Selma Lichtenstein geb. Berndt

Verlegeort
Giesebrechtstr. 17
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
08. Mai 2011
Geboren
29. Mai 1880 in Berlin
Flucht in den Tod
25. November 1941 in Berlin

Selma Berndt sah erstmals das Licht der Welt am 29. Mai 1880 in Berlin als jüngstes Kind des Kaufmannes Samuel Siegmund Berndt und seiner Frau Röschen (Rosa) geborene Japha. Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Familie am Molkenmarkt 7. Das Ehepaar war um 1877 von Fraustadt, heute Wschowa und damals zur Provinz Posen gehörig, nach Berlin gezogen. In Fraustadt hatten sie 1875 und 1876 zwei Söhne bekommen, die beide im Säuglingsalter starben. In Berlin wurden Selmas Bruder Richard (*1878) und ihre Schwester Alma Elsa (*1879) geboren. Als Selma 3 Jahre alt war, starb ihr Vater mit nur 31 Jahren. Wir wissen nicht, wohin Röschen zunächst mit den drei kleinen Kindern zog und wie sie ihren Lebensunterhalt bestritt. Erst 1898 findet sich ihre Spur wieder in den Adressbüchern, als Witwe in der Straßburger Straße 54, parterre.<br />
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Dort wohnte Selma noch 1912, als sie am 6. Juli den elf Jahre älteren Kurt Lichtenstein aus Dresden heiratete. Selma war inzwischen Verkäuferin geworden, die Berufsbezeichnung für Kurt lautet "Assistent 1. Klasse" - möglicherweise eine militärische oder handelstechnische Bezeichnung - sein Wohnsitz wurde mit Bagamoyo, Ost-Afrika (heute Tansania) "zur Zeit wohnhaft in Dresden-Blasewitz", angegeben. Bagamoyo lag in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Kurt Lichtenstein war als 27-jähriger Kaufmann 1896 offiziell nach Ostafrika ausgewandert. Laut der Passagierliste des Dampfschiffes „Kaiser“ fuhr Kurt am 26. März 1896 von Hamburg aus mit dem Ziel Delagoa Bay (heute Maputo Bay, Mosambik), also Portugiesisch-Ostafrika. Ob er schon bei der Überfahrt - die durch den Suezkanal führte - in Deutsch-Ostafrika hängen blieb oder später von der südlich gelegenen portugiesischen Kolonie nach Bagamoyo gelangte, bleibt unklar. Bagamoyo war bis 1891 die Hauptstadt von Deutsch-Ostafrika gewesen, blieb danach Sitz der Verwaltung. <br />
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Es ist nicht dokumentiert, wo sich Selma und Kurt nach der Heirat niederließen. Die Adressbücher sind nicht hilfreich, da der Name Kurt Lichtenstein mehrfach vorkommt. Vielleicht handelt es sich um den Kaufmann Kurt Lichtenstein, der ab 1912 in Treptow, Kienhofstraße 269, wohnte, vielleicht lebten sie auch anderswo zur Untermiete, vielleicht wohnten sie zeitweise gar nicht in Berlin, vielleicht ging Selma gar mit Kurt nach Ostafrika. Ebensowenig wissen wir, ob sie Kinder hatten.<br />
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Im September 1933 starb Kurt Lichtenstein. Möglich, dass Selma erst danach zur Untermiete in die Giesebrechtsraße 17 zog. Beweisbar ist nur, dass sie dort 1939 zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai wohnte, da sie in der Sonderkartei für Juden erfasst ist.<br />
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Inzwischen war das Leben für Juden schwer erträglich geworden. Zahlreiche Verordnungen zielten darauf, sie völlig aus dem beruflichen und dem öffentlichen Leben auszuschalten. Vor allem nach den Pogromen vom November 1938 verschärfte sich die Lage drastisch. Zu schon bestehenden Einschränkungen kam eine große Anzahl weiterer diskriminierender und erniedrigender Maßnahmen. Unter anderem konnten Juden nur noch eingeschränkt über ihr Vermögen verfügen. Juden durften nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften. Sie wurden gezwungen, ihrem Vornamen die „jüdischen“ Namen Sara und Israel anzuhängen, ab September 1941 hatten sie den Judenstern zu tragen. Juden wurden zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie herangezogen und wurden genötigt, zur Untermiete in bestimmten Wohnungen und Häusern zusammenzurücken. Auch Selma Lichtenstein konnte nicht in der Giesebrechtstraße 17 bleiben, ihre Adresse 1941 lautete Joachimsthaler Straße 13, ein Haus, das der Jüdischen Gemeinde gehörte. Ob Selma Zwangsarbeit leisten musste, wissen wir nicht, möglicherweise arbeitete sie für die Jüdische Gemeinde, in deren Haus sie wohnte.<br />
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Im Oktober 1941 begannen in Berlin die Deportationen. Selmas Schwester Elsa wurde mit ihrem Ehemann Georg Jacob am 14. November des Jahres nach Minsk deportiert. Vielleicht war das für Selma der Anstoß, sich einem ähnlichen Schicksal zu entziehen: Wenige Tage darauf, am 25. November 1941 nahm sie sich in ihrer Wohnung das Leben, laut Sterbeurkunde „vermutlich durch Schlafmittelvergiftung".<br />
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Selmas Bruder Richard Berndt gelang mit seiner Frau Margarete geb. Berliner und der Tochter Ruth im Oktober 1938 die Flucht nach Guatemala. Dort starb er 1947. Für ihn, seine Frau und Tochter liegen Stolpersteine vor der Kuno-Fischer-Straße 14. (https://www.berlin.de/ba-charlotte…).

Selma Berndt sah erstmals das Licht der Welt am 29. Mai 1880 in Berlin als jüngstes Kind des Kaufmannes Samuel Siegmund Berndt und seiner Frau Röschen (Rosa) geborene Japha. Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Familie am Molkenmarkt 7. Das Ehepaar war um 1877 von Fraustadt, heute Wschowa und damals zur Provinz Posen gehörig, nach Berlin gezogen. In Fraustadt hatten sie 1875 und 1876 zwei Söhne bekommen, die beide im Säuglingsalter starben. In Berlin wurden Selmas Bruder Richard (*1878) und ihre Schwester Alma Elsa (*1879) geboren. Als Selma 3 Jahre alt war, starb ihr Vater mit nur 31 Jahren. Wir wissen nicht, wohin Röschen zunächst mit den drei kleinen Kindern zog und wie sie ihren Lebensunterhalt bestritt. Erst 1898 findet sich ihre Spur wieder in den Adressbüchern, als Witwe in der Straßburger Straße 54, parterre.

Dort wohnte Selma noch 1912, als sie am 6. Juli den elf Jahre älteren Kurt Lichtenstein aus Dresden heiratete. Selma war inzwischen Verkäuferin geworden, die Berufsbezeichnung für Kurt lautet "Assistent 1. Klasse" - möglicherweise eine militärische oder handelstechnische Bezeichnung - sein Wohnsitz wurde mit Bagamoyo, Ost-Afrika (heute Tansania) "zur Zeit wohnhaft in Dresden-Blasewitz", angegeben. Bagamoyo lag in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Kurt Lichtenstein war als 27-jähriger Kaufmann 1896 offiziell nach Ostafrika ausgewandert. Laut der Passagierliste des Dampfschiffes „Kaiser“ fuhr Kurt am 26. März 1896 von Hamburg aus mit dem Ziel Delagoa Bay (heute Maputo Bay, Mosambik), also Portugiesisch-Ostafrika. Ob er schon bei der Überfahrt - die durch den Suezkanal führte - in Deutsch-Ostafrika hängen blieb oder später von der südlich gelegenen portugiesischen Kolonie nach Bagamoyo gelangte, bleibt unklar. Bagamoyo war bis 1891 die Hauptstadt von Deutsch-Ostafrika gewesen, blieb danach Sitz der Verwaltung.

Es ist nicht dokumentiert, wo sich Selma und Kurt nach der Heirat niederließen. Die Adressbücher sind nicht hilfreich, da der Name Kurt Lichtenstein mehrfach vorkommt. Vielleicht handelt es sich um den Kaufmann Kurt Lichtenstein, der ab 1912 in Treptow, Kienhofstraße 269, wohnte, vielleicht lebten sie auch anderswo zur Untermiete, vielleicht wohnten sie zeitweise gar nicht in Berlin, vielleicht ging Selma gar mit Kurt nach Ostafrika. Ebensowenig wissen wir, ob sie Kinder hatten.

Im September 1933 starb Kurt Lichtenstein. Möglich, dass Selma erst danach zur Untermiete in die Giesebrechtsraße 17 zog. Beweisbar ist nur, dass sie dort 1939 zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai wohnte, da sie in der Sonderkartei für Juden erfasst ist.

Inzwischen war das Leben für Juden schwer erträglich geworden. Zahlreiche Verordnungen zielten darauf, sie völlig aus dem beruflichen und dem öffentlichen Leben auszuschalten. Vor allem nach den Pogromen vom November 1938 verschärfte sich die Lage drastisch. Zu schon bestehenden Einschränkungen kam eine große Anzahl weiterer diskriminierender und erniedrigender Maßnahmen. Unter anderem konnten Juden nur noch eingeschränkt über ihr Vermögen verfügen. Juden durften nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften. Sie wurden gezwungen, ihrem Vornamen die „jüdischen“ Namen Sara und Israel anzuhängen, ab September 1941 hatten sie den Judenstern zu tragen. Juden wurden zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie herangezogen und wurden genötigt, zur Untermiete in bestimmten Wohnungen und Häusern zusammenzurücken. Auch Selma Lichtenstein konnte nicht in der Giesebrechtstraße 17 bleiben, ihre Adresse 1941 lautete Joachimsthaler Straße 13, ein Haus, das der Jüdischen Gemeinde gehörte. Ob Selma Zwangsarbeit leisten musste, wissen wir nicht, möglicherweise arbeitete sie für die Jüdische Gemeinde, in deren Haus sie wohnte.

Im Oktober 1941 begannen in Berlin die Deportationen. Selmas Schwester Elsa wurde mit ihrem Ehemann Georg Jacob am 14. November des Jahres nach Minsk deportiert. Vielleicht war das für Selma der Anstoß, sich einem ähnlichen Schicksal zu entziehen: Wenige Tage darauf, am 25. November 1941 nahm sie sich in ihrer Wohnung das Leben, laut Sterbeurkunde „vermutlich durch Schlafmittelvergiftung".

Selmas Bruder Richard Berndt gelang mit seiner Frau Margarete geb. Berliner und der Tochter Ruth im Oktober 1938 die Flucht nach Guatemala. Dort starb er 1947. Für ihn, seine Frau und Tochter liegen Stolpersteine vor der Kuno-Fischer-Straße 14. (https://www.berlin.de/ba-charlotte…).