Ester Szydlo geb. Jungermann

Verlegeort
Linienstr. 44
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
2002
Geboren
03. März 1895 in Warszawa (Russisches Reich) / dt. Warschau
Deportation
am 15. August 1942 nach Riga
Ermordet
18. August 1942 im Ghetto Riga

Ester Szydlo kam als Ester (auch Esther) Chasha Jungermann am 3. März 1895 in der polnischen Hauptstadt Warschau (Warszawa) zur Welt. Mit ihren Eltern Bluma Devorah (geb. Grosser) und Reb Menachem Jungermann, ihren beiden älteren Brüdern David und Moshe und ihrer jüngeren Schwester Jochewed kam Ester Jungermann 1898 nach Berlin. Wie viele jüdische Immigrant*innen ließen sie sich im Scheunenviertel nieder, wo sie eine Wohnung in der Hirtenstraße bezogen. In Berlin wurden 1904 und 1910 Esters Geschwister Sarah Miriam und Avrom geboren. Die Familie galt als staatenlos.<br />
<br />
Esters Vater war orthodoxer Rabbiner. Er betrieb eine kleine Jeschiwa (eine Schule zum Studium des Talmud), war als Schächter tätig und nahm als Mohel Beschneidungen von Jungen vor. Zusammen hatten Esters Eltern zudem eine Geflügelhandlung, die sich in ihrem Wohnhaus in der Grenadierstraße 7 (heute Almstadtstraße), für einige Jahre in der Dragonerstraße 44 (heute Max-Beer-Straße) und später an der Ecke Hirtenstraße 11a/Grenadierstraße 38–39 befand. Nachdem Ester mit 14 Jahren die Schule verlassen hatte, arbeitete sie im Geschäft ihrer Eltern mit.<br />
<br />
Mit dem ebenfalls aus der Gegend von Warschau stammenden Schuhmacher Jankel (Jakob) Szydlo bekam sie zwischen 1921 und 1931 sieben Kinder: Leo, Karl, Jetti, Salomon, Adolf, Harri und Paula. Auch wenn sich in einem Bericht zur Geschichte der Familie die Angabe finden lässt, dass Ester und Jankel Szydlo seit 1919 verheiratet waren, besagt das Heiratsregister des Berliner Standesamts VIII, dass die standesamtliche Trauung erst am 3. September 1930 stattfand. Damals wohnte die Familie in der Barnimstraße 32 in Friedrichshain.<br />
<br />
1931 kam Esters jüngste Tochter auf die Welt, im selben Jahr starb ihr Mann. Ester Szydlo blieb mit den sieben Kindern allein zurück. Das Leben als alleinerziehende Mutter von sieben Kindern muss ohnehin sehr schwer gewesen sein, als die zunehmende antisemitische Ausgrenzung und Entrechtung hinzukam. Für einige Jahre betrieb Ester Szydlo einen Marktstand, den sie aber 1936 aufgeben musste. In der Folgezeit wurde sie von der Jüdischen Gemeinde unterstützt.<br />
<br />
Offenbar lebten einige von Ester Szydlos Kindern zumindest zeitweise nicht bei ihr, sondern in Pflegefamilien und Heimen. Aus Unterlagen der Schulkartei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland geht hervor, dass der damals 12-jährige Karl im Mai 1935 aus einem jüdischen Erziehungsheim in Marburg an eine Berliner Schule zurückkehrte. Adolf war anscheinend ab Oktober 1937 für ein Jahr als Pflegekind ebenfalls in Marburg und kam dann nach Berlin zurück. Jetti lebte mindestens von 1934 bis 1937 im Reichenheimschen Waisenhaus der Jüdischen Gemeinde im Weinbergsweg, nicht weit entfernt von der Wohnung ihrer Mutter.<br />
<br />
In den 1930er-Jahren zog Ester Szydlo von der Grenadierstraße 19 (heute Almstadtstraße) in die Linienstraße 44 um. Dort wohnte auch ihre Schwester Jochewed, deren Mann Israel Goldschal (später zwangsweise umbenannt in Goldszal) und Sohn Avrom nach Polen abgeschoben wurden. Israel Goldschal wurde in Auschwitz ermordet, Avrom Goldschals letztes Lebenszeichen stammt aus dem Zwangsarbeiterlager Reszow. Auch er überlebte die Shoah nicht. Jochewed Goldschals Töchter Rosa und Betti konnten Ende der 1930er-Jahre mit Kindertransporten nach Schottland fliehen. Jochewed Goldschal selbst gelang es, der drohenden Deportation zu entgehen und unter falscher Identität in Berlin und anschließend versteckt in Niederneuendorf im Berliner Umland zu überleben. 1947 folgte sie ihren Töchtern nach Schottland.<br />
<br />
Ester Szydlo lebte zuletzt mit ihren Kindern Paula, Salomon und vorübergehend auch Adolf in einer 1½-Zimmer-Wohnung in der Alten Schönhauser Straße 5 im Quergebäude, erste Etage links. Adolf zog von dort in ein Jugendwohnheim um. Der jüngste Sohn Harri wohnte in der Nähe, in der Schönhauser Allee 188, vermutlich bei Pflegeeltern. Die Tochter Jetti lebte ab Juli 1939 im Umschulungsbetrieb Gut Winkel in Spreenhagen in Brandenburg, wo jüdische Jugendliche auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitet wurden. Ende September 1939 konnte sie nach Dänemark fliehen.<br />
<br />
Ab 1940 wurde Ester Szydlo zu Zwangsarbeit verpflichtet. Ihr ältester Sohn Leo war ab September 1941 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Von dort wurde er 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort am 30. Januar 1943 ermordet. <br />
<br />
Ihr damals 14-jähriger Sohn Adolf wurde mit einem Deportationszug, der am 24. Juni 1942 von Königsberg abging und an den der „16. Osttransport“ von Berlin angeschlossen wurde, nach Minsk deportiert und in der Tötungsstätte Maly Trostinec ermordet.<br />
<br />
Am 13. August 1942 musste Ester Szydlo eine Vermögenserklärung abgeben und zwei Tage später wurde sie zusammen mit ihren Kindern Salomon (17), Harri (12) und Paula (10) nach Riga deportiert. Dort wurden sie alle am 18. August 1942 ermordet. Einen Tag später wurde der 20-jährige Sohn Karl ebenfalls nach Riga deportiert, er wurde am 22. August 1942 ermordet.<br />
<br />
Die nach Dänemark geflohene Tochter Jetti überlebte als einziges von Ester Szydlos sieben Kindern. Sie machte in Kopenhagen eine Ausbildung als Krankenschwester und lebte später in Schottland.

Ester Szydlo kam als Ester (auch Esther) Chasha Jungermann am 3. März 1895 in der polnischen Hauptstadt Warschau (Warszawa) zur Welt. Mit ihren Eltern Bluma Devorah (geb. Grosser) und Reb Menachem Jungermann, ihren beiden älteren Brüdern David und Moshe und ihrer jüngeren Schwester Jochewed kam Ester Jungermann 1898 nach Berlin. Wie viele jüdische Immigrant*innen ließen sie sich im Scheunenviertel nieder, wo sie eine Wohnung in der Hirtenstraße bezogen. In Berlin wurden 1904 und 1910 Esters Geschwister Sarah Miriam und Avrom geboren. Die Familie galt als staatenlos.

Esters Vater war orthodoxer Rabbiner. Er betrieb eine kleine Jeschiwa (eine Schule zum Studium des Talmud), war als Schächter tätig und nahm als Mohel Beschneidungen von Jungen vor. Zusammen hatten Esters Eltern zudem eine Geflügelhandlung, die sich in ihrem Wohnhaus in der Grenadierstraße 7 (heute Almstadtstraße), für einige Jahre in der Dragonerstraße 44 (heute Max-Beer-Straße) und später an der Ecke Hirtenstraße 11a/Grenadierstraße 38–39 befand. Nachdem Ester mit 14 Jahren die Schule verlassen hatte, arbeitete sie im Geschäft ihrer Eltern mit.

Mit dem ebenfalls aus der Gegend von Warschau stammenden Schuhmacher Jankel (Jakob) Szydlo bekam sie zwischen 1921 und 1931 sieben Kinder: Leo, Karl, Jetti, Salomon, Adolf, Harri und Paula. Auch wenn sich in einem Bericht zur Geschichte der Familie die Angabe finden lässt, dass Ester und Jankel Szydlo seit 1919 verheiratet waren, besagt das Heiratsregister des Berliner Standesamts VIII, dass die standesamtliche Trauung erst am 3. September 1930 stattfand. Damals wohnte die Familie in der Barnimstraße 32 in Friedrichshain.

1931 kam Esters jüngste Tochter auf die Welt, im selben Jahr starb ihr Mann. Ester Szydlo blieb mit den sieben Kindern allein zurück. Das Leben als alleinerziehende Mutter von sieben Kindern muss ohnehin sehr schwer gewesen sein, als die zunehmende antisemitische Ausgrenzung und Entrechtung hinzukam. Für einige Jahre betrieb Ester Szydlo einen Marktstand, den sie aber 1936 aufgeben musste. In der Folgezeit wurde sie von der Jüdischen Gemeinde unterstützt.

Offenbar lebten einige von Ester Szydlos Kindern zumindest zeitweise nicht bei ihr, sondern in Pflegefamilien und Heimen. Aus Unterlagen der Schulkartei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland geht hervor, dass der damals 12-jährige Karl im Mai 1935 aus einem jüdischen Erziehungsheim in Marburg an eine Berliner Schule zurückkehrte. Adolf war anscheinend ab Oktober 1937 für ein Jahr als Pflegekind ebenfalls in Marburg und kam dann nach Berlin zurück. Jetti lebte mindestens von 1934 bis 1937 im Reichenheimschen Waisenhaus der Jüdischen Gemeinde im Weinbergsweg, nicht weit entfernt von der Wohnung ihrer Mutter.

In den 1930er-Jahren zog Ester Szydlo von der Grenadierstraße 19 (heute Almstadtstraße) in die Linienstraße 44 um. Dort wohnte auch ihre Schwester Jochewed, deren Mann Israel Goldschal (später zwangsweise umbenannt in Goldszal) und Sohn Avrom nach Polen abgeschoben wurden. Israel Goldschal wurde in Auschwitz ermordet, Avrom Goldschals letztes Lebenszeichen stammt aus dem Zwangsarbeiterlager Reszow. Auch er überlebte die Shoah nicht. Jochewed Goldschals Töchter Rosa und Betti konnten Ende der 1930er-Jahre mit Kindertransporten nach Schottland fliehen. Jochewed Goldschal selbst gelang es, der drohenden Deportation zu entgehen und unter falscher Identität in Berlin und anschließend versteckt in Niederneuendorf im Berliner Umland zu überleben. 1947 folgte sie ihren Töchtern nach Schottland.

Ester Szydlo lebte zuletzt mit ihren Kindern Paula, Salomon und vorübergehend auch Adolf in einer 1½-Zimmer-Wohnung in der Alten Schönhauser Straße 5 im Quergebäude, erste Etage links. Adolf zog von dort in ein Jugendwohnheim um. Der jüngste Sohn Harri wohnte in der Nähe, in der Schönhauser Allee 188, vermutlich bei Pflegeeltern. Die Tochter Jetti lebte ab Juli 1939 im Umschulungsbetrieb Gut Winkel in Spreenhagen in Brandenburg, wo jüdische Jugendliche auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitet wurden. Ende September 1939 konnte sie nach Dänemark fliehen.

Ab 1940 wurde Ester Szydlo zu Zwangsarbeit verpflichtet. Ihr ältester Sohn Leo war ab September 1941 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Von dort wurde er 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort am 30. Januar 1943 ermordet.

Ihr damals 14-jähriger Sohn Adolf wurde mit einem Deportationszug, der am 24. Juni 1942 von Königsberg abging und an den der „16. Osttransport“ von Berlin angeschlossen wurde, nach Minsk deportiert und in der Tötungsstätte Maly Trostinec ermordet.

Am 13. August 1942 musste Ester Szydlo eine Vermögenserklärung abgeben und zwei Tage später wurde sie zusammen mit ihren Kindern Salomon (17), Harri (12) und Paula (10) nach Riga deportiert. Dort wurden sie alle am 18. August 1942 ermordet. Einen Tag später wurde der 20-jährige Sohn Karl ebenfalls nach Riga deportiert, er wurde am 22. August 1942 ermordet.

Die nach Dänemark geflohene Tochter Jetti überlebte als einziges von Ester Szydlos sieben Kindern. Sie machte in Kopenhagen eine Ausbildung als Krankenschwester und lebte später in Schottland.