Chaim Singer

Verlegeort
Choriner Str. 81
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
26. September 2015
Geboren
31. März 1897 in Pobiedro
Beruf
Schneider
Ermordet
1943 im besetzen Polen

1912 verlässt Salomon Schneider (*1.8.1867) mit seiner Familie Chrzanow, eine westgalizische Stadt westlich von Krakau. Er zieht in die Choriner Straße 3 (gegenüber), arbeitet in der Spedition Josef Leinkauf in der Linkstraße 25 als Handelsreisender.<br />
<br />
Doch seine Einbürgerung wird 1920 abgelehnt, obwohl die Familie auch in Chrzanow nie etwas anderes als Deutsch gesprochen hat, da seine „wirtschaftliche Lage“ – er gibt als Jahreseinkommen 3.000 Mark an – „nicht zureichend gesichert“ scheint. <br />
<br />
„Ostjuden“ waren in Berlin nicht willkommen. 1916 gab es die erste „Judenzählung“; hysterisch wurden die Grenzen nach Österreich geschlossen, und Neuankömmlinge wurden in (schon 1920 so genannten) Konzentrationslagern interniert. Die Einbürgerung wurde meist abgelehnt. „Ist der Antragsteller als wünschenswerter Zuwachs der inländischen Bevölkerung anzusehen?“ heißt es im polizeilichen Formular, und auch bei Salomon Schneider und den Seinen schreibt der notierende Beamte: „Nein.“<br />
<br />
Für den Antisemitismus der Weimarer Republik sind vor allem die „Ostjuden“ die Zielscheibe, und auch manchem assimilierten „Westjuden“ sind die Ankömmlinge suspekt. Albert Einstein ist einer, der das anders sieht, er bricht „eine Lanze für die unglücklichen Flüchtlinge, die sich aus der Hölle gerettet“ haben.<br />
<br />
Das Leben der Schneiders kommt nicht zur Ruhe. Zwei Töchter (Aurelia, 1903-1963, und Hinda/Minka, 1907-1974) versuchen ihr Glück in England. 1934 stirbt Salomon 66jährig; seine Ehefrau Malka (15.9.1867, geb. Bienenstock) zieht auf die andere Straßenseite in die Hausnummer 81 zu ihrer ältesten Tochter Chaja, die dort mit ihrem Ehemann, dem Schneider Chaim Singer (*1897 Pobiedro) und den beiden Kindern Edwin (*1924) und Stefanie (*1926) lebt. <br />
<br />
Der Nationalsozialismus hat den verbreiteten Antisemitismus zum politischen Ziel gemacht und überzieht seit 1933 das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leben der Juden mit gesetzlichen Verboten und unmittelbarer Gewalt. Auch die Singers und Schneiders wissen offenbar, dass es um Leben und Tod geht. Im November 1938 haben britische Juden und Quäker ihre Regierung von der Notwendigkeit überzeugt, mindestens die jüdischen Kinder aus Deutschland zu retten. Die Einreise nach England wird gestattet, wenn sich dort ein Förderer oder eine Pflegefamilie findet. Über 10.000 von ihnen verlassen bis September in den „Kindertransporten“ das Land. Am 4. Juli 1939 sitzt auch der 14jährige Edwin im Zug nach Holland, setzt mit dem Schiff nach Harwich, England, über. <br />
<br />
Konnten die Londoner Tanten Aurelia und Hinda nur ein Kind aufnehmen; hatte die Berliner Familie nicht das Geld, auch Stefanie auf diese rettende Reise zu bringen?<br />
<br />
1940 scheint die Familie noch in der Choriner Straße 81 zu wohnen. Doch im Sommer 1942 ist sie bereits nach Polen deportiert; Malka Schneiders einziger Sohn Manes, der zuletzt (freiwillig oder nicht?) in der Melanchtonstraße 18 gemeldet ist, steht als Nummer 468 auf der Transportliste des „23. Osttransportes“, der am 29.11.1942 den Moabiter Güterbahnhof mit dem Ziel Auschwitz verlässt. Die restliche Familie findet den Tod in oder bei Skawina, keine 50 km von ihrem Geburtsort Chrzanow entfernt.<br />
<br />
Edwin forscht verzweifelt, aber erfolglos nach dem Verbleib der Seinen. Er durchläuft die militärische Grundausbildung und kommt erst 1946 als britischer Soldat im „Interpretors Pool“, der Übersetzerstaffel der Alliierten, wieder nach Berlin. Hier lernt er seine spätere Ehefrau Ingeborg Huchthausen (1926-1997) kennen und zieht mit ihr nach Enfield bei London, wo er 1992 stirbt.

1912 verlässt Salomon Schneider (*1.8.1867) mit seiner Familie Chrzanow, eine westgalizische Stadt westlich von Krakau. Er zieht in die Choriner Straße 3 (gegenüber), arbeitet in der Spedition Josef Leinkauf in der Linkstraße 25 als Handelsreisender.

Doch seine Einbürgerung wird 1920 abgelehnt, obwohl die Familie auch in Chrzanow nie etwas anderes als Deutsch gesprochen hat, da seine „wirtschaftliche Lage“ – er gibt als Jahreseinkommen 3.000 Mark an – „nicht zureichend gesichert“ scheint.

„Ostjuden“ waren in Berlin nicht willkommen. 1916 gab es die erste „Judenzählung“; hysterisch wurden die Grenzen nach Österreich geschlossen, und Neuankömmlinge wurden in (schon 1920 so genannten) Konzentrationslagern interniert. Die Einbürgerung wurde meist abgelehnt. „Ist der Antragsteller als wünschenswerter Zuwachs der inländischen Bevölkerung anzusehen?“ heißt es im polizeilichen Formular, und auch bei Salomon Schneider und den Seinen schreibt der notierende Beamte: „Nein.“

Für den Antisemitismus der Weimarer Republik sind vor allem die „Ostjuden“ die Zielscheibe, und auch manchem assimilierten „Westjuden“ sind die Ankömmlinge suspekt. Albert Einstein ist einer, der das anders sieht, er bricht „eine Lanze für die unglücklichen Flüchtlinge, die sich aus der Hölle gerettet“ haben.

Das Leben der Schneiders kommt nicht zur Ruhe. Zwei Töchter (Aurelia, 1903-1963, und Hinda/Minka, 1907-1974) versuchen ihr Glück in England. 1934 stirbt Salomon 66jährig; seine Ehefrau Malka (15.9.1867, geb. Bienenstock) zieht auf die andere Straßenseite in die Hausnummer 81 zu ihrer ältesten Tochter Chaja, die dort mit ihrem Ehemann, dem Schneider Chaim Singer (*1897 Pobiedro) und den beiden Kindern Edwin (*1924) und Stefanie (*1926) lebt.

Der Nationalsozialismus hat den verbreiteten Antisemitismus zum politischen Ziel gemacht und überzieht seit 1933 das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leben der Juden mit gesetzlichen Verboten und unmittelbarer Gewalt. Auch die Singers und Schneiders wissen offenbar, dass es um Leben und Tod geht. Im November 1938 haben britische Juden und Quäker ihre Regierung von der Notwendigkeit überzeugt, mindestens die jüdischen Kinder aus Deutschland zu retten. Die Einreise nach England wird gestattet, wenn sich dort ein Förderer oder eine Pflegefamilie findet. Über 10.000 von ihnen verlassen bis September in den „Kindertransporten“ das Land. Am 4. Juli 1939 sitzt auch der 14jährige Edwin im Zug nach Holland, setzt mit dem Schiff nach Harwich, England, über.

Konnten die Londoner Tanten Aurelia und Hinda nur ein Kind aufnehmen; hatte die Berliner Familie nicht das Geld, auch Stefanie auf diese rettende Reise zu bringen?

1940 scheint die Familie noch in der Choriner Straße 81 zu wohnen. Doch im Sommer 1942 ist sie bereits nach Polen deportiert; Malka Schneiders einziger Sohn Manes, der zuletzt (freiwillig oder nicht?) in der Melanchtonstraße 18 gemeldet ist, steht als Nummer 468 auf der Transportliste des „23. Osttransportes“, der am 29.11.1942 den Moabiter Güterbahnhof mit dem Ziel Auschwitz verlässt. Die restliche Familie findet den Tod in oder bei Skawina, keine 50 km von ihrem Geburtsort Chrzanow entfernt.

Edwin forscht verzweifelt, aber erfolglos nach dem Verbleib der Seinen. Er durchläuft die militärische Grundausbildung und kommt erst 1946 als britischer Soldat im „Interpretors Pool“, der Übersetzerstaffel der Alliierten, wieder nach Berlin. Hier lernt er seine spätere Ehefrau Ingeborg Huchthausen (1926-1997) kennen und zieht mit ihr nach Enfield bei London, wo er 1992 stirbt.