Hermann Silberstein

Verlegeort
Fritschestr. 54
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
25. Februar 2020
Geboren
1899 in Löbau in Westpreußen / Lubawa
Beruf
Kaufmann
Flucht
1940 Flucht über Genua nach Shanghai
Überlebt

Hermann Silberstein, später Hermann Spencer, wurde Ende 1899 im damals westpreußischen Löbau (heute Lubawa in Polen) geboren; seine Schwester Meta war zu diesem Zeitpunkt ein Jahr und acht Monate alt. Die Eltern waren der Textilkaufmann Samuel Silberstein und seine Frau Ernestine, geb. Feibel. 1901 wurde, ebenfalls in Löbau, Hermanns Bruder Walter geboren (er starb 1926). Anfang des neuen Jahrhunderts siedelte die Familie nach Berlin um, dort kamen im April 1909 die Zwillinge Bianca und Martin zur Welt.<br />
Kurz nach der Geburt der Zwillinge zogen die Silbersteins in eine komfortable 4-Zimmer-Wohnung in der Fritschestr. 54 in Charlottenburg. Das Familienleben wurde von den Kindern als harmonisch und eng bezeichnet. Die Silbersteins waren völlig assimilierte liberale Juden, die Religion spielte in der Familie nur eine untergeordnete Rolle.<br />
Nach dem Abschluss der Oberrealschule besuchte Hermann Silberstein drei Jahre lang eine kaufmännische Schule mit Schwerpunkt Konfektionsindustrie. Danach diente er zwei Jahre in der Armee.<br />
Im Alter von 23 Jahren machte sich Hermann von der Familienwohnung aus als Kaufmann für Damenkonfektionen selbstständig. Die Geschäfte liefen gut, und 1928 konnte er seine Firma im Zentrum der deutschen Modeindustrie, dem Konfektionsviertel um den Hausvogteiplatz, ansiedeln. Hermann beschrieb seine Geschäftstätigkeit ab dieser Zeit so: „Von dort aus kaufte ich nicht mehr von Schneidern, sondern bezog selbst Stoffe, Futter und Zutaten von Fabrikanten und Grossisten, ließ mir von Schneidern außer dem Hause einige Muster anfertigen und verkaufte nach diesen an meine alten Kunden und an größere Konzerne.“ Wegen anhaltenden Wachstums zog das Unternehmen auch innerhalb des Konfektionsviertels noch mehrfach um; zuletzt mietete Hermann das gesamte 1. Obergeschoss des Hauses in der Kronenstr. 56 und hatte zehn Angestellte.<br />
In den Geschäftsräumen in der Kronenstr. 56 erlebten Hermann und sein Vater Samuel den Novemberterror 1938. Er berichtete später, am 10. November habe er um etwa 9 Uhr morgens eine große Menschenmenge wahrgenommen – er schätzte 1.000 bis 1.500 Personen – die sich mit unbändiger Zerstörungswut dem Haus Nr. 56 näherte. „Als es den Rädelsführern nicht schnell genug gelang, die Türen im Erdgeschoss aufzubrechen, zogen sie die Kronenstr. entlang, der Charlotten- und Markgrafenstr. zu, fast alle Geschäfte demolierend und plündernd.“ Hermann und sein Vater trauten sich noch nach Stunden kaum, sich zu rühren. Sie beschlossen, bis zum Abend zu warten und dann im Schutz der Dunkelheit den Heimweg anzutreten.<br />
Um 15 Uhr kam jedoch die Schlägertrupps zurück; jetzt wurden ganz gezielt die Geschäfte angegangen, die die erste Angriffswelle am Morgen überstanden hatten. „Jetzt kamen sie auch an unser Haus und nach kurzer Zeit brachen sie mit Brechstangen die unten gelegenen Haus- und Lokaltüren auf. Ich hatte natürlich die mit eisernen Platten versehenen Türen meines Lokals verschlossen. Doch innerhalb einiger Minuten waren auch diese aufgebrochen und herein stürzten etwa 20 bis 25 Männer, die mich und dann meinen alten Vater die Treppen hinunterstießen. Als ich auf der Straße einen Moment zur Besinnung kam, sah ich bereits einen großen Teil meiner Waren, fertige Kleidung, Stoffballen usw. auf der Straße, neben Scherben meiner zertrümmerten Glasscheiben liegen.“<br />
Auch Stühle flogen aus den Fenstern. Ein paar Männer brachen die Stuhlbeine ab und begannen, damit auf Hermann einzuschlagen. Er rannte um sein Leben, gefolgt von rund 15 Männern, die auf ihn einschlugen. Vor allem zielten sie auf seinen unbedeckten Kopf. Endlich war ein Auto zu sehen und Hermann winkte um Hilfe, aber der Fahrer fuhr einfach weiter. Hermann rannte blutüberströmt weiter, noch immer verfolgt von den Schlägern, bis „zur Markgrafenstr., wo es mir gelang, in ein Taxi zu springen und die Türen zuzuhalten. Der mich bemitleidende Chauffeur fuhr sofort an und brachte mich nach der Unfallstelle in der Alexandrinenstr., wo ich verbunden wurde. Auf den Rat meines Arztes habe ich an demselben Abend noch eine Klinik in der Kaiserallee aufgesucht, in welcher ich wegen meiner schweren Kopfverletzung und eines Nervenzusammenbruchs [...] 14-16 Tage verblieb.“ Innere Blutungen führten jedoch dazu, dass Hermann sein Gehör auf beiden Ohren fast komplett verlor.<br />
Irgendwie gelang es dem Vater, den Terrorangriff körperlich unversehrt zu überstehen. Das Geschäft seines Sohns war geplündert und zerstört. Das wenige, das er mit viel Mühe noch retten konnte, insbesondere aus dem Warenlager, musste kurz später zu Schleuderpreisen verkauft und das Unternehmen geschlossen werden. Hermann war seiner wirtschaftlichen Existenz beraubt.<br />
Sehr spät, erst im Mai 1940, gelang Hermann noch die Flucht über Genua nach Shanghai. Er reiste mit dem Schiff, vermutlich auf der unter italienischer Flagge fahrenden „Conte Verde“; die Reise dauerte drei Wochen. Wenige Tage nach der Ankunft in Shanghai trat Italien in den Krieg ein; die Conte Verde kehrte nie wieder nach Italien zurück.<br />
Hermann kam fast mittellos und nur mit Handgepäck in Shanghai an, aber er schaffte es trotz seiner Taubheit, wieder ein kleines Handelsgeschäft aufzubauen. Drei Jahre später verlor er es erneut, dieses Mal infolge der Zwangsumsiedelung in das Ghetto Shanghais. Im Ghetto überlebte er so schwere Krankheiten wie Flecktyphus und Amoebendysenterie, infolge derer er sein restliches Leben lang an Darmblutungen litt, und einen Luftangriff: „Am 17. Juli 1945 wurde unser Viertel von der Luft bombardiert, wobei in dem Schulhaus, in welchem auch ich untergebracht worden war und mich auch gerade befand, allein 12 getötet und viele verletzt wurden.“<br />
Auch nach Kriegsende gab es noch jahrelang kein Entkommen aus Shanghai; kaum ein Land erklärte sich bereit, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Hermann Silberstein konnte keine Arbeit finden und war körperlich schwer angeschlagen. Erst viereinhalb Jahre nach Kriegsende kam die Erlaubnis, in die USA auszuwandern. Als Staatenlosem stellte ihm die IRO, die den Vereinten Nationen unterstehende internationale Flüchtlings-Organisation, am 29. September 1949 in Shanghai den benötigten Passersatz aus; nur zwei Tage später rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus. Mitte November 1949 schaffte Hermann es nach Manila, wo er an Bord der SS Präsident Harrison ging.<br />
Nach fast vier Wochen Schiffsreise in der Frachtklasse betrat Hermann am 5. Dezember 1949 in San Francisco wieder festen Boden. Er ließ sich in New York nieder, wo sein jüngerer Bruder Martin seit seiner Flucht aus Europa im Jahr 1939 gelebt hatte. Ungefähr zu dieser Zeit – die Suche nach verlorenen Verwandten dauerte oft Jahre – wurde traurige Gewissheit, was die Brüder längst befürchtet hatten: Ihre Eltern, ihre ältere Schwester Meta, Martins Frau und deren Mutter waren alle in Konzentrationslagern gestorben. Hermann nahm, wie seine überlebenden Geschwister Martin und Bianka, den Familiennamen „Spencer“ an; die Familie Silberstein gab es nicht mehr.<br />
Taub und gesundheitlich schwer angeschlagen konnte Hermann beruflich nie wieder Fuß fassen und musste sich als Hilfsarbeiter durchschlagen. Zumindest war ihm das Glück beschieden, in New York City seine künftige Frau Aloisia Goldman kennenzulernen. Aloisia war in Wien zur Welt gekommen und als Jüdin zunächst mit einem Visum für Haushaltshilfen nach London geflüchtet. 1940, im Alter von 37 Jahren, bekam sie schließlich die Einreiseerlaubnis in die USA und wurde in New York City sesshaft.<br />
Laut einer offiziellen Bestätigung reichte Hermanns Einkommen „für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie nicht aus, da er mit Sonderausgaben infolge seiner gesundheitlichen Schädigung belastet ist.“ Als Hermann auch noch arbeitslos wurde, folgten mehrere wirtschaftliche Notlagen. Hermann beantragte auf Basis des Bundesentschädigungsgesetzes finanzielle Unterstützung, aber wie bei seinen Geschwistern Martin und Bianka und vielen anderen wurde sein Anspruch auf Entschädigung jahrelang immer wieder in Frage gestellt. Zum Bittsteller degradiert, erhielt er ab 1958 immerhin eine kleine Rente, die jedoch selbst für ein Leben in bescheidensten Umständen in New York nicht ausreichte. Auch diese kleine Rente wurde nach einiger Zeit per Änderungsbescheid durch das Entschädigungsamt gekürzt. Immer wieder wurde angezweifelt, dass seine Minderung der Erwerbsfähigkeit verfolgungsbedingt war.<br />
Wie verzweifelt muss Hermann gewesen sein, dass er mit seiner Frau um 1959 nach Deutschland zurückzukehrte und hartnäckig versuchte, dort wieder Fuß zu fassen und an seine früheren unternehmerischen Erfolge anzuknüpfen. Erfolglos kehrte das Paar im Januar 1961 in die USA zurück. Da ihr Schiff in Southampton ablegte, liegt die Vermutung nah, dass Aloisia und Hermann vor der Abreise aus Europa noch einige Zeit mit seiner Schwester Bianka in London verbrachten. Nach der Rückkehr in die USA zog das Paar nach San Francisco um, wo das Leben erschwinglicher und das Klima angenehmer war als in New York City.<br />
Den letzten Lebensabschnitt begannen die Spencers als Untermieter. Erst rund 20 Jahre nach ursprünglicher Antragstellung war ihm die bescheidene Rente aus Deutschland sicher. Das Paar blieb kinderlos. Mehr ist über ihr Leben in San Francisco leider nicht zu erfahren.<br />
Hermann Silberstein starb am 18. Juni 1981 in San Francisco; Aloisia überlebte ihn noch um einige Jahre.<br />

Hermann Silberstein, später Hermann Spencer, wurde Ende 1899 im damals westpreußischen Löbau (heute Lubawa in Polen) geboren; seine Schwester Meta war zu diesem Zeitpunkt ein Jahr und acht Monate alt. Die Eltern waren der Textilkaufmann Samuel Silberstein und seine Frau Ernestine, geb. Feibel. 1901 wurde, ebenfalls in Löbau, Hermanns Bruder Walter geboren (er starb 1926). Anfang des neuen Jahrhunderts siedelte die Familie nach Berlin um, dort kamen im April 1909 die Zwillinge Bianca und Martin zur Welt.
Kurz nach der Geburt der Zwillinge zogen die Silbersteins in eine komfortable 4-Zimmer-Wohnung in der Fritschestr. 54 in Charlottenburg. Das Familienleben wurde von den Kindern als harmonisch und eng bezeichnet. Die Silbersteins waren völlig assimilierte liberale Juden, die Religion spielte in der Familie nur eine untergeordnete Rolle.
Nach dem Abschluss der Oberrealschule besuchte Hermann Silberstein drei Jahre lang eine kaufmännische Schule mit Schwerpunkt Konfektionsindustrie. Danach diente er zwei Jahre in der Armee.
Im Alter von 23 Jahren machte sich Hermann von der Familienwohnung aus als Kaufmann für Damenkonfektionen selbstständig. Die Geschäfte liefen gut, und 1928 konnte er seine Firma im Zentrum der deutschen Modeindustrie, dem Konfektionsviertel um den Hausvogteiplatz, ansiedeln. Hermann beschrieb seine Geschäftstätigkeit ab dieser Zeit so: „Von dort aus kaufte ich nicht mehr von Schneidern, sondern bezog selbst Stoffe, Futter und Zutaten von Fabrikanten und Grossisten, ließ mir von Schneidern außer dem Hause einige Muster anfertigen und verkaufte nach diesen an meine alten Kunden und an größere Konzerne.“ Wegen anhaltenden Wachstums zog das Unternehmen auch innerhalb des Konfektionsviertels noch mehrfach um; zuletzt mietete Hermann das gesamte 1. Obergeschoss des Hauses in der Kronenstr. 56 und hatte zehn Angestellte.
In den Geschäftsräumen in der Kronenstr. 56 erlebten Hermann und sein Vater Samuel den Novemberterror 1938. Er berichtete später, am 10. November habe er um etwa 9 Uhr morgens eine große Menschenmenge wahrgenommen – er schätzte 1.000 bis 1.500 Personen – die sich mit unbändiger Zerstörungswut dem Haus Nr. 56 näherte. „Als es den Rädelsführern nicht schnell genug gelang, die Türen im Erdgeschoss aufzubrechen, zogen sie die Kronenstr. entlang, der Charlotten- und Markgrafenstr. zu, fast alle Geschäfte demolierend und plündernd.“ Hermann und sein Vater trauten sich noch nach Stunden kaum, sich zu rühren. Sie beschlossen, bis zum Abend zu warten und dann im Schutz der Dunkelheit den Heimweg anzutreten.
Um 15 Uhr kam jedoch die Schlägertrupps zurück; jetzt wurden ganz gezielt die Geschäfte angegangen, die die erste Angriffswelle am Morgen überstanden hatten. „Jetzt kamen sie auch an unser Haus und nach kurzer Zeit brachen sie mit Brechstangen die unten gelegenen Haus- und Lokaltüren auf. Ich hatte natürlich die mit eisernen Platten versehenen Türen meines Lokals verschlossen. Doch innerhalb einiger Minuten waren auch diese aufgebrochen und herein stürzten etwa 20 bis 25 Männer, die mich und dann meinen alten Vater die Treppen hinunterstießen. Als ich auf der Straße einen Moment zur Besinnung kam, sah ich bereits einen großen Teil meiner Waren, fertige Kleidung, Stoffballen usw. auf der Straße, neben Scherben meiner zertrümmerten Glasscheiben liegen.“
Auch Stühle flogen aus den Fenstern. Ein paar Männer brachen die Stuhlbeine ab und begannen, damit auf Hermann einzuschlagen. Er rannte um sein Leben, gefolgt von rund 15 Männern, die auf ihn einschlugen. Vor allem zielten sie auf seinen unbedeckten Kopf. Endlich war ein Auto zu sehen und Hermann winkte um Hilfe, aber der Fahrer fuhr einfach weiter. Hermann rannte blutüberströmt weiter, noch immer verfolgt von den Schlägern, bis „zur Markgrafenstr., wo es mir gelang, in ein Taxi zu springen und die Türen zuzuhalten. Der mich bemitleidende Chauffeur fuhr sofort an und brachte mich nach der Unfallstelle in der Alexandrinenstr., wo ich verbunden wurde. Auf den Rat meines Arztes habe ich an demselben Abend noch eine Klinik in der Kaiserallee aufgesucht, in welcher ich wegen meiner schweren Kopfverletzung und eines Nervenzusammenbruchs [...] 14-16 Tage verblieb.“ Innere Blutungen führten jedoch dazu, dass Hermann sein Gehör auf beiden Ohren fast komplett verlor.
Irgendwie gelang es dem Vater, den Terrorangriff körperlich unversehrt zu überstehen. Das Geschäft seines Sohns war geplündert und zerstört. Das wenige, das er mit viel Mühe noch retten konnte, insbesondere aus dem Warenlager, musste kurz später zu Schleuderpreisen verkauft und das Unternehmen geschlossen werden. Hermann war seiner wirtschaftlichen Existenz beraubt.
Sehr spät, erst im Mai 1940, gelang Hermann noch die Flucht über Genua nach Shanghai. Er reiste mit dem Schiff, vermutlich auf der unter italienischer Flagge fahrenden „Conte Verde“; die Reise dauerte drei Wochen. Wenige Tage nach der Ankunft in Shanghai trat Italien in den Krieg ein; die Conte Verde kehrte nie wieder nach Italien zurück.
Hermann kam fast mittellos und nur mit Handgepäck in Shanghai an, aber er schaffte es trotz seiner Taubheit, wieder ein kleines Handelsgeschäft aufzubauen. Drei Jahre später verlor er es erneut, dieses Mal infolge der Zwangsumsiedelung in das Ghetto Shanghais. Im Ghetto überlebte er so schwere Krankheiten wie Flecktyphus und Amoebendysenterie, infolge derer er sein restliches Leben lang an Darmblutungen litt, und einen Luftangriff: „Am 17. Juli 1945 wurde unser Viertel von der Luft bombardiert, wobei in dem Schulhaus, in welchem auch ich untergebracht worden war und mich auch gerade befand, allein 12 getötet und viele verletzt wurden.“
Auch nach Kriegsende gab es noch jahrelang kein Entkommen aus Shanghai; kaum ein Land erklärte sich bereit, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Hermann Silberstein konnte keine Arbeit finden und war körperlich schwer angeschlagen. Erst viereinhalb Jahre nach Kriegsende kam die Erlaubnis, in die USA auszuwandern. Als Staatenlosem stellte ihm die IRO, die den Vereinten Nationen unterstehende internationale Flüchtlings-Organisation, am 29. September 1949 in Shanghai den benötigten Passersatz aus; nur zwei Tage später rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus. Mitte November 1949 schaffte Hermann es nach Manila, wo er an Bord der SS Präsident Harrison ging.
Nach fast vier Wochen Schiffsreise in der Frachtklasse betrat Hermann am 5. Dezember 1949 in San Francisco wieder festen Boden. Er ließ sich in New York nieder, wo sein jüngerer Bruder Martin seit seiner Flucht aus Europa im Jahr 1939 gelebt hatte. Ungefähr zu dieser Zeit – die Suche nach verlorenen Verwandten dauerte oft Jahre – wurde traurige Gewissheit, was die Brüder längst befürchtet hatten: Ihre Eltern, ihre ältere Schwester Meta, Martins Frau und deren Mutter waren alle in Konzentrationslagern gestorben. Hermann nahm, wie seine überlebenden Geschwister Martin und Bianka, den Familiennamen „Spencer“ an; die Familie Silberstein gab es nicht mehr.
Taub und gesundheitlich schwer angeschlagen konnte Hermann beruflich nie wieder Fuß fassen und musste sich als Hilfsarbeiter durchschlagen. Zumindest war ihm das Glück beschieden, in New York City seine künftige Frau Aloisia Goldman kennenzulernen. Aloisia war in Wien zur Welt gekommen und als Jüdin zunächst mit einem Visum für Haushaltshilfen nach London geflüchtet. 1940, im Alter von 37 Jahren, bekam sie schließlich die Einreiseerlaubnis in die USA und wurde in New York City sesshaft.
Laut einer offiziellen Bestätigung reichte Hermanns Einkommen „für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie nicht aus, da er mit Sonderausgaben infolge seiner gesundheitlichen Schädigung belastet ist.“ Als Hermann auch noch arbeitslos wurde, folgten mehrere wirtschaftliche Notlagen. Hermann beantragte auf Basis des Bundesentschädigungsgesetzes finanzielle Unterstützung, aber wie bei seinen Geschwistern Martin und Bianka und vielen anderen wurde sein Anspruch auf Entschädigung jahrelang immer wieder in Frage gestellt. Zum Bittsteller degradiert, erhielt er ab 1958 immerhin eine kleine Rente, die jedoch selbst für ein Leben in bescheidensten Umständen in New York nicht ausreichte. Auch diese kleine Rente wurde nach einiger Zeit per Änderungsbescheid durch das Entschädigungsamt gekürzt. Immer wieder wurde angezweifelt, dass seine Minderung der Erwerbsfähigkeit verfolgungsbedingt war.
Wie verzweifelt muss Hermann gewesen sein, dass er mit seiner Frau um 1959 nach Deutschland zurückzukehrte und hartnäckig versuchte, dort wieder Fuß zu fassen und an seine früheren unternehmerischen Erfolge anzuknüpfen. Erfolglos kehrte das Paar im Januar 1961 in die USA zurück. Da ihr Schiff in Southampton ablegte, liegt die Vermutung nah, dass Aloisia und Hermann vor der Abreise aus Europa noch einige Zeit mit seiner Schwester Bianka in London verbrachten. Nach der Rückkehr in die USA zog das Paar nach San Francisco um, wo das Leben erschwinglicher und das Klima angenehmer war als in New York City.
Den letzten Lebensabschnitt begannen die Spencers als Untermieter. Erst rund 20 Jahre nach ursprünglicher Antragstellung war ihm die bescheidene Rente aus Deutschland sicher. Das Paar blieb kinderlos. Mehr ist über ihr Leben in San Francisco leider nicht zu erfahren.
Hermann Silberstein starb am 18. Juni 1981 in San Francisco; Aloisia überlebte ihn noch um einige Jahre.