Walter Ernst Otto Meyer

Verlegeort
Giesebrechtstr. 18
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
22. September 2010
Geboren
26. Mai 1891 in Wolfenbüttel
Deportation
am 03. Februar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
31. März 1945 in Auschwitz

Walter Ernst Otto Meyer kam zur Welt am 26. Mai 1891 in Wolfenbüttel als Sohn des „Cigarrenhändlers“ Otto Konrad Karl Emil Meyer und seiner Frau Bertha, geb. Friedländer. Bertha war Jüdin, Otto Meyer nicht. Sie lebten in der Auguststraße 7, ob sie weitere Kinder hatten, wissen wir nicht. Als Walter etwa drei Jahre alt war, zog die Familie nach Braunschweig und wohnte dort in der Sophienstraße 28. Otto Mayer ist als Kaufmann im Adressbuch vermerkt, vielleicht handelte er nicht mehr mit Zigarren. Ab 1900 hat auch Bertha einen eigenen Eintrag als Schneiderin in der Sophienstraße. Drei Jahre später starb Otto Meyer, vielleicht war das der Auslöser für Bertha 1905 zur evangelischen-lutherischen Kirche überzutreten.

Walter machte eine Glaserlehre, wir wissen nicht, ob in Braunschweig oder bereits in Berlin. Ab Juni 1909 - Walter war 18 Jahre alt und seine Mutter lebte noch in Braunschweig - war er als Glasergeselle angestellt bei der 1902 gegründeten Berliner Firma J. Salomonis, Glas & Spiegel, Alexandrinenstraße 135/6, die in den 20er- Jahren eine GmbH wurde. In Walter Meyers Zeugnis von 1938 heißt es: er „wurde lange Jahre hindurch in der Abteilung Kunstglaserei beschäftigt. Anfang des Jahres 1919 wurde er Werkmeister im Betriebe, und zwar in der Messingglaserei ...“

Möglicherweise gab die Beförderung den Anstoß, seine Verlobte zu ehelichen. Am 24. Juli 1919 heiratete er in Berlin Elsa Silberberg. Elsa war am 29. April 1894 (einige Quellen geben fälschlicherweise den 24. April an) in Berlin als Tochter des Schneidermeisters Israel Itzig Silberberg und seiner Frau Jenny, geb. Hannach auf die Welt gekommen. Israel Silberberg - im Adressbuch finden wir ihn als Isidor Silberberg - wohnte zu dem Zeitpunkt in der Elsasser Straße 19 (heute Torstraße). In dieser Straße muss sich Elsas gesamte Kindheit und Jugend abgespielt haben, denn als sie heiratete, wohnte sie mit ihrem Vater schräg gegenüber von ihrem Geburtshaus, in der Elsasser Straße 70. Ihre Mutter war bereits verstorben. Wie ihr Vater war Elsa ausgebildete Schneiderin, wahrscheinlich hat sie bei ihm gelernt.

Walter wohnte bis zur Heirat in Steglitz, in der Bergstraße 16, wohin Bertha Meyer 1911 gezogen war. Nach der Hochzeit zog das junge Paar in die Giesebrechtstraße 18. Am 19. April 1920 wurde ihr einziger Sohn Hans Joachim geboren. In späteren Jahren berichtete Hans Joachim, seine Mutter Elsa habe ab 1920 in einer getrennten Wohnung in der Giesebrechtstraße ein Damenkonfektionsatelier betrieben mit zeitweise vier Schneiderinnen. Tatsächlich verzeichnet das Adressbuch für 1920 und 21 in der Giesebrechtstraße 18 „Silberberg Dora, Modesalon“. Ob es sich bei Dora Silberberg um einen Geschäftsnamen oder eine Verwandte Elsas handelte, konnte nicht geklärt werden. Auch nicht, warum sie nach 1922 nicht mehr erwähnt wird. Mit einem eigenen Eintrag als „Elsa Meyer, Schneiderin" finden wir Elsa erst wieder 1932.

Unterdessen hatte Walter Meyer bei J. Salomonis weiter Karriere gemacht. „Späterhin war Herr Meyer einige Jahre in der Abteilung Bauglaserei mit der technischen Überwachung der in Arbeit befindlichen Bauten ... betreut, ... und hatte gleichzeitig auch die mit der Ausführung zusammenhängenden Verbindungen mit Architekten und Baugeschäften im Außendienst zu führen“ - so das Zeugnis. Da Meyers Doppelverdiener waren - Elsa trug mit 300-350 monatlich zum Haushalt bei -, konnten sie sich neben der 4-Zimmerwohnung in der Giesebrechtstraße auch ein Sommerhaus in Borgsdorf leisten, heute ein Stadtteil von Hohen Neuendorf, nördlich von Berlin.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderten sich zunächst nur für Elsa die Arbeitsumstände: Nach dem Boykott im April 1933 blieb ein Teil ihrer Kundschaft weg. Elsa musste das Atelier in der Zweitwohnung aufgeben und führte nur noch Näharbeiten in einem Zimmer ihrer Wohnung aus. Walter aber behielt seine Stellung, 1936 legte er sogar die Meisterprüfung mit „sehr gut“ ab.

„In der letzten Zeit" heißt es 1938 „haben wir Herrn Meyer auch in der Schleiferei und in der Autoscheiben-Reparatur-Abteilung beschäftigt...“. Unklar bleibt, ob dies eine Zurückstufung war oder nicht. Und das Zeugnis endet mit „Infolge der vorgesehenen Betriebs-Stilllegung zum 31. März 1939 sehen wir uns zu unserem Bedauern genötigt, Herrn Meyer zu diesem Zeitpunkt zu kündigen …“. Die „Betriebs-Stilllegung“ dürfte eine „Arisierung“ gewesen sein: Das Adressbuch 1940 vermerkt zu J. Salomonis: siehe jetzt Franz Borrmann & Co. Franz Borrmann war 1921-33 Prokurist bei J. Salomonis gewesen. Im Jahr 1940 ist Walter Meyer, Glasermeister, auch zum letzten mal im Adressbuch eingetragen. Elsa stand ebenfalls noch 1940 (mit dem Zwangsnamen „Elsa Sara“) als Damenschneiderin im Telefonbuch.

Das Zeugnis für Walter Meyer ist am 25. Oktober 1938 geschrieben worden, noch vor den Pogromen vom November des Jahres. Der Alltag für Juden war seit 1933 bereits schrittweise erschwert worden. Hans Joachim musste vom Oberrealgymnasium abgehen, statt Abitur machte er eine Optikerlehre. Dass sein Vater die Diskriminierung vergleichsweise weniger zu spüren bekam, mag damit zusammen hängen, dass er nach NS-Lesart als „Halbjude“ galt. Doch das nützte ihm nicht mehr viel, nachdem in der Folge der Pogrome vom 9./10. November die antisemitischen Verordnungen drastisch zunahmen. Das Haus in Borgsdorf mussten sie verkaufen. Hans Joachim brach auch die Optikerlehre ab und floh am 1. April 1939 nach London. Walter und Else konnten zwar in der Giesebrechtstraße bleiben, sehr wahrscheinlich wurden aber andere Juden bei ihnen eingewiesen. Wahrscheinlich ist auch, dass sie zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie herangezogen wurden.

Vielleicht hatten Elsa und Walter vor, ihrem Sohn nachzureisen. Nach Kriegsausbruch wurde das aber praktisch unmöglich. Ende Januar/Anfang Februar 1943 musste sich das Ehepaar Meyer in der Großen Hamburger Straße 26 einfinden, ein von der Gestapo zum Sammellager für Deportationen umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Sie wurden am 3. Februar desselben Jahres vom Güterbahnhof Moabit aus mit weiteren 950 Personen nach Auschwitz deportiert. Dort angekommen wurden lediglich 181 Männer und 106 Frauen zur Zwangsarbeit in das Lager eingewiesen. Die übrigen Menschen wurden in den Gaskammern ermordet. Elsa war 48 Jahre alt, Walter 51. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie zur Arbeit „selektiert" wurden. Eine Quelle gibt Walters Todesdatum mit 31. März 1945, eine andere 31. März 1943 an. Stimmt letztere, war der „Aufschub“ denkbar kurz, auf jeden Fall haben weder Walter noch Elsa die Schoah überlebt. Elsas Todesdatum ist unbekannt.

Hans Joachim wurde in England 1940 als „Feind“ nach Australien deportiert und dort bis Juni 1941 interniert. Er starb in Australien am 6. August 2003.