Elli Smula

Verlegeort
gegenüber Singerstraße 120
Historischer Name
Blumenstraße 92
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
16. November 2015
Geboren
10. Oktober 1914 in Berlin-Charlottenburg
Beruf
Arbeiterin
Verhaftet
12. September 1940 bis 30. November 1940 im Polizeigefängnis Alexanderplatz
Deportation
am 30. November 1940 nach KZ Ravensbrück
Ermordet
08. Juli 1943 im KZ Ravensbrück

Elli Smula wurde kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 10. Oktober 1914 in Charlottenburg bei Berlin geboren. (Die Schreibweise des Vornamens variiert: laut Geburtsurkunde Elli, gelegentlich auch Elly.) Die Mutter, Martha Smula, arbeitete damals als Dienstmädchen in Hohenlychen in der Uckermark (etwa 100 km nördlich von Berlin) – vermutlich in den dortigen Heilstätten für lungenkranke Frauen und Kinder.

Martha Smula wurde 1892 im niederschlesischen Brieg (heute Brzeg/Polen) an der Oder, einer Stadt 40 km südöstlich von Breslau, geboren. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen und arbeitete seit ihrem 14. Lebensjahr als Hausangestellte. Martha Smula war evangelisch.

1911 kam ihr Sohn Willi zur Welt, drei Jahre später die Tochter Elli. Der Vater beider Kinder starb während des Ersten Weltkriegs als Soldat. Da Ellis Eltern nicht verheiratet waren, bekam Martha Smula keine Witwenpension und musste den Unterhalt für sich und ihre Kinder allein verdienen.

Später zog Familie Smula von Hohenlychen nach Berlin. Dort lebte eine Schwester von Martha Smula, vielleicht auch noch andere Familienangehörige. In den Berliner Adressbüchern ist sie ab 1937 als Gastwirtsangestellte in der Blumenstraße 92 im Bezirk Mitte verzeichnet. Martha Smula wohnte mit ihrer Tochter im vierten Stock des Seitenflügels.

Elli Smula war als Arbeiterin tätig. Zu einer Berufsausbildung hatte vermutlich das Geld gefehlt, nachdem ihr Bruder Willi eine Tischlerlehre gemacht hatte. Vielleicht ging sie ab und zu ins „Resi Casino“, ein stadtbekanntes Berliner Tanzlokal, das sich vis-à-vis ihres Wohnhauses, in der Blumenstraße 10, befand. Im „Resi“ gab es Tanzmusik mit großem Orchester und modernen Finessen wie Tischtelefonen, eine Saalrohrpost, Wasser- und Lichtspielen.

Ob Elli Smula einen Freund hatte oder eine Freundin, wissen wir nicht. Es gibt keine persönlichen Unterlagen (z.B. Briefe), die Rückschlüsse auf ihr Privatleben zulassen. Sie war ledig, und soweit bekannt nicht in der NSDAP oder einer Parteiorganisation wie dem BDM oder der NS-Frauenschaft.

Im Sommer 1940 wurde Elli Smula – sie war damals 25 Jahre alt – zur Arbeit bei der Berliner Verkehrs-Gesellschaft, kurz BVG, dienstverpflichtet. Die BVG musste täglich Zigtausende von Fahrgästen zu ihren Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie befördern. Da viele Arbeiter und Angestellte der BVG als Soldaten eingezogen waren, herrschte starker Personalmangel. Infolgedessen wurden mehr als 3000 Frauen zur Arbeit herangezogen. Auch als Schaffnerinnen – eine Arbeit, die bislang Männern vorbehalten war.

Am 23. Juli 1940 begann Elli Smula ihren Dienst bei der BVG im Bezirk Treptow. Im Straßenbahndepot in der Elsenstraße, Ausgangs- und Endpunkt einer ganzen Reihe von Straßenbahnlinien, wurde sie als Schaffnerin im Fahrdienst eingesetzt. Am selben Tag nahm auch Margarete Rosenberg dort die Arbeit auf. Die 30-jährige Frau, die ebenfalls keine Berufsausbildung hatte, war zuvor mehrere Jahre als Prostituierte tätig gewesen. Sie unterlag den behördlichen Schikanen gegenüber Prostituierten, das heißt sie musste sich regelmäßig bei der Gesundheitsbehörde auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen. 1935 hatte Margarete Rosenberg einen ehemaligen Freier geheiratet.

Wenige Wochen nach ihrem Dienstantritt wurden beide Frauen von der Gestapo verhaftet – Elli Smula am 12. September 1940 bei der Arbeit, Margarete Rosenberg drei Tage später – und ins Polizeigefängnis am Alexanderplatz eingeliefert.

Mindestens viermal wurden sie in den nächsten Wochen vom Polizeipräsidium in die Prinz-Albrecht-Straße 8 gefahren und dort getrennt verhört. Diese Adresse, seit 1933 Sitz der Gestapo-Zentrale und seit 1939 des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), des europaweit agierenden Terrorapparats von Polizei und SS, war ein Synonym des Schreckens.

Die Ermittlungen wurden von der RSHA-Dienststelle IV B 1 c durchgeführt. Hinter dem Kürzel verbarg sich - im Jahr 1940 - das Sachgebiet „Homosexualität“, das zum Referat für „Parteiangelegenheiten, oppositionelle Jugendliche und Sonderfälle“ gehörte. Maßgeblich zuständig für die Bekämpfung der Homosexualität beim Geheimen Staatspolizeiamt war Kriminalinspektor Friedrich Fehling (mit Unterbrechungen von 1934 bis Kriegsende).

Obwohl seit Kriegsbeginn in erster Linie die Kriminalpolizei für die Verfolgung homosexueller Männer verantwortlich war, blieb das Homosexuellendezernat bei der Gestapo weiter tätig und ermittelte im Jahr 1940 – allein in Berlin – gegen etwa 150 Männer wegen des Verdachts auf Homosexualität, wie der Historiker Andreas Pretzel herausfand. Dass auch Frauen beim Verdacht lesbischer Beziehungen von dieser Dienststelle verfolgt wurden, war bisher kaum bekannt.

Was Elli Smula und Margarete Rosenberg zur Last gelegt wurde, geht aus einem Vermerk der Gestapostelle IV B 1 c vom 26. September 1940 hervor. Darin heißt es:

„Bei der BVG wurde darüber Klage geführt, daß auf dem Straßenbahnhof in Treptow einige Straßenbahnschaffnerinnen angestellt seien, die regen Verkehr mit Kameradinnen ihres Betriebes in lesbischer Hinsicht unterhalten. So wurde behauptet, daß sie Arbeitskameradinnen mit in die Wohnung nehmen, sie unter Alkohol setzen und dann mit ihnen gleichgeschlechtlich verkehren. Am nächsten Tage seien die Frauen dann nicht in der Lage gewesen, ihren Dienst zu versehen. Dadurch wurde der Betrieb des Straßenbahnhofs Treptow stark gefährdet.“

Die BVG erstattete bei der Gestapo Anzeige, woraufhin eine eingehende Untersuchung angeordnet wurde. Wir wissen nicht, wer Elli Smula, Margarete Rosenberg und weitere Kolleginnen verraten hat. War es eine Kollegin oder ein Vorgesetzter? Die BVG, seit 1933 auf dem Weg zum „nationalsozialistischen Musterbetrieb“, hatte noch im selben Jahr einen „Sicherheitsdienst“ eingerichtet, der der Einschüchterung der Belegschaft diente und Denunziationen Tür und Tor öffnete.

Margarete Rosenberg gab schließlich zu, „sich an Zechgelagen beteiligt und mit Frauen gleichgeschlechtlich verkehrt zu haben“. Aufgrund ihres „unsoliden Lebenswandels“ habe sie ihren Dienst nicht regelmäßig versehen, lautete das Fazit der Gestapo. War das Geständnis zutreffend? Kam es unter Misshandlungen zustande? Anzunehmen ist, dass im Zuge der Ermittlungen weitere Straßenbahnschaffnerinnen bzw. andere Kollegen vernommen wurden. Es sind jedoch keine Namen oder Vernehmungsprotokolle überliefert.

Sexuelle Handlungen zwischen Frauen fielen, anders als diejenigen zwischen Männern, nicht unter §175 des Strafgesetzbuches, somit konnte die Gestapo den „Fall“ nicht an die Justiz abgeben. Eine bloße Einstellung der Ermittlungen kam jedoch offenbar auch nicht in Frage. Die Gestapo verhängte stattdessen Schutzhaft – das bedeutete die Einweisung in ein Konzentrationslager, ohne Aussicht auf Entlassung. Rechtsmittel waren dagegen nicht zulässig.

Elli Smula wurde am 10. Oktober 1940, ihrem 26. Geburtstag, zum letzten Mal verhört. Die nächsten Wochen verbrachte sie weiter im Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Dort konnte sie ihre Mutter einmal unter Aufsicht sehen – und ihr zuflüstern, dass sie an Hunger leide. Am 30. November 1940 wurden Elli Smula und Margarete Rosenberg ins KZ Ravensbrück deportiert und – neben 56 weiteren Frauen – als „Neuzugänge“ registriert. „Staatsabträgliches Verhalten“ stand auf Margarete Rosenbergs Schutzhaftbefehl, und dies war vermutlich auch bei Elli Smula der Fall. Beide wurden den politischen Gefangenen zugeordnet, das heißt sie mussten im Lager einen roten Winkel tragen.

Auf der Zugangsliste des KZ Ravensbrück steht neben dem Haftgrund (politisch) bei beiden zusätzlich der Hinweis „lesbisch“. Bei Margarete Rosenberg findet sich diese Angabe auch noch im Januar 1945, als sie in ein anderes Lager verlegt wurde. Sie überlebte die Haftzeit von mehr als vier Jahren mit schweren gesundheitlichen Schäden und starb 1985.

Wenn Elli Smula, wie andere Gefangene, einmal im Monat ihrer Mutter wenige Zeilen schreiben bzw. einen Brief von ihr erhalten durfte, so unterlag diese Post strenger Zensur. Im Juli 1943 erhielt Martha Smula ein Schreiben der Lagerverwaltung Ravensbrück. Darin wurde ihr mitgeteilt, dass ihre Tochter am 8. Juli 1943 „ganz plötzlich“ verstorben sei. 28 Jahre war Elli Smula damals alt. Starb sie an Hunger und Entkräftung? Oder an einer Krankheit, Folge der mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Blocks, die 1943 völlig überbelegt waren?

Oder trifft zu, was eine ehemalige Gefangene, Martha van Och-Soboll, 1956 aussagte? Och-Soboll kam 1941 als politische Gefangene nach Ravensbrück. 1942 war sie längere Zeit, bis Oktober 1942, im Krankenrevier. Dort, in der Tbc-Abteilung, habe sie beobachtet, wie mehrere Frauen, unter ihnen auch Elli Smula, von der Lagerärztin Dr. Herta Oberheuser mit einer Injektion getötet worden seien. Tatsächlich war Oberheuser an Menschenversuchen beteiligt, die unter Leitung des SS-Obergruppenführers und Professors Karl Gebhardt an etwa 75 polnischen Frauen durchgeführt wurden. Gebhardt leitete seit 1933 die Heilanstalten Hohenlychen, nur wenige Kilometer von Ravensbrück entfernt. Etwa im Juli 1943 verließ Oberheuser Ravensbrück und ging als Assistenzärztin nach Hohenlychen, inzwischen ein Kriegslazarett. Im Nürnberger Ärzteprozess gab sie 1947 unter anderem zu, dass sie im KZ Ravensbrück Häftlinge, die schwerkrank gewesen seien, mit Benzininjektionen getötet habe. Sie wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch bereits 1952 vorzeitig entlassen.

Möglicherweise hat sich Martha van Och-Soboll bei der Zeitangabe geirrt. Wenn Elli Smula bereits im Jahr 1942 durch Herta Oberheuser ermordet worden wäre, hätte man Martha Smula den Tod ihrer Tochter wohl nicht erst im Juli 1943 mitgeteilt. Fest steht, dass die junge Frau an den mörderischen Folgen der Einweisung ins KZ Ravensbrück starb, in Gang gesetzt durch die Anzeige der BVG bei der Gestapo.

Elli Smula und Margarete Rosenberg wurden unter dem Vorwurf festgenommen, durch ihr Verhalten den „Betrieb des Straßenbahnhofs Treptow stark gefährdet“ zu haben. Auch wenn lesbische Handlungen nicht unter den §175 fielen, so verstießen sie doch zweifellos gegen das „gesunde Volksempfinden“ – umso mehr in einem kriegswichtigen Betrieb wie der BVG, von dessen reibungslosem Funktionieren in der Reichshauptstadt viel abhing.

Elli Smula wurde kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 10. Oktober 1914 in Charlottenburg bei Berlin geboren. (Die Schreibweise des Vornamens variiert: laut Geburtsurkunde Elli, gelegentlich auch Elly.) Die Mutter, Martha Smula, arbeitete damals als Dienstmädchen in Hohenlychen in der Uckermark (etwa 100 km nördlich von Berlin) – vermutlich in den dortigen Heilstätten für lungenkranke Frauen und Kinder.

Martha Smula wurde 1892 im niederschlesischen Brieg (heute Brzeg/Polen) an der Oder, einer Stadt 40 km südöstlich von Breslau, geboren. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen und arbeitete seit ihrem 14. Lebensjahr als Hausangestellte. Martha Smula war evangelisch.

1911 kam ihr Sohn Willi zur Welt, drei Jahre später die Tochter Elli. Der Vater beider Kinder starb während des Ersten Weltkriegs als Soldat. Da Ellis Eltern nicht verheiratet waren, bekam Martha Smula keine Witwenpension und musste den Unterhalt für sich und ihre Kinder allein verdienen.

Später zog Familie Smula von Hohenlychen nach Berlin. Dort lebte eine Schwester von Martha Smula, vielleicht auch noch andere Familienangehörige. In den Berliner Adressbüchern ist sie ab 1937 als Gastwirtsangestellte in der Blumenstraße 92 im Bezirk Mitte verzeichnet. Martha Smula wohnte mit ihrer Tochter im vierten Stock des Seitenflügels.

Elli Smula war als Arbeiterin tätig. Zu einer Berufsausbildung hatte vermutlich das Geld gefehlt, nachdem ihr Bruder Willi eine Tischlerlehre gemacht hatte. Vielleicht ging sie ab und zu ins „Resi Casino“, ein stadtbekanntes Berliner Tanzlokal, das sich vis-à-vis ihres Wohnhauses, in der Blumenstraße 10, befand. Im „Resi“ gab es Tanzmusik mit großem Orchester und modernen Finessen wie Tischtelefonen, eine Saalrohrpost, Wasser- und Lichtspielen.

Ob Elli Smula einen Freund hatte oder eine Freundin, wissen wir nicht. Es gibt keine persönlichen Unterlagen (z.B. Briefe), die Rückschlüsse auf ihr Privatleben zulassen. Sie war ledig, und soweit bekannt nicht in der NSDAP oder einer Parteiorganisation wie dem BDM oder der NS-Frauenschaft.

Im Sommer 1940 wurde Elli Smula – sie war damals 25 Jahre alt – zur Arbeit bei der Berliner Verkehrs-Gesellschaft, kurz BVG, dienstverpflichtet. Die BVG musste täglich Zigtausende von Fahrgästen zu ihren Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie befördern. Da viele Arbeiter und Angestellte der BVG als Soldaten eingezogen waren, herrschte starker Personalmangel. Infolgedessen wurden mehr als 3000 Frauen zur Arbeit herangezogen. Auch als Schaffnerinnen – eine Arbeit, die bislang Männern vorbehalten war.

Am 23. Juli 1940 begann Elli Smula ihren Dienst bei der BVG im Bezirk Treptow. Im Straßenbahndepot in der Elsenstraße, Ausgangs- und Endpunkt einer ganzen Reihe von Straßenbahnlinien, wurde sie als Schaffnerin im Fahrdienst eingesetzt. Am selben Tag nahm auch Margarete Rosenberg dort die Arbeit auf. Die 30-jährige Frau, die ebenfalls keine Berufsausbildung hatte, war zuvor mehrere Jahre als Prostituierte tätig gewesen. Sie unterlag den behördlichen Schikanen gegenüber Prostituierten, das heißt sie musste sich regelmäßig bei der Gesundheitsbehörde auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen. 1935 hatte Margarete Rosenberg einen ehemaligen Freier geheiratet.

Wenige Wochen nach ihrem Dienstantritt wurden beide Frauen von der Gestapo verhaftet – Elli Smula am 12. September 1940 bei der Arbeit, Margarete Rosenberg drei Tage später – und ins Polizeigefängnis am Alexanderplatz eingeliefert.

Mindestens viermal wurden sie in den nächsten Wochen vom Polizeipräsidium in die Prinz-Albrecht-Straße 8 gefahren und dort getrennt verhört. Diese Adresse, seit 1933 Sitz der Gestapo-Zentrale und seit 1939 des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), des europaweit agierenden Terrorapparats von Polizei und SS, war ein Synonym des Schreckens.

Die Ermittlungen wurden von der RSHA-Dienststelle IV B 1 c durchgeführt. Hinter dem Kürzel verbarg sich - im Jahr 1940 - das Sachgebiet „Homosexualität“, das zum Referat für „Parteiangelegenheiten, oppositionelle Jugendliche und Sonderfälle“ gehörte. Maßgeblich zuständig für die Bekämpfung der Homosexualität beim Geheimen Staatspolizeiamt war Kriminalinspektor Friedrich Fehling (mit Unterbrechungen von 1934 bis Kriegsende).

Obwohl seit Kriegsbeginn in erster Linie die Kriminalpolizei für die Verfolgung homosexueller Männer verantwortlich war, blieb das Homosexuellendezernat bei der Gestapo weiter tätig und ermittelte im Jahr 1940 – allein in Berlin – gegen etwa 150 Männer wegen des Verdachts auf Homosexualität, wie der Historiker Andreas Pretzel herausfand. Dass auch Frauen beim Verdacht lesbischer Beziehungen von dieser Dienststelle verfolgt wurden, war bisher kaum bekannt.

Was Elli Smula und Margarete Rosenberg zur Last gelegt wurde, geht aus einem Vermerk der Gestapostelle IV B 1 c vom 26. September 1940 hervor. Darin heißt es:

„Bei der BVG wurde darüber Klage geführt, daß auf dem Straßenbahnhof in Treptow einige Straßenbahnschaffnerinnen angestellt seien, die regen Verkehr mit Kameradinnen ihres Betriebes in lesbischer Hinsicht unterhalten. So wurde behauptet, daß sie Arbeitskameradinnen mit in die Wohnung nehmen, sie unter Alkohol setzen und dann mit ihnen gleichgeschlechtlich verkehren. Am nächsten Tage seien die Frauen dann nicht in der Lage gewesen, ihren Dienst zu versehen. Dadurch wurde der Betrieb des Straßenbahnhofs Treptow stark gefährdet.“

Die BVG erstattete bei der Gestapo Anzeige, woraufhin eine eingehende Untersuchung angeordnet wurde. Wir wissen nicht, wer Elli Smula, Margarete Rosenberg und weitere Kolleginnen verraten hat. War es eine Kollegin oder ein Vorgesetzter? Die BVG, seit 1933 auf dem Weg zum „nationalsozialistischen Musterbetrieb“, hatte noch im selben Jahr einen „Sicherheitsdienst“ eingerichtet, der der Einschüchterung der Belegschaft diente und Denunziationen Tür und Tor öffnete.

Margarete Rosenberg gab schließlich zu, „sich an Zechgelagen beteiligt und mit Frauen gleichgeschlechtlich verkehrt zu haben“. Aufgrund ihres „unsoliden Lebenswandels“ habe sie ihren Dienst nicht regelmäßig versehen, lautete das Fazit der Gestapo. War das Geständnis zutreffend? Kam es unter Misshandlungen zustande? Anzunehmen ist, dass im Zuge der Ermittlungen weitere Straßenbahnschaffnerinnen bzw. andere Kollegen vernommen wurden. Es sind jedoch keine Namen oder Vernehmungsprotokolle überliefert.

Sexuelle Handlungen zwischen Frauen fielen, anders als diejenigen zwischen Männern, nicht unter §175 des Strafgesetzbuches, somit konnte die Gestapo den „Fall“ nicht an die Justiz abgeben. Eine bloße Einstellung der Ermittlungen kam jedoch offenbar auch nicht in Frage. Die Gestapo verhängte stattdessen Schutzhaft – das bedeutete die Einweisung in ein Konzentrationslager, ohne Aussicht auf Entlassung. Rechtsmittel waren dagegen nicht zulässig.

Elli Smula wurde am 10. Oktober 1940, ihrem 26. Geburtstag, zum letzten Mal verhört. Die nächsten Wochen verbrachte sie weiter im Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Dort konnte sie ihre Mutter einmal unter Aufsicht sehen – und ihr zuflüstern, dass sie an Hunger leide. Am 30. November 1940 wurden Elli Smula und Margarete Rosenberg ins KZ Ravensbrück deportiert und – neben 56 weiteren Frauen – als „Neuzugänge“ registriert. „Staatsabträgliches Verhalten“ stand auf Margarete Rosenbergs Schutzhaftbefehl, und dies war vermutlich auch bei Elli Smula der Fall. Beide wurden den politischen Gefangenen zugeordnet, das heißt sie mussten im Lager einen roten Winkel tragen.

Auf der Zugangsliste des KZ Ravensbrück steht neben dem Haftgrund (politisch) bei beiden zusätzlich der Hinweis „lesbisch“. Bei Margarete Rosenberg findet sich diese Angabe auch noch im Januar 1945, als sie in ein anderes Lager verlegt wurde. Sie überlebte die Haftzeit von mehr als vier Jahren mit schweren gesundheitlichen Schäden und starb 1985.

Wenn Elli Smula, wie andere Gefangene, einmal im Monat ihrer Mutter wenige Zeilen schreiben bzw. einen Brief von ihr erhalten durfte, so unterlag diese Post strenger Zensur. Im Juli 1943 erhielt Martha Smula ein Schreiben der Lagerverwaltung Ravensbrück. Darin wurde ihr mitgeteilt, dass ihre Tochter am 8. Juli 1943 „ganz plötzlich“ verstorben sei. 28 Jahre war Elli Smula damals alt. Starb sie an Hunger und Entkräftung? Oder an einer Krankheit, Folge der mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Blocks, die 1943 völlig überbelegt waren?

Oder trifft zu, was eine ehemalige Gefangene, Martha van Och-Soboll, 1956 aussagte? Och-Soboll kam 1941 als politische Gefangene nach Ravensbrück. 1942 war sie längere Zeit, bis Oktober 1942, im Krankenrevier. Dort, in der Tbc-Abteilung, habe sie beobachtet, wie mehrere Frauen, unter ihnen auch Elli Smula, von der Lagerärztin Dr. Herta Oberheuser mit einer Injektion getötet worden seien. Tatsächlich war Oberheuser an Menschenversuchen beteiligt, die unter Leitung des SS-Obergruppenführers und Professors Karl Gebhardt an etwa 75 polnischen Frauen durchgeführt wurden. Gebhardt leitete seit 1933 die Heilanstalten Hohenlychen, nur wenige Kilometer von Ravensbrück entfernt. Etwa im Juli 1943 verließ Oberheuser Ravensbrück und ging als Assistenzärztin nach Hohenlychen, inzwischen ein Kriegslazarett. Im Nürnberger Ärzteprozess gab sie 1947 unter anderem zu, dass sie im KZ Ravensbrück Häftlinge, die schwerkrank gewesen seien, mit Benzininjektionen getötet habe. Sie wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch bereits 1952 vorzeitig entlassen.

Möglicherweise hat sich Martha van Och-Soboll bei der Zeitangabe geirrt. Wenn Elli Smula bereits im Jahr 1942 durch Herta Oberheuser ermordet worden wäre, hätte man Martha Smula den Tod ihrer Tochter wohl nicht erst im Juli 1943 mitgeteilt. Fest steht, dass die junge Frau an den mörderischen Folgen der Einweisung ins KZ Ravensbrück starb, in Gang gesetzt durch die Anzeige der BVG bei der Gestapo.

Elli Smula und Margarete Rosenberg wurden unter dem Vorwurf festgenommen, durch ihr Verhalten den „Betrieb des Straßenbahnhofs Treptow stark gefährdet“ zu haben. Auch wenn lesbische Handlungen nicht unter den §175 fielen, so verstießen sie doch zweifellos gegen das „gesunde Volksempfinden“ – umso mehr in einem kriegswichtigen Betrieb wie der BVG, von dessen reibungslosem Funktionieren in der Reichshauptstadt viel abhing.