Arthur Nehlhans

Verlegeort
Torstraße 210
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
07. Juni 2013
Geboren
12. Februar 1899 in Berlin
Deportation
am 29. November 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Arthur Nehlhans wurde am 12. Februar 1899 zusammen mit seinem Zwillingsbruder Erich in Berlin in eine streng religiöse jüdische Familie geboren. Sein Vater, der Kaufmann Max Markus Nehlhans (1871–1942), stammte aus Grätz (dem heutigen Grodzisk in Polen) und war spätestens in den 1890er-Jahren nach Berlin gekommen, wo er 1897 Arthurs Mutter Betty Bertha Seide (1875–1942) geheiratet hatte, deren Familie aus Czarnikau (heute Czarnków) stammte. 1898 wurde Arthurs ältere Schwester Frieda geboren. 1902 kam seine jüngere Schwester Lydia und 1906 sein Bruder Richard zur Welt. Im Jahr der Geburt der Zwillinge Arthur und Erich wohnte die Familie in einer Wohnung in der zweiten Etage der Straußbergerstraße 11 (heute überbaut) in Friedrichshain, wo Arthurs Vater einen Reifendienst unterhielt. 1901 eröffnete er ein Schuhwarengroßgeschäft und die Familie zog an die neue Geschäfts- und Wohnadresse in der heute nicht mehr existierenden Katharinenstraße 3 nahe der Georgenkirche. 1905 folgte ein weiterer Umzug in die nahegelegene Gollnowstraße 45 und 1913 schließlich in die Prenzlauer Straße 7–8, wo Max Markus Nehlhans mehrere Jahrzehnte lang ein Geschäft für Luxuspapierwaren und Postkarten führte, welches in den 1930er-Jahren – für kurze Zeit – seine Söhne Arthur und Erich übernahmen.

Über die Kindheit und Jugend von Arthur Nehlhans und seinen Geschwistern im Berlin der Kaiserzeit haben sich nur wenige Informationen erhalten. Die Kaufmannsfamilie dürfte zur gutbürgerlichen Mittelschicht der Hauptstadt gezählt haben. Arthurs Vater war neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Papierwarengeschäfts Gemeindevorsteher der Alten Synagoge in der Heidereutergasse 4. Von Arthurs Bruder Erich ist bekannt, dass er in Berlin eine Mittelschule besuchte und 1918 als Soldat in die Armee eintrat. Über Arthur Nehlhans fehlen solche Informationen. Beide Brüder absolvierten später eine kaufmännische Lehre und waren – wie ihr Vater – als Kaufleute in Berlin tätig. Bis Anfang der 1930er-Jahre lebte Arthur in der elterlichen Wohnung in der Prenzlauer Straße 7–8.

Am 12. März 1931 heiratete er in Berlin die sechs Jahre jüngere, aus Gießen stammende Gertrud Hirschfeld. Gertrud war die Tochter des Gießener Provinzialrabbiners Leo Jehuda Hirschfeld (1867–1933) und der Adele Hirschfeld, geborene Schwab (1876–1924). Nach der Hochzeit nahm sich das Ehepaar eine gemeinsame Wohnung in der Flensburger Straße 20 im Hansaviertel. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Eheleute im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Arthur Nehlhans und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung sowie des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Arthur zunehmend in die Position eines Rechtlosen. 1934 zogen Arthur und Gertrud in die Altonaer Straße 13, nicht allzu weit entfernt von ihrer letzten Wohnung. Im selben Jahr kam am 2. Dezember 1934 ihre Tochter Adele zur Welt. Ob die Familie in den 1930er-Jahren versuchte, aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Einer Schwester von Gertrud gelang 1938 mit ihrem Ehemann und Kindern die Ausreise in die USA. Sollten Arthur und Gertrud ebenfalls konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

Nachdem sich ihr Vater Max Mitte der 1930er-Jahre aus dem Papierwarengeschäft zurückgezogen hatte, führten Arthur und Erich Nehlhans noch einige Jahre das Familiengeschäft fort. Ab 1937/1938 wichen sie auf Ladengeschäfte an ihren Wohnadressen aus: Erich Nehlhans in der Prenzlauer Straße 12a und Arthur Nehlhans in der Artilleriestraße 31, wo er 1938 mit seiner Familie hingezogen war. Beide Brüder schlossen ihre Ladengeschäfte zwangsweise nach den Pogromen im Juni und November 1938 in Berlin.

Ende 1939 oder Anfang 1940 zogen Arthur und Gertrud Nehlhans mit ihrer fünfjährigen Tochter in ihre letzte Berliner Wohnung in der Elsässer Straße 54 (heutige Torstraße 210) in Mitte, wo am 31. Oktober 1941 ihre zweite Tochter Judis zur Welt kam. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familie in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. So konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ ab dem 19. des Monats nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Es ist außerdem sehr wahrscheinlich, dass Arthur und Gertrud zu dieser Zeit zu Zwangsarbeit in Berliner Betrieben herangezogen worden waren.

Der vollständigen Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Arthur Nehlhans und seine Ehefrau erhielten den Deportationsbescheid im Herbst 1942. Sie mussten ihre Wohnung in der Elsässer Straße 54 räumen und wurden mit ihren Töchtern in einem der Berliner Sammellager interniert. Am 29. November 1942 wurden die vier mit dem „23. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Arthur Nehlhans war zum Zeitpunkt der Deportation 43 Jahre alt. Gertrud wurde 37 und die Töchter Adele und Junis nur sieben bzw. ein Jahr alt.

Von Arthurs Familienangehörigen überlebten nur wenige die NS-Verfolgung: Seine Schwester Frieda, verheiratete Rosenthal, wurde mit ihrem Ehemann Ludwig und ihrem Sohn Günther Joachim (*1924) im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Arthurs Bruder Richard wurde am 12. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dessen Ehefrau Rosa, geborene Katzenberg, war kurz vor der Deportation im Februar 1943 in Berlin verstorben. Arthurs Eltern Max, Markus und Bertha Nehlhans wurden am 17. August 1942 aus Berlin in das KZ Theresienstadt deportiert und von dort aus am 19. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie ermordet wurden. Arthurs Bruder Erich überlebte untergetaucht in der Illegalität. Er war nach dem Krieg erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und maßgeblich an deren Wiederaufbau beteiligt. 1948 von einem sowjetischen Militärgericht wegen vorgeblicher Agitation verurteilt, kam er 1950 in Haft im Sonderlager DubrawLag ums Leben. Erichs Ehefrau Edith, geborene Perlinsky, war am 1. März 1943 aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet worden. Arthurs Schwester Lydia, verheiratete Krakauer, wurde im August 1939 nach Polen abgeschoben und laut Angaben von Familienangehörigen mit ihrem Ehemann Adolf Krakauer in den 1940er-Jahren in Auschwitz ermordet. Ihre Tochter Resi Krakauer (*1923) war in Berlin untergetaucht, wurde aber 1943 oder 1944 verhaftet. Anders als ihr Bruder Arno (*1929), der Häftling in Auschwitz, Mauthausen und Buchenwald gewesen war, bevor er befreit wurde, überlebte sie die NS-Verfolgung nicht. Arthurs Schwägerin Rosalie Adler, geborene Hirschfeld, deren Ehemann Jakob Adler und deren Kinder Adele (*1927) und Naomi Adler (*1929) überlebten die NS-Verfolgung im Exil in den USA. Seine Schwägerin Hannah Hirschfeld, verheiratete David, überlebte mit ihrem Ehemann Ernst im Exil im britischen Mandatsgebiet Palästina.