Dr. Julian Landau wird am 25. April 1864 in Breslau (Niederschlesien) geboren. Er stammt aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Seine Eltern waren Karl und Amalie Landau, (geb. Brum). Nach dem Abitur studiert Julian Landau in Breslau Zahnmedizin. Schon 1885 wird ihm die Approbation erteilt. In Amerika setzt er das Studium an der berühmten Temple University in Philadelphia fort, die damals auf dem Gebiet der Zahnheilkunde und zahnärztlichen Technik führend war. Dort erwirbt er den Doktortitel - in den USA D.D.S (Doctor of Dental Surgery) genannt. Zahnärzte mit diesem Titel sind in Deutschland sehr begehrt. 1895 lässt er sich in Berlin nieder, betreibt seine Praxis zunächst im Hause Leipziger Straße 107. Am 07. Mai 1905 heiraten er und Marie Landau, geborene Cohn. Marie ist am 07.01.1867 in Berlin geboren. Nach ihrer Hochzeit ziehen sie zunächst in die Kurfürstenstraße 131, wo sich auch die Praxis befindet. Sohn Herbert kommt am 02. Januar 1909 zur Welt. Später – mit Umbau des Hauses der Kurfürstenstraße 131 in ein Bürohaus– zieht die Familie in die Lutherstraße 3, wo Julian Landau fortan auch als Zahnarzt praktiziert. 1939 wird die Lutherstraße in Keithstraße umbenannt.
Dr. Landau ist ein geschätzter Zahnarzt; seine Praxis ist technisch auf einem hohen Niveau. Zu den Patienten zählen viele höhergestellte Beamte und, da er fließend Englisch und Französisch spricht, auch Diplomaten. Vor 1933 muss er eine große, erfolgreiche Praxis gehabt haben.
Es ist leider nicht viel über das Leben der Familie Landau bekannt, darüber wie Marie aufwuchs, wie sich Julian und Marie Landau kennenlernten, welche Rolle die jüdische Religion in der Familie spielte. Den wenigen Informationen in den Akten ist nur zu entnehmen, dass sie bis zur Machtübernahme der Nazis gut situiert waren und ein gesellschaftliches Leben pflegten. Herbert Landau gibt in seinem Antrag auf Entschädigung für seinen Vater an, dass beide Elternteile aus wohlhabenden Verhältnissen stammten und dass die Wohnung in der Kurfürstenstraße 131 sehr großzügig ausgestattet gewesen sei.
Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte, Banken, Arztpraxen, Rechtsanwalts- und Notarkanzleien am 1. April 1933 gehen die Einnahmen der Zahnarztpraxis drastisch zurück. Die Zulassung zur Kassenbehandlung wird den jüdischen Ärzten und Zahnärzten bereits 1933 entzogen. Der Entzug der Approbation erfolgt für Zahnärzte mit der 8. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 17. Janaur 1939 und wird zum 31. Januar 1939 vollzogen.
Dr. Landau darf sich fortan nur noch „Zahnbehandler“ nennen und ist ausschließlich für die „Krankenbehandlung für Juden“ zugelassen. Mit dem Wegbleiben der nichtjüdischen Patienten, der zunehmenden Flucht von Juden aus dem Land und der Verarmung derer, die es nicht schaffen, zu entkommen, brechen die Einnahmen vollends ein.
Marie Landau stirbt am 22. Januar 1936.
Dr. Landau ist wahrscheinlich aufgrund der Wohnungspolitik der Nazis, die den Mieterschutz und die freie Wohnungswahl für Juden mit einem Gesetz Ende April 1939 erheblich einschränkt, und aufgrund seiner Existenznöte dazu gezwungen, sich räumlich stark zu verkleinern. Das Gesetz sah vor, Juden in bestimmten Häusern auf kleinstem Raum zu konzentrieren. Des Weiteren konnten jüdische Mieter angewiesen werden, weitere Juden als Untermieter in ihre Wohnung aufzunehmen.
In der Vermögenserklärung von Dr. Landau werden verschiedene Untermieter benannt (1): seine frühere Haushälterin, die er nicht mehr beschäftigen darf, bewohnt ein Zimmer, ein Ehepaar zwei abgetrennte Räume sowie eine 62-jährige Frau ein Zimmer. (2)
Dr. Julian Landau wird mit dem 3. Großen Alterstransport (I/71/8873) am 03. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Dort stirbt er am 14.01.1943. Die Todesursache in der Sterbeurkunde des Ghettos Theresienstadt lautet Marasmus senilis -Altersschwäche- ein Tarnwort für furchtbares Verhungern unter entsetzlichen Bedingungen. „Gestorben?“ „Nein, getötet!“ sagt eine Überlebende in einem Zeugenbericht.
Fußnoten:
(1) Der Rechtsanwalt des Hausbesitzers der Keithstraße 15 beschreibt sie als Untermieter einer „Judenwohnung“ und sämtlich als arisch.
(2) Diese Frau hat ihre Wohnung in der Landgrafenstraße 20 ganz in der Nähe der Keithstraße wahrscheinlich verlassen müssen, da ihre Vermieterin Jüdin war und aus ihrem eigenen Haus vertrieben wurde. Bei dieser Vermieterin handelt es sich um Margarete Silbergleit, geb. Senator (*4.8.1866). Sie wird von der Bambergerstraße 38 aus am 5.8.1942 (einen Tag nach ihrem 76. Geburtstag) nach Theresienstadt deportiert und von dort aus am 26.09.1942 in das Vernichtungslager Treblinka