Cilli Jennsen - nach Angaben der Familie und auf zahlreichen Dokumenten „Cilly Jensen“ geschrieben - stammte aus dem Erzgebirge. Die Eltern waren der Bäckersohn und Kaufmann Hirsch Hermann Kamnitzer und Freude Feodora, geb. Ackermann. Sie lebten in Buchholz/ Annaberg, als Cilly am 12. Januar 1894 geboren wurde. Auch die nachkommenden Geschwister Hans (*24. März 1895), Hertha (*5. Dezember 1897) und Edith (*18. November 1902) kamen in Buchholz auf die Welt. Es erfolgte dann der Umzug nach Leipzig, wo die beiden jüngeren Geschwister geboren wurden, Georg am 2. November 1905 und Siegmund am 23. Januar 1908.
Das familiäre Leben spielte sich bis Mitte der 1920er-Jahre in Leipzig ab. Cilly heiratete am 16. August 1924 den nicht-jüdischen Buchhändler Bruno Jensen und zog mit ihm nach Berlin. Die kinderlos gebliebene Ehe wurde 1929 oder 1930 wieder geschieden.
Am 7. Dezember 1927 starb Hermann Kamnitzer in Leipzig. Kurz zuvor, im August 1927 hatte Cillys Schwester Hertha Deutschland in Richtung New York verlassen, um 1928 den amerikanischen Soldaten Ora Freestone zu heiraten.
Der Rest der Familie wohnte von nun an in Berlin.
Cilly war erfolgreich berufstätig und lebte mit der verwitweten Mutter Feodora zusammen in der Prager Straße 15 (heute Nr. 10). Ihre Einnahmen waren so üppig, dass sie gänzlich für den Unterhalt ihrer Mutter aufkommen konnte. Über den Werdegang des geschiedenen Ehemannes ist nichts bekannt, in den Adressbüchern von Leipzig und Berlin ist sein Name nicht verzeichnet.
Cilly übte selbstständig den Beruf der „Corsettiere“ aus. Sie bezog auf eigene Rechnung ihre Waren von der 1904 in den USA gegründeten Firma „Spirella Corset Company“, die in Berlin eine Zweigstelle betrieb. Die Kundinnen wurden von der „Spirella“ an Cilly Jensen vermittelt. Diese besuchte die anspruchsvolle und wohlhabende Kundschaft in deren Wohnungen zum Maßnehmen und zur Anprobe und fertigte schließlich die Korsagen in ihren eigenen Räumen an. 1939 wurde die Spirella in die Firma „Figesta“ mit dem Besitzer Franz Fischer überführt. Damit endete auch die Arbeit und Lebensgrundlage für Cilly Jensen.
Ihre Familie war zu diesem Zeitpunkt über den gesamten Erdball verstreut.
Bereits 1933 emigrierte ihr Bruder Hans nach Palästina. Mit seiner Frau Friedel Berger, die er 1928 in Leipzig geheiratet hatte, betrieb er in Tel Aviv ein Boarding House. Er starb 1974 in Tel Aviv und wurde auf dem Friedhof Kfar Shmaryahu beigesetzt.
Georg emigrierte nach Brasilien, er lebte noch bis Anfang der 1960er-Jahre in Rio de Janeiro, seine Grabstelle befindet sich jedoch in Israel auf dem Tel Aviver Friedhof Kfar Shmaryahu, wie auch die seines Bruders Hans. Sein Sterbedatum ist auf den 23. Januar 1963 datiert. Seine Frau Anny lebte noch bis 1982 in Tel Aviv.
Siegmund Kamnitzer war nach Südafrika ausgewandert und hatte die südafrikanische Staatsbürgerschaft bekommen. Er lebte in Johannesburg, weitere Spuren seines Lebens führten nach Brasilien – 1948 erfolgte die Einreise mit einem Touristenvisum, 1951 nach Boston/Massachusetts, 1953 nach England, 1958 nach Anchorage/Alaska, 1959 nach Honolulu/Hawaii und New York. Die Vermutung liegt nahe, dass er auf einigen seiner vielen Reisen seine Geschwister besuchte. Er ließ sich am Ende seines Lebens in Kanada nieder und starb 86-jährig 1994 in Toronto.
Hertha, die 1928 Ora Freestone geheiratet hatte, wurde erst 1943 in den USA eingebürgert. Bis 1941 war ihr Wohnsitz in Tijuana/Mexiko gewesen, nach der Einbürgerung ließ sie sich in Beverly Hills/Kalifornien nieder. Von Ora Freestone geschieden, reiste sie 1952 ebenfalls mit einem Touristenvisum nach Brasilien ein. Auch hier liegt nahe, dass sie ihren Bruder Georg besuchte.
Edith emigrierte 1936 nach England und heiratete noch im selben Jahr Paul Gröber. Allerdings muss Paul Gröber bald verstorben gewesen sein, denn 1948 findet sich allein Edith Gröbers Name im Londoner Telefonbuch. Nach den furchtbaren Pogromen in Deutschland und noch rechtzeitig vor Schließung der Grenzen holte Edith ihre Mutter Feodora zu sich nach London. Sie starb dort 1958 im hohen Alter von 94 Jahren. Noch 1957 hatte sie einen Antrag auf Entschädigung für Cilly gestellt, dieser wurde aber nach ihrem Tod von Edith im Namen aller Geschwister weiterverfolgt.
Edith war in all den Jahren der Verfolgung in regem brieflichen Kontakt mit Cilly gewesen, warum Cilly nicht spätestens zusammen mit Feodora nach England auswanderte, wird ein Geheimnis bleiben.
Mit der Auswanderung der Mutter und dem Verlust der Arbeit verlor Cilly auch die Wohnung in der Prager Straße. Zur Zeit der Volkszählung im Mai 1939 finden wir sie in der Pariser Straße 15 gemeldet.
Es war noch nicht die letzte Bleibe vor ihrer Deportation. Irgendwann wurde sie vermutlich zur Untermiete bei anderen jüdischen Bewohnern in der Küstriner Straße 4 in Hohenschönhausen untergebracht. Ob Cilly noch irgendeinen Besitz hatte, ist nicht bekannt. Ihre Vermögensverwertungsakte wurde laut Auskunft des Oberfinanzpräsidenten durch Einstampfung vernichtet.
Am 29. Januar 1943 wurde Cilly Jensen mit dem 1000 Menschen umfassenden 27. Osttransport vom Güterbahnhof Moabit abgehenden Zug nach Auschwitz verschleppt. Da sie auf der Transportliste mit der Berufsbezeichnung „Schneiderin“ als „arbeitsfähig“ vermerkt wurde, könnte sie im Konzentrationslager Auschwitz registriert und zur Zwangsarbeit eingesetzt worden sein.
Cilly Jensens Todesdatum ist nicht bekannt.