Margarete Gerson

Verlegeort
Knesebeckstraße 75
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
15. Juni 2022
Geboren
18. November 1900 in Czarnikau / Czarnków
Beruf
Fotografin
Deportation
am 09. Dezember 1942 nach Auschwitz
Ermordet
05. Januar 1943 in Auschwitz

Am 18. November 1900 wurde Margarete Gerson in Schlesien als älteste Tochter von Emmy und Adolf Gerson geboren. Sie waren sechs Geschwister: Alfons, Martin, Renate, Manfred, Wally und Margarete, die die Familie Grete nannte. Die Kinder wuchsen mit der jüdischen Religion und ihren Traditionen auf. Der Vater war zunächst Lehrer in der Kleinstadt Czarnikau, ab 1907 unterrichtete er als Volksschullehrer alle Fächer und jüdische Religion in Filehne (heute: Wieleń). Die Familie zog dorthin und lebte am Stadtrand, Margarete besuchte die höhere Mädchenschule.

1917 zog es Margarete Gerson nach Berlin, wo sie an der Lette-Schule eine Ausbildung zur Fotografin begann. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Filehne polnisch. Die Familie flüchtete und ließ sich in Berlin nieder, wo die Kinder Margarete und Alfons bereits lebten. Adolf Gerson hatte an einer Reformschule Arbeit gefunden. Die Familie wohnte wieder zusammen in einer Fünfzimmerwohnung in Pankow.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Lette-Verein, der seit 1866 ausdrücklich die Bildung für Frauen förderte, die fotografische Ausbildung eingeführt. 1910 wurde die Ausbildung staatlich anerkannt. Mit diesem Profil besaß der Lette-Verein überregionale Attraktivität – auch für Margarete Gerson. Von 1917 bis 1920 dauerte die Lehrzeit zur Fotografin. Danach arbeitete sie als Foto-Gehilfin in Halle an der Saale und in Düsseldorf. Nach der Gesellinnenprüfung war sie in den 1920er-Jahren als Assistentin am Lette-Haus und gehörte zur Geschäftsleitung, so die Erzählung in der Familie. In dieser Position bot sie ihrem Bruder Manfred an, für den Lette-Verein Zeichnungen für ein Reklameplakat zu entwerfen und Rechnungen zu bearbeiten. 1925/26 legte sie die „Photomeister“-Prüfung an der Industrie- und Handelskammer in Berlin ab.

1926 machte sich Margarete Gerson selbstständig und gründete ihr eigenes Unternehmen „Bismarck-Photo“ in Charlottenburg. Ein Prospekt für Bestellungen verwies auf das „Spezialgeschäft für sämtlichen Amateur- und Fachbedarf“ mit Sitz in der Bismarckstraße 81 Ecke Wilmersdorfer Straße: Die Entwicklung von Rollfilmen und Platten, Abzüge, Postkarten, Diapositive mit und ohne Deckglas und Reproduktionen gehörten zum Profil. Als Eigentümerin war M. Gerson mit der Referenz als „Photomeister“ und Inhaberin genannt. Ihr Geschäft war erfolgreich, so betrugen ihre Jahreseinkünfte für 1935 bis 1938 8.000 bis 11.000 Reichsmark. Von 1926 bis 1938, also zwölf Jahre lang, leitete Margarete Gerson das Geschäft und beschäftigte drei bis vier Angestellte. Dazu zählte auch ihre Lebensgefährtin Erna Hartmann, mit der sie Reisen auf dem eigenen Paddelboot unternahm. Margarete wohnte mit ihren beiden Schwestern Renate und Wally im Gartenhaus der Knesebeckstraße 75, in der dritten Etage. Das Berliner Adressbuch erwähnt sie mit ihrer Berufsbezeichnung „Photomeister“ in den Jahren von 1935 bis 1938. Aus Privatbesitz sind Familienfotografien überliefert. Einige portraitieren mit professionellem Auge und liebevollem Blick ihre Nichten.

Zur anwachsenden, immer bedrohlicheren Verfolgung Margarete Gersons sind einige Stationen bekannt: Unter Zwang verkaufte sie am 8. Juni 1938 ihr Unternehmen an ihre langjährige Mitarbeiterin und Partnerin Erna Hartmann für 7020 RM. Sie lebte von freien Fotoarbeiten, u.a. für die Firma Paul Lindner, Projections-Werbe-Gesellschaft. Dafür verwandte sie zwei professionelle, in ihrem Eigentum befindliche Fotoapparate. Von 1938 bis zur Deportation musste sie Zwangsarbeit in der Papierverarbeitungsabteilung der Fabrik Stolzenberg in der Lindenstraße in Kreuzberg leisten. Bis zuletzt wohnte sie in der Knesebeckstraße 75, gemeinsam mit ihrer Schwester Renate und deren Familie, Renates Ehemann Georg Alexander und dem am 12. August 1942 geborenen Sohn Gerry. Ab 19. September 1941 trug auch Margarete Gerson den Judenstern. Zwei Berufs-Photoapparate mit Zubehör, eine Leica, ein Schmalfilmkino mit Aufnahmeapparat, ein Fernglas, ein Auto, ein Fahrrad, ein Paddelboot mit Außenbordmotor, eine Schreibmaschine, ein Rundfunkempfänger und einen Nerz musste sie abgeben. Nach familiärer Überlieferung wurde Margarete Gerson bereits im November 1942 von der Gestapo abgeholt und im Sammellager in der Auguststraße kaserniert, von wo sie zu Fuß zu ihrer Zwangsarbeitsstelle ging. Am 3. Dezember 1942 füllte sie ihre Vermögenserklärung aus, als Wohnadresse gab sie die Knesebeckstraße 75 an. Zwei Tage später wurde mit der Adresse Große Hamburger Straße die Urkunde über die „Einziehung der Vermögenswerte“ zugestellt.

Erna Hartmann berichtete, dass sie ihre Liebste kurz vor der Deportation auf dem Arbeitsweg abfangen wollte, um ihr zur Flucht in die Illegalität zu verhelfen. Doch sie sei von „schwerer Bronchitis entkräftet und in nicht transportfähigem Zustand“ gewesen. Einen Tag später, am 9. Dezember 1942, wurde sie nach Auschwitz deportiert.

Auch die Familie ihrer Schwester Renate, mit der sie bis zuletzt in der Knesebeckstraße zusammenlebte, wurde deportiert. Der emigrierte Bruder Manfred Gerson schrieb in seinem Buch „Ein Leben im 20. Jahrhundert“: „Ich wollte es lange nicht wahr haben, es schien mir so äußerst unmöglich, aber mehr und mehr häuften sich die Beweise, dass auch meine Familie das Schicksal ereilt hatte; fast alle waren in Auschwitz umgekommen: der alte Vater, ein als Staatsbeamter pensionierter Volksschullehrer und dazu schwerverwundeter Kriegsfreiwilliger aus dem Ersten Weltkrieg in der deutschen Armee! Es war unvorstellbar! Dazu meine älteste Schwester, die Fotografin, mein zweiter Bruder, der Landwirt, mit Frau und zwei kleinen Töchtern, 9 und 11 Jahre alt! Selbst Kinder konnte man abschlachten!! Die zweite Schwester, lebenslustig, die Blumenbinderin, jung verheiratet mit ihrem Säugling!“ Manfred selbst und seine Schwester Wally emigrierten nach Palästina, der Bruder Alfons überlebte mit seiner Familie in Berlin.

Nach 1951 stellte Alfons Gerson im Namen der Angehörigen einen Antrag auf Anerkennung des Schadens an Freiheit, Schadens an Vermögen und Schadens im beruflichen Fortkommen seiner Schwester. Gretes Lebenspartnerin Erna Hartmann gehörte in der Nachkriegszeit laut Erzählungen ihrer Familie zum engsten Familienkreis.


 

Am 18. November 1900 wurde Margarete Gerson, genannt Grete, in Czarnikau als älteste Tochter von Emmy und Adolf Gerson geboren. Sie hatte fünf Geschwister: Alfons, Martin, Renate, Manfred und Wally. Die Kinder wuchsen mit der jüdischen Religion und ihren Traditionen auf. Der Vater war zunächst Lehrer in der Kleinstadt Czarnikau, ab 1907 unterrichtete er als Volksschullehrer alle Fächer und jüdische Religion in Filehne (heute: Wieleń). Die Familie zog dorthin und lebte am Stadtrand, Margarete besuchte die höhere Mädchenschule.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Filehne polnisch. Die Familie flüchtete und ließ sich in Berlin nieder, wo nicht nur Margarete, sondern auch ihr Bruder Alfons bereits lebten. Ihr Vater, Adolf Gerson, fand an einer Reformschule Arbeit. Die Familie wohnte wieder zusammen in einer Fünfzimmerwohnung in Pankow.

1917 schon hatte es Margarete Gerson nach Berlin gezogen, wo sie an der Lette-Schule eine Ausbildung zur Fotografin begann. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Lette-Verein, der seit 1866 ausdrücklich die Bildung für Frauen förderte, die fotografische Ausbildung eingeführt. 1910 wurde die Ausbildung staatlich anerkannt. Mit diesem Profil besaß der Lette-Verein überregionale Attraktivität – auch für Margarete Gerson. Von 1917 bis 1920 dauerte ihre Lehrzeit zur Fotografin. Danach arbeitete sie als Foto-Gehilfin in Halle an der Saale und in Düsseldorf. Nach der Gesellinnenprüfung war sie in den 1920er-Jahren Assistentin am Lette-Haus und gehörte zur Geschäftsleitung. In dieser Position ermöglichte sie ihrem Bruder Manfred, ebenfalls für den Lette-Verein zu arbeiten. 1925/26 legte sie die „Photomeister“-Prüfung an der Industrie- und Handelskammer in Berlin ab.

Daraufhin machte sich Margarete selbstständig und gründete ihr eigenes Unternehmen, „Bismarck-Photo“ in Charlottenburg. Ein Prospekt für Bestellungen verwies auf das „Spezialgeschäft für sämtlichen Amateur- und Fachbedarf“ mit Sitz in der Bismarckstraße 81 Ecke Wilmersdorfer Straße: Die Entwicklung von Rollfilmen und Platten, Abzüge, Postkarten, Diapositiven mit und ohne Deckglas und Reproduktionen gehörten zum Profil. Als Eigentümerin war Margarete mit der Referenz als „Photomeister“ und Inhaberin genannt. Ihr Geschäft war erfolgreich, so betrugen ihre Jahreseinkünfte für 1935 bis 1938 ca. 8.000 bis 11.000 Reichsmark. Von 1926 bis 1938, also zwölf Jahre lang, leitete sie das Geschäft und beschäftigte drei bis vier Angestellte. Dazu zählte auch ihre Lebensgefährtin Erna Hartmann, mit der sie Reisen im eigenen Paddelboot unternahm. Margarete wohnte mit ihren beiden Schwestern Renate und Wally im Gartenhaus der Knesebeckstraße 75, in der dritten Etage. Das Berliner Adressbuch erwähnt sie mit ihrer Berufsbezeichnung „Photomeister“ in den Jahren von 1935 bis 1938. Aus Privatbesitz sind Familienfotografien überliefert. Einige porträtieren mit professionellem Auge und liebevollem Blick ihre Nichten.

Zur sich schrittweise zuspitzenden Verfolgung Margaretes sind einige Stationen bekannt: Unter Zwang verkaufte sie am 8. Juni 1938 ihr Unternehmen an ihre langjährige Mitarbeiterin und Partnerin Erna Hartmann für 7020 RM. Sie lebte von freien Fotoarbeiten, u.a. für die Firma Paul Lindner, Projections-Werbe-Gesellschaft. Dafür verwandte sie zwei professionelle, in ihrem Eigentum befindliche Fotoapparate. Von 1938 bis zu ihrer Deportation musste sie in der Papierverarbeitungsabteilung der Fabrik Stolzenberg in der Lindenstraße in Kreuzberg arbeiten. Bis zuletzt wohnte sie in der Knesebeckstraße 75, gemeinsam mit ihrer Schwester Renate und deren Familie, Renates Ehemann Georg Alexander und deren am 12. August 1942 geborenen Sohn Gerry. Ab 19. September 1941 trug auch Margarete den “Judenstern”. Zwei Berufs-Fotoapparate mit Zubehör, eine Leica, ein Schmalfilmkino mit Aufnahmeapparat, ein Fernglas, ein Auto, ein Fahrrad, ein Paddelboot mit Außenbordmotor, eine Schreibmaschine, ein Rundfunkempfänger und einen Nerz musste sie schließlich zwangsweise abgeben. Nach familiärer Überlieferung wurde Margarete bereits im November 1942 von der Gestapo verhaftet und in einem Sammellager interniert. Am 3. Dezember 1942 füllte sie ihre Vermögenserklärung aus, als Wohnadresse gab sie die Knesebeckstraße 75 an. Zwei Tage später wurde unter der Adresse Große-Hamburger-Straße die Urkunde über die „Einziehung der Vermögenswerte“ zugestellt.

Erna Hartmann berichtete, dass sie ihre Lebensgefährtin kurz vor der Deportation auf dem Arbeitsweg abfangen wollte, um ihr zur Flucht in die Illegalität zu verhelfen. Doch sie sei von „schwerer Bronchitis entkräftet und in nicht transportfähigem Zustand“ gewesen. Einen Tag später, am 9. Dezember 1942, wurde Margarete Gerson nach Auschwitz deportiert.

Auch die Familie ihrer Schwester Renate, mit der sie bis zuletzt in der Knesebeckstraße zusammenlebte, wurde deportiert. Der emigrierte Bruder Manfred Gerson schrieb in seinem Buch „Ein Leben im 20. Jahrhundert“: „Ich wollte es lange nicht wahrhaben, es schien mir so äußerst unmöglich, aber mehr und mehr häuften sich die Beweise, dass auch meine Familie das Schicksal ereilt hatte; fast alle waren in Auschwitz umgekommen: der alte Vater, ein als Staatsbeamter pensionierter Volksschullehrer und dazu schwer verwundeter Kriegsfreiwilliger aus dem Ersten Weltkrieg in der deutschen Armee! Es war unvorstellbar! Dazu meine älteste Schwester, die Fotografin, mein zweiter Bruder, der Landwirt, mit Frau und zwei kleinen Töchtern, 9 und 11 Jahre alt! Selbst Kinder konnte man abschlachten!! Die zweite Schwester, lebenslustig, die Blumenbinderin, jung verheiratet mit ihrem Säugling!“ Manfred selbst und seine Schwester Wally emigrierten nach Palästina, der Bruder Alfons überlebte mit seiner Familie in Berlin.

Nach 1951 stellte Alfons Gerson im Namen der Angehörigen einen Antrag auf Anerkennung des Schadens an Freiheit, Schadens an Vermögen und Schadens im beruflichen Fortkommen seiner Schwester. Gretes Lebenspartnerin Erna Hartmann gehörte in der Nachkriegszeit laut Erzählungen ihrer Familie zum engsten Familienkreis.