Mindel Rossbach geb. Scheller

Verlegeort
Friedrichstraße 34
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
04. September 2018
Geboren
13. Juli 1877 in Krakau / Kraków
Flucht
1939 Shanghai
Überlebt

Mindel Scheller kam am 13. Juli 1877 in Krakau als Tochter von Schmelke Samuel Scheller und seiner Ehefrau Chana, geb. Horowitz, zur Welt. Sie war das vierte Kind und hatte zehn Geschwister, von denen zwei bereits im Säuglings- bzw. Kleinkindalter starben. <br />
Mindel Scheller heiratete am 23. April 1905 in Krakau den am 20. Oktober 1879 in Chrzanow / Galizien geborenen Rauchwarenhändler Josef Baruch Rossbach. Rauchwaren sind zugerichtete gegerbte, noch nicht zu Pelz verarbeitete Tierfelle. Mindel ging mit ihrem Mann zunächst nach Leipzig, der Drehscheibe des internationalen Pelzwarenhandels, wo er sich als selbständiger Fell- und Rauchwarenhändler niederließ. Dort kamen die Söhne Bernhard (geb. am 22.02.1906) und Raphael (geb. und gest. im Mai 1907) zur Welt. Um 1908 verzog die Familie nach Berlin, wo die Kinder Paula (geb. am 23.07.1908) und Leo (geb. am 28.01.1913) geboren wurden. Laut Berliner Adressbuch wohnten sie in der ersten Hälfte der 1910er Jahre in der Greifswalder Straße 208. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Josef Rossbach zum österreichischen Heer eingezogen.<br />
Nach Kriegsende war er in Berlin wieder sehr erfolgreich als Fell- und Rauchwarenhändler tätig, er baute einen Großhandel auf und übernahm die Vertretung einer Leipziger Rauchwarenfirma. <br />
Die Familie wohnte in der Kochstraße 20 in Kreuzberg, führte ein gutbürgerliches Leben und ermöglichte ihren Kindern eine gute Ausbildung. Sohn Bernhard gab nach dem Krieg gegenüber dem Entschädigungsamt an, dass Mindel Rossbach mit den Kindern in den Sommerferien jedes Jahr vier Wochen zur Erholung an den Werbellinsee im Nordosten Brandenburgs gefahren ist. 1927 erwarb Josef Rossbach das Haus Delbrückstraße 55 in Berlin-Neukölln, dessen Eigentümer er bis 1938/39 bleiben sollte. <br />
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 gingen die Einnahmen des Handelsbetriebs von Josef Rossbach stark zurück. Zu seinen Kunden hatten viele Konfektionsbetriebe, v.a. der Damenmäntelindustrie, gehört, die nun jüdische Geschäftsleute boykottierten. <br />
Tochter Paula hatte ein Medizinstudium an der Universität in Berlin begonnen, wurde aber als Jüdin vom weiteren Studium in Deutschland ausgeschlossen. Sohn Bernhard hatte nach dem Abitur noch Kürschner-Meister werden können, nicht aber mehr der jüngere Leo, obwohl er in der Schule zwei Klassen übersprungen hatte. Ihm blieb sowohl das Studium an der Handels-Hochschule, als auch die Meisterprüfung als Kürschner aus rassischen Gründen verwehrt.<br />
Familie Rossbach hatte im April 1928, als sie schon 20 Jahre in Berlin lebte, die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. 1938 wurden alle Familienmitglieder ausgebürgert und waren somit staatenlos. Josef Rossbach wurde mit Verfügung des Berliner Polizeipräsidenten vom 22.12.1938 aus Deutschland ausgewiesen. Er erhielt eine Frist von vier Wochen das Reichsgebiet zu verlassen, diese Frist wurde dann noch um einige Monate verlängert. <br />
Ihre Wohnung in der Friedrichstraße 34, in die Familie Rossbach um 1935 gezogen war, musste sie räumen, weil das Reichsarbeitsamt auf diesem und den benachbarten Grundstücken ab 1938 das Gauarbeitsamt für den Gau Brandenburg (heute Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit) errichten wollte. Da damals das Wohnungsangebot, insbesondere für Juden, schon sehr beschränkt war, mussten sie in das Haus Seydelstraße 5, in der Nähe des Spittelmarktes, ziehen. <br />
Josef Rossbach hatte große Schwierigkeiten, für seine noch vorhandenen Bestände an Fellen Abnehmer zu finden und veräußerte diese mit großem Verlust. Im Juni 1939 verließen Josef Baruch und Mindel Rossbach, ihre Söhne Bernhard und Leo sowie Leos Ehefrau Leni und deren Eltern, Abraham und Frieda Schäfer, Deutschland. Sie fuhren von Triest mit dem italienischen Schiff „Conte Rosso“ über Port Said, Bombay, Singapur und Hongkong nach Shanghai, wo sie am 9. Juli 1939 ankamen. Dort kamen sie zunächst in einem Auffanglager unter.<br />
Mit rund 3,5 Millionen Einwohnern zählte Shanghai bereits in den 1930er Jahren zu den Metropolen der Welt: Im Handelszentrum des fernen Ostens hatten sich längst internationale Firmen niedergelassen. Gleichzeitig wuchs die Armut in der überbevölkerten Stadt, in die die Flüchtlinge strömten. Mehr als 20.000 deutsche und österreichische Juden drängten von 1937 an nach Shanghai – für sie fast der einzige Ausweg, denn die damals unter japanischer Besatzungsmacht stehende Stadt verlangte kein Einreisevisum. Die große Zahl der Einwanderer traf die japanischen Behörden unvorbereitet. Daher trafen die Ankommenden auf desaströse Lebensbedingungen: Es gab wenig Wohnraum, jede Familie hatte nur ein Zimmer, es war unglaublich eng. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal, es herrschte immer eine drückende Hitze, eine Brutstätte für Krankheitserreger. Die Bewohner litten Hunger und hatten es schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Söhne Bernhard und Leo betrieben auch hier eine Kürschner-Werkstatt.<br />
Mindels Ehemann Josef Baruch Rossbach ist am 26. Mai 1941 im Alter von 61 Jahren in Shanghai verstorben und wurde dort auf dem Jüdischen Friedhof bestattet. <br />
Am 18. Februar 1943 erklärten die Japaner, dass bis zum 15. Mai alle Juden, die nach 1937 eingetroffen waren, fortan ihre Wohnungen und Geschäfte in den etwa 2,5 Quadratkilometer großen „ausgewiesenen Bezirk“ im Stadtteil Hongkou zu verlegen hatten. Das Ghetto war zwar nicht hermetisch abgeriegelt, aber zum Verlassen des Ghettos war ein Passierschein notwendig. Obwohl die Japaner vereinzelt das Arbeiten außerhalb des Ghettos erlaubten, verschlechterten sich die Lebensbedingungen weiter. Am 3. September 1945 wurde das Ghetto befreit. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 verließen beinahe alle Juden Shanghai, so auch Mindel Rossbach: Am 31. Dezember 1948 wanderte sie zusammen mit ihren Söhnen Bernhard und Leo, der Schwiegertochter Leni und dem 1944 geborenen Enkel Josef Rossbach sowie Lenis Eltern auf der „Castel Bianca“ nach Israel aus, wo sie am 17. Februar 1949 ankamen. Dort lebten sie zunächst in einem Einwanderer-Lager in Binyamina, später zogen sie nach Jerusalem.<br />
Mindel Rossbach ist am 18. November 1954 in Jerusalem gestorben.<br />
Tochter Paula war bereits in den 1930er Jahren nach Italien ausgewandert, hatte ihr Medizinstudium abgeschlossen, Dr. Paolo Rutter geheiratet und arbeitete in Triest als Ärztin.<br />
Vier von Mindels Geschwistern überlebten die Shoah, vier Brüder wurden mit ihren Ehefrauen und Kindern ermordet.

Mindel Scheller kam am 13. Juli 1877 in Krakau als Tochter von Schmelke Samuel Scheller und seiner Ehefrau Chana, geb. Horowitz, zur Welt. Sie war das vierte Kind und hatte zehn Geschwister, von denen zwei bereits im Säuglings- bzw. Kleinkindalter starben.
Mindel Scheller heiratete am 23. April 1905 in Krakau den am 20. Oktober 1879 in Chrzanow / Galizien geborenen Rauchwarenhändler Josef Baruch Rossbach. Rauchwaren sind zugerichtete gegerbte, noch nicht zu Pelz verarbeitete Tierfelle. Mindel ging mit ihrem Mann zunächst nach Leipzig, der Drehscheibe des internationalen Pelzwarenhandels, wo er sich als selbständiger Fell- und Rauchwarenhändler niederließ. Dort kamen die Söhne Bernhard (geb. am 22.02.1906) und Raphael (geb. und gest. im Mai 1907) zur Welt. Um 1908 verzog die Familie nach Berlin, wo die Kinder Paula (geb. am 23.07.1908) und Leo (geb. am 28.01.1913) geboren wurden. Laut Berliner Adressbuch wohnten sie in der ersten Hälfte der 1910er Jahre in der Greifswalder Straße 208. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Josef Rossbach zum österreichischen Heer eingezogen.
Nach Kriegsende war er in Berlin wieder sehr erfolgreich als Fell- und Rauchwarenhändler tätig, er baute einen Großhandel auf und übernahm die Vertretung einer Leipziger Rauchwarenfirma.
Die Familie wohnte in der Kochstraße 20 in Kreuzberg, führte ein gutbürgerliches Leben und ermöglichte ihren Kindern eine gute Ausbildung. Sohn Bernhard gab nach dem Krieg gegenüber dem Entschädigungsamt an, dass Mindel Rossbach mit den Kindern in den Sommerferien jedes Jahr vier Wochen zur Erholung an den Werbellinsee im Nordosten Brandenburgs gefahren ist. 1927 erwarb Josef Rossbach das Haus Delbrückstraße 55 in Berlin-Neukölln, dessen Eigentümer er bis 1938/39 bleiben sollte.
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 gingen die Einnahmen des Handelsbetriebs von Josef Rossbach stark zurück. Zu seinen Kunden hatten viele Konfektionsbetriebe, v.a. der Damenmäntelindustrie, gehört, die nun jüdische Geschäftsleute boykottierten.
Tochter Paula hatte ein Medizinstudium an der Universität in Berlin begonnen, wurde aber als Jüdin vom weiteren Studium in Deutschland ausgeschlossen. Sohn Bernhard hatte nach dem Abitur noch Kürschner-Meister werden können, nicht aber mehr der jüngere Leo, obwohl er in der Schule zwei Klassen übersprungen hatte. Ihm blieb sowohl das Studium an der Handels-Hochschule, als auch die Meisterprüfung als Kürschner aus rassischen Gründen verwehrt.
Familie Rossbach hatte im April 1928, als sie schon 20 Jahre in Berlin lebte, die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. 1938 wurden alle Familienmitglieder ausgebürgert und waren somit staatenlos. Josef Rossbach wurde mit Verfügung des Berliner Polizeipräsidenten vom 22.12.1938 aus Deutschland ausgewiesen. Er erhielt eine Frist von vier Wochen das Reichsgebiet zu verlassen, diese Frist wurde dann noch um einige Monate verlängert.
Ihre Wohnung in der Friedrichstraße 34, in die Familie Rossbach um 1935 gezogen war, musste sie räumen, weil das Reichsarbeitsamt auf diesem und den benachbarten Grundstücken ab 1938 das Gauarbeitsamt für den Gau Brandenburg (heute Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit) errichten wollte. Da damals das Wohnungsangebot, insbesondere für Juden, schon sehr beschränkt war, mussten sie in das Haus Seydelstraße 5, in der Nähe des Spittelmarktes, ziehen.
Josef Rossbach hatte große Schwierigkeiten, für seine noch vorhandenen Bestände an Fellen Abnehmer zu finden und veräußerte diese mit großem Verlust. Im Juni 1939 verließen Josef Baruch und Mindel Rossbach, ihre Söhne Bernhard und Leo sowie Leos Ehefrau Leni und deren Eltern, Abraham und Frieda Schäfer, Deutschland. Sie fuhren von Triest mit dem italienischen Schiff „Conte Rosso“ über Port Said, Bombay, Singapur und Hongkong nach Shanghai, wo sie am 9. Juli 1939 ankamen. Dort kamen sie zunächst in einem Auffanglager unter.
Mit rund 3,5 Millionen Einwohnern zählte Shanghai bereits in den 1930er Jahren zu den Metropolen der Welt: Im Handelszentrum des fernen Ostens hatten sich längst internationale Firmen niedergelassen. Gleichzeitig wuchs die Armut in der überbevölkerten Stadt, in die die Flüchtlinge strömten. Mehr als 20.000 deutsche und österreichische Juden drängten von 1937 an nach Shanghai – für sie fast der einzige Ausweg, denn die damals unter japanischer Besatzungsmacht stehende Stadt verlangte kein Einreisevisum. Die große Zahl der Einwanderer traf die japanischen Behörden unvorbereitet. Daher trafen die Ankommenden auf desaströse Lebensbedingungen: Es gab wenig Wohnraum, jede Familie hatte nur ein Zimmer, es war unglaublich eng. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal, es herrschte immer eine drückende Hitze, eine Brutstätte für Krankheitserreger. Die Bewohner litten Hunger und hatten es schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Söhne Bernhard und Leo betrieben auch hier eine Kürschner-Werkstatt.
Mindels Ehemann Josef Baruch Rossbach ist am 26. Mai 1941 im Alter von 61 Jahren in Shanghai verstorben und wurde dort auf dem Jüdischen Friedhof bestattet.
Am 18. Februar 1943 erklärten die Japaner, dass bis zum 15. Mai alle Juden, die nach 1937 eingetroffen waren, fortan ihre Wohnungen und Geschäfte in den etwa 2,5 Quadratkilometer großen „ausgewiesenen Bezirk“ im Stadtteil Hongkou zu verlegen hatten. Das Ghetto war zwar nicht hermetisch abgeriegelt, aber zum Verlassen des Ghettos war ein Passierschein notwendig. Obwohl die Japaner vereinzelt das Arbeiten außerhalb des Ghettos erlaubten, verschlechterten sich die Lebensbedingungen weiter. Am 3. September 1945 wurde das Ghetto befreit. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 verließen beinahe alle Juden Shanghai, so auch Mindel Rossbach: Am 31. Dezember 1948 wanderte sie zusammen mit ihren Söhnen Bernhard und Leo, der Schwiegertochter Leni und dem 1944 geborenen Enkel Josef Rossbach sowie Lenis Eltern auf der „Castel Bianca“ nach Israel aus, wo sie am 17. Februar 1949 ankamen. Dort lebten sie zunächst in einem Einwanderer-Lager in Binyamina, später zogen sie nach Jerusalem.
Mindel Rossbach ist am 18. November 1954 in Jerusalem gestorben.
Tochter Paula war bereits in den 1930er Jahren nach Italien ausgewandert, hatte ihr Medizinstudium abgeschlossen, Dr. Paolo Rutter geheiratet und arbeitete in Triest als Ärztin.
Vier von Mindels Geschwistern überlebten die Shoah, vier Brüder wurden mit ihren Ehefrauen und Kindern ermordet.