Josua Falk Friedlaender

Verlegeort
Siegmunds Hof 15
Bezirk/Ortsteil
Hansaviertel
Verlegedatum
Oktober 2012
Geboren
13. Juni 1871 in Stade (Hannover)
Deportation
am 03. Oktober 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
22. Oktober 1942 in Theresienstadt

Josua Falk Friedlaender kam am 11. Juni 1871 in Stade zur Welt. Er war der Sohn von Joel Friedlaender und dessen Frau Sophie, geb. Lesser. Joel wurde am 29. Juli 1831 geboren und starb am 2. August 1906 in Stade. Sophie kam am 1. August 1848 in Bücken zur Welt und verstarb am 25. Mai 1895 in Stade. Josua war das älteste von insgesamt fünf Kindern. Seine vier Geschwister hießen Henriette, Eliazer Gotthelf, Leah und Raphael Mordechai. Mit Ausnahme von Leah, die 1899 geboren wurde, kamen alle zwischen 1873 und 1881 in Stade zur Welt. Leahs Geburtsort war Halberstadt. Aufgrund des großen Abstands zu den Geburtsjahren ihrer Geschwister und der Angabe, dass Josuas Mutter Sophie bereits 1895 gestorben sein soll, ist anzunehmen, dass Leah nur eine Halbschwester war. Während Henriette bereits im Jahr 1912 in Hamburg starb, überlebten alle drei anderen die NS-Zeit. Leah starb 1957 in Greater London, Eliazer 1959 im englischen Beckenham und Raphael starb 1962 an einem unbekannten Ort.<br />
Im Jahr 1890 legte Josua am Gymnasium in Stade das Abitur ab und studierte zwischen 1890 und 1896 neuere Philologie und Hebräisch an den Universitäten Berlin und Göttingen. Im selben Jahr legte er das Staatsexamen ab. Zwischenzeitlich hatte er sich von 1892 bis 1893 ein Jahr in England aufgehalten. Dort besuchte er das Jews‘ College und wohnte in der Zeit bei seinem Onkel, Dr. Michael Friedlaender, der auch dessen Direktor war. Später übersetzte er ein Buch seines Onkels, „The Jewish Religion“, ins Deutsche. Im Zuge seiner Lehrerausbildung absolvierte Josua zwischen 1896 und 1897 sein Seminarjahr am Realgymnasium in Goslar. Sein zweites Probejahr fand zwischen 1897 bis 1898 am Kaiserin-Auguste-Gymnasium in Linden bei Hannover statt.<br />
Josua war von Haus aus streng orthodox erzogen worden, wandte sich dann aber während seiner Studienzeit dem liberalen Judentum zu. Dennoch gab er die tiefe Verbundenheit mit der religiös jüdischen Tradition nicht auf. „Man kann nicht wirklich liberal sein, wenn man nicht orthodox gewesen ist.“, pflegte er dazu zu sagen.<br />
Josuas Frau Else wurde am 11. Mai 1875 in Posen als Tochter von Avraham Neumark und seiner Frau Henrietta (oder Henriette) geb. Neufeld geboren. Zu den Lebensdaten ihrer Eltern und dem Zeitpunkt ihrer Hochzeit mit Josua ist nichts bekannt. Else, die von Beruf Lehrerin war, pflegte aber den Kontakt zu ihrer Familie und schickte nahezu jede Woche Briefe nach Posen, wie sich ihre Tochter Sophie erinnerte. 1898 kamen die Friedlaenders nach Hamburg, wo am 7. Dezember 1900 Sohn Walter und am 16. Juni 1902 Sohn Johanan Priel, auch Hans genannt, zur Welt kamen. 1905 folgte die Geburt der Tochter Sophie. <br />
Ab 1898 hatte Josua eine Stellung an der Talmud Tora Schule und unterrichtete hier die Fächer Französisch und Englisch. C. Z. Klötzel, einer von Josuas damaligen Schülern, veröffentlichte später seine Erinnerungen an die Schulzeit. „Fridl“, wie die Schüler ihren Lehrer nannten, benahm sich nach Klötzels Aussage im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrern nicht unauffällig und fiel vor Allem durch seine Eleganz auf. Er soll in seiner Erscheinung und seinem Auftreten ein Aristokrat gewesen sein, der zwar den Schülern nicht übermäßig imponierte, aber als Persönlichkeit einen großen Eindruck auf sie machte. Wie Klötzel beschrieb, war er für ihn „der erste Mensch, von dem eine bewusst ästhetische Wirkung ausging. Man konnte nicht mit ruhigerer Eleganz gekleidet sein als Fridl, nicht besser nach guter Seife duften, Wäsche konnte nicht blütenweißer sein als die seine, und von den Händen lernten wir den Begriff der Maniküre kennen, noch ehe wir das Wort je gehört hatten. Dazu war er ein gutaussehender Mann mit wundervoll gepflegtem rötlichen Backenbart, einer kühnen Hakennase und feinem Teint, den man in England ‚Schoolgirl complexion‘ nennt.<br />
Fridl konnte nicht gut Disziplin halten; dieselben Eigenschaften, die wir im tiefsten Herzen an ihm bewunderten, reizten begreiflicherweise Jungen an der Grenze der Pubertät. Wie konnten wir auch einen Mann ungeschoren lassen, der „foin“ war (wie man ‚fein‘ in Hamburg ausspricht), daß er nicht einmal das Wort Faulheit in den Mund nahm, sondern nur ‚Tadel wegen Unfleißes‘ ins Klassenbuch schrieb! Dennoch, wie viel oder wie wenig Französisch wir auch bei Fridl gelernt haben mögen, seine Erscheinung allein war wie der Abglanz einer fremden, beunruhigenden und gleichzeitig anlockenden Welt, die wir rings um uns vergeblich suchten.“ Josuas Unterricht beschrieb Klötzel im Unterschied zu anderen Lehrern als „zierlich, wohlgeordnet und leise“.<br />
Ab 1900 war Josua auch in den Hamburger Adressbüchern aufgeführt. Demnach wohnte die Familie eine lange Zeit im Grindelberg 41. Zwischen 1905 und 1906 zogen sie dann aber in die Bogenstraße 23 um.<br />
1906 gab Josua die Stelle in Hamburg auf und ging mit seiner Familie nach Berlin. Die Friedlaenders wohnten zuerst in der Eberswalder Str. 35/IV, zwischen 1917 und 1918 zogen sie um in die Schönhauser Allee 81/I und schließlich zwischen 1934 und 1935 in den Siegmunds Hof 15, wo sie bis zur Deportation lebten. Diese Wohnung im Siegmunds Hof lag im Hochparterre, verfügte über drei Zimmer, Warmwasser, Heizung und Balkon. Der Hausbesitzer E. Steiner war ebenfalls Jude. In ihrer Wohnung beherbergten die Friedlaenders zusätzlich noch Untermieter.<br />
In Berlin wurde am 2. Juli 1907 der Sohn Ernst Friedlaender geboren. Josua versuchte auch seinen Kindern eine jüdische Identität zu geben und gestaltete zahlreiche dazugehörige Feste und Abende. Laut Sophie pflegte die Familie alle jüdischen Feste zu feiern.<br />
Auch in Berlin war Josua im Schuldienst tätig. Er unterrichtete neuere Sprachen, Latein und jüdische Religion, so zum Beispiel in der Königsstädtischen Oberrealschule. In Berlin erhielt er auch seinen Professorentitel und seinen Status als Studienrat. Sein Verhältnis zu Schülern und Kollegen soll hier - ebenso wie in Hamburg - freundschaftlich gewesen sein. Josua war lange Zeit der einzige Jude im Kollegium und machte seine jüdische Identität auch nach außen hin sichtbar. Zeitweise wirkte er auch als stellvertretender Direktor. 1933 wurde Josua pensioniert.<br />
Seine Tochter Sophie erinnerte sich später, dass ihr Vater für die damalige Zeit ein sehr fortschrittlicher Lehrer gewesen sei. Er habe naturwissenschaftliche Texte in englischer Sprache für andere Lehrer übersetzt. Auch war er für die Erarbeitung des Stundenplanes zuständig, was ihn immer große Teile der Osterferien gekostet habe. Das „Überspringen“ in der Schule lehnte er aus psychologischen Gründen ab, da dieses nur aufgrund der Lernfähigkeit passieren würde und die organische Entwicklung nicht berücksichtige. Große Sorgen machte er sich ebenso, wenn er einen seiner Schüler im Abitur durchfallen lassen musste. Sophie erinnerte sich auch, dass ihr Vater immer die ganze Familie zu Veranstaltungen in die Schule mitnahm, wo sie vom Direktor herzlich begrüßt wurden. Josua wurde von den Kollegen geschätzt, mit einigen war er sogar befreundet, allerdings erinnerte sie sich nicht daran, dass jemals einer bei ihnen zu Hause zu Besuch war. Der Alltag der Familie sei weitgehend schulorientiert gewesen. Außerdem habe Josua auch privat noch Nachhilfestunden gegeben.<br />
Die beiden ältesten Söhne der Friedlaenders, Walter und Hans, gingen in Berlin auf das humanistische Sophien-Gymnasium. Der jüngste Sohn Ernst besuchte das Sophien-Realgymnasium. In den Ferien war der Familienurlaub ein nicht wegzudenkendes Erlebnis für Tochter Sophie. Zwar hatte die Familie Friedlaender ihre Ferien schon an einer ganzen Reihe von Orten zugebracht, die beiden Lieblingsziele waren allerdings zeitlebens Waren an der Müritz und Kolberg an der Ostsee.<br />
Schon während seiner Berufszeit hatte sich Josua lange Zeit sowohl religiös, wie auch sozial engagiert. Er war Mitglied des Schulvorstands der Jüdischen Gemeinde in Berlin sowie Mitglied im „Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Lange Jahre bekleidete Josua das Amt des Vorstehes der Synagoge in der Berliner Rykestraße. Hier gestaltete er Gottesdienste und schaffte es, sie in einer jüdisch-liberalen Form abzuhalten, so dass das Wesentliche bewahrt, aber auch den modernen Menschen etwas mitgegeben wurde. Er beteiligte Erwachsene wie Jugendliche am Geschehen und kürzte seine Predigten bewusst, um die Aufmerksamkeit der Andächtigen wachzuhalten. Zusätzlich wirkte Josua an hohen Feiertagen in den Betsälen der Gemeinde als Laienprediger.<br />
Im Auerbachschen Waisenhaus in Berlin übernahm Josua zeitweise den Direktorenposten und versuchte auch hier, die Gottesdienste nach seinen Ideen zu gestalten.<br />
Das bereits angesprochene soziale Engagement verrichtete oftmals er zusammen mit seiner Frau Else. Bereits während des Ersten Weltkriegs übernahm Josua seelsorgerische Aufgaben in den Lazaretten für jüdische Soldaten. Außerdem beteiligten er und seine Frau sich an der Bahnhofsfürsorge für ostjüdische Arbeiter auf dem Weg ins Ruhrgebiet und betreute als freiwilliger Mitarbeiter der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden Menschen im Bezirk Prenzlauer Berg. Im Ersten Weltkrieg kränkte es Josua, der auch Mitglied in der Reserve war, dass seine englischen Verwandten zwangsläufig auf der Feindesseite standen. Um eine entsprechende Stellungnahme veröffentlichen zu können, übersetzte er den „Essay of Nationalism“ von C. G. Hayes ins Deutsche. Solange es möglich war, engagierte Josua sich entsprechend seiner politischen Überzeugungen weiterhin im liberal-bürgerlichen Zentralverein und setzte sich für eine Gleichstellung der Juden in der Gesellschaft ein. Erst mit dem aufkommenden Nationalsozialismus wendete er sich einer möglichen Zukunft im Heiligen Land zu. Diese Träume wurden jedoch vom Kriegsausbruch 1939 jäh zerstört.<br />
Nach 1933 stand es um Josuas Gesundheit zunehmend schlechter. In späteren Aufzeichnungen zu seiner Deportation wird eine Darmkrebserkrankung genannt, an der er gelitten haben soll und wegen der er bereits in Berlin operiert wurde. Josua plante noch ein hebräisches Lexikon herauszubringen und hatte hierfür auch umfangreiche Vorarbeiten ausgeführt. 1941 erhielt er von seinen Freunden eine Festschrift zu seinem 70. Geburtstag. Anlass war seine Ernennung zum „Melamed“, also einem Lehrenden innerhalb des Judentums.<br />
Am 3. Oktober 1942 wurde Josua von Berlin in das Getto Theresienstadt deportiert. Es handelte sich um eine der insgesamt 123 Deportationen, die aus der deutschen Hauptstadt in das Getto gingen. Die Deportation am 3. Oktober 1942 war aber mit insgesamt 1021 Deportierten einer der größeren Transporte.<br />
Else Friedlaender war bereits vor ihrem Mann deportiert worden. Sie hielt sich zum Zeitpunkt der Deportation allerdings nicht mehr in Berlin auf, sondern in einer Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn, einer Stadt nahe Koblenz. Josuas Angaben nach wollte sie dort zur Erholung hin. Evtl. ist sie allerdings auch aus politischen Gründen dort hingebracht worden. Am 14. Juni 1942 wurden insgesamt 250 Patienten und 80 Bedienstete in Bendorf auf 9 Güterwagen verteilt, die in Koblenz an einen weiteren Zug angekoppelt wurden, der dann über Essen und Lublin zum Vernichtungslager Sobibor fuhr. Auch Else gehörte dazu. Laut dem Gedenkblatt bei Yad Vashem ist sie allerdings nicht in Sobibor umgekommen, sondern im gleichen Jahr 1942 in Auschwitz. Kurz nach ihrer Deportation gab Josua an, keine Informationen über den Aufenthaltsort seiner Frau zu haben.<br />
Josua verstarb am 22. Oktober 1942 um 5:40 Uhr, also nicht lange nach seiner Ankunft in Theresienstadt. In der Todesfallanzeige ist als direkte Todesursache eine Adynamia cordis, also eine Herzschwäche eingetragen. Es ist aber auch anzunehmen, dass er durch seine Krebserkrankung schon sehr geschwächt war. <br />
Alle Kinder Josuas haben die NS-Zeit überlebt. Der wichtigste Grund hierfür war, dass sie alle Deutschland bereits vor dem Krieg verlassen hatten. Die drei Söhne waren in den 30er-Jahren zuerst in Russland berufstätig geworden und kamen schließlich hinterher allesamt nach Palästina. Walter Friedlaender war von Beruf Arzt, Hans hatte in Berlin bei einer Baufirma gearbeitet und Ernst war Elektroingenieur. Laut ihrer Schwester Sophie waren alle drei später verheiratet und hatten je zwei Kinder.<br />
Sophie Friedlaender, die nach ihrer Schulzeit erst einige Zeit in England war und dann in Berlin studiert hatte, absolvierte zunächst in Berlin-Neukölln ein Referendariat an der dortigen Fritz-Karsen-Schule. Zu Beginn der NS-Zeit arbeitete sie für private und jüdische Schulen als Lehrerin, unter anderem am jüdischen Landschulheim in Caputh. Sophie profitierte von ihren guten Englischkenntnissen und verließ Deutschland 1938 noch rechtzeitig und ging erneut nach England. Dort kam sie viel herum und übte unterschiedliche Berufe aus. So half Sophie in Flüchtlingslagern für Kinder, die aus Deutschland geholt wurden und arbeitete an britischen Schulen und in Heimen, in denen Flüchtlingskinder untergebracht wurden. Während dieser Arbeit lernte sie Hilde Jarecki kennen, mit der sie sich anfreundete, gemeinsam arbeitete und dann auch jahrzehntelang zusammenwohnte. Hilde hatte ein ähnliches Schicksal wie Sophie und verlor Teile ihrer Familie im Holocaust. 1949 reiste Sophie ins neugegründete Israel und besuchte erstmals nach Kriegsende ihre Brüder. Diese Besuche fanden von da an regelmäßig statt. Ab den 50ern fühlte sich Sophie in England zunehmend heimisch. Sie arbeitete wieder als Lehrerin und tat dies bis zu ihrer Pensionierung 1970. In diesen Jahren machte Sophie auch mehrfach Reisen nach Deutschland. 1996 brachte sie in Buchform ihre Erinnerungen heraus.<br />
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Josua Falk Friedlaender kam am 11. Juni 1871 in Stade zur Welt. Er war der Sohn von Joel Friedlaender und dessen Frau Sophie, geb. Lesser. Joel wurde am 29. Juli 1831 geboren und starb am 2. August 1906 in Stade. Sophie kam am 1. August 1848 in Bücken zur Welt und verstarb am 25. Mai 1895 in Stade. Josua war das älteste von insgesamt fünf Kindern. Seine vier Geschwister hießen Henriette, Eliazer Gotthelf, Leah und Raphael Mordechai. Mit Ausnahme von Leah, die 1899 geboren wurde, kamen alle zwischen 1873 und 1881 in Stade zur Welt. Leahs Geburtsort war Halberstadt. Aufgrund des großen Abstands zu den Geburtsjahren ihrer Geschwister und der Angabe, dass Josuas Mutter Sophie bereits 1895 gestorben sein soll, ist anzunehmen, dass Leah nur eine Halbschwester war. Während Henriette bereits im Jahr 1912 in Hamburg starb, überlebten alle drei anderen die NS-Zeit. Leah starb 1957 in Greater London, Eliazer 1959 im englischen Beckenham und Raphael starb 1962 an einem unbekannten Ort.
Im Jahr 1890 legte Josua am Gymnasium in Stade das Abitur ab und studierte zwischen 1890 und 1896 neuere Philologie und Hebräisch an den Universitäten Berlin und Göttingen. Im selben Jahr legte er das Staatsexamen ab. Zwischenzeitlich hatte er sich von 1892 bis 1893 ein Jahr in England aufgehalten. Dort besuchte er das Jews‘ College und wohnte in der Zeit bei seinem Onkel, Dr. Michael Friedlaender, der auch dessen Direktor war. Später übersetzte er ein Buch seines Onkels, „The Jewish Religion“, ins Deutsche. Im Zuge seiner Lehrerausbildung absolvierte Josua zwischen 1896 und 1897 sein Seminarjahr am Realgymnasium in Goslar. Sein zweites Probejahr fand zwischen 1897 bis 1898 am Kaiserin-Auguste-Gymnasium in Linden bei Hannover statt.
Josua war von Haus aus streng orthodox erzogen worden, wandte sich dann aber während seiner Studienzeit dem liberalen Judentum zu. Dennoch gab er die tiefe Verbundenheit mit der religiös jüdischen Tradition nicht auf. „Man kann nicht wirklich liberal sein, wenn man nicht orthodox gewesen ist.“, pflegte er dazu zu sagen.
Josuas Frau Else wurde am 11. Mai 1875 in Posen als Tochter von Avraham Neumark und seiner Frau Henrietta (oder Henriette) geb. Neufeld geboren. Zu den Lebensdaten ihrer Eltern und dem Zeitpunkt ihrer Hochzeit mit Josua ist nichts bekannt. Else, die von Beruf Lehrerin war, pflegte aber den Kontakt zu ihrer Familie und schickte nahezu jede Woche Briefe nach Posen, wie sich ihre Tochter Sophie erinnerte. 1898 kamen die Friedlaenders nach Hamburg, wo am 7. Dezember 1900 Sohn Walter und am 16. Juni 1902 Sohn Johanan Priel, auch Hans genannt, zur Welt kamen. 1905 folgte die Geburt der Tochter Sophie.
Ab 1898 hatte Josua eine Stellung an der Talmud Tora Schule und unterrichtete hier die Fächer Französisch und Englisch. C. Z. Klötzel, einer von Josuas damaligen Schülern, veröffentlichte später seine Erinnerungen an die Schulzeit. „Fridl“, wie die Schüler ihren Lehrer nannten, benahm sich nach Klötzels Aussage im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrern nicht unauffällig und fiel vor Allem durch seine Eleganz auf. Er soll in seiner Erscheinung und seinem Auftreten ein Aristokrat gewesen sein, der zwar den Schülern nicht übermäßig imponierte, aber als Persönlichkeit einen großen Eindruck auf sie machte. Wie Klötzel beschrieb, war er für ihn „der erste Mensch, von dem eine bewusst ästhetische Wirkung ausging. Man konnte nicht mit ruhigerer Eleganz gekleidet sein als Fridl, nicht besser nach guter Seife duften, Wäsche konnte nicht blütenweißer sein als die seine, und von den Händen lernten wir den Begriff der Maniküre kennen, noch ehe wir das Wort je gehört hatten. Dazu war er ein gutaussehender Mann mit wundervoll gepflegtem rötlichen Backenbart, einer kühnen Hakennase und feinem Teint, den man in England ‚Schoolgirl complexion‘ nennt.
Fridl konnte nicht gut Disziplin halten; dieselben Eigenschaften, die wir im tiefsten Herzen an ihm bewunderten, reizten begreiflicherweise Jungen an der Grenze der Pubertät. Wie konnten wir auch einen Mann ungeschoren lassen, der „foin“ war (wie man ‚fein‘ in Hamburg ausspricht), daß er nicht einmal das Wort Faulheit in den Mund nahm, sondern nur ‚Tadel wegen Unfleißes‘ ins Klassenbuch schrieb! Dennoch, wie viel oder wie wenig Französisch wir auch bei Fridl gelernt haben mögen, seine Erscheinung allein war wie der Abglanz einer fremden, beunruhigenden und gleichzeitig anlockenden Welt, die wir rings um uns vergeblich suchten.“ Josuas Unterricht beschrieb Klötzel im Unterschied zu anderen Lehrern als „zierlich, wohlgeordnet und leise“.
Ab 1900 war Josua auch in den Hamburger Adressbüchern aufgeführt. Demnach wohnte die Familie eine lange Zeit im Grindelberg 41. Zwischen 1905 und 1906 zogen sie dann aber in die Bogenstraße 23 um.
1906 gab Josua die Stelle in Hamburg auf und ging mit seiner Familie nach Berlin. Die Friedlaenders wohnten zuerst in der Eberswalder Str. 35/IV, zwischen 1917 und 1918 zogen sie um in die Schönhauser Allee 81/I und schließlich zwischen 1934 und 1935 in den Siegmunds Hof 15, wo sie bis zur Deportation lebten. Diese Wohnung im Siegmunds Hof lag im Hochparterre, verfügte über drei Zimmer, Warmwasser, Heizung und Balkon. Der Hausbesitzer E. Steiner war ebenfalls Jude. In ihrer Wohnung beherbergten die Friedlaenders zusätzlich noch Untermieter.
In Berlin wurde am 2. Juli 1907 der Sohn Ernst Friedlaender geboren. Josua versuchte auch seinen Kindern eine jüdische Identität zu geben und gestaltete zahlreiche dazugehörige Feste und Abende. Laut Sophie pflegte die Familie alle jüdischen Feste zu feiern.
Auch in Berlin war Josua im Schuldienst tätig. Er unterrichtete neuere Sprachen, Latein und jüdische Religion, so zum Beispiel in der Königsstädtischen Oberrealschule. In Berlin erhielt er auch seinen Professorentitel und seinen Status als Studienrat. Sein Verhältnis zu Schülern und Kollegen soll hier - ebenso wie in Hamburg - freundschaftlich gewesen sein. Josua war lange Zeit der einzige Jude im Kollegium und machte seine jüdische Identität auch nach außen hin sichtbar. Zeitweise wirkte er auch als stellvertretender Direktor. 1933 wurde Josua pensioniert.
Seine Tochter Sophie erinnerte sich später, dass ihr Vater für die damalige Zeit ein sehr fortschrittlicher Lehrer gewesen sei. Er habe naturwissenschaftliche Texte in englischer Sprache für andere Lehrer übersetzt. Auch war er für die Erarbeitung des Stundenplanes zuständig, was ihn immer große Teile der Osterferien gekostet habe. Das „Überspringen“ in der Schule lehnte er aus psychologischen Gründen ab, da dieses nur aufgrund der Lernfähigkeit passieren würde und die organische Entwicklung nicht berücksichtige. Große Sorgen machte er sich ebenso, wenn er einen seiner Schüler im Abitur durchfallen lassen musste. Sophie erinnerte sich auch, dass ihr Vater immer die ganze Familie zu Veranstaltungen in die Schule mitnahm, wo sie vom Direktor herzlich begrüßt wurden. Josua wurde von den Kollegen geschätzt, mit einigen war er sogar befreundet, allerdings erinnerte sie sich nicht daran, dass jemals einer bei ihnen zu Hause zu Besuch war. Der Alltag der Familie sei weitgehend schulorientiert gewesen. Außerdem habe Josua auch privat noch Nachhilfestunden gegeben.
Die beiden ältesten Söhne der Friedlaenders, Walter und Hans, gingen in Berlin auf das humanistische Sophien-Gymnasium. Der jüngste Sohn Ernst besuchte das Sophien-Realgymnasium. In den Ferien war der Familienurlaub ein nicht wegzudenkendes Erlebnis für Tochter Sophie. Zwar hatte die Familie Friedlaender ihre Ferien schon an einer ganzen Reihe von Orten zugebracht, die beiden Lieblingsziele waren allerdings zeitlebens Waren an der Müritz und Kolberg an der Ostsee.
Schon während seiner Berufszeit hatte sich Josua lange Zeit sowohl religiös, wie auch sozial engagiert. Er war Mitglied des Schulvorstands der Jüdischen Gemeinde in Berlin sowie Mitglied im „Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Lange Jahre bekleidete Josua das Amt des Vorstehes der Synagoge in der Berliner Rykestraße. Hier gestaltete er Gottesdienste und schaffte es, sie in einer jüdisch-liberalen Form abzuhalten, so dass das Wesentliche bewahrt, aber auch den modernen Menschen etwas mitgegeben wurde. Er beteiligte Erwachsene wie Jugendliche am Geschehen und kürzte seine Predigten bewusst, um die Aufmerksamkeit der Andächtigen wachzuhalten. Zusätzlich wirkte Josua an hohen Feiertagen in den Betsälen der Gemeinde als Laienprediger.
Im Auerbachschen Waisenhaus in Berlin übernahm Josua zeitweise den Direktorenposten und versuchte auch hier, die Gottesdienste nach seinen Ideen zu gestalten.
Das bereits angesprochene soziale Engagement verrichtete oftmals er zusammen mit seiner Frau Else. Bereits während des Ersten Weltkriegs übernahm Josua seelsorgerische Aufgaben in den Lazaretten für jüdische Soldaten. Außerdem beteiligten er und seine Frau sich an der Bahnhofsfürsorge für ostjüdische Arbeiter auf dem Weg ins Ruhrgebiet und betreute als freiwilliger Mitarbeiter der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden Menschen im Bezirk Prenzlauer Berg. Im Ersten Weltkrieg kränkte es Josua, der auch Mitglied in der Reserve war, dass seine englischen Verwandten zwangsläufig auf der Feindesseite standen. Um eine entsprechende Stellungnahme veröffentlichen zu können, übersetzte er den „Essay of Nationalism“ von C. G. Hayes ins Deutsche. Solange es möglich war, engagierte Josua sich entsprechend seiner politischen Überzeugungen weiterhin im liberal-bürgerlichen Zentralverein und setzte sich für eine Gleichstellung der Juden in der Gesellschaft ein. Erst mit dem aufkommenden Nationalsozialismus wendete er sich einer möglichen Zukunft im Heiligen Land zu. Diese Träume wurden jedoch vom Kriegsausbruch 1939 jäh zerstört.
Nach 1933 stand es um Josuas Gesundheit zunehmend schlechter. In späteren Aufzeichnungen zu seiner Deportation wird eine Darmkrebserkrankung genannt, an der er gelitten haben soll und wegen der er bereits in Berlin operiert wurde. Josua plante noch ein hebräisches Lexikon herauszubringen und hatte hierfür auch umfangreiche Vorarbeiten ausgeführt. 1941 erhielt er von seinen Freunden eine Festschrift zu seinem 70. Geburtstag. Anlass war seine Ernennung zum „Melamed“, also einem Lehrenden innerhalb des Judentums.
Am 3. Oktober 1942 wurde Josua von Berlin in das Getto Theresienstadt deportiert. Es handelte sich um eine der insgesamt 123 Deportationen, die aus der deutschen Hauptstadt in das Getto gingen. Die Deportation am 3. Oktober 1942 war aber mit insgesamt 1021 Deportierten einer der größeren Transporte.
Else Friedlaender war bereits vor ihrem Mann deportiert worden. Sie hielt sich zum Zeitpunkt der Deportation allerdings nicht mehr in Berlin auf, sondern in einer Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn, einer Stadt nahe Koblenz. Josuas Angaben nach wollte sie dort zur Erholung hin. Evtl. ist sie allerdings auch aus politischen Gründen dort hingebracht worden. Am 14. Juni 1942 wurden insgesamt 250 Patienten und 80 Bedienstete in Bendorf auf 9 Güterwagen verteilt, die in Koblenz an einen weiteren Zug angekoppelt wurden, der dann über Essen und Lublin zum Vernichtungslager Sobibor fuhr. Auch Else gehörte dazu. Laut dem Gedenkblatt bei Yad Vashem ist sie allerdings nicht in Sobibor umgekommen, sondern im gleichen Jahr 1942 in Auschwitz. Kurz nach ihrer Deportation gab Josua an, keine Informationen über den Aufenthaltsort seiner Frau zu haben.
Josua verstarb am 22. Oktober 1942 um 5:40 Uhr, also nicht lange nach seiner Ankunft in Theresienstadt. In der Todesfallanzeige ist als direkte Todesursache eine Adynamia cordis, also eine Herzschwäche eingetragen. Es ist aber auch anzunehmen, dass er durch seine Krebserkrankung schon sehr geschwächt war.
Alle Kinder Josuas haben die NS-Zeit überlebt. Der wichtigste Grund hierfür war, dass sie alle Deutschland bereits vor dem Krieg verlassen hatten. Die drei Söhne waren in den 30er-Jahren zuerst in Russland berufstätig geworden und kamen schließlich hinterher allesamt nach Palästina. Walter Friedlaender war von Beruf Arzt, Hans hatte in Berlin bei einer Baufirma gearbeitet und Ernst war Elektroingenieur. Laut ihrer Schwester Sophie waren alle drei später verheiratet und hatten je zwei Kinder.
Sophie Friedlaender, die nach ihrer Schulzeit erst einige Zeit in England war und dann in Berlin studiert hatte, absolvierte zunächst in Berlin-Neukölln ein Referendariat an der dortigen Fritz-Karsen-Schule. Zu Beginn der NS-Zeit arbeitete sie für private und jüdische Schulen als Lehrerin, unter anderem am jüdischen Landschulheim in Caputh. Sophie profitierte von ihren guten Englischkenntnissen und verließ Deutschland 1938 noch rechtzeitig und ging erneut nach England. Dort kam sie viel herum und übte unterschiedliche Berufe aus. So half Sophie in Flüchtlingslagern für Kinder, die aus Deutschland geholt wurden und arbeitete an britischen Schulen und in Heimen, in denen Flüchtlingskinder untergebracht wurden. Während dieser Arbeit lernte sie Hilde Jarecki kennen, mit der sie sich anfreundete, gemeinsam arbeitete und dann auch jahrzehntelang zusammenwohnte. Hilde hatte ein ähnliches Schicksal wie Sophie und verlor Teile ihrer Familie im Holocaust. 1949 reiste Sophie ins neugegründete Israel und besuchte erstmals nach Kriegsende ihre Brüder. Diese Besuche fanden von da an regelmäßig statt. Ab den 50ern fühlte sich Sophie in England zunehmend heimisch. Sie arbeitete wieder als Lehrerin und tat dies bis zu ihrer Pensionierung 1970. In diesen Jahren machte Sophie auch mehrfach Reisen nach Deutschland. 1996 brachte sie in Buchform ihre Erinnerungen heraus.