hatte lediglich seine Schwester in das Geheimnis eingeweiht. Die Stöckels führten ein gastfreundliches Haus und mittellosen Künstlern kauften sie hin und wieder ihre Werke ab. Siegmund Stöckel verdiente als Bauunternehmer viel Geld. Mit der Machtübernahme der Nazis wendete sich das Blatt, denn vermutlich wurde der Betrieb von Siegmund Stöckel nach 1933 "arisiert". <br />
Am 28. Oktober 1938 wurde Siegmund Stöckel im Rahmen der so genannten "Polenaktion" verhaftet und nach Polen abgeschoben. Gleichzeitig mit ihm wurde auch Max Blank, der Ehemann seiner Nichte Margarete Blank, von der Gestapo abgeholt. Die Ausweisung erfolgte für die Betroffenen völlig überraschend. Zusammen mit weiteren ca. 17.000 jüdischen Polen wurden sie kurzfristig zur polnischen Grenze gebracht und dort über die oberschlesischen Städte Bentschen, Konitz bzw. Beuthen abgeschoben. Anlass war das vom polnischen Parlament am 31. März 1938 verabschiedete Gesetz, das die Möglichkeit vorsah, allen polnischen Staatsbürgern, die länger als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland lebten, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Am 9. Oktober 1938 verordneten die polnischen Behörden die Zusatzverfügung, dass nur ein Prüfvermerk des polnischen Konsulats zur Einreise nach Polen berechtigte. Auf diese Weise wollte die polnische Regierung eine Massenausweisung von deutschen Juden polnischer Staatsangehörigkeit nach Polen verhindern. Dem wollten die deutschen Behörden mit ihrer Blitzaktion zuvorkommen. Die polnischen Grenzbehörden waren unter den gegebenen Umständen völlig überfordert. Viele Ausgewiesenen konnten ungehindert weiterrreisen, ohne namentlich erfasst zu werden, und innerhalb der nächsten Tage in das Landesinnere weiterreisen. Siegmund Stöckel und Max Blank kamen so nach Warschau. Hier ist Siegmund Stöckel vermutlich ernsthaft erkrankt, denn nur 2 ½ Monate später, am 10. Januar 1939, starb er dort an einer Lungenentzündung. Max Blank hingegen gelang es, am 22. Juli 1939 zusammen mit seiner Frau Margarete über Berlin in die USA zu emigrieren. <br />
Vom Sterbebett aus ließ er seiner Frau noch einen Brief zukommen. Darin bekannte er ihr das Geheimnis seiner Liebesziehung zu Marie Weidner und gestand ihr schließlich auch seine uneheliche Tochter. Zudem benachrichtigte er seine Tochter Alma Irmgard, die in Schweden mit dem schwedischen Staatsbürger Alfred Andersson, einem Antiquitätenhändler, verheiratet war. Seiner Frau empfahl er, sich bei Schwierigkeiten an Alfred Andersson zu wenden. Seine Tochter andererseits bat er, sich seiner Frau anzunehmen. Nach dem Tod von Siegmund Stöckel kam es in der Fregestraße 71 zu einem Treffen zwischen Elise Stöckel, den Anderssons und Marie Weidner, verheiratete Görlich. Elise Stöckel fasste dabei kurzentschlossen einen grundlegenden Entschluss. Sie schenkte ihrer bis vor kurzem noch völlig unbekannten Stieftochter Alma Irmgard Andersson am 23. Februar 1939 vor einem Notar das Grundstück Fregestraße 71. Als Erben von Elise Stöckel die Schenkung nach dem Krieg anfechteten, behauptete Alma Irmgard Andersson, es hätte sich dabei um eine "Anstandsschenkung" gehandelt, sei doch eine "aufrichtige Freundschaft" zwischen ihr und Elise Stöckel entstanden. Außerdem wäre es für Elise Stöckel "eine Linderung und Trost" gewesen, "nunmehr ein Tochter zu haben." Die Erben von Elise hingegen sagten aus, dass die Schenkung lediglich als eine Gegenleistung für die Ausreise nach Schweden und die anschließende Sicherung ihres Lebensunterhalts gedacht gewesen sei. Welche der beiden Behauptungen der Wahrheit entspricht, ist nicht mehr nachzuvollziehen. <br />
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Siegmund Nikolaus Stöckel (eigentlich Samuel Nuchem Steckel) wurde am 27. August 1868 in Czortkow/Tarnopol geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt, außer, dass er noch eine Schwester namens Sara (geb. 1864) und zwei Brüder namens Siegmund und Moritz (geb. 1862) hatte. Moritz und Siegmund Stöckel hatten die polnische Staatsbürgerschaft und zogen Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin, um hier die wirtschaftlichen Aufstiegschancen einer prosperierenden Großstadt zu nutzen. In Berlin eröffnete jeder der beiden Baukaufleute ein eigenes Baugeschäft. Sie kauften Grundstücke, rissen die alten Gebäude ab und errichteten darauf neue, große Mietshäuser. Das Baugeschäft von Siegmund Stöckel befand sich zunächst in der Menzelstraße 19, anschließend in der Cranachstraße 42, in der Ringstraße 43 (heute: Dickhardtstraße) und schließlich an verschiedenen Adressen der Fregestraße. Insbesondere auf die Fregestraße konzentrierten sich die beruflichen Aktivitäten der beiden Brüder. So errichtete Siegmund Stöckel dort die großen Mietshäuser mit den Hausnummerm 7, 7a, 8 und 9. Sein Bruder Moritz erbaute die Häuser in der Fregestraße 25, 26 und 27. In Berlin lernte Siegmund Stöckel auch seine künftige Lebensgefährtin kennen und lieben. Er führte mit der "Arierin" Marie Weidner eine neun Jahre währende Beziehung. Aus dieser Verbindung ging 1894 die Tochter Marie hervor. Sie starb aber noch als Kleinkind im Jahre 1985. 1896 wurde die Tochter Alma Irmgard geboren. Eine Heirat war aber vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Konfessionen nicht möglich. Deshalb strebte Siegmund Stöckel eine Heirat mit einer jüdischen Frau an, zahlte seiner Lebensgefährtin eine Abfindung in Höhe von 5.000,-- RM und beendete die Beziehung zu ihr. Marie Weidner eröffnete mit der Abfindungssumme einen Pensionsbetrieb. Der Kontakt zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin und seiner Tochter brach über die nächsten 40 Jahre aber niemals ab. Er traf sich regelmäßig mit seiner Tochter und übergab ihr anlässlich ihrer Hochzeit in den 1920er Jahren eine Mitgift in Höhe von 20.000,-- RM. Über einen jüdischen Heiratsvermittler lernte er Elise Hollaender kennen und vermählte sich mit ihr am 19. März 1903. Elise Hollaender brachte eine beträchtliche Aussteuer mit in die Ehe. Ihre Großmutter hatte dafür ihre Bergwerksaktien veräußert. Diese Mitgift bildete ein nicht unwesentliches Startkapital für sein erfolgreiches Baugeschäft. Siegmund Stöckel kaufte im Jahre 1909 für seine Frau eine kleine Villa in der Fregestraße 71. Das Haus hatte einen kleinen Garten, in dem ein Magnolienbaum stand, den Elise Stöckel sehr liebte. Die Ehe wurde sehr harmonisch, obwohl die Ehepartner zu ihrem Kummer kinderlos blieben. Von der vorehelichen Beziehung ihres Mannes zu Marie Weidner und von dem gemeinsamen unehelichen Kind wusste Elise Stöckel indes nichts. Siegmund Stöckel hatte lediglich seine Schwester in das Geheimnis eingeweiht. Die Stöckels führten ein gastfreundliches Haus und mittellosen Künstlern kauften sie hin und wieder ihre Werke ab. Siegmund Stöckel verdiente als Bauunternehmer viel Geld. Mit der Machtübernahme der Nazis wendete sich das Blatt, denn vermutlich wurde der Betrieb von Siegmund Stöckel nach 1933 "arisiert".
Am 28. Oktober 1938 wurde Siegmund Stöckel im Rahmen der so genannten "Polenaktion" verhaftet und nach Polen abgeschoben. Gleichzeitig mit ihm wurde auch Max Blank, der Ehemann seiner Nichte Margarete Blank, von der Gestapo abgeholt. Die Ausweisung erfolgte für die Betroffenen völlig überraschend. Zusammen mit weiteren ca. 17.000 jüdischen Polen wurden sie kurzfristig zur polnischen Grenze gebracht und dort über die oberschlesischen Städte Bentschen, Konitz bzw. Beuthen abgeschoben. Anlass war das vom polnischen Parlament am 31. März 1938 verabschiedete Gesetz, das die Möglichkeit vorsah, allen polnischen Staatsbürgern, die länger als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland lebten, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Am 9. Oktober 1938 verordneten die polnischen Behörden die Zusatzverfügung, dass nur ein Prüfvermerk des polnischen Konsulats zur Einreise nach Polen berechtigte. Auf diese Weise wollte die polnische Regierung eine Massenausweisung von deutschen Juden polnischer Staatsangehörigkeit nach Polen verhindern. Dem wollten die deutschen Behörden mit ihrer Blitzaktion zuvorkommen. Die polnischen Grenzbehörden waren unter den gegebenen Umständen völlig überfordert. Viele Ausgewiesenen konnten ungehindert weiterrreisen, ohne namentlich erfasst zu werden, und innerhalb der nächsten Tage in das Landesinnere weiterreisen. Siegmund Stöckel und Max Blank kamen so nach Warschau. Hier ist Siegmund Stöckel vermutlich ernsthaft erkrankt, denn nur 2 ½ Monate später, am 10. Januar 1939, starb er dort an einer Lungenentzündung. Max Blank hingegen gelang es, am 22. Juli 1939 zusammen mit seiner Frau Margarete über Berlin in die USA zu emigrieren.
Vom Sterbebett aus ließ er seiner Frau noch einen Brief zukommen. Darin bekannte er ihr das Geheimnis seiner Liebesziehung zu Marie Weidner und gestand ihr schließlich auch seine uneheliche Tochter. Zudem benachrichtigte er seine Tochter Alma Irmgard, die in Schweden mit dem schwedischen Staatsbürger Alfred Andersson, einem Antiquitätenhändler, verheiratet war. Seiner Frau empfahl er, sich bei Schwierigkeiten an Alfred Andersson zu wenden. Seine Tochter andererseits bat er, sich seiner Frau anzunehmen. Nach dem Tod von Siegmund Stöckel kam es in der Fregestraße 71 zu einem Treffen zwischen Elise Stöckel, den Anderssons und Marie Weidner, verheiratete Görlich. Elise Stöckel fasste dabei kurzentschlossen einen grundlegenden Entschluss. Sie schenkte ihrer bis vor kurzem noch völlig unbekannten Stieftochter Alma Irmgard Andersson am 23. Februar 1939 vor einem Notar das Grundstück Fregestraße 71. Als Erben von Elise Stöckel die Schenkung nach dem Krieg anfechteten, behauptete Alma Irmgard Andersson, es hätte sich dabei um eine "Anstandsschenkung" gehandelt, sei doch eine "aufrichtige Freundschaft" zwischen ihr und Elise Stöckel entstanden. Außerdem wäre es für Elise Stöckel "eine Linderung und Trost" gewesen, "nunmehr ein Tochter zu haben." Die Erben von Elise hingegen sagten aus, dass die Schenkung lediglich als eine Gegenleistung für die Ausreise nach Schweden und die anschließende Sicherung ihres Lebensunterhalts gedacht gewesen sei. Welche der beiden Behauptungen der Wahrheit entspricht, ist nicht mehr nachzuvollziehen.