Else Friedemann geb. Marcuse

Verlegeort
Cosimaplatz 5
Bezirk/Ortsteil
Friedenau
Verlegedatum
16. Oktober 2014
Geboren
23. Oktober 1892 in Widuchowa / Fiddichow (Westpommern)
Zwangsarbeit
Arbeiterin (der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik AG Borsigwalde, Eichborndamm 103-127)
Deportation
am 02. April 1942 nach Warschau
Ermordet
in Warschau

Else Marcuse kam am 23. Oktober 1892 in Fiddichow/Pommern als Tochter von Isaac und Agnes Marcuse, geborene Jacobson, zur Welt. Sie hatte eine ältere Schwester, Margarete, die am 5. Oktober 1891 geboren wurde. Ihre Eltern besaßen ein Ladenlokal in der Bahnerstraße 4 in Fiddichow und verkauften dort Manufakturwaren. Ihre Mutter Agnes hatte die Firma M. Jacobson mit in die Ehe gebracht. Über Else Marcuses Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt. In Berlin lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Friedrich Friedemann in einer Buchhandlung in der Kantstraße kennen, in der er als Buchhändler arbeitete. Das Paar heiratete zu Beginn der 1920er Jahre und zog nach Berlin. Am 12. September kam die Tochter Gisela zur Welt, ihr folgte am 26. Oktober 1922 die Tochter Ursula Brigitte. Friedrich Friedemann war jüdischer Abstammung, aber evangelisch getauft. Vermutlich wurden auch die Töchter unmittelbar nach ihrer Geburt getauft und anschließend im christlichen Glauben erzogen. Else Friedemann hingegen konvertierte erst 1939 in der Messiaskapelle in der Kastanienallee 22 /Prenzlauer Berg zum evangelischen Christentum. Die Messiaskapelle war der Sitz der "Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden", die zwischen Januar 1933 und Januar 1941 über 700 Menschen in die christliche Gemeinde aufnahm. Der Familie ging es zunächst wirtschaftlich sehr gut. Friedrich Friedemann hatte ein Jurastudium abgebrochen und war in die Buchhandelsbranche eingestiegen. In einer Buchhandlung in der Kantstraße arbeitete er sich kontinuierlich hoch. Mithilfe der Mitgift, die Else Marcuse von ihren Eltern erhielt, erstand das Ehepaar Mitte der 1920er Jahre eine eigene Buchhandlung. Die Geschäfte florierten, aufgrund der Geldentwertung während der Inflationszeit brachen die Verkaufserträge dann aber ein. Friedrich Friedemann eröffnete daraufhin auf dem Grundstock einiger kostbarer Bücher, die er noch aus dem Bestand seiner Buchhandlung retten konnte, ein Antiquariat. Die Geschäfte gingen so gut, dass man es sich leisten konnte, in einer Dreizimmer-Wohnung in der Brünhildestraße 1, vierte Etage, zu wohnen. Aber schon im Oktober 1932 mussten sie die Wohnung aufgeben und in eine bescheidenere Zweieinhalbzimmer-Wohnung am Cosimaplatz 5 (bis 1935: Wagnerplatz), Parterre, umziehen. Der Mietzins betrug 40,-- RM monatlich. Darüber hinaus wurde Friedrich Friedemann im Jahre 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Dadurch verminderten sich die Einnahmen nochmals erheblich. Er sah sich deshalb gezwungen, als Bauarbeiter zu arbeiten, um so den Unterhalt seiner Familie sichern zu können. Bald aber schon wurde er zur Zwangsarbeit verpflichtet. Er arbeitete in den Pertrix-Werken in Niederschöneweide und verdiente dort wöchentlich 24,-- RM. Die jüngere Tochter Ursula wanderte am 27. Juni 1939 nach England aus, die Tochter Ruth hingegen blieb in Berlin. Auch Else Friedemann wurde nicht von Zwangsarbeit verschont. Sie musste bei der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik AG Borsigwalde, Eichborndamm 103-127, arbeiten. Sie erhielt für ihre Arbeit wöchentlich 12,-- bis 14,-- RM. Zu Beginn der 1940er Jahre reichte sie die Scheidung von ihrem Mann ein. Der Grund dafür ist nicht bekannt, lebte doch das Ehepaar nach der rechtskräftigen Trennung im März 1942 weiterhin zusammen. Am 31. März 1942 füllte sie ihre Vermögenserklärung aus. Ihre Wohnung beschrieb sie darin als eine "Kellerwohnung" ohne jeglichen "Comfort". Sie legte eine separate Abrechnung von der Commerzbank bei, die vermutlich ihre Vermögensverhältnisse auflistete. Von anderer Hand wurde ein Eintrag in der Rubrik "Wertpapiere" vorgenommen und ihr Vermögen mit 1.425,-- RM angegeben. Außerdem stand ihr noch eine Zahlung in Höhe von 500,-- Goldmark für eine Teilhypothek auf einen Bauernhof in Selchow zu. Zu der Frage "Stehen Ihnen Unterhaltsansprüche zu?" trug sie ein: "ja gegen meinen Mann er hat laut Rechtsprechung für meinen Lebensunterhalt zu sorgen." <br />
Am 2. April 1942 wurde das frisch geschiedene, aber nicht getrennte Ehepaar Friedemann mit dem 12. Transport in das Warschauer Ghetto deportiert. Man kann nur spekulieren, ob sie dort nochmals mit ihrer Tochter Ruth zusammengetroffen sind. Ruth hatte am 8. April 1942, nur sechs Tage nach der Deportation ihrer Eltern, den Bäcker Manfred Kaliski geheiratet. Auf diese Weise wurden das junge Paar nicht voneinander getrennt, als man sie am 14. April 1942 mit dem Zielort Trawniki deportierte. Dort kamen sie aber niemals an. Die Deportierten wurden in die unterschiedlichen Ghettos umverteilt. Ruth und Manfred Kaliski kamen wie Ruths Eltern in das Warschauer Ghetto. Dort verlieren sich die Spuren der vier Menschen. <br />
Auch Margarete Meinhardt, die Schwester von Else Friedemann, überlebte nicht. Sie wurde am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. <br />
Die Hauseigentümer stellten hinsichtlich der Mietrückstände mehrmals Ansprüche an die Vermögensverwertungsstelle. Das Inventar der Wohnung wurde mit 208,-- RM bewertet und anschließend verkauft. Am 16. September 1944 verfiel das gesamte Vermögen von Else Friedemann dem Reich. Dennoch fragte die Vermögensverwer-tungsstelle vorsorglich nochmals bei der Commerzbank an, ob Else Friedemann dort noch ein Konto und ein Wertpapieredepot besaß. Die Teilhypothek auf den Bauernhof in Selchow, die man ihr noch schuldete, wurde am 23. Dezember 1944 an die Oberfinanzkasse eingezahlt und verfiel damit dem Reich. <br />
Die Tochter Ursula stellte nach dem Krieg einen Entschädigungsantrag. <br />
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Quelle/n: Recherchen der Patin; BLHA; LABO; Volkszählungsdaten 1939; Adressbücher Berlin; Deportationsliste; Gerlind Lachenicht: Deportierte Christen jüdischer Herkunft, die zwischen 1933-1940 in der Messiaskapelle getauft wurden. In: Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin (Hrsg.): Evangelisch getauft, als Juden verfolgt. Berlin 2008, S. 380ff.<br />
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Else Marcuse kam am 23. Oktober 1892 in Fiddichow/Pommern als Tochter von Isaac und Agnes Marcuse, geborene Jacobson, zur Welt. Sie hatte eine ältere Schwester, Margarete, die am 5. Oktober 1891 geboren wurde. Ihre Eltern besaßen ein Ladenlokal in der Bahnerstraße 4 in Fiddichow und verkauften dort Manufakturwaren. Ihre Mutter Agnes hatte die Firma M. Jacobson mit in die Ehe gebracht. Über Else Marcuses Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt. In Berlin lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Friedrich Friedemann in einer Buchhandlung in der Kantstraße kennen, in der er als Buchhändler arbeitete. Das Paar heiratete zu Beginn der 1920er Jahre und zog nach Berlin. Am 12. September kam die Tochter Gisela zur Welt, ihr folgte am 26. Oktober 1922 die Tochter Ursula Brigitte. Friedrich Friedemann war jüdischer Abstammung, aber evangelisch getauft. Vermutlich wurden auch die Töchter unmittelbar nach ihrer Geburt getauft und anschließend im christlichen Glauben erzogen. Else Friedemann hingegen konvertierte erst 1939 in der Messiaskapelle in der Kastanienallee 22 /Prenzlauer Berg zum evangelischen Christentum. Die Messiaskapelle war der Sitz der "Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden", die zwischen Januar 1933 und Januar 1941 über 700 Menschen in die christliche Gemeinde aufnahm. Der Familie ging es zunächst wirtschaftlich sehr gut. Friedrich Friedemann hatte ein Jurastudium abgebrochen und war in die Buchhandelsbranche eingestiegen. In einer Buchhandlung in der Kantstraße arbeitete er sich kontinuierlich hoch. Mithilfe der Mitgift, die Else Marcuse von ihren Eltern erhielt, erstand das Ehepaar Mitte der 1920er Jahre eine eigene Buchhandlung. Die Geschäfte florierten, aufgrund der Geldentwertung während der Inflationszeit brachen die Verkaufserträge dann aber ein. Friedrich Friedemann eröffnete daraufhin auf dem Grundstock einiger kostbarer Bücher, die er noch aus dem Bestand seiner Buchhandlung retten konnte, ein Antiquariat. Die Geschäfte gingen so gut, dass man es sich leisten konnte, in einer Dreizimmer-Wohnung in der Brünhildestraße 1, vierte Etage, zu wohnen. Aber schon im Oktober 1932 mussten sie die Wohnung aufgeben und in eine bescheidenere Zweieinhalbzimmer-Wohnung am Cosimaplatz 5 (bis 1935: Wagnerplatz), Parterre, umziehen. Der Mietzins betrug 40,-- RM monatlich. Darüber hinaus wurde Friedrich Friedemann im Jahre 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Dadurch verminderten sich die Einnahmen nochmals erheblich. Er sah sich deshalb gezwungen, als Bauarbeiter zu arbeiten, um so den Unterhalt seiner Familie sichern zu können. Bald aber schon wurde er zur Zwangsarbeit verpflichtet. Er arbeitete in den Pertrix-Werken in Niederschöneweide und verdiente dort wöchentlich 24,-- RM. Die jüngere Tochter Ursula wanderte am 27. Juni 1939 nach England aus, die Tochter Ruth hingegen blieb in Berlin. Auch Else Friedemann wurde nicht von Zwangsarbeit verschont. Sie musste bei der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik AG Borsigwalde, Eichborndamm 103-127, arbeiten. Sie erhielt für ihre Arbeit wöchentlich 12,-- bis 14,-- RM. Zu Beginn der 1940er Jahre reichte sie die Scheidung von ihrem Mann ein. Der Grund dafür ist nicht bekannt, lebte doch das Ehepaar nach der rechtskräftigen Trennung im März 1942 weiterhin zusammen. Am 31. März 1942 füllte sie ihre Vermögenserklärung aus. Ihre Wohnung beschrieb sie darin als eine "Kellerwohnung" ohne jeglichen "Comfort". Sie legte eine separate Abrechnung von der Commerzbank bei, die vermutlich ihre Vermögensverhältnisse auflistete. Von anderer Hand wurde ein Eintrag in der Rubrik "Wertpapiere" vorgenommen und ihr Vermögen mit 1.425,-- RM angegeben. Außerdem stand ihr noch eine Zahlung in Höhe von 500,-- Goldmark für eine Teilhypothek auf einen Bauernhof in Selchow zu. Zu der Frage "Stehen Ihnen Unterhaltsansprüche zu?" trug sie ein: "ja gegen meinen Mann er hat laut Rechtsprechung für meinen Lebensunterhalt zu sorgen."
Am 2. April 1942 wurde das frisch geschiedene, aber nicht getrennte Ehepaar Friedemann mit dem 12. Transport in das Warschauer Ghetto deportiert. Man kann nur spekulieren, ob sie dort nochmals mit ihrer Tochter Ruth zusammengetroffen sind. Ruth hatte am 8. April 1942, nur sechs Tage nach der Deportation ihrer Eltern, den Bäcker Manfred Kaliski geheiratet. Auf diese Weise wurden das junge Paar nicht voneinander getrennt, als man sie am 14. April 1942 mit dem Zielort Trawniki deportierte. Dort kamen sie aber niemals an. Die Deportierten wurden in die unterschiedlichen Ghettos umverteilt. Ruth und Manfred Kaliski kamen wie Ruths Eltern in das Warschauer Ghetto. Dort verlieren sich die Spuren der vier Menschen.
Auch Margarete Meinhardt, die Schwester von Else Friedemann, überlebte nicht. Sie wurde am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Die Hauseigentümer stellten hinsichtlich der Mietrückstände mehrmals Ansprüche an die Vermögensverwertungsstelle. Das Inventar der Wohnung wurde mit 208,-- RM bewertet und anschließend verkauft. Am 16. September 1944 verfiel das gesamte Vermögen von Else Friedemann dem Reich. Dennoch fragte die Vermögensverwer-tungsstelle vorsorglich nochmals bei der Commerzbank an, ob Else Friedemann dort noch ein Konto und ein Wertpapieredepot besaß. Die Teilhypothek auf den Bauernhof in Selchow, die man ihr noch schuldete, wurde am 23. Dezember 1944 an die Oberfinanzkasse eingezahlt und verfiel damit dem Reich.
Die Tochter Ursula stellte nach dem Krieg einen Entschädigungsantrag.

Quelle/n: Recherchen der Patin; BLHA; LABO; Volkszählungsdaten 1939; Adressbücher Berlin; Deportationsliste; Gerlind Lachenicht: Deportierte Christen jüdischer Herkunft, die zwischen 1933-1940 in der Messiaskapelle getauft wurden. In: Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin (Hrsg.): Evangelisch getauft, als Juden verfolgt. Berlin 2008, S. 380ff.