Harry Gabriel Redlich

Verlegeort
Köpenicker Str. 39
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
Mai 2018
Geboren
06. Dezember 1927 in Berlin
Verhaftet
August 1942 im Polizeigefängnis Alexanderplatz
Deportation
am 26. September 1942 nach Raasiku bei Reval
Überlebt

Harry Gabriel wurde am 6. Dezember 1927 im Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin-Wedding geboren. Er war der Sohn von Charlotte Gabriel (1896–1942). Der Name und das Schicksal seines Vaters gehen aus den erhaltenen Quellen nicht hervor und wie Harry später angeben wird, wird er seinen leiblichen Vater nie kennenlernen. Harry hatte eine ein Jahr ältere Schwester namens Lieselotte Gabriel – Lilo genannt. Seine Mutter lebte zum Zeitpunkt von Harrys Geburt vermutlich in einer Wohnung in der Mülhausener Straße 3/4 (heutige Mülhauser Straße) im Prenzlauer Berg. An dieser Adresse wird sie zuletzt im Jüdischen Adressbuch von 1931/1932 geführt. Unter welchen konkreten Umständen Charlotte Gabriel den Entschluss fasste, ihre Kinder ins Waisenhaus zu geben, geht aus den erhaltenen Quellen nicht hervor. Harry Gabriel kam in das Städtische Waisenhaus in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg, bis er mit zwei bis drei Jahren, also um 1930, von Willy und Eliese Redlich als Pflegekind aufgenommen wurde. Harrys Pflegevater arbeitete in der Hermsdorfer Synagoge des Jüdischen Religionsvereins für die nördlichen Vororte (heute Falkentaler Steig 16 in Hermsdorf) als Hausmeister und hatte hier eine angrenzende Wohnung, wo Harry lebte und nach Zeugnis von Willy Redlich im jüdischen Glauben erzogen wurde. Harrys Schwester Lieselotte Gabriel wuchs wohl im Auerbach´schen Waisenhaus in der Schönhauser Allee 162a auf, jedenfalls ist das ihre letzte Adresse in Berlin.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Harry Gabriel. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Bildungs- und Berufsleben. Durch die Maßnahmen im Bildungswesen wurden den antisemitischen Anfeindungen durch Mitschüler und Lehrer, denen sich jüdische Schüler regelmäßig ausgesetzt sahen, auch rechtlich Vorschub geleistet. So sah ein Erlass von 1935 eine „möglichst vollständige Rassentrennung“ durch die „Einrichtung gesonderter jüdischer Schulen“ vor. Harry Gabriel besuchte bis Ostern 1942 eine Volksschule, laut seiner Erinnerung in der Choriner Straße 8. Er wollte ursprünglich nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zum Schlosser machen. Dieser Weg wurde ihm aber versperrt. Im April 1942 wurde der damals 14-jährige Harry Gabriel zu Zwangsarbeit herangezogen. Er musste als Arbeiter bei der Wäscherei und chemischen Reinigung „Gubeler & Krause“ in der Frankfurter Allee 135 in Lichtenberg tätig sein. Von hier aus unternahm er einen Fluchtversuch und schrieb dazu später: „Im August 1942 versuchte ich illegal über die Grenze nach Dänemark zu kommen; wurde gefaßt, nach Berlin [gebracht] und im Polizeigefängnis Alexanderplatz einen Monat festgehalten. Dem Transport nach Polen entzog ich mich durch einen Sprung aus dem Zug.“ Harry Gabriels Name ist in der Transportliste des so genannten „20. Osttransports“ erfasst, der aus Frankfurt am Main kommend am 26. September 1942 den Güterbahnhof Moabit verließ und in welchem insgesamt 1043 Menschen nach Raasiku bei Reval deportiert worden sind. Lange Zeit galt Harry Gabriel als einer der Opfer dieses Transports, von dem man bislang annahm, dass nur 25 Personen dieses Transportes die Deportation und den Krieg überlebten.

Nach der halsbrecherisch geglückten Flucht aus dem Güterzug, schlug sich Harry Gabriel zurück nach Berlin durch, wo er sich drei Tage in der Wohnung seiner Pflegeeltern in Hermsdorf versteckte. Anfang Oktober floh er aus Berlin in Richtung Süden, am 19. November 1942 gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Bis Kriegsende war Harry Gabriel in schweizerischen Lagern interniert. Seine Mutter und seine Schwester überlebten die NS-Verfolgung nicht. Sie wurden beide am 29. November 1942 mit dem „23. Osttransport“ aus Berlin nach Auschwitz deportiert. Beide Frauen gehörten nicht zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz. Sie wurden vermutlich bereits unmittelbar nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager am 30. November 1942 ermordet.

Harry Gabriel gelangte nach dem Krieg Anfang 1946 über Italien nach Palästina, wo er sich nach einmonatiger Internierung durch die Engländer im Lager Athlith dem Kibbuz Kiryat Anavim westlich von Jerusalem anschloss. Er änderte seinen Namen in Arieh Gabriel, schloss im Juni 1948 eine landwirtschaftliche Ausbildung ab, ließ sich mit seiner Ehefrau im Kibbuz nieder und wurde Vater mindestens dreier Kinder.