Rosalie Zscherp geb. Baendel

Verlegeort
Märkisches Ufer 12
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
Mai 2006
Geboren
08. Januar 1870 in Piosniki (Kr. Gleiwitz)
Flucht in den Tod
05. Februar 1944 in Berlin

Rosalie Baendel wurde am 8. Januar 1870 in Oberschlesien als Kind jüdischer Eltern geboren. Ihr Geburtsort wird in den vorliegenden Quellen mal mit Piosniki (Piaśniki), mal mit dem benachbarten Hindenburg (die polnische Stadt Zabrze trug diesen Namen zwischen 1915 und 1946) angegeben. Vermutlich lebte sie bis etwa 1895 in Gleiwitz (polnisch Gliwice), dem Wohnsitz ihrer Eltern Johanna (geb. Bartenstein) und Nathan Baendel. <br />
<br />
Am 4. August 1894 heiratete sie den Konfektionär Ernst Emil Zscherp, der evangelischer Konfession war. Gemeinsam hatten sie drei Kinder, die evangelisch getauft wurden. Die älteste Tochter Erna Käthe kam am 25. September 1894 in Gleiwitz zur Welt. Im Jahr darauf, am 31. Oktober 1895, wurde der Sohn Ernst Herbert in Chemnitz geboren. Geburtsort der jüngsten Tochter Gertrud Else, die am 3. Dezember 1897 zur Welt kam, war Lichtenstein-Callnberg im Landkreis Zwickau.<br />
<br />
Im Jahr 1901 zog Rosalie Zscherp mit ihrer Familie nach Berlin-Mitte in die Schmidstraße 2. Sie war Inhaberin eines Zwischenmeisterbetriebs, der Konfektion für den Einzelhandel herstellte. Ihr Sohn Herbert, der nach der Mittelschule eine Ausbildung zum Konfektionär absolviert und im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient hatte, übernahm die Geschäftsführung. <br />
<br />
1923 trennte sich Rosalie Zscherp von ihrem Mann. Ihrem Sohn zufolge waren Beschimpfungen wegen ihres jüdischen Glaubens sowie allgemeine Abneigung die Gründe. Die Ehe wurde am 28. April 1928 rechtskräftig geschieden. Nach der Trennung zog Rosalie Zscherp Mitte 1923 zu ihrem Sohn Herbert, der sich im Jahr zuvor mit einem eigenen Großbetrieb für Damenkonfektion selbstständig gemacht hatte. Sie gab ihren Betrieb auf und begann bei ihrem Sohn als Werkstattleiterin zu arbeiten. Der Sitz der Firma war anfangs in der Michaelkirchstraße 30 und ab 1926 in der Inselstraße 1a. Die Geschäfte liefen gut, bis Ende 1933 waren durchschnittlich 25 bis 30 Näherinnen im Betrieb beschäftigt. <br />
<br />
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation zusehends. Herbert Zscherp schildert die Entwicklung in seinem Entschädigungsantrag: „Infolge der im Jahre 1933 beginnenden Judenverfolgungen litt auch mein großer Betrieb mit jedem Jahr mehr darunter. Die Umsätze verringerten sich, zumal mein großer jüdischer Kundenkreis allmählich ausblieb und die wenigen arisierten Firmen ihre Aufträge nur zögerlich oder gar nicht an mich als jüdischen Mischling vergaben. Ferner wurde ich dadurch geschädigt, dass sich viele Arbeiterinnen weigerten, bei mir zu arbeiten.“ Anfang Februar 1935 wurde der Betrieb ans Märkische Ufer 12 verlegt. Im zweiten Stock des Hauses mietete Herbert Zscherp eine Wohnung, in die auch Rosalie Zscherp mit einzog.<br />
<br />
Während des Novemberpogroms 1938 wurde der Betrieb geplündert, die Einrichtung und Maschinen wurden zertrümmert und unbrauchbar gemacht. Ab diesem Zeitpunkt, so beschreibt es später ihre Tochter Käthe, konnte Rosalie Zscherp als Werkstattleiterin nicht mehr in Erscheinung treten und musste ihre Arbeit – getrennt von Personal und Betrieb – in der Privatwohnung ihres Sohnes verrichten. „Sie erhielt schließlich am 3. März 1939 ihre jüdische Kennkarte, wurde immer kranker und führte Selbstmordgedanken. Sie war nämlich infolge der Verfolgungen herz-, nerven, magen- und gallenleidend geworden und stand deswegen laufend in Behandlung.“<br />
<br />
Ende Januar 1942 wurde Rosalie Zscherp denunziert und zur Gestapo vorgeladen. Sie fasste den Entschluss, der Vorladung nicht zu folgen und unterzutauchen. In der Wohnung ihrer guten Freundin Frieda Falk (geb. Wulff), die im gleichen Haus in der vierten Etage wohnte, konnte sie sich verstecken. Ab dem 1. Februar 1942 wurde sie in der Mädchenkammer untergebracht und schlief auf einem eigens für sie hergerichteten Hängeboden. Bereits kurz nach ihrem Untertauchen wurde ihr Sohn Herbert von der Gestapo verhaftet, fünf Tage festgehalten und während der Verhöre brutal zusammengeschlagen. Trotz der Misshandlungen blieb er dabei, über den Verbleib seiner Mutter nichts zu wissen, und wurde zunächst entlassen. <br />
<br />
Nach einem knappen Jahr, das Rosalie Zscherp unter der ständigen Bedrohung, entdeckt zu werden, illegal in der Wohnung ihrer Nachbarin lebte, entschloss sich ihre in Frankfurt am Main lebende Tochter, sie zu sich zu holen. An Heiligabend 1942 begleitete Rosalie Zscherp ihre Tochter Käthe (verheiratete Koch) nach Frankfurt und hielt sich über ein Jahr lang in deren Wohnung versteckt. Die Lebensumstände in der Illegalität, nahezu von der Umwelt abgeschlossen, bezeichnete ihr Sohn später als haftähnlich und menschenunwürdig. <br />
<br />
In Berlin wurde Herbert Zscherp weiter von der Gestapo drangsaliert und von Februar bis September 1943 in der Großen Hamburger Straße inhaftiert. Rosalie Zscherp ging es gesundheitlich immer schlechter und im Frühjahr 1944 beschloss sie – trotz der damit verbundenen Gefahren – nach Berlin zu fahren und ihren Arzt Dr. Johann Weser aufzusuchen. Alex Cichocki, ein Berliner Freund der Familie, holte Rosalie Zscherp am 3. Februar 1944 in Frankfurt mit seinem Auto ab. Begleitet wurde sie von ihrer Tochter Käthe, die sich als Krankenschwester verkleidete. In Berlin begleitete Herbert Zscherp seine Mutter in die Schützenstraße 75 zur Praxis von Dr. Weser. Anschließend begab sie sich in ihr altes Versteck am Märkischen Ufer bei Frieda Falk. Dort brach sie zusammen und erlitt einen schweren Herzanfall sowie einen Nervenzusammenbruch. Sie starb zwei Tage später, am 5. Februar 1944, nach Verabreichung einer hohen Morphiumdosis. Den Angaben ihrer Kinder zufolge handelte es sich um einen Freitod, die Schrecken der jahrelangen Verfolgung habe Rosalie Zscherp nicht länger ertragen können.<br />
<br />

Rosalie Baendel wurde am 8. Januar 1870 in Oberschlesien als Kind jüdischer Eltern geboren. Ihr Geburtsort wird in den vorliegenden Quellen mal mit Piosniki (Piaśniki), mal mit dem benachbarten Hindenburg (die polnische Stadt Zabrze trug diesen Namen zwischen 1915 und 1946) angegeben. Vermutlich lebte sie bis etwa 1895 in Gleiwitz (polnisch Gliwice), dem Wohnsitz ihrer Eltern Johanna (geb. Bartenstein) und Nathan Baendel.

Am 4. August 1894 heiratete sie den Konfektionär Ernst Emil Zscherp, der evangelischer Konfession war. Gemeinsam hatten sie drei Kinder, die evangelisch getauft wurden. Die älteste Tochter Erna Käthe kam am 25. September 1894 in Gleiwitz zur Welt. Im Jahr darauf, am 31. Oktober 1895, wurde der Sohn Ernst Herbert in Chemnitz geboren. Geburtsort der jüngsten Tochter Gertrud Else, die am 3. Dezember 1897 zur Welt kam, war Lichtenstein-Callnberg im Landkreis Zwickau.

Im Jahr 1901 zog Rosalie Zscherp mit ihrer Familie nach Berlin-Mitte in die Schmidstraße 2. Sie war Inhaberin eines Zwischenmeisterbetriebs, der Konfektion für den Einzelhandel herstellte. Ihr Sohn Herbert, der nach der Mittelschule eine Ausbildung zum Konfektionär absolviert und im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient hatte, übernahm die Geschäftsführung.

1923 trennte sich Rosalie Zscherp von ihrem Mann. Ihrem Sohn zufolge waren Beschimpfungen wegen ihres jüdischen Glaubens sowie allgemeine Abneigung die Gründe. Die Ehe wurde am 28. April 1928 rechtskräftig geschieden. Nach der Trennung zog Rosalie Zscherp Mitte 1923 zu ihrem Sohn Herbert, der sich im Jahr zuvor mit einem eigenen Großbetrieb für Damenkonfektion selbstständig gemacht hatte. Sie gab ihren Betrieb auf und begann bei ihrem Sohn als Werkstattleiterin zu arbeiten. Der Sitz der Firma war anfangs in der Michaelkirchstraße 30 und ab 1926 in der Inselstraße 1a. Die Geschäfte liefen gut, bis Ende 1933 waren durchschnittlich 25 bis 30 Näherinnen im Betrieb beschäftigt.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation zusehends. Herbert Zscherp schildert die Entwicklung in seinem Entschädigungsantrag: „Infolge der im Jahre 1933 beginnenden Judenverfolgungen litt auch mein großer Betrieb mit jedem Jahr mehr darunter. Die Umsätze verringerten sich, zumal mein großer jüdischer Kundenkreis allmählich ausblieb und die wenigen arisierten Firmen ihre Aufträge nur zögerlich oder gar nicht an mich als jüdischen Mischling vergaben. Ferner wurde ich dadurch geschädigt, dass sich viele Arbeiterinnen weigerten, bei mir zu arbeiten.“ Anfang Februar 1935 wurde der Betrieb ans Märkische Ufer 12 verlegt. Im zweiten Stock des Hauses mietete Herbert Zscherp eine Wohnung, in die auch Rosalie Zscherp mit einzog.

Während des Novemberpogroms 1938 wurde der Betrieb geplündert, die Einrichtung und Maschinen wurden zertrümmert und unbrauchbar gemacht. Ab diesem Zeitpunkt, so beschreibt es später ihre Tochter Käthe, konnte Rosalie Zscherp als Werkstattleiterin nicht mehr in Erscheinung treten und musste ihre Arbeit – getrennt von Personal und Betrieb – in der Privatwohnung ihres Sohnes verrichten. „Sie erhielt schließlich am 3. März 1939 ihre jüdische Kennkarte, wurde immer kranker und führte Selbstmordgedanken. Sie war nämlich infolge der Verfolgungen herz-, nerven, magen- und gallenleidend geworden und stand deswegen laufend in Behandlung.“

Ende Januar 1942 wurde Rosalie Zscherp denunziert und zur Gestapo vorgeladen. Sie fasste den Entschluss, der Vorladung nicht zu folgen und unterzutauchen. In der Wohnung ihrer guten Freundin Frieda Falk (geb. Wulff), die im gleichen Haus in der vierten Etage wohnte, konnte sie sich verstecken. Ab dem 1. Februar 1942 wurde sie in der Mädchenkammer untergebracht und schlief auf einem eigens für sie hergerichteten Hängeboden. Bereits kurz nach ihrem Untertauchen wurde ihr Sohn Herbert von der Gestapo verhaftet, fünf Tage festgehalten und während der Verhöre brutal zusammengeschlagen. Trotz der Misshandlungen blieb er dabei, über den Verbleib seiner Mutter nichts zu wissen, und wurde zunächst entlassen.

Nach einem knappen Jahr, das Rosalie Zscherp unter der ständigen Bedrohung, entdeckt zu werden, illegal in der Wohnung ihrer Nachbarin lebte, entschloss sich ihre in Frankfurt am Main lebende Tochter, sie zu sich zu holen. An Heiligabend 1942 begleitete Rosalie Zscherp ihre Tochter Käthe (verheiratete Koch) nach Frankfurt und hielt sich über ein Jahr lang in deren Wohnung versteckt. Die Lebensumstände in der Illegalität, nahezu von der Umwelt abgeschlossen, bezeichnete ihr Sohn später als haftähnlich und menschenunwürdig.

In Berlin wurde Herbert Zscherp weiter von der Gestapo drangsaliert und von Februar bis September 1943 in der Großen Hamburger Straße inhaftiert. Rosalie Zscherp ging es gesundheitlich immer schlechter und im Frühjahr 1944 beschloss sie – trotz der damit verbundenen Gefahren – nach Berlin zu fahren und ihren Arzt Dr. Johann Weser aufzusuchen. Alex Cichocki, ein Berliner Freund der Familie, holte Rosalie Zscherp am 3. Februar 1944 in Frankfurt mit seinem Auto ab. Begleitet wurde sie von ihrer Tochter Käthe, die sich als Krankenschwester verkleidete. In Berlin begleitete Herbert Zscherp seine Mutter in die Schützenstraße 75 zur Praxis von Dr. Weser. Anschließend begab sie sich in ihr altes Versteck am Märkischen Ufer bei Frieda Falk. Dort brach sie zusammen und erlitt einen schweren Herzanfall sowie einen Nervenzusammenbruch. Sie starb zwei Tage später, am 5. Februar 1944, nach Verabreichung einer hohen Morphiumdosis. Den Angaben ihrer Kinder zufolge handelte es sich um einen Freitod, die Schrecken der jahrelangen Verfolgung habe Rosalie Zscherp nicht länger ertragen können.