Felix Abraham

Verlegeort
Gritznerstraße 78
Historischer Name
Arndstraße 40
Bezirk/Ortsteil
Steglitz
Verlegedatum
12. November 2016
Geboren
30. August 1901 in Frankfurt/Main
Beruf
Arzt
Flucht in den Tod
08. September 1937 in Florenz/Italien

Felix Abraham war ein Pionier der frühen Sexualwissenschaft. Als 27-Jähriger war er der letzte der noch von Magnus Hirschfeld (1868–1935) persönlich berufenen Ärzte am Berliner Institut für Sexualwissenschaft. Hier machte er sich vor allem durch die Beratung von Transvestiten und Transsexuellen einen Namen. Zu seinen Patienten gehörten Rudolf Richter („Dorchen“, 1891–?), Arno/Toni Ebel (1881–1961) und Curt Scharlach/Charlotte Charlaque (1892–?). Für sie wie für andere stellte Abraham Gutachten aus, damit sie die polizeiliche Erlaubnis erhielten, die Kleidung des jeweils „anderen“ Geschlechts zu tragen, und mit ihnen bemühte er sich um die Realisierung von geschlechtsangleichenden Operationen. Bahnbrechend waren Abrahams Bericht über die „Genitalumwandlung an zwei männlichen Transvestiten“ in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik (1931) sowie die im gleichen Jahr erschienene französischsprachige Kompilation von Arbeiten Magnus Hirschfelds unter dem Titel Les Perversions sexuelles. Verwiesen werden kann auch auf das Buch „Fritz Ulbrichs lebender Marmor“, das Abraham ebenfalls 1931 zusammen mit dem Dresdener Kriminologen Erich Wulffen (1862–1936) verfasste, sowie eine Reihe kleinerer Arbeiten für die Zeitschriften Die Ehe und Die Aufklärung. Über den Lebensweg Abrahams sind heute gleichwohl nur Bruchstücke bekannt.<br />
Felix Abraham wurde am 30. August 1901 als zweites Kind des jüdischen Sanitätsrats Dr. Siegmund Abraham (1866–1929) und dessen Ehefrau Flora (geb. Marchand, 1876–1912) in Frankfurt am Main geboren. Die Familie des Vaters stammte aus dem hessischen Lorsch, die der Mutter war im niederländischen Amsterdam ansässig. Felix Abrahams ältere Schwester Erna Marx (geb. Abraham, 1896–1972) konnte noch im November 1937 zusammen mit ihrem Ehemann, dem Maschinenbauunternehmer Erich Marx (1858–1958), und ihren zwei Kindern aus Deutschland nach England emigrieren. Aus erhaltenen Zeugnissen über Felix Abraham geht hervor, dass er ein eher weicher und introvertierter Mensch war. Er war in den Augen seiner Familienangehörigen, Kollegen und Freunde verträumt und galt in geschäftlichen Dingen als unerfahren. Gleichzeitig wurde er als großzügig, kenntnisreich und gewissenhaft bezeichnet. Vermutlich war er als jugendlicher Schüler nicht sehr ehrgeizig. Aus seinem Abiturzeugnis der Frankfurter Musterschule geht hervor, dass er lediglich in Religion, Latein, Singen und Turnen mit „gut“ benotet wurde, in allen anderen Fächern erhielt er nur ein „Genügend“. Später muss er zielstrebiger aufgetreten sein. Felix Abraham studierte ab 1920 in Heidelberg, Frankfurt am Main und Berlin und promovierte schließlich in seiner Heimatstadt. Seine medizinische Dissertation vom 30. November 1928 trug den Titel „Untersuchungen über die Veränderungen der Sterblichkeitsstatistik des ersten Lebensjahres in Frankfurt a.M.“.<br />
Kurz nach seiner Approbation und Promotion trat Felix Abraham in den Dienst des 1919 gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin. Offensichtlich war Magnus Hirschfeld mit dem zwei Jahre älteren Vater Siegmund Abraham seit längerem bekannt gewesen und durch ihn auf den Sohn aufmerksam geworden. Möglicherweise handelte es sich gar um eine Art Freundschaftsdienst, als Hirschfeld den jungen Abraham in seine Dienste nahm. Denn von Anfang an war Hirschfeld nicht uneingeschränkt glücklich mit dem neuen Mitarbeiter. So behauptete er 1929, Abraham sei „nicht fleißig genug“ und „zu passiv“ – dennoch liebe er ihn „in seiner Unbeholfenheit und Strebsamkeit“. Am 1. April 1929 übernahm Felix Abraham als selbstständiger Teilhaber des Instituts für Sexualwissenschaft die Leitung der „Abteilung für sexualforensische Fälle und Triebabweichungen“. Hierzu wurden ihm ein eigenes Sprechzimmer und ein Wohn- und Schlafzimmer im Institut zur Verfügung gestellt. Der Vertrag, der auf vier Jahre befristet war, wurde im Vorfeld seines Auslaufens 1933 allerdings nicht von Hirschfeld verlängert – aus welchen Gründen auch immer. Im Gegenzug fasste Hirschfeld Dr. Josef Weisskopf (1904–1977) aus dem tschechischen Brno/Brünn als Abrahams Nachfolger ins Auge. Da das förmliche Ausscheiden Abrahams aus dem Institut zeitlich mit dessen Zerstörung durch die Nazis zusammenfiel, ist es heute schwierig, Näheres über die Hintergründe zu sagen. Adelheid Schulz (1909–2008), die von 1928 bis 1933 in der Hauswirtschaft des Instituts für Sexualwissenschaft tätig war, wusste zu berichten, dass sich Abraham seinerzeit eher lustlos den gegenüber Hirschfeld eingegangenen Pflichten unterzog. Außerdem habe er „Mittel“ genommen und sei häufiger „im Jum“ gewesen (Berlinerisch für „im Rausch“). Gleichwohl wurde Abraham auch offiziell Hirschfelds Stellvertreter, als dieser am 15. November 1930 von Bremerhaven aus zu seiner Vortragsreise durch Nordamerika, Asien und den Orient aufbrach. Er war in gerichtlichen Prozessen als Gutachter tätig und nahm an den Kongressen der Weltliga für Sexualreform in London (1929) und Brünn (1932) teil, auf ersterem sogar als Vortragender.<br />
Der schwedische Metallarbeiter und spätere Homosexuellenaktivist Eric Thorsell (1898–1980), der Ende 1931 zu Studienzwecken nach Berlin kam und sich für einige Monate am Institut für Sexualwissenschaft aufhielt, zählte Felix Abraham bald zu seinen Freunden. Abraham führte um diese Zeit öffentliche Abendveranstaltungen des Instituts durch, an denen er Fragen aus dem Publikum beantwortete. In Eric Thorsells Erinnerungsbuch schrieb er am 26. Februar 1932: „Meinem eifrigen Hörer der Frage-Abende zur Erinnerung und in der Hoffnung und mit dem Wunsche, dass seine eigene Tätigkeit in Schweden bald und von starkem Erfolg begleitet sein möge.“<br />
Nach 1933 war Felix Abraham offenbar immer wieder in finanziellen Schwierigkeiten, weshalb er mehrfach von seinem Schwager Erich Marx beraten wurde. Auch scheint er unter gesundheitlichen Beschwerden gelitten zu haben, die möglicherweise in Zusammenhang mit seiner Drogenabhängigkeit standen. Als Arzt hatte Abraham Zugang zu Morphium, zudem soll er regelmäßig Veronal genommen haben. Auf die Frage, inwiefern auch die politischen Verhältnisse in Deutschland ein Grund für Abrahams Flucht in den Rausch waren, kann es nur spekulative Antworten geben. Nachdem das Institut für Sexualwissenschaft am 6. Mai 1933 von den Nazis geplündert und wenige Tage später große Teile des Buch- und Zeitschriftenbestandes aus der Institutsbibliothek auf dem Berliner Opernplatz verbrannt worden waren, praktizierte Felix Abraham in Berlin-Charlottenburg. Am 23. September 1933 gab der schwedische Journalist Ragnar Ahlstedt (1901–1982) in einem Brief an Eric Thorsell folgenden Stimmungs- und Situationsbericht: „Das Institut ist ja, wie Sie wissen, vollkommen zerstört. Abraham hat jedoch eine eigene Praxis eröffnet – so lange er sie nun betreiben darf. Er empfängt in der Fasanenstraße, einer Querstraße zum Kurfürstendamm, nicht weit vom Zoo, und seine Wohnanschrift ist Budapester Straße 21 pt. Doch habe ich seit mehreren Wochen nichts von ihm gehört und befürchte daher, dass etwas passiert ist. Aber es kann auch sein, dass entweder seine oder meine Briefe verschwunden sind. Zumindest seine Briefe haben häufig das ‚Pech‘. Meine Reise nach Berlin im Juli galt eigentlich ihm persönlich. Ich wollte mich davon vergewissern, dass ihm kein Schaden zugefügt worden war, und wollte ihn ermuntern, auszuhalten. Doch der Schlag hat auch ihn hart getroffen, das merkte man ihm an, auch wenn er es auf jede Art zu verbergen suchte. Vor nur ein paar Tagen bekam ich allerdings einen Brief von gemeinsamen Freunden, in dem es hieß, dass er die Belastung wohl kaum aushalten könne, ohne zusammenzubrechen. Und um ihn vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren, will man ihn bewegen, nach Frankreich zu gehen. Ich wurde gebeten, ihn in dieser Richtung zu beeinflussen, konnte mich aber nicht dazu entschließen, denn im Grunde ist das ja eine Sache zwischen ihm und seinem Gewissen. Ich glaube, dass er lieber auf seinem Posten fallen will, als dass er seine deutschen Patienten im Stich lässt. Sicher wissen auch Sie, wie abhängig sie von ihm als eine seelische Stütze sind. Abraham tut mir so leid, denn er ist ja ein Mensch, der in jeglicher Hinsicht etwas Besonderes ist. Manchmal wagt man kaum, an die Zukunft zu denken.“<br />
Der Reichs-Medizinalkalender führte Felix Abraham 1935 mit der Praxisadresse Xantener Straße 18 (Berlin-Charlottenburg). Um diese Zeit muss Abraham seine spätere Ehefrau Pini Engel kennengelernt haben. Auch sie entstammte einer jüdischen Familie. Über Zeitpunkt und Ort der Eheschließung liegen keine Unterlagen vor – möglicherweise erfolgte sie erst Anfang 1937. Auch die Lebensdaten und das weitere Schicksal Pini Engels sind nicht bekannt. Dass die beiden verheiratet waren, erschließt sich lediglich aus einigen wenigen erhaltenen privaten Briefen sowie der italienischen Sterbeurkunde Felix Abrahams, in der dieser als „marito di Pini Engel“ bezeichnet wird.<br />
Im Lauf des Jahres 1936 versuchte Felix Abraham, nach Schweden zu übersiedeln und dort eine Stelle als Arzt zu finden. Er stand schon seit Längerem in Verbindung mit schwedischen Ärzten und Journalisten wie Gerda Kjellberg (1881–1972), Joseph Almqvist (1869–1945) und Ragnar Ahlstedt. Ursprünglich wollten die vier gar eine eigene Zeitschrift für sexuelle Aufklärung gründen. Als Felix Abraham am 12. August 1936 bei der obersten schwedischen Sozialbehörde in Stockholm einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung stellte, gab er als Grund für seine Einreise „medizinische Arbeit und Studien“ an. Doch wurde sein Antrag am 5. Dezember 1936 ohne weitere Erklärungen abgelehnt. Eric Thorsell, der Felix Abraham seit seinem Studienaufenthalt am Berliner Institut für Sexualwissenschaft kannte, hielt in seinen Memoiren 1980 fest: „Hierhin [nach Stockholm] kam auch Dr. Abraham vom Institut. Bettelarm. Er versuchte hier in Schweden, Arbeit als Arzt zu bekommen, aber das klappte nicht. Er war Jude, und fast die gesamte Ärzteschaft war nazistisch beeinflusst. Deshalb musste er sich mit der Unterstützung seiner Freunde durchschlagen. Seine Freunde in Deutschland schickten ihm jedes Mal in einer Zeitung versteckt einen Zehn-Kronen-Schein. Er wohnte in einer Pension in der Wallingatan, wo ich ihn ein paar Mal besuchte. Abrahams Schicksal war tragisch – er schaffte es nicht, den Lebensfunken am Glühen zu halten, nachdem in Deutschland alles für ihn zusammengebrochen war.“ Es scheint jedoch, als habe Abraham in Schweden wenigstens vorübergehend noch einmal Hoffnung geschöpft. In Eric Thorsells Erinnerungsbuch notierte er am 7. Juni 1936: „Post tenebras lux.“ Spätestens Ende 1936 trug er sich dann aber mit Selbstmordabsichten.<br />
Felix Abraham muss nach seinem erfolglosen Emigrationsversuch nach Schweden um den Jahreswechsel 1936/37 nach Deutschland zurückgekehrt sein. Offenbar wohnte er jetzt zwischenzeitig im Haus seines Schwiegervaters Alexander Engel (1879–1939), denn laut Reichs-Medizinalkalender firmierte er nun unter der Praxisadresse Arndtstraße 40 (heute Gritznerstraße 78). Über die Familie Engel ist heute nur wenig bekannt. Der Verlagsbuchhändler Alexander Engel stammte gebürtig aus dem oberschlesischen Ratibor (heute Racibórz). Er war Eigentümer des Hauses in der Arndtstraße 40 und hier zuletzt 1938 unter der Bezeichnung „Direktor“ registriert. Seine erste Frau Antonia Hertrich hatte er vermutlich um 1903 in Breslau (Wrocław) geheiratet. Sie starb möglicherweise bereits vor 1920, denn Alexander Engel war zwei Mal verheiratet. Die Ehe, die er 1920 mit Käte Bodländer einging, wurde 1928 geschieden. Alexander Engel starb am 1. Juli 1939 im Krankenhaus der israelitischen Privat-Klinik e.V. in München.<br />
Felix Abraham dürfte dann im April 1937 nach Italien emigriert sein. Er ließ sich in Florenz nieder – in der Absicht, hier das italienische Staatsexamen abzulegen und dafür erneut die Universität zu besuchen. Zur gleichen Zeit soll jedoch bei der Kriminalpolizei in Berlin ein Strafverfahren wegen des Missbrauchs von Rauschgift gegen ihn anhängig gewesen sein, was möglicherweise neben den antijüdischen Maßnahmen und Hetzkampagnen der Nationalsozialisten ein weiterer Anlass dafür war, dass Abraham Deutschland fluchtartig verließ. Ob er in Italien mit seiner Frau Pini zusammenlebte, ist nicht belegt. Felix Abraham nahm sich am 8. September 1937 in Florenz das Leben. Er soll sich erschossen haben. Näheres ist nicht bekannt. Der Berliner Polizei war damals allerdings Abrahams Adresse in Italien bekannt, was Alexander Engel später als den eigentlichen Auslöser für den Suizid seines Schwiegersohns ansah.<br />
Felix Abraham wurde auf dem Cimitero Israelitico di Caciolle in Florenz beigesetzt. Seine Schwester ließ über dem Grab an der Friedhofsmauer eine schlichte Gedenktafel mit den Lebensdaten ihres Bruders und der hebräischen Inschrift „Schalom“ anbringen. Das Grab ist heute noch erhalten, es befindet sich aber in einem recht vernachlässigten Zustand. Schließlich gibt es keine Nachkommen, die es pflegen könnten. Italienischen LGBT-Aktivisten vor Ort ist der Name Felix Abrahams möglicherweise kein Begriff, oder sie wissen ganz einfach nicht, dass Abraham seinem Leben in Florenz ein Ende setzte.<br />

Felix Abraham war ein Pionier der frühen Sexualwissenschaft. Als 27-Jähriger war er der letzte der noch von Magnus Hirschfeld (1868–1935) persönlich berufenen Ärzte am Berliner Institut für Sexualwissenschaft. Hier machte er sich vor allem durch die Beratung von Transvestiten und Transsexuellen einen Namen. Zu seinen Patienten gehörten Rudolf Richter („Dorchen“, 1891–?), Arno/Toni Ebel (1881–1961) und Curt Scharlach/Charlotte Charlaque (1892–?). Für sie wie für andere stellte Abraham Gutachten aus, damit sie die polizeiliche Erlaubnis erhielten, die Kleidung des jeweils „anderen“ Geschlechts zu tragen, und mit ihnen bemühte er sich um die Realisierung von geschlechtsangleichenden Operationen. Bahnbrechend waren Abrahams Bericht über die „Genitalumwandlung an zwei männlichen Transvestiten“ in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik (1931) sowie die im gleichen Jahr erschienene französischsprachige Kompilation von Arbeiten Magnus Hirschfelds unter dem Titel Les Perversions sexuelles. Verwiesen werden kann auch auf das Buch „Fritz Ulbrichs lebender Marmor“, das Abraham ebenfalls 1931 zusammen mit dem Dresdener Kriminologen Erich Wulffen (1862–1936) verfasste, sowie eine Reihe kleinerer Arbeiten für die Zeitschriften Die Ehe und Die Aufklärung. Über den Lebensweg Abrahams sind heute gleichwohl nur Bruchstücke bekannt.
Felix Abraham wurde am 30. August 1901 als zweites Kind des jüdischen Sanitätsrats Dr. Siegmund Abraham (1866–1929) und dessen Ehefrau Flora (geb. Marchand, 1876–1912) in Frankfurt am Main geboren. Die Familie des Vaters stammte aus dem hessischen Lorsch, die der Mutter war im niederländischen Amsterdam ansässig. Felix Abrahams ältere Schwester Erna Marx (geb. Abraham, 1896–1972) konnte noch im November 1937 zusammen mit ihrem Ehemann, dem Maschinenbauunternehmer Erich Marx (1858–1958), und ihren zwei Kindern aus Deutschland nach England emigrieren. Aus erhaltenen Zeugnissen über Felix Abraham geht hervor, dass er ein eher weicher und introvertierter Mensch war. Er war in den Augen seiner Familienangehörigen, Kollegen und Freunde verträumt und galt in geschäftlichen Dingen als unerfahren. Gleichzeitig wurde er als großzügig, kenntnisreich und gewissenhaft bezeichnet. Vermutlich war er als jugendlicher Schüler nicht sehr ehrgeizig. Aus seinem Abiturzeugnis der Frankfurter Musterschule geht hervor, dass er lediglich in Religion, Latein, Singen und Turnen mit „gut“ benotet wurde, in allen anderen Fächern erhielt er nur ein „Genügend“. Später muss er zielstrebiger aufgetreten sein. Felix Abraham studierte ab 1920 in Heidelberg, Frankfurt am Main und Berlin und promovierte schließlich in seiner Heimatstadt. Seine medizinische Dissertation vom 30. November 1928 trug den Titel „Untersuchungen über die Veränderungen der Sterblichkeitsstatistik des ersten Lebensjahres in Frankfurt a.M.“.
Kurz nach seiner Approbation und Promotion trat Felix Abraham in den Dienst des 1919 gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin. Offensichtlich war Magnus Hirschfeld mit dem zwei Jahre älteren Vater Siegmund Abraham seit längerem bekannt gewesen und durch ihn auf den Sohn aufmerksam geworden. Möglicherweise handelte es sich gar um eine Art Freundschaftsdienst, als Hirschfeld den jungen Abraham in seine Dienste nahm. Denn von Anfang an war Hirschfeld nicht uneingeschränkt glücklich mit dem neuen Mitarbeiter. So behauptete er 1929, Abraham sei „nicht fleißig genug“ und „zu passiv“ – dennoch liebe er ihn „in seiner Unbeholfenheit und Strebsamkeit“. Am 1. April 1929 übernahm Felix Abraham als selbstständiger Teilhaber des Instituts für Sexualwissenschaft die Leitung der „Abteilung für sexualforensische Fälle und Triebabweichungen“. Hierzu wurden ihm ein eigenes Sprechzimmer und ein Wohn- und Schlafzimmer im Institut zur Verfügung gestellt. Der Vertrag, der auf vier Jahre befristet war, wurde im Vorfeld seines Auslaufens 1933 allerdings nicht von Hirschfeld verlängert – aus welchen Gründen auch immer. Im Gegenzug fasste Hirschfeld Dr. Josef Weisskopf (1904–1977) aus dem tschechischen Brno/Brünn als Abrahams Nachfolger ins Auge. Da das förmliche Ausscheiden Abrahams aus dem Institut zeitlich mit dessen Zerstörung durch die Nazis zusammenfiel, ist es heute schwierig, Näheres über die Hintergründe zu sagen. Adelheid Schulz (1909–2008), die von 1928 bis 1933 in der Hauswirtschaft des Instituts für Sexualwissenschaft tätig war, wusste zu berichten, dass sich Abraham seinerzeit eher lustlos den gegenüber Hirschfeld eingegangenen Pflichten unterzog. Außerdem habe er „Mittel“ genommen und sei häufiger „im Jum“ gewesen (Berlinerisch für „im Rausch“). Gleichwohl wurde Abraham auch offiziell Hirschfelds Stellvertreter, als dieser am 15. November 1930 von Bremerhaven aus zu seiner Vortragsreise durch Nordamerika, Asien und den Orient aufbrach. Er war in gerichtlichen Prozessen als Gutachter tätig und nahm an den Kongressen der Weltliga für Sexualreform in London (1929) und Brünn (1932) teil, auf ersterem sogar als Vortragender.
Der schwedische Metallarbeiter und spätere Homosexuellenaktivist Eric Thorsell (1898–1980), der Ende 1931 zu Studienzwecken nach Berlin kam und sich für einige Monate am Institut für Sexualwissenschaft aufhielt, zählte Felix Abraham bald zu seinen Freunden. Abraham führte um diese Zeit öffentliche Abendveranstaltungen des Instituts durch, an denen er Fragen aus dem Publikum beantwortete. In Eric Thorsells Erinnerungsbuch schrieb er am 26. Februar 1932: „Meinem eifrigen Hörer der Frage-Abende zur Erinnerung und in der Hoffnung und mit dem Wunsche, dass seine eigene Tätigkeit in Schweden bald und von starkem Erfolg begleitet sein möge.“
Nach 1933 war Felix Abraham offenbar immer wieder in finanziellen Schwierigkeiten, weshalb er mehrfach von seinem Schwager Erich Marx beraten wurde. Auch scheint er unter gesundheitlichen Beschwerden gelitten zu haben, die möglicherweise in Zusammenhang mit seiner Drogenabhängigkeit standen. Als Arzt hatte Abraham Zugang zu Morphium, zudem soll er regelmäßig Veronal genommen haben. Auf die Frage, inwiefern auch die politischen Verhältnisse in Deutschland ein Grund für Abrahams Flucht in den Rausch waren, kann es nur spekulative Antworten geben. Nachdem das Institut für Sexualwissenschaft am 6. Mai 1933 von den Nazis geplündert und wenige Tage später große Teile des Buch- und Zeitschriftenbestandes aus der Institutsbibliothek auf dem Berliner Opernplatz verbrannt worden waren, praktizierte Felix Abraham in Berlin-Charlottenburg. Am 23. September 1933 gab der schwedische Journalist Ragnar Ahlstedt (1901–1982) in einem Brief an Eric Thorsell folgenden Stimmungs- und Situationsbericht: „Das Institut ist ja, wie Sie wissen, vollkommen zerstört. Abraham hat jedoch eine eigene Praxis eröffnet – so lange er sie nun betreiben darf. Er empfängt in der Fasanenstraße, einer Querstraße zum Kurfürstendamm, nicht weit vom Zoo, und seine Wohnanschrift ist Budapester Straße 21 pt. Doch habe ich seit mehreren Wochen nichts von ihm gehört und befürchte daher, dass etwas passiert ist. Aber es kann auch sein, dass entweder seine oder meine Briefe verschwunden sind. Zumindest seine Briefe haben häufig das ‚Pech‘. Meine Reise nach Berlin im Juli galt eigentlich ihm persönlich. Ich wollte mich davon vergewissern, dass ihm kein Schaden zugefügt worden war, und wollte ihn ermuntern, auszuhalten. Doch der Schlag hat auch ihn hart getroffen, das merkte man ihm an, auch wenn er es auf jede Art zu verbergen suchte. Vor nur ein paar Tagen bekam ich allerdings einen Brief von gemeinsamen Freunden, in dem es hieß, dass er die Belastung wohl kaum aushalten könne, ohne zusammenzubrechen. Und um ihn vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren, will man ihn bewegen, nach Frankreich zu gehen. Ich wurde gebeten, ihn in dieser Richtung zu beeinflussen, konnte mich aber nicht dazu entschließen, denn im Grunde ist das ja eine Sache zwischen ihm und seinem Gewissen. Ich glaube, dass er lieber auf seinem Posten fallen will, als dass er seine deutschen Patienten im Stich lässt. Sicher wissen auch Sie, wie abhängig sie von ihm als eine seelische Stütze sind. Abraham tut mir so leid, denn er ist ja ein Mensch, der in jeglicher Hinsicht etwas Besonderes ist. Manchmal wagt man kaum, an die Zukunft zu denken.“
Der Reichs-Medizinalkalender führte Felix Abraham 1935 mit der Praxisadresse Xantener Straße 18 (Berlin-Charlottenburg). Um diese Zeit muss Abraham seine spätere Ehefrau Pini Engel kennengelernt haben. Auch sie entstammte einer jüdischen Familie. Über Zeitpunkt und Ort der Eheschließung liegen keine Unterlagen vor – möglicherweise erfolgte sie erst Anfang 1937. Auch die Lebensdaten und das weitere Schicksal Pini Engels sind nicht bekannt. Dass die beiden verheiratet waren, erschließt sich lediglich aus einigen wenigen erhaltenen privaten Briefen sowie der italienischen Sterbeurkunde Felix Abrahams, in der dieser als „marito di Pini Engel“ bezeichnet wird.
Im Lauf des Jahres 1936 versuchte Felix Abraham, nach Schweden zu übersiedeln und dort eine Stelle als Arzt zu finden. Er stand schon seit Längerem in Verbindung mit schwedischen Ärzten und Journalisten wie Gerda Kjellberg (1881–1972), Joseph Almqvist (1869–1945) und Ragnar Ahlstedt. Ursprünglich wollten die vier gar eine eigene Zeitschrift für sexuelle Aufklärung gründen. Als Felix Abraham am 12. August 1936 bei der obersten schwedischen Sozialbehörde in Stockholm einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung stellte, gab er als Grund für seine Einreise „medizinische Arbeit und Studien“ an. Doch wurde sein Antrag am 5. Dezember 1936 ohne weitere Erklärungen abgelehnt. Eric Thorsell, der Felix Abraham seit seinem Studienaufenthalt am Berliner Institut für Sexualwissenschaft kannte, hielt in seinen Memoiren 1980 fest: „Hierhin [nach Stockholm] kam auch Dr. Abraham vom Institut. Bettelarm. Er versuchte hier in Schweden, Arbeit als Arzt zu bekommen, aber das klappte nicht. Er war Jude, und fast die gesamte Ärzteschaft war nazistisch beeinflusst. Deshalb musste er sich mit der Unterstützung seiner Freunde durchschlagen. Seine Freunde in Deutschland schickten ihm jedes Mal in einer Zeitung versteckt einen Zehn-Kronen-Schein. Er wohnte in einer Pension in der Wallingatan, wo ich ihn ein paar Mal besuchte. Abrahams Schicksal war tragisch – er schaffte es nicht, den Lebensfunken am Glühen zu halten, nachdem in Deutschland alles für ihn zusammengebrochen war.“ Es scheint jedoch, als habe Abraham in Schweden wenigstens vorübergehend noch einmal Hoffnung geschöpft. In Eric Thorsells Erinnerungsbuch notierte er am 7. Juni 1936: „Post tenebras lux.“ Spätestens Ende 1936 trug er sich dann aber mit Selbstmordabsichten.
Felix Abraham muss nach seinem erfolglosen Emigrationsversuch nach Schweden um den Jahreswechsel 1936/37 nach Deutschland zurückgekehrt sein. Offenbar wohnte er jetzt zwischenzeitig im Haus seines Schwiegervaters Alexander Engel (1879–1939), denn laut Reichs-Medizinalkalender firmierte er nun unter der Praxisadresse Arndtstraße 40 (heute Gritznerstraße 78). Über die Familie Engel ist heute nur wenig bekannt. Der Verlagsbuchhändler Alexander Engel stammte gebürtig aus dem oberschlesischen Ratibor (heute Racibórz). Er war Eigentümer des Hauses in der Arndtstraße 40 und hier zuletzt 1938 unter der Bezeichnung „Direktor“ registriert. Seine erste Frau Antonia Hertrich hatte er vermutlich um 1903 in Breslau (Wrocław) geheiratet. Sie starb möglicherweise bereits vor 1920, denn Alexander Engel war zwei Mal verheiratet. Die Ehe, die er 1920 mit Käte Bodländer einging, wurde 1928 geschieden. Alexander Engel starb am 1. Juli 1939 im Krankenhaus der israelitischen Privat-Klinik e.V. in München.
Felix Abraham dürfte dann im April 1937 nach Italien emigriert sein. Er ließ sich in Florenz nieder – in der Absicht, hier das italienische Staatsexamen abzulegen und dafür erneut die Universität zu besuchen. Zur gleichen Zeit soll jedoch bei der Kriminalpolizei in Berlin ein Strafverfahren wegen des Missbrauchs von Rauschgift gegen ihn anhängig gewesen sein, was möglicherweise neben den antijüdischen Maßnahmen und Hetzkampagnen der Nationalsozialisten ein weiterer Anlass dafür war, dass Abraham Deutschland fluchtartig verließ. Ob er in Italien mit seiner Frau Pini zusammenlebte, ist nicht belegt. Felix Abraham nahm sich am 8. September 1937 in Florenz das Leben. Er soll sich erschossen haben. Näheres ist nicht bekannt. Der Berliner Polizei war damals allerdings Abrahams Adresse in Italien bekannt, was Alexander Engel später als den eigentlichen Auslöser für den Suizid seines Schwiegersohns ansah.
Felix Abraham wurde auf dem Cimitero Israelitico di Caciolle in Florenz beigesetzt. Seine Schwester ließ über dem Grab an der Friedhofsmauer eine schlichte Gedenktafel mit den Lebensdaten ihres Bruders und der hebräischen Inschrift „Schalom“ anbringen. Das Grab ist heute noch erhalten, es befindet sich aber in einem recht vernachlässigten Zustand. Schließlich gibt es keine Nachkommen, die es pflegen könnten. Italienischen LGBT-Aktivisten vor Ort ist der Name Felix Abrahams möglicherweise kein Begriff, oder sie wissen ganz einfach nicht, dass Abraham seinem Leben in Florenz ein Ende setzte.