Anna Abraham geb. Nathansohn

Verlegeort
Georg-Wilhelm-Straße 12
Bezirk/Ortsteil
Halensee
Verlegedatum
14. April 2015
Geboren
06. Januar 1872 in Lobsens (Posen) / Łobżenica
Deportation
am 17. März 1943 nach Theresienstadt
Später deportiert
am 18. Mai 1944 nach Auschwitz
Ermordet
1944 in Auschwitz

Anna Abraham, geb. Nathansohn, wurde am 6. Januar 1872 in Lobsens (Łobżenica) in der Region Posen (Poznan) als Tochter des Kaufmanns Michaelis Nathansohn (1824-1893) und seiner Frau Henriette, geb. Busse, geboren. Sie hatte fünf Geschwister: Betty (*1866), Ernst (*1867), Dora, Rosa und Gustav. Als der Vater – wohl mittellos – starb, lebte die Familie in Berlin in der Rosenthaler Vorstadt (Linienstraße 203).<br />
<br />
Kurz zuvor heiratete Anna Nathansohn, wie damals üblich in jungen Jahren, den Zahnarzt Adolf Abraham. Am 18. Juli 1863 in Altenwerder bei Neustettin (Pommern) geboren, studierte er in Berlin Chemie und Zahnmedizin. Nach der Approbation 1889 in Rostock nahm er seine Praxis in Konitz/Westpreußen auf und entwickelte daneben zahntechnische Werkstoffe.<br />
<br />
1894 kam der Sohn Hans Michael zur Welt. 1897 zogen Abrahams nach Berlin. Dort gründete Adolf Abraham das Unternehmen „Dr. Abraham’s Laboratorium für zahnärztliche Füllmaterialien“ – „DRALA“ und wurde 1899 zum Dr. phil. promoviert.<br />
<br />
Die Abrahams prosperierten. Nach einigen Umzügen zogen sie 1912 an den Kurfürstendamm. Adolf Abraham brachte mehrere Patente zur Eintragung. Anfang der 20er Jahre erwarb er ein großes Grundstück in Halensee zwischen Georg-Wilhelm-Straße und Katharinenstraße, mit zwei Mietshäusern, zahlreichen Garagen und Gewerberäumen, in denen er u.a. die Produktion des Unternehmens unterbachte. Um 1930 exportierte DRALA in 30 Länder.<br />
<br />
Zwischenzeitlich hatte Hans Abraham sein Medizinstudium beendet. Nach der Approbation 1917 forschte er bei Magnus Hirschfeld und wurde 1921 promoviert, stieg später aber offenbar in die Firma ein.<br />
<br />
1928 erwarb Anna Abraham ein Grundstück am Groß Glienicker See. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem engagierten und philosophisch hochinteressierten Freimaurer, ließ sie von den Architekten Otto Block und Dr. Richard Oppenheim ein Landhaus bauen, dessen Garten die bekannten Gartengestalter Karl Foerster und Hermann Mattern anlegten. Das Haus in Groß Glienicke diente als Rückzugsort für Wochenenden und Ferien, oft auch in der erweiterten Familie und wohl auch für freimaurerische Freunde.<br />
<br />
Hans Abraham heiratete 1931 Stephanie Bruck deren (Adoptiv-)Vater Fritz Bruck stellvertretendes Vorstandsmitglied der Deutschen Bank war und wie Abrahams jüdischen Glaubens. Das Paar bezog eine Wohnung in der Georg-Wilhelm-Straße 12.<br />
<br />
Die „Machtergreifung“ 1933 änderte vieles. Adolf Abraham wurde 1933 die Kassenzulassung entzogen. Anna und Adolf Abraham zogen in die Bregenzer Straße 5 in Wilmersdorf. Schon 1933 gründeten die Abrahams eine Firma in England und Anfang 1936 emigrierte Hans Abraham mit seiner Familie nach London.<br />
<br />
Anna und Adolf Abraham zogen nun in die Georg-Wilhelm-Straße. 1937 reisten sie mehrfach nach England. Das Unternehmen führten sie fort, verzichteten aber wohl weitgehend auf neue Investitionen. Ende 1938 beschlossen sie die Liquidation der Firma, letztlich wohl Folge der „Kristallnacht“ im November 1938. Es gibt Hinweise auf Vandalismus und Diebstahl im Groß Glienicker Haus.<br />
<br />
Am 3. März 1939 starb Adolf Abraham schwer herzkrank in Berlin. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee begraben, unweit des 1934 verstorbenen Fritz Bruck. Beide Gräber wurden 2002 wiederhergestellt.<br />
<br />
Nach dem Tode Adolf Abrahams verstärkte sich der Druck. Im Mai „ermittelte“ die Gestapo wegen angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltens und angeblicher „Hetze“ durch Hans Abraham. Es gab Arisierungsanfragen. Ein Pächter der Garagen in Halensee drängte Anna Abraham zum Verkauf des Grundbesitzes. Am 22. Juni 1939 wurde ein „Treuhänder“ über das Vermögen und Grundbesitz der Firma bestellt. Der Pächter wendete sich an das Wirtschaftsministerium, es gebe Vorschriften, um „jüdischen Grundbesitz in arische Hände zu überführen“. Ein Gutachten gab als Verkaufswert ca. RM 421.000 an.<br />
<br />
Zum 1. Oktober 1939 verkaufte der „Treuhänder“ das Unternehmen ohne Grundstücke an einen Berliner Fabrikanten. Der Grundbesitz ging im Februar 1940 an den genannten Pächter, zum Preis von RM 230.000. Der am Grundbesitz ebenfalls interessierten Deutschen Arbeitsfront wurde ein Vorkaufsrecht eingeräumt. <br />
<br />
Für Anna Abraham blieb vom Kaufpreis fast nichts übrig. Sie legte Beschwerde ein: Der Kaufpreis liege unter dem gutachtlich festgestellten Wert und gehe größtenteils für Steuern drauf. Sie bat um eine Erhöhung, zumal sie mehrere Familienmitglieder unterstütze. Erfolglos: Anna Abrahams persönliche Umstände seien ohne Belang.<br />
<br />
Immerhin: Ein nicht uneigennütziges Ersuchen des „Treuhänders“ vom Mai 1940, auch das Landhaus in Groß Glienicke zu „entjuden“ und ihn zum Verkauf zu bevollmächtigen, lehnte das Reichswirtschaftsministerium rundweg ab. Anna Abraham hatte aber offenbar keinen Zugriff auf die Erlöse aus der Firma. Im November 1940 verkaufte sie das Groß Glienicker Haus.<br />
<br />
Auf den Kaufpreis für das Haus konnte der „Treuhänder“ der Firma nicht zugreifen. Allerdings nahmen die Repressalien zu: Anna Abraham musste Silber und Schmuck „abliefern“. Sie wohnte weiter in der Georg-Wilhelm-Straße, aber zunehmend beengt, zuletzt als „Untermieterin“ eines möblierten Zimmers in der Wohnung ihrer Schwägerin Wilma Busse. Annas Bruder, evangelisch getauft, hatte sich 1908 in Busse umbenannt. Nach dem Verlust der Anwaltszulassung 1938 zogen er und seine Frau zu Anna Abraham.<br />
<br />
1940 stand im Namens- und im Häuserverzeichnis des Berliner Adressbuchs:<br />
<br />
Abraham Anna Frau Halensee Georg-Wilhelm-Str 12 T<br />
<br />
Georg-Wilhelm-Str.12 E Abraham, A., Dr, Laboratorium T.<br />
<br />
Abraham, Anna, Frau T.<br />
<br />
(E bedeutet Eigentümer, T heißt Telefon)<br />
<br />
Die „Arisierung“ des Unternehmens zog sich hin. Es gab Streit um die Bewertung und einer „Ausgleichsabgabe“ zugunsten des Reiches. Dem „Treuhänder“ wurde Untreue vorgeworfen. Erst Ende 1942 wurde die Veräußerung der Firma eingetragen, der Name DRALA trotz Beanstandung als „jüdisch“ fortgeführt. Anfang 1944 wurde der Halenseer Grundbesitz durch Bomben schwer geschädigt.<br />
<br />
Nach dem Krieg gründeten die Erwerber der Firma in Hamburg die „Drala GmbH“, vermutlich im Einvernehmen mit Hans Abraham. Die Firma bestand mit Änderungen bis 1995, die Marke noch heute. Hans Abraham starb 1950, seine Witwe 2004 in New York.<br />
<br />
All dies erlebte Anna Abraham nicht. Am 4. März 1943 wurde sie „abgeholt“ und am 17. März nach Theresienstadt deportiert. Dort war bereits im Februar 1943 ihre Schwester Betty gestorben. Anna Abrahams Nichte wurde im Februar nach Auschwitz deportiert. Am 19. August 1943 teilte die Gestapo dem Stadtpräsidenten von Berlin und der Oberfinanzdirektion mit: „Die Jüdin Anna Sara Abraham, geb. Nathansohn, zuletzt Berlin-Halensee, Georg-Wilhelm-Str. 12 wohnhaft gewesen, ist am 17.3.1943 unter Nr.015607 abgewandert. Ihr Vermögen ist dem Reich verfallen.“ Während ihr Bruder Ernst überlebte und nach Berlin zurückkehrte, wurde Anna Abraham am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. <br />
<br />
Die Häuser in Halensee wurden nach dem Krieg restituiert, stehen aber nicht mehr. Das Haus in Groß Glienicke, durch dessen Garten später die Berliner Mauer verlief, wurde – inzwischen als Denkmal geschützt – 2010/11. Ein dreifaches „A“ erinnert golden leuchtend an die Bauherren Anna und Adolf Abraham.

Anna Abraham, geb. Nathansohn, wurde am 6. Januar 1872 in Lobsens (Łobżenica) in der Region Posen (Poznan) als Tochter des Kaufmanns Michaelis Nathansohn (1824-1893) und seiner Frau Henriette, geb. Busse, geboren. Sie hatte fünf Geschwister: Betty (*1866), Ernst (*1867), Dora, Rosa und Gustav. Als der Vater – wohl mittellos – starb, lebte die Familie in Berlin in der Rosenthaler Vorstadt (Linienstraße 203).

Kurz zuvor heiratete Anna Nathansohn, wie damals üblich in jungen Jahren, den Zahnarzt Adolf Abraham. Am 18. Juli 1863 in Altenwerder bei Neustettin (Pommern) geboren, studierte er in Berlin Chemie und Zahnmedizin. Nach der Approbation 1889 in Rostock nahm er seine Praxis in Konitz/Westpreußen auf und entwickelte daneben zahntechnische Werkstoffe.

1894 kam der Sohn Hans Michael zur Welt. 1897 zogen Abrahams nach Berlin. Dort gründete Adolf Abraham das Unternehmen „Dr. Abraham’s Laboratorium für zahnärztliche Füllmaterialien“ – „DRALA“ und wurde 1899 zum Dr. phil. promoviert.

Die Abrahams prosperierten. Nach einigen Umzügen zogen sie 1912 an den Kurfürstendamm. Adolf Abraham brachte mehrere Patente zur Eintragung. Anfang der 20er Jahre erwarb er ein großes Grundstück in Halensee zwischen Georg-Wilhelm-Straße und Katharinenstraße, mit zwei Mietshäusern, zahlreichen Garagen und Gewerberäumen, in denen er u.a. die Produktion des Unternehmens unterbachte. Um 1930 exportierte DRALA in 30 Länder.

Zwischenzeitlich hatte Hans Abraham sein Medizinstudium beendet. Nach der Approbation 1917 forschte er bei Magnus Hirschfeld und wurde 1921 promoviert, stieg später aber offenbar in die Firma ein.

1928 erwarb Anna Abraham ein Grundstück am Groß Glienicker See. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem engagierten und philosophisch hochinteressierten Freimaurer, ließ sie von den Architekten Otto Block und Dr. Richard Oppenheim ein Landhaus bauen, dessen Garten die bekannten Gartengestalter Karl Foerster und Hermann Mattern anlegten. Das Haus in Groß Glienicke diente als Rückzugsort für Wochenenden und Ferien, oft auch in der erweiterten Familie und wohl auch für freimaurerische Freunde.

Hans Abraham heiratete 1931 Stephanie Bruck deren (Adoptiv-)Vater Fritz Bruck stellvertretendes Vorstandsmitglied der Deutschen Bank war und wie Abrahams jüdischen Glaubens. Das Paar bezog eine Wohnung in der Georg-Wilhelm-Straße 12.

Die „Machtergreifung“ 1933 änderte vieles. Adolf Abraham wurde 1933 die Kassenzulassung entzogen. Anna und Adolf Abraham zogen in die Bregenzer Straße 5 in Wilmersdorf. Schon 1933 gründeten die Abrahams eine Firma in England und Anfang 1936 emigrierte Hans Abraham mit seiner Familie nach London.

Anna und Adolf Abraham zogen nun in die Georg-Wilhelm-Straße. 1937 reisten sie mehrfach nach England. Das Unternehmen führten sie fort, verzichteten aber wohl weitgehend auf neue Investitionen. Ende 1938 beschlossen sie die Liquidation der Firma, letztlich wohl Folge der „Kristallnacht“ im November 1938. Es gibt Hinweise auf Vandalismus und Diebstahl im Groß Glienicker Haus.

Am 3. März 1939 starb Adolf Abraham schwer herzkrank in Berlin. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee begraben, unweit des 1934 verstorbenen Fritz Bruck. Beide Gräber wurden 2002 wiederhergestellt.

Nach dem Tode Adolf Abrahams verstärkte sich der Druck. Im Mai „ermittelte“ die Gestapo wegen angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltens und angeblicher „Hetze“ durch Hans Abraham. Es gab Arisierungsanfragen. Ein Pächter der Garagen in Halensee drängte Anna Abraham zum Verkauf des Grundbesitzes. Am 22. Juni 1939 wurde ein „Treuhänder“ über das Vermögen und Grundbesitz der Firma bestellt. Der Pächter wendete sich an das Wirtschaftsministerium, es gebe Vorschriften, um „jüdischen Grundbesitz in arische Hände zu überführen“. Ein Gutachten gab als Verkaufswert ca. RM 421.000 an.

Zum 1. Oktober 1939 verkaufte der „Treuhänder“ das Unternehmen ohne Grundstücke an einen Berliner Fabrikanten. Der Grundbesitz ging im Februar 1940 an den genannten Pächter, zum Preis von RM 230.000. Der am Grundbesitz ebenfalls interessierten Deutschen Arbeitsfront wurde ein Vorkaufsrecht eingeräumt.

Für Anna Abraham blieb vom Kaufpreis fast nichts übrig. Sie legte Beschwerde ein: Der Kaufpreis liege unter dem gutachtlich festgestellten Wert und gehe größtenteils für Steuern drauf. Sie bat um eine Erhöhung, zumal sie mehrere Familienmitglieder unterstütze. Erfolglos: Anna Abrahams persönliche Umstände seien ohne Belang.

Immerhin: Ein nicht uneigennütziges Ersuchen des „Treuhänders“ vom Mai 1940, auch das Landhaus in Groß Glienicke zu „entjuden“ und ihn zum Verkauf zu bevollmächtigen, lehnte das Reichswirtschaftsministerium rundweg ab. Anna Abraham hatte aber offenbar keinen Zugriff auf die Erlöse aus der Firma. Im November 1940 verkaufte sie das Groß Glienicker Haus.

Auf den Kaufpreis für das Haus konnte der „Treuhänder“ der Firma nicht zugreifen. Allerdings nahmen die Repressalien zu: Anna Abraham musste Silber und Schmuck „abliefern“. Sie wohnte weiter in der Georg-Wilhelm-Straße, aber zunehmend beengt, zuletzt als „Untermieterin“ eines möblierten Zimmers in der Wohnung ihrer Schwägerin Wilma Busse. Annas Bruder, evangelisch getauft, hatte sich 1908 in Busse umbenannt. Nach dem Verlust der Anwaltszulassung 1938 zogen er und seine Frau zu Anna Abraham.

1940 stand im Namens- und im Häuserverzeichnis des Berliner Adressbuchs:

Abraham Anna Frau Halensee Georg-Wilhelm-Str 12 T

Georg-Wilhelm-Str.12 E Abraham, A., Dr, Laboratorium T.

Abraham, Anna, Frau T.

(E bedeutet Eigentümer, T heißt Telefon)

Die „Arisierung“ des Unternehmens zog sich hin. Es gab Streit um die Bewertung und einer „Ausgleichsabgabe“ zugunsten des Reiches. Dem „Treuhänder“ wurde Untreue vorgeworfen. Erst Ende 1942 wurde die Veräußerung der Firma eingetragen, der Name DRALA trotz Beanstandung als „jüdisch“ fortgeführt. Anfang 1944 wurde der Halenseer Grundbesitz durch Bomben schwer geschädigt.

Nach dem Krieg gründeten die Erwerber der Firma in Hamburg die „Drala GmbH“, vermutlich im Einvernehmen mit Hans Abraham. Die Firma bestand mit Änderungen bis 1995, die Marke noch heute. Hans Abraham starb 1950, seine Witwe 2004 in New York.

All dies erlebte Anna Abraham nicht. Am 4. März 1943 wurde sie „abgeholt“ und am 17. März nach Theresienstadt deportiert. Dort war bereits im Februar 1943 ihre Schwester Betty gestorben. Anna Abrahams Nichte wurde im Februar nach Auschwitz deportiert. Am 19. August 1943 teilte die Gestapo dem Stadtpräsidenten von Berlin und der Oberfinanzdirektion mit: „Die Jüdin Anna Sara Abraham, geb. Nathansohn, zuletzt Berlin-Halensee, Georg-Wilhelm-Str. 12 wohnhaft gewesen, ist am 17.3.1943 unter Nr.015607 abgewandert. Ihr Vermögen ist dem Reich verfallen.“ Während ihr Bruder Ernst überlebte und nach Berlin zurückkehrte, wurde Anna Abraham am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Die Häuser in Halensee wurden nach dem Krieg restituiert, stehen aber nicht mehr. Das Haus in Groß Glienicke, durch dessen Garten später die Berliner Mauer verlief, wurde – inzwischen als Denkmal geschützt – 2010/11. Ein dreifaches „A“ erinnert golden leuchtend an die Bauherren Anna und Adolf Abraham.