Margarete Regina Mann geb. Becker

Verlegeort
Turmstraße 9
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
09. September 2017
Geboren
22. März 1892 in Berlin
Deportation
am 09. Dezember 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Margarete Becker wurde am 22. März 1892 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des Handschuhmachers und Unternehmers Leib Louis Becker (1859–1914) und von dessen erster Ehefrau Pauline Becker, geborene Podolsky (1853–1905). Ihr Vater stammte ursprünglich aus der Stadt Schmiegel (dem heutigen Śmigiel in Polen), die damals zur preußischen Provinz Posen gehörte; ihre Mutter aus der kleinen westpommerschen Ortschaft Büche (heutiges Wiechowo in Polen). Im Juni 1883 hatten ihre Eltern in Berlin geheiratet und sich eine gemeinsame Wohnung in der Hauptstadt genommen. Um die Jahrhundertwende gründete Margaretes Vater zusammen mit einem seiner Brüder das schnell wachsende Herrenausstattungsgeschäft „Gebr. Becker“ mit Ladenkontor in der Wilsnacker Straße 66 in Moabit, einer Handschuh- und Schirmfabrik in der Friedrichstraße 212 und Filialen in der Turmstraße 9, 10 und 30. Die Wohnung der Beckers lag in der Wilsnacker Straße 9 in Moabit. Margarete wuchs im Kreis von drei Geschwistern auf: Ihr älterer Bruder Max war 1884 in Berlin geboren worden; ihre Schwestern Gertrud Rosa und Belsora (Bella genannt) in den Jahren 1886 und 1888. 1905 – da war Margarete gerade erst dreizehn Jahre alt – verstarb ihre Mutter in Berlin. Louis Becker heiratete in zweiter Ehe Anna Mendelsohn (*1877). 1907 kam im oberschlesischen Zabrze Margaretes Halbschwester Selma zur Welt. Nach dem Tod von Louis Becker 1914 wurde das Geschäft „Gebr. Becker“ geteilt: Die Ladenzeile zur Wilsnacker Straße 66 wurde von Louis’ Schwager Arthur Kroll, dem Ehemann von Else Kroll, geborene Mendelsohn als Herrenausstattung weitergeführt, während Margaretes Schwester Bella mit ihrem Ehemann Leo Mendelsohn den Geschäftsteil zur Turmstraße hin als Schirm- und Lederwarenhandlung betrieben.

Margarete heiratete am 20. September 1910 den Bankbeamten und späteren Revisor Karl Friedrich Hermann Tschierschke. Das Ehepaar nahm sich eine Wohnung in der Levetzowstraße 19a in Moabit. Die Ehe von Margarete und Karl Friedrich Hermann Tschierschke sollte kinderlos bleiben und wurde im Juli 1920 geschieden. Nach der Scheidung arbeitete Margarete als Verkäuferin in Berlin, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie nahm sich eine Wohnung in der Turmstraße 37. In unmittelbarer Nähe, in der Turmstraße 36, wohnte zu dieser Zeit ihr Bruder Max. Ihre Schwester Gertrud Rosa war bereits 1911 in Berlin verstorben. Am 7. März 1924 heiratete Margarete Tschierschke in zweiter Ehe den in Stettin (Szczecin) lebenden Kaufmann Max Mann. Max war der Sohn des Kaufmanns Moses Mann und der Luise Mann, geborene Falkson. Er stammte aus Gollnow (Goleniów), hatte eine Zeitlang in Berlin gelebt, bevor er sich nach Ende des Ersten Weltkriegs in Stettin niedergelassen hatte. Nach der Eheschließung zog Margarete Mann zu ihrem Mann nach Stettin, wo sich das Paar eine Wohnung an der Adresse Kurfürstenstraße 5 (heute: ul. Mikołaja Kopernika) nahe des Andersparks (heute: Park gen. Władysława Anders) nahm. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Eheleute in Stettin während der Zeit der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Margarete Mann und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung sowie des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte. Gesetze und Sondererlasse drängten Margarete Mann zunehmend in die Position einer Rechtlosen im eigenen Land. Seit 1933 wurde ein Großteil der Stettiner Jüdinnen und Juden politisch drangsaliert und zur Auswanderung genötigt. Im Oktober 1936 verließen Magarete Mann und ihr Ehemann Stettin und zogen nach Berlin, wo sie sich eine Wohnung in der Turmstraße 9, 2. Etage Vorderhaus, in Moabit nahmen, die sie sich später mit einer Untermieterin teilen mussten. Max arbeitete in der Hauptstadt als Handelsvertreter, bis er gezwungenermaßen auch dieser Tätigkeit Ende der 1930er-Jahre nicht mehr nachgehen konnte. Aus den erhaltenen Quellen geht nicht hervor, ob Margarete und Max Mann in den 1930er-Jahren nach Wegen suchten, Deutschland zu verlassen. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Manns in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“, die zum 19. September in Kraft trat, nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Sowohl Margarete Mann als auch ihr Ehemann wurden außerdem zu Zwangsarbeit herangezogen: Max zuletzt zu körperlicher Schwerstarbeit als „Erdarbeiter“ der Deutschen Reichsbahn im Oberbaustofflager Köpenick; Margarete unter nicht minder menschenunwürdigen Bedingungen im Siemensstädter Kleinbauwerk der Siemens-Schuckertwerke AG.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Margarete und Max Mann erhielten den Deportationsbescheid im Winter 1942. Sie wurden im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Von dort aus wurden sie am 9. Dezember 1942 mit dem „24. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports – ermordet. Margarete Mann war zum Zeitpunkt der Deportation 50 Jahre alt.

Nur wenige der Familienangehörigen von Margarete Mann überlebten die NS-Zeit: Margaretes Bruder Max Becker war 1933 in Berlin verstorben. Dessen Sohn Heinz Lutz Becker (*1920) konnte sich in den 1930er-Jahren nach England flüchten und überlebte die NS-Verfolgung im Exil. Seine Mutter Ernestine Becker, geborene Preiss (*1893), wurde mit ihrem zweiten Ehemann Georg Lippmann (*1889) im März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Margaretes Schwester Belsora wurde zusammen mit ihrer Tochter Lieselotte Mendelsohn (*1924) im November 1941 in das Ghetto Minsk deportiert und ermordet. Ihr Ehemann, Leo Mendelsohn (*1885), war 1939 in Berlin, nachdem er Häftling im KZ Sachsenhausen gewesen war, an den Folgen von Haft und Folter verstorben. Bellas Sohn Erwin Mendelsohn (*1914) überlebte die NS-Verfolgung im Exil in Palästina. Margaretes Schwager Franz Mann (*1890) wurde zusammen mit seiner Ehefrau Käthe, geborene Lewinsohn (*1900) und seinen drei Kindern Günther (*1923), Dagmar (*1928) und Karin (*1933) aus ihrer letzten Berliner Wohnung im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert, wo alle fünf Familienmitglieder ermordet wurden.