Julius Adler

Verlegeort
Große Hamburger Straße 40
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
17. März 2018
Geboren
13. März 1867 in Dreidorf / Kaliska
Beruf
Musiker
Verhaftet
März 1943 im Polizeigefängnis Alexanderplatz
Deportation
am 23. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
24. Mai 1943 in Auschwitz

Julius Dienegott Adler stammte aus einer weitverzweigten Familie deutscher Sinti, deren Angehörige im Nationalsozialismus verfolgt und fast ausnahmslos ermordet wurden. Er war der Sohn des Musikers Karl Adler und der Wilhelmine Adler, geborene Franz, und wurde am 13. März 1867 im damals preußischen Dreidorf (dem heutigen Dźwierszno Wielkie), das etwa 100 Kilometer nördlich von Posen (Poznań) liegt, geboren. Julius hatte fünf Geschwister: Seine Brüder hießen Heinrich, August und Friedrich Adler, seine Schwestern Pauline und Maria Adler. Über sein Elternhaus sowie die Kindheit und Jugend von Julius und seinen Geschwistern in der ländlichen Ortschaft Dreidorf haben sich keine Informationen erhalten. Hier hatte Julius in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine spätere Frau, die fünf Jahre jüngere Klara Auguste Franz kennengelernt, die im westpreußischen Niedamowo als Tochter des Arbeiters Johann Franz und der Wilhelmine Franz, geborene Werner, aufwuchs.<br />
<br />
In der Familie Adler spielte die Musik eine bedeutende Rolle. Viele der Familienmitglieder waren musikalisch, beherrschten Instrumente und einige von ihnen verdienten mit der Musik ihren Lebensunterhalt. So bestritt Julius nach seiner Schulausbildung wie auch sein Vater vor ihm seinen Unterhalt als Berufsmusiker. Er hatte sich auf das Harfenspiel spezialisiert. Später sollte eines der Kinder von Julius, der 1902 in Labischin (Łabiszyn) südlich von Bromberg (Bydgoszcz) geborene Oskar Adler, die Familientradition fortsetzen, in Berlin als Musiker tätig sein und die Stelle eines Kapellmeisters besetzen. Klara Auguste trug als Händlerin zum Einkommen der Familie bei, die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Zuwachs bekam.<br />
<br />
Neben dem erwähnten Oskar Adler hatten Julius und Klara Auguste vier weitere Kinder: Selma Adler wurde 1894 in Klesczin (ab 1909 Kleschin, das heutige Kleszczyna) geboren, eine weitere Tochter namens Agnes bei einem Urlaub der Familie 1897 in einer damals russischen Ortschaft, ein Sohn namens Max kam 1914 in Schneidemühl (Piła) zur Welt und der jüngste Spross der Familie Rudolf Adler 1918 in Berlin. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte in der Geburtsregion von Julius Adler eine Landflucht in die größeren Metropolen im Westen eingesetzt, die durch die unsicheren Verhältnisse in den Jahren um den Ersten Weltkrieg noch einmal an Brisanz gewann. Die Geburtsorte seiner Kinder deuten darauf hin, dass die Familie Adler Teil dieser Migrationsbewegungen wurde. In den Jahren zwischen 1914 und 1916 ließ sich die Familie in der Hauptstadt Berlin nieder. Zwei Jahre vor der Geburt des jüngsten Sohnes Rudolf, im Jahr 1916, lebten die Adlers in einer Wohnung in der Neuen Hochstraße 15 im Wedding, unweit des Dorotheenstädtischen Friedhofs II. In diesem Jahr ließen Julius und Klara Auguste am 31. Oktober in Berlin ihre Ehe standesamtlich anerkennen. Aus den Ehedokumenten geht hervor, dass alle Elternteile der beiden Ehepartner inzwischen verstorben waren.<br />
<br />
Die Geschwister von Julius hatten unterdessen eigene Familien gegründet: Friedrich Adler lebte mit seiner Ehefrau Rosalie Krause in Hamburg, genau wie sein Bruder August Adler mit seiner Frau Guste und seinen Kindern. Heinrich Adler hatte ebenfalls eine Krause geheiratet, möglicherweise eine Schwester von Rosalie und mit ihr drei Kinder namens August, Friedrich und Else Adler bekommen. Pauline Adler, die mit einem Henning verheiratet war, reiste mit ihrem Mann Ende der 1930er-Jahre und Anfang der 1940er-Jahre in Pommern. Maria Adler, verheiratete Grünholz, verstarb im Juli 1940 in Swinemünde (Świnoujście). Ihr Ehemann Johann Grünholz war bereits in den 1920er- oder 1930er-Jahren verstorben.<br />
<br />
Über das Leben von Julius Adler, seiner Ehefrau Klara Auguste und seinen Kindern im Berlin der Weimarer Republik haben sich kaum Informationen erhalten. Beide Ehepartner waren Katholiken und vermutlich wurden auch ihre Kinder katholisch getauft und gefirmt. Sicher besuchten die Jüngsten, Max und Rudolf, in den 1920er-Jahren Berliner Schulen, zumindest für Rudolf ist es aber fraglich, ob er seine Ausbildung noch hat zu Ende führen können und ob er noch einen Beruf ergreifen konnte, bevor die NS-Verfolgung jegliche Berufsausübung verhinderte. Julius’ älteste Tochter Selma hatte in jungen Jahren den Kaufmann Kajetan Weinich geheiratet, mit ihm 1915 in Berlin eine Tochter namens Elisabeth bekommen und führte mit ihm einen eigenen Hausstand in der Hauptstadt. Sie war wie ihre Mutter als Händlerin in Berlin tätig. Julius’ Sohn, der Musiker und spätere Kapellmeister Oskar Adler, bekam mit seiner Ehefrau Auguste Adler, geborene Spindler, zehn Kinder, die in den 1920er- bis 1940er-Jahren geboren wurden: Max, Waldemar, Sandor, Rudi, Helga, Angelika, Selma, Weibi, Soni und Gisela. Max Adler, der nach seiner Schulausbildung als Maschinist in Berlin arbeitete, heiratete in den 1930er-Jahren die Berlinerin Magdalena, geborene Saller. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor. Julius’ Tochter Agnes Adler starb kinderlos am 16. August 1933 im Alter von nur 36 Jahren in Berlin.<br />
<br />
Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Roma und Sinti seit 1933 begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Julius Adler und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Es ist nicht bekannt, inwieweit die Zugehörigkeit zur Minderheit der deutschen Sinti für die Identitätsbildung der Familienangehörigen und für das tägliche Leben der Familie vor der NS-Zeit eine Rolle gespielt hat. Dass einige der Familienmitglieder später mit ihrem familiären Beinamen – in der NS-Terminologie handelte es sich um „Zigeunernamen“ – erfasst wurden – Julius Adler mit dem Rufnamen „Julek“ – und zum Teil Ehen in traditioneller Weise (Mangavipen und Bijav) geschlossen haben, ist sicher nur ein Aspekt kultureller Identität einer Familie, die sich ansonsten ganz selbstverständlich als Teil der deutschen Gesellschaft verstand. Andererseits gab es auch vor der NS-Zeit eine lange Tradition antiziganistischer Maßnahmen, mit der Julius Adler in Berührung gekommen sein konnte. 1906 führte die preußische „Anweisung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ zu einer Vereinheitlichung der Verfolgungsmaßnahmen, die 1924 erneuert und von anderen deutschen Staaten übernommen wurde. In Berlin wurde seit 1927 vom Innenministerium die Anweisung an die Polizei gegeben, Fingerabdrücke von Roma und Sinti zu nehmen und zu katalogisieren, womit der Grundstock einer systematischen Personenerfassung gelegt war, die bei der späteren Verfolgung eine entscheidende Rolle spielte. Unter den rassenideologischen Vorgaben des NS-Regimes verschärften seit 1933 vor allem lokale polizeiliche und administrative Instanzen die Verfolgung von „Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“. In Berlin wurde auf Initiative der Wohlfahrtsämter anlässlich der Olympischen Spiele 1936 eines der größten Zwangslager für Roma und Sinti in Marzahn errichtet, mit der die Stadt „zigeunerfrei“ werden sollte.<br />
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Die Adlers wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht in das Lager gezwungen. Sie lebten Mitte der 1930er-Jahre in zwei nicht weit voneinander gelegenen Wohnungen in der Großen Hamburger Straße 34 und 40 in Mitte. In den 1930er-Jahren konnten sie ihrer Berufstätigkeit nicht mehr ungehindert nachgehen. Berufsverbote zwangen Julius, seine Stelle als Musiker aufzugeben. Zumindest seine jüngsten Söhne Rudolf und Max wurden vermutlich zu Zwangsarbeit herangezogen, aber wahrscheinlich waren auch andere Familienmitglieder betroffen. Max war zuletzt vom Dezember 1938 bis zum 16. März 1943 in der „Maschinen- und Filmdruckerei R. Wolff“ in der Köpenicker Straße 18–20 als Arbeiter tätig, Rudolf vom September 1941 bis zum 27. März 1943 als Arbeiter in der „Schömann-Band K. G., Fabrik für Farbbänder, Kohle- und Durchschreibpapier“ in der Oranienburger Straße 38. Seit 1936 lag das Schicksal der Familie neben den Berliner Wohlfahrtsämtern und lokalen Polizeistellen in den Händen der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ (RHF) mit Sitz in Berlin-Dahlem. Die Behörde war mit der systematischen Erfassung der in Deutschland lebenden Sinti und Roma betraut sowie medizinischen Versuchsreihen an ihnen. Von den Adlers wurden unter anderem biometrische Daten wie Fingerabdrücke genommen und in das „Zigeunersippenarchiv“ aufgenommen. 1938 wurde Julius’ Sohn Max unter dem Verfolgungsvorwand „arbeitsscheu“ – wahrscheinlich im Zuge der zweiten großen Verhaftungswelle der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ – im brandenburgischen Zehdenick verhaftet, am 18. Juni in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt und für sechs Monate bis zum 2. Dezember 1938 interniert. Mit dem „Festschreibungserlass“ im Oktober 1939 wurde allen Sinti und Roma unter Androhung von KZ-Haft verboten, ihre Heimatorte zu verlassen. In demselben Jahr entzogen die Behörden Julius’ Tochter Selma Weinich die Staatsangehörigkeit, da sie widersprüchliche Angaben zu ihrer Herkunft gemacht hatte. Gegen das folgende Aufenthaltsverbot für das Reichsgebiet konnte sie noch bei der Kriminalpolizei und der 1939 in das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) aufgegangenen RHF erfolgreich Einspruch einlegen. Allerdings musste sie mit ihrem Mann spätesten 1941 ihre Wohnung in der Großen Hamburger Straße verlassen und wurde im Zwangslager Marzahn interniert. In einer der Barackenwagen Marzahns mussten Anfang der 1940er-Jahre auch Julius’ Sohn Oskar Adler mit seiner Ehefrau Auguste und seinen Kindern leben.<br />
<br />
Der Entrechtung folgte die Deportation: Bereits seit Anfang 1940 wurden aus dem Reichsgebiet Sinti und Roma in die besetzten Gebiete im Osten deportiert. Mit dem „Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 wurde im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau der „Zigeunerlager“ genannte Lagerabschnitt B II e eingerichtet. Im März 1943 wurden die meisten der in Berlin lebenden Familienmitglieder der Adlers verhaftet und in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebracht: Zuerst vermutlich der Bruder Max Adler mit seiner Frau Magdalena und dem minderjährigen Sohn. Magdalena Adler, die bei den Behörden als „arisch“ geführt wurde, sollte zur Scheidung genötigt werden, entschied sich aber dazu, das Schicksal ihres Ehemanns zu teilen. Am 23. März 1943 wurden Julius und Klara Auguste Adler sowie deren Enkelin Gisela Adler, eine der Töchter Oskars, verhaftet und am 27./28. März 1943 Rudolf Adler. Sie alle wurden Ende März 1943 aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Aus dem Zwangslager Marzahn heraus verfasste Selma Weinich verzweifelte Bittschriften für ihre Eltern und Geschwister: Am 24. Mai 1943 schrieb sie ergebnislos an den Lagerkommandanten in Auschwitz und fügte Arbeitsbescheinigungen von Max und Rudolf Adler an, in denen deren frühere Arbeitgeber versicherten, dass sie diese jederzeit wiedereinstellen würden. Einen zweiten Brief vom September 1943 richtete sie direkt an die „Präsidialkanzlei des Führers“, in dem sie darum bat, dass ihre Eltern ihr aus Auschwitz schreiben dürften, und der sicherlich unbeantwortet blieb.<br />
<br />
Nach der Deportation aus Berlin wurde der Eingang von Julius Adler in das „Zigeunerlager“ in Auschwitz mit der Häftlingsnummer „Z-5637“ für den 31. März 1943 dokumentiert. An diesem Tag finden sich ebenfalls Einträge für seine Ehefrau Klara Auguste (Z-6257), seine Söhne Rudolf (Z-5638) und Max (Z-5639) und seine Enkelin Gisela (Z-6258). Julius Adler wurde laut den Auschwitzer Lagerbüchern am 24. Mai 1943 ermordet – entweder durch direkte Gewalteinwirkung oder durch die Folgen der „Vernichtung durch Arbeit“ mittels planvoller Mangelernährung und körperlicher Misshandlung im Lager. Er ist 76 Jahre alt geworden.<br />
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Nur wenige seiner Familienangehörigen überlebten die NS-Verfolgung: Seine Ehefrau wurde am 13. August 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Seine 17-jährige Enkelin Gisela war bereits zuvor am 6. Juli 1943 im Vernichtungslager ermordet worden. An seinen Söhnen Max und Rudolf wurde in Auschwitz durch das sogenannte SS-Hygieneinstitut medizinische Versuche durchgeführt. Ein Dokument deutet darauf hin, dass Rudolf Adler bereits 1942 in Berlin, vermutlich durch eine Forschungsstelle des RSHA, mit einem Erreger infiziert worden war. Im August 1943 unternahm Rudolf Adler zusammen mit dem deutschen Sinto Robert Böhmer einen Fluchtversuch. Die beiden wurden am 7. August festgenommen, in Auschwitz unter Bunkerarrest gestellt und am 20. August 1943 erschossen. Max Adler wurde 12. März 1944 in Auschwitz ermordet. Seine Ehefrau und sein Sohn waren vermutlich bereits vorher in Auschwitz ermordet worden. Sie gehörten in jedem Fall nicht zu den wenigen Überlebenden. Julius’ Tochter Selma überlebte mit ihrem Ehemann in Berlin. Vom Schicksal ihrer Brüder erfuhr sie erst nach 1945. Noch im Sommer 1944 hatte sie aus dem Zwangslager Marzahn heraus versucht, postalisch Kontakt mit ihrer Familie in Auschwitz aufzunehmen. Selma Adler lebte später mit ihrem Ehemann und dreien ihrer Kinder in München. Oskar Adler, seine Frau Auguste und ihre Kinder sollten in den 1940er-Jahren im Lager Marzahn zwangssterilisiert werden. Nachdem der Eingriff bei einem der Kinder vorgenommen worden war und der Familie die Deportation nach Auschwitz drohte, flohen sie mit finanzieller Hilfe des Taufpfarrers von Auguste Adler, Pfarrer Pirmin, aus dem Lager über Eppishofen, Bayreuth, Augsburg und Mannheim nach München, wo sie versteckt das Kriegsende erlebten.

Julius Dienegott Adler stammte aus einer weitverzweigten Familie deutscher Sinti, deren Angehörige im Nationalsozialismus verfolgt und fast ausnahmslos ermordet wurden. Er war der Sohn des Musikers Karl Adler und der Wilhelmine Adler, geborene Franz, und wurde am 13. März 1867 im damals preußischen Dreidorf (dem heutigen Dźwierszno Wielkie), das etwa 100 Kilometer nördlich von Posen (Poznań) liegt, geboren. Julius hatte fünf Geschwister: Seine Brüder hießen Heinrich, August und Friedrich Adler, seine Schwestern Pauline und Maria Adler. Über sein Elternhaus sowie die Kindheit und Jugend von Julius und seinen Geschwistern in der ländlichen Ortschaft Dreidorf haben sich keine Informationen erhalten. Hier hatte Julius in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine spätere Frau, die fünf Jahre jüngere Klara Auguste Franz kennengelernt, die im westpreußischen Niedamowo als Tochter des Arbeiters Johann Franz und der Wilhelmine Franz, geborene Werner, aufwuchs.

In der Familie Adler spielte die Musik eine bedeutende Rolle. Viele der Familienmitglieder waren musikalisch, beherrschten Instrumente und einige von ihnen verdienten mit der Musik ihren Lebensunterhalt. So bestritt Julius nach seiner Schulausbildung wie auch sein Vater vor ihm seinen Unterhalt als Berufsmusiker. Er hatte sich auf das Harfenspiel spezialisiert. Später sollte eines der Kinder von Julius, der 1902 in Labischin (Łabiszyn) südlich von Bromberg (Bydgoszcz) geborene Oskar Adler, die Familientradition fortsetzen, in Berlin als Musiker tätig sein und die Stelle eines Kapellmeisters besetzen. Klara Auguste trug als Händlerin zum Einkommen der Familie bei, die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Zuwachs bekam.

Neben dem erwähnten Oskar Adler hatten Julius und Klara Auguste vier weitere Kinder: Selma Adler wurde 1894 in Klesczin (ab 1909 Kleschin, das heutige Kleszczyna) geboren, eine weitere Tochter namens Agnes bei einem Urlaub der Familie 1897 in einer damals russischen Ortschaft, ein Sohn namens Max kam 1914 in Schneidemühl (Piła) zur Welt und der jüngste Spross der Familie Rudolf Adler 1918 in Berlin. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte in der Geburtsregion von Julius Adler eine Landflucht in die größeren Metropolen im Westen eingesetzt, die durch die unsicheren Verhältnisse in den Jahren um den Ersten Weltkrieg noch einmal an Brisanz gewann. Die Geburtsorte seiner Kinder deuten darauf hin, dass die Familie Adler Teil dieser Migrationsbewegungen wurde. In den Jahren zwischen 1914 und 1916 ließ sich die Familie in der Hauptstadt Berlin nieder. Zwei Jahre vor der Geburt des jüngsten Sohnes Rudolf, im Jahr 1916, lebten die Adlers in einer Wohnung in der Neuen Hochstraße 15 im Wedding, unweit des Dorotheenstädtischen Friedhofs II. In diesem Jahr ließen Julius und Klara Auguste am 31. Oktober in Berlin ihre Ehe standesamtlich anerkennen. Aus den Ehedokumenten geht hervor, dass alle Elternteile der beiden Ehepartner inzwischen verstorben waren.

Die Geschwister von Julius hatten unterdessen eigene Familien gegründet: Friedrich Adler lebte mit seiner Ehefrau Rosalie Krause in Hamburg, genau wie sein Bruder August Adler mit seiner Frau Guste und seinen Kindern. Heinrich Adler hatte ebenfalls eine Krause geheiratet, möglicherweise eine Schwester von Rosalie und mit ihr drei Kinder namens August, Friedrich und Else Adler bekommen. Pauline Adler, die mit einem Henning verheiratet war, reiste mit ihrem Mann Ende der 1930er-Jahre und Anfang der 1940er-Jahre in Pommern. Maria Adler, verheiratete Grünholz, verstarb im Juli 1940 in Swinemünde (Świnoujście). Ihr Ehemann Johann Grünholz war bereits in den 1920er- oder 1930er-Jahren verstorben.

Über das Leben von Julius Adler, seiner Ehefrau Klara Auguste und seinen Kindern im Berlin der Weimarer Republik haben sich kaum Informationen erhalten. Beide Ehepartner waren Katholiken und vermutlich wurden auch ihre Kinder katholisch getauft und gefirmt. Sicher besuchten die Jüngsten, Max und Rudolf, in den 1920er-Jahren Berliner Schulen, zumindest für Rudolf ist es aber fraglich, ob er seine Ausbildung noch hat zu Ende führen können und ob er noch einen Beruf ergreifen konnte, bevor die NS-Verfolgung jegliche Berufsausübung verhinderte. Julius’ älteste Tochter Selma hatte in jungen Jahren den Kaufmann Kajetan Weinich geheiratet, mit ihm 1915 in Berlin eine Tochter namens Elisabeth bekommen und führte mit ihm einen eigenen Hausstand in der Hauptstadt. Sie war wie ihre Mutter als Händlerin in Berlin tätig. Julius’ Sohn, der Musiker und spätere Kapellmeister Oskar Adler, bekam mit seiner Ehefrau Auguste Adler, geborene Spindler, zehn Kinder, die in den 1920er- bis 1940er-Jahren geboren wurden: Max, Waldemar, Sandor, Rudi, Helga, Angelika, Selma, Weibi, Soni und Gisela. Max Adler, der nach seiner Schulausbildung als Maschinist in Berlin arbeitete, heiratete in den 1930er-Jahren die Berlinerin Magdalena, geborene Saller. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor. Julius’ Tochter Agnes Adler starb kinderlos am 16. August 1933 im Alter von nur 36 Jahren in Berlin.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Roma und Sinti seit 1933 begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Julius Adler und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Es ist nicht bekannt, inwieweit die Zugehörigkeit zur Minderheit der deutschen Sinti für die Identitätsbildung der Familienangehörigen und für das tägliche Leben der Familie vor der NS-Zeit eine Rolle gespielt hat. Dass einige der Familienmitglieder später mit ihrem familiären Beinamen – in der NS-Terminologie handelte es sich um „Zigeunernamen“ – erfasst wurden – Julius Adler mit dem Rufnamen „Julek“ – und zum Teil Ehen in traditioneller Weise (Mangavipen und Bijav) geschlossen haben, ist sicher nur ein Aspekt kultureller Identität einer Familie, die sich ansonsten ganz selbstverständlich als Teil der deutschen Gesellschaft verstand. Andererseits gab es auch vor der NS-Zeit eine lange Tradition antiziganistischer Maßnahmen, mit der Julius Adler in Berührung gekommen sein konnte. 1906 führte die preußische „Anweisung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ zu einer Vereinheitlichung der Verfolgungsmaßnahmen, die 1924 erneuert und von anderen deutschen Staaten übernommen wurde. In Berlin wurde seit 1927 vom Innenministerium die Anweisung an die Polizei gegeben, Fingerabdrücke von Roma und Sinti zu nehmen und zu katalogisieren, womit der Grundstock einer systematischen Personenerfassung gelegt war, die bei der späteren Verfolgung eine entscheidende Rolle spielte. Unter den rassenideologischen Vorgaben des NS-Regimes verschärften seit 1933 vor allem lokale polizeiliche und administrative Instanzen die Verfolgung von „Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“. In Berlin wurde auf Initiative der Wohlfahrtsämter anlässlich der Olympischen Spiele 1936 eines der größten Zwangslager für Roma und Sinti in Marzahn errichtet, mit der die Stadt „zigeunerfrei“ werden sollte.

Die Adlers wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht in das Lager gezwungen. Sie lebten Mitte der 1930er-Jahre in zwei nicht weit voneinander gelegenen Wohnungen in der Großen Hamburger Straße 34 und 40 in Mitte. In den 1930er-Jahren konnten sie ihrer Berufstätigkeit nicht mehr ungehindert nachgehen. Berufsverbote zwangen Julius, seine Stelle als Musiker aufzugeben. Zumindest seine jüngsten Söhne Rudolf und Max wurden vermutlich zu Zwangsarbeit herangezogen, aber wahrscheinlich waren auch andere Familienmitglieder betroffen. Max war zuletzt vom Dezember 1938 bis zum 16. März 1943 in der „Maschinen- und Filmdruckerei R. Wolff“ in der Köpenicker Straße 18–20 als Arbeiter tätig, Rudolf vom September 1941 bis zum 27. März 1943 als Arbeiter in der „Schömann-Band K. G., Fabrik für Farbbänder, Kohle- und Durchschreibpapier“ in der Oranienburger Straße 38. Seit 1936 lag das Schicksal der Familie neben den Berliner Wohlfahrtsämtern und lokalen Polizeistellen in den Händen der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ (RHF) mit Sitz in Berlin-Dahlem. Die Behörde war mit der systematischen Erfassung der in Deutschland lebenden Sinti und Roma betraut sowie medizinischen Versuchsreihen an ihnen. Von den Adlers wurden unter anderem biometrische Daten wie Fingerabdrücke genommen und in das „Zigeunersippenarchiv“ aufgenommen. 1938 wurde Julius’ Sohn Max unter dem Verfolgungsvorwand „arbeitsscheu“ – wahrscheinlich im Zuge der zweiten großen Verhaftungswelle der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ – im brandenburgischen Zehdenick verhaftet, am 18. Juni in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt und für sechs Monate bis zum 2. Dezember 1938 interniert. Mit dem „Festschreibungserlass“ im Oktober 1939 wurde allen Sinti und Roma unter Androhung von KZ-Haft verboten, ihre Heimatorte zu verlassen. In demselben Jahr entzogen die Behörden Julius’ Tochter Selma Weinich die Staatsangehörigkeit, da sie widersprüchliche Angaben zu ihrer Herkunft gemacht hatte. Gegen das folgende Aufenthaltsverbot für das Reichsgebiet konnte sie noch bei der Kriminalpolizei und der 1939 in das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) aufgegangenen RHF erfolgreich Einspruch einlegen. Allerdings musste sie mit ihrem Mann spätesten 1941 ihre Wohnung in der Großen Hamburger Straße verlassen und wurde im Zwangslager Marzahn interniert. In einer der Barackenwagen Marzahns mussten Anfang der 1940er-Jahre auch Julius’ Sohn Oskar Adler mit seiner Ehefrau Auguste und seinen Kindern leben.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Bereits seit Anfang 1940 wurden aus dem Reichsgebiet Sinti und Roma in die besetzten Gebiete im Osten deportiert. Mit dem „Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 wurde im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau der „Zigeunerlager“ genannte Lagerabschnitt B II e eingerichtet. Im März 1943 wurden die meisten der in Berlin lebenden Familienmitglieder der Adlers verhaftet und in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebracht: Zuerst vermutlich der Bruder Max Adler mit seiner Frau Magdalena und dem minderjährigen Sohn. Magdalena Adler, die bei den Behörden als „arisch“ geführt wurde, sollte zur Scheidung genötigt werden, entschied sich aber dazu, das Schicksal ihres Ehemanns zu teilen. Am 23. März 1943 wurden Julius und Klara Auguste Adler sowie deren Enkelin Gisela Adler, eine der Töchter Oskars, verhaftet und am 27./28. März 1943 Rudolf Adler. Sie alle wurden Ende März 1943 aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Aus dem Zwangslager Marzahn heraus verfasste Selma Weinich verzweifelte Bittschriften für ihre Eltern und Geschwister: Am 24. Mai 1943 schrieb sie ergebnislos an den Lagerkommandanten in Auschwitz und fügte Arbeitsbescheinigungen von Max und Rudolf Adler an, in denen deren frühere Arbeitgeber versicherten, dass sie diese jederzeit wiedereinstellen würden. Einen zweiten Brief vom September 1943 richtete sie direkt an die „Präsidialkanzlei des Führers“, in dem sie darum bat, dass ihre Eltern ihr aus Auschwitz schreiben dürften, und der sicherlich unbeantwortet blieb.

Nach der Deportation aus Berlin wurde der Eingang von Julius Adler in das „Zigeunerlager“ in Auschwitz mit der Häftlingsnummer „Z-5637“ für den 31. März 1943 dokumentiert. An diesem Tag finden sich ebenfalls Einträge für seine Ehefrau Klara Auguste (Z-6257), seine Söhne Rudolf (Z-5638) und Max (Z-5639) und seine Enkelin Gisela (Z-6258). Julius Adler wurde laut den Auschwitzer Lagerbüchern am 24. Mai 1943 ermordet – entweder durch direkte Gewalteinwirkung oder durch die Folgen der „Vernichtung durch Arbeit“ mittels planvoller Mangelernährung und körperlicher Misshandlung im Lager. Er ist 76 Jahre alt geworden.

Nur wenige seiner Familienangehörigen überlebten die NS-Verfolgung: Seine Ehefrau wurde am 13. August 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Seine 17-jährige Enkelin Gisela war bereits zuvor am 6. Juli 1943 im Vernichtungslager ermordet worden. An seinen Söhnen Max und Rudolf wurde in Auschwitz durch das sogenannte SS-Hygieneinstitut medizinische Versuche durchgeführt. Ein Dokument deutet darauf hin, dass Rudolf Adler bereits 1942 in Berlin, vermutlich durch eine Forschungsstelle des RSHA, mit einem Erreger infiziert worden war. Im August 1943 unternahm Rudolf Adler zusammen mit dem deutschen Sinto Robert Böhmer einen Fluchtversuch. Die beiden wurden am 7. August festgenommen, in Auschwitz unter Bunkerarrest gestellt und am 20. August 1943 erschossen. Max Adler wurde 12. März 1944 in Auschwitz ermordet. Seine Ehefrau und sein Sohn waren vermutlich bereits vorher in Auschwitz ermordet worden. Sie gehörten in jedem Fall nicht zu den wenigen Überlebenden. Julius’ Tochter Selma überlebte mit ihrem Ehemann in Berlin. Vom Schicksal ihrer Brüder erfuhr sie erst nach 1945. Noch im Sommer 1944 hatte sie aus dem Zwangslager Marzahn heraus versucht, postalisch Kontakt mit ihrer Familie in Auschwitz aufzunehmen. Selma Adler lebte später mit ihrem Ehemann und dreien ihrer Kinder in München. Oskar Adler, seine Frau Auguste und ihre Kinder sollten in den 1940er-Jahren im Lager Marzahn zwangssterilisiert werden. Nachdem der Eingriff bei einem der Kinder vorgenommen worden war und der Familie die Deportation nach Auschwitz drohte, flohen sie mit finanzieller Hilfe des Taufpfarrers von Auguste Adler, Pfarrer Pirmin, aus dem Lager über Eppishofen, Bayreuth, Augsburg und Mannheim nach München, wo sie versteckt das Kriegsende erlebten.