Curt Siegbert Mayer wird am 8. April 1927 in Berlin geboren. Seine Eltern sind Thekla Mayer, geborene Stern, und Rudolf David Mayer, die am 18. Juni 1926 in einem kleinen Örtchen, namens Balduinstein in der Rhein-Main-Gegend heirateten, wo Thekla aufgewachsen ist. Der Vater Rudolf stammt aus Kassel, er kam nach Berlin, um in einer Firma eines fernen Verwandten als „Direktor“ zu arbeiten, die sich mit „Export- und Kommission“ beschäftigte. Später wurde Vater Rudolf Mit- Teilhaber einer anderen Firma in Kreuzberg, die Leisten und Bilderrahmen fabrizierte.
Curt wächst also in einem wohlsituierten Elternhaus auf, im gutbürgerlichen Bayerischen Viertel in der Bozener Straße 10 im zweiten Stock. Die Familie lebt in einer 5-Zimmer-Wohnung und hat auch ein Dienstmädchen angestellt. Curt, 1927 geboren, wird in die nahegelegene Volksschule in der Babelsberger Straße wohl 1933 eingeschult. Er sagt in den Restitutionsakten, er sei dort vier Jahre geblieben, also bis 1937. Das ist erstaunlich, denn am 23. April 1935 erlässt die nationalsozialistische Regierung das Gesetz „gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“, nach dem nur noch 1, 5 Prozent der Schüler und Studenten jüdisch sein dürfen, entsprechend dem jüdischen Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Im Jahr 1937 jedoch muss auch Curt die Schule verlassen und geht auf die nahegelegene „Luise-Zickel- Schule“ in der Kufsteiner Straße 16, in der auch Ilse Dora Wollmann unterrichtet, die Tochter einer Mieterin in der Bozener Straße 10, Emma Wollmann. Luise Zickel hatte ihre private höhere Schule zunächst nur für Mädchen 1911 gegründet, öffnete sie dann auch für Jungen. Im Jahr 1937, als die Schule, da die Räume nicht mehr ausreichten, nach Friedenau umzieht, besuchen mehr als 200 Schüler die Schule und werden von 16 Lehrern in Englisch, Französisch und Hebräisch unterrichtet – Sprachen, die Curt sehr gut gebrauchen kann. Luise Zickel bleibt bis zu ihrer Deportation und Ermordung im Jahr 1942 in Berlin; ein Stolperstein erinnert an sie. Curt bleibt bis zur Flucht der Familie im Mai 1939 auf der „Luise-Zickel-Schule“.
1938 wird sein Vater aus der nicht jüdischen Firma, deren Mitinhaber er aber ist, entlassen, ihm wird die Prokura entzogen. Auf der Grundlage der ab August 1935 durch die Gestapo erstellten Listen über alle jüdischen Bürger gehört Curts Vater zu den etwas vermögenderen Juden und wird deshalb in der Kristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg deportiert. Dort bleibt er bis zum 26. November 1938 und muss sich schriftlich verpflichten, unverzüglich Deutschland zu verlassen, damit der nationalsozialistische deutsche Staat sein Vermögen rauben kann. Denn vor der Ausreise sind sowohl die „Reichsfluchtsteuer“ als auch der Eigenanteil der von den Nationalsozialisten so genannten „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark für die Schäden während der „Kristallnacht“ zu zahlen, deren Höhe sich prozentual am Vermögen bemisst.
So erreicht Curt mit seinem am 15. April 1939 ausgestellten Pass zusammen mit seinen Eltern am 9. Mai 1939 die Stadt Harwich in Großbritannien. Vermutlich hatten seine Eltern deshalb Großbritannien als Exilort gewählt, weil sein Vater dort entfernte Verwandte hatte. Jedoch verbessert sich durch sie nicht die Situation der Familie Mayer. Curt, seine Schwester Ruth und seine Mutter Thekla werden schon 1940 von ihrem Vater getrennt und als „feindliche Ausländer“ für 13 Monate in ein Internierungslager deportiert, der Vater kommt in ein anderes Lager. Auch die Zeit danach ist nicht sehr erfreulich. Die Eltern versuchen beide, in Heimarbeit und in Anstellungen in Firmen die Familie finanziell abzusichern: der Vater produziert Plastikarmbänder und Puderquasten, die Mutter Federhüte.
Curt geht nach der Internierung 1941 auf eine Schule in Teigmouth in der Grafschaft Devon in Cornwall. Sehr wahrscheinlich war dies eine Schule, die von der jüdisch-sozialistischen Jugendbewegung „Habonim“ (die Erbauer) getragen wurde. „Habonim“ war eine jüdisch-sozialistische Jugendorganisation, die 1929 in Großbritannien gegründet wurde. Sie unterstützte den Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina. Auch Curts Schwester Ruth besucht eine Schule und ein Internat von „Habonim“. Die „Habonim“- Bewegung wuchs nach ihrer Gründung 1929 sehr schnell: bereits 1932 gab es in London 21 Gruppen; 1939 bei ihrer 10-jährigen Bestehensfeier hatte „Habonim“ bereits 2.500 Mitglieder, die vielen Flüchtlingskindern halfen, besonders denen, die mit den Kindertransporten nach England gekommen waren. Aber „Habonim“ war auch verbunden mit sogenannten „Hachschara“-Farmen (Vorbereitungs-Farmen), auf denen Kenntnisse über die Landwirtschaft und über das Leben in einem Kibbuz vermittelt wurden, denn das war ja das Ziel: den Staat Israel aufbauen.
Curts Interesse gilt der Landwirtschaft, und er hätte, nachdem er an der Schule einen höheren Abschluss gemacht hatte, auch Landwirtschaft studieren wollen, wird aber zum „Nationalen Dienst“ beordert als landwirtschaftlicher Arbeiter.
1949 stirbt sein Vater Rudolf, und damit sind die sowieso kargen finanziellen Mittel der Familie erschöpft. Es liegt also nahe, dass Curt als aktives Mitglied von „Habonim“ nach Israel geht, wo die britischen Absolventen 1949 gerade unter anderem das Kibbuz „Beit Ha emek“ (Talhaus) gegründet hatten, im Norden, nahe von Naharia und der Grenze zum Libanon.
Ab diesem Zeitpunkt legt Curt Siegbert seine deutschen Vornamen ab und heißt nun Yehuda Mayer. Yehuda, Juda, ist der Name des vierten Sohn Jakobs und damit eines der 12 Stämme Israels, er wird bildlich mit einem Löwen symbolisiert. Der Name ist Curt Verpflichtung. Yehuda heiratet nicht, er bleibt im Kibbuz mit seinen heute 470 Bewohnern. Im Kibbuz arbeitet Yehuda auf dem Feld, aber viele Jahre als Labortechniker in der 1981 im Kibbuz gegründeten Firma „biotechnologie“. Wie ein Löwe beginnt Yehuda sein Tagwerk um 4 Uhr früh bis kurz vor seinem 90. Geburtstag .
Mit 95 Jahren stirbt Yehuda Mayer –„ me`ir“ heißt auf Hebräisch : er leuchtet. Der Löwe leuchtet.