Salomon Cohen

Verlegeort
Niebuhrstr. 66
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
27. Oktober 2009
Geboren
26. Januar 1866 in Zutphen (Niederlande)
Flucht in den Tod
23. September 1942 in Berlin

Salomon Cohen wurde am 26. Januar 1866 in Zutphen, Provinz Gelderland, in den Niederlanden geboren als Sohn des Kaufmanns Zele Cohen (auch Cohn) und seiner Ehefrau Doris Levi (auch Levie). Salomon hatte drei ältere Schwestern, Jultje (in späteren deutschen Dokumenten Julchen), Mietje und Jetje (Henriette oder Jettchen), und eine jüngere, Johanna. Der Bruder Simon war 1864 wenige Wochen nach der Geburt gestorben. Als Johanna 1869 geboren wurde, war die Familie bereits nach Emmerich in Deutschland gezogen. Dort starb die Mutter 1873, Salomon war erst sieben Jahre alt. Zele (in deutschen Dokumenten Selig genannt) heiratete noch im gleichen Jahr Caroline Sander, die gemeinsame Tochter Rosalie, Salomons Halbschwester, starb wenige Tage nach der Geburt. Selig lebte bis zu seinem Tod 1905 in Emmerich. In den Unterlagen aus Emmerich wird zwar die Familie erwähnt, nicht aber Salomon. Vielleicht wuchs das Kind bei anderen Verwandten auf.

Salomon (genannt Sally) wurde wie sein Vater Kaufmann, er spezialisierte sich auf Finanzgeschäfte. Er lebte zeitweise im von Emmerich nicht allzu entfernten Siegburg (Rhein-Sieg-Kreis). Im Februar 1895 wurde seine Tochter Doris in Berlin geboren, benannt nach Salomons Mutter. Sally und Doris‘ Mutter Wilhelmine (genannt Minna) Kersting heirateten im Dezember darauf in Rosbach (Rhein-Sieg-Kreis). Beide lebten damals in Schladern, wie Rosbach ein Ortsteil von Windeck. Minna war evangelisch, Tochter eines Bahnmeisters, sie war von Beruf Modistin und hatte vor der Heirat in Freiberg/Hessen gewohnt. Warum die Tochter in Berlin geboren wurde, muss ungeklärt bleiben. Auf der Heiratsurkunde ist vermerkt, dass die frisch Vermählten das Kind Doris Kersting „als von ihnen miteinander erzeugt anerkennten“. Auch ist nicht klar, warum sie erst nach der Geburt heirateten, vielleicht hatte sich Sallys Vater der Verbindung mit einer Christin widersetzt.

Wann die kleine Familie nach Berlin zog, kann nicht genau festgestellt werden. Da der Name Cohen häufig vorkommt, ist Sally im Adressbuch Berlin erst 1910 eindeutig zu identifizieren, er ist mit der Adresse Hubertusallee 21, Grunewald, eingetragen.

Sallys Finanzgeschäfte scheinen erfolgreich gewesen zu sein. Zeitweise war seine Finanzmaklerfirma im Handelsregister registriert. Die Familie zog mehrmals um und man darf annehmen, dass sich ihre Wohnsituation kontinuierlich verbesserte. Zweimal wechselte Sally mit Frau und Kind die Wohnung in Dahlem, Ende der 20er Jahre bewohnten sie eine 6-Zimmer-Wohnung im Charlottenburger Westend in einem gerade erst neu erbauten Haus in der Reichstraße 48.

Möglicherweise machte Sally die Weltwirtschaftskrise zu schaffen, denn noch vor 1933 führt ihn das Adressbuch nicht mehr in der Reichstraße. Mit der Machtübernahme Hitlers verschlechterten sich die Bedingungen für ihn weiter. 1933 bekam er laut seiner Tochter Berufsverbot, das sich vermutlich auf seine selbstständige Arbeit bezog. Denn noch konnte er zusammen mit einem anderen Bankier seinen Geschäften nachgehen. Seine Frau Minna starb im November 1933, zu der Zeit wohnte das Ehepaar in der Niebuhrstraße 10. Doris war Opernsängerin geworden, sie sang im Rundfunk und auf Provinzbühnen und war viel unterwegs, sie lebte vielleicht gar nicht mehr bei den Eltern bzw. beim Vater. Um 1936 musste Sally auch diese Wohnung aufgeben und kam in der gleichen Straße in der Nr. 66 zur Untermiete unter. Dort wurde er bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 erfasst. Schon seit 1938 hatte er keine Einkünfte mehr, sein Kompagnon war inzwischen emigriert. Um sich über Wasser zu halten, verkaufte Sally zu Schleuderpreisen große Teile seiner ehemals gediegenen Wohnungseinrichtung.

In der Niebuhrstraße 66 konnte Sally auch nicht lange bleiben, ihm wurden zwei Zimmer in der Grolmanstraße 36 bei den Schwestern Albertine und Ernestine Seidemann zugewiesen. Dort erhielt er im September 1942 die Nachricht, dass er am 3. Oktober nach Theresienstadt deportiert würde. Er solle sein Gepäck in der Pestalozzistraße abgeben und sich am nächsten Tag ab acht Uhr bereithalten, er werde abgeholt.

Salomon Cohen traf andere Vorkehrungen. Er packte Wertgegenstände und vor allem Sachen seiner Tochter und stellte die Koffer im Zimmer eines Mitbewohners unter, denn sein Zimmer würde am nächsten Tag versiegelt werden. Dies und allerlei praktische Hinweise schrieb er in einem Brief an seine Tochter, die zwar in der Grolmannstraße gemeldet war, aber ein Zimmer zur Untermiete in der Kantstraße bewohnte. Zuletzt heißt es in dem Brief: „Ich habe mich entschlossen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, denn wenn ich die Abwanderung mitmache, dann gehe ich auch in den Tod.“ Und er schließt: „In heißem Schmerz, Dein Dich liebender Vater.“  

Doris sollte ihren Vater nicht mehr wiedersehen. Auch die von ihm zur Seite gebrachten Koffer und Gegenstände bekam sie nicht. Laut ihrer Aussage seien alle Zimmer versiegelt worden und die Gestapo habe alles mitgenommen, darunter Bargeld und Schmuck im Wert von mindestens 5000 Reichsmark. Ihr wurde beschieden, „die Sachen gehören dem Staat, da der Vater Jude war“. Als Mitte November der Gerichtsvollzieher zur Schätzung kam, konnte er nur „Gegenstände wurden nicht vorgefunden“ auf dem entsprechenden Formular vermerken.

Doris Cohen-Kersting war als Tochter einer nichtjüdischen Mutter zunächst vor der Deportation geschützt, ihren Beruf konnte sie aber nicht mehr ausüben, sie bekam keine Engagements mehr. Ab 1938 arbeitete sie in der Gastwirtschaft eines Bekannten oder Freundes ihres Vaters, möglicherweise ein früherer Kunde. Doris überlebte in Berlin.

Sallys Schwestern Julchen, Jettchen und Johanna hatten in Emmerich in der Ölstraße 27 zunächst einen Altwarenhandel betrieben, später ein Kurzwarengeschäft. Spätestens 1941 mussten sie das Geschäft aufgeben. Am 25. Juli 1942 wurden sie von Düsseldorf aus nach Theresienstadt deportiert. Dort starben Jettchen und Johanna aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager, Julchen wurde am 26. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka weiterdeportiert und dort ermordet. Das Schicksal von Mietje konnte nicht geklärt werden, auch sie wird in den Unterlagen aus Emmerich nicht erwähnt.