Hedwig Goldstein geb. Jaraczewer

Verlegeort
Westfälische Str. 59
Bezirk/Ortsteil
Halensee
Verlegedatum
15. Februar 2014
Geboren
03. Mai 1880 in Schivelbein / Świdwin
Deportation
am 15. August 1942 nach Riga
Ermordet
18. August 1942 in Riga

Hedwig Goldstein, geb. Jaraczewer, verwitwete Kantorowicz, die am 30. September 1880 in Ostrowo (Kreis Posen/Poznan) geboren wurde, war eine polnische Jüdin und lebte schon mit ihrem ersten Ehemann Edmund Kantorowicz in Berlin, der anfangs in der Winterfeldtstraße 25, dann in der Luitpoldstraße 31, später in der Hohenstaufenstraße 25 wohnte und von 1896 bis 1927 Inhaber der Berliner West-Buchhandlung in der Potsdamer Straße 135 war, die 1904 als Gewerbebetrieb registriert wurde. <br />
<br />
Am 1. Juni 1903 wurde ihr Sohn Ernst Max Kantorowicz geboren. Die Mutter stammte aus einer wohlhabenden polnischen Familie, lernte ihren ersten Ehemann vermutlich in seiner Buchhandlung kennen und widmete sich nach der Geburt des zweiten Sohnes Kurt-Heinz Kantorowicz am 23. September 1918, wie damals in gutsituierten bürgerlichen Mittelstandsfamilien üblich, der Familie und dem Haushalt. So jedenfalls berichtete Kurt, der 1938 mit einem Kindertransport entkommen und sich in die USA retten konnte. Dort änderte er seine Namen in Kurt Kent. Er arbeitete in seinem noch in Berlin erlernten Tischlerberuf zunächst in New York, später in Detroit und erfuhr erst in den 1950er Jahren vom Holocaust-Schicksal seiner Mutter und seines älteren Bruders.<br />
<br />
Edmund Kantorowicz, der Buchhändler aus der Potsdamer Straße, starb wahrscheinlich 1927 – doch sein Geschäft bestand weiter unter seinem Namen, aber an neuem Standort und unter der Inhaberschaft seiner Witwe. <br />
<br />
Seit 1928 war sie im Einwohnerverzeichnis und im Gebäudeverzeichnis des Adressbuchs eingetragen. 1933 stand dann allein H.’s Name im Adressbuch. Im Branchenbuch 1935 stand wiederum E. Kantorowicz, allerdings in der Westfälischen Straße 59. Und im Adressbuch 1938 war unter der Westfälischen Straße 59 angegeben: <br />
<br />
Hedwig Goldstein heiratete wieder, aber ihr zweiter Mann, der Kaufmann Max Goldstein, hinterließ keine Spuren in Berlin. Er emigrierte ohne seine Ehefrau entweder 1934 oder 1938/39 nach Argentinien und starb 1952 in Buenos Aires. Für das frühere Datum spricht, dass Ernst Kantorowicz 1934 zur Mutter in die Westfälische Straße 59 zog. Kurt, der 1938 verließ, suchte seinen Stiefvater Goldstein erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, als die Berliner Entschädigungsbehörde einen Nachweis für seine alleinige Erbberechtigung verlangte. Die Ehe von Hedwig und Max Goldstein war kinderlos, auch die beiden Söhne blieben unverheiratet und hatten keine Kinder.<br />
<br />
1938 wurde die West-Buchhandlung liquidiert. 1942, als Hedwig Goldstein immer noch unter dem Namen Kantorowicz im Adressbuch stand, musste sie als Zwangsarbeiterin bei der Firma Rappe, Ernst & Hecht in Reinickendorf arbeiten und vierdiente 36 Reichsmark wöchentlich. Der Sohn Ernst Kantorowicz verdiente im Elektroinstallationsgeschäft Theodor Körner in Friedenau damals 80 RM in der Woche. Ihre Zweizimmer-Wohnung im zweiten Stock des Hauses Westfälische Straße 59, das dem jüdischen Ehepaar Carl und Johanna Fuchs gehörte, die beide am 23. September 1942 nach Theresienstadt deportiert worden sind, kostete 88,20 RM Miete. Zuletzt mussten sich Mutter und Sohn auf ein einziges Zimmer beschränken, um das zweite für 50 RM an Sara Reimann (Sara war wahrscheinlich der ihr aufgezwungene, nicht ihr echter Vorname) unterzuvermieten.<br />
<br />
Am 14. August 1942 wurden Mutter und Sohn von der Geheimen Staatspolizei abgeholt und in die Sammelstelle in der entweihten Synagoge Levetzowstraße in Moabit verschleppt. Tags zuvor hatten sie Vermögenserklärungen ausfüllen müssen, wonach beide fast nichts mehr besaßen. Hedwig Goldstein hatte ein Konto bei der Commerzbank mit 180 RM Guthaben.<br />
<br />
Dieses Guthaben und die ausstehenden Löhne wurden von der Oberfinanzdirektion beansprucht und eingezogen. Das Wohnungsinventar wurde vom Obergerichtsvollzieher Karl Schneider auf 1 330 RM geschätzt und an einen Händler für 931 RM verhökert. Am 8.10.1942 wurde die Wohnung geräumt. Im November erstattete die BEWAG noch 10 RM für vorausbezahlten Strom zurück, die Gothaer Feuerversicherung forderte nachträglich von der Oberfinanzverwaltung eine Prämie mit dem Hinweis: „Die Versicherungsnehmerin ist unbekannt verzogen.“ Und noch im März 1943 meldete sich das Finanzamt Wilmersdorf und verlangte von Ernst Kantorowicz 10 RM Vermögenssteuer plus 2 RM Vollstreckungsgebühr, was von der übergeordneten an die nachgeordnete Behörde beglichen wurde. Selbst diese allerletzte Gewinn- und Verlustrechnung bei der vollständigen Entrechtung und Ausraubung der deutschen Juden war im zuletzt 1941 novellierten „Reichsbürgergesetz“ geregelt worden.<br />
<br />
Am 15. August 1942 sind Hedwig Goldstein und Ernst Kantorowicz zu Fuß aus Moabit durch bewohnte Straßen nach Grunewald und dort am Gleis 17 mit über 1 000 anderen Verfolgten in die überfüllten Güterwagen getrieben worden. Drei Tage später wurden sie nach der Ankunft in den Wäldern um Riga erschossen.

Hedwig Goldstein, geb. Jaraczewer, verwitwete Kantorowicz, die am 30. September 1880 in Ostrowo (Kreis Posen/Poznan) geboren wurde, war eine polnische Jüdin und lebte schon mit ihrem ersten Ehemann Edmund Kantorowicz in Berlin, der anfangs in der Winterfeldtstraße 25, dann in der Luitpoldstraße 31, später in der Hohenstaufenstraße 25 wohnte und von 1896 bis 1927 Inhaber der Berliner West-Buchhandlung in der Potsdamer Straße 135 war, die 1904 als Gewerbebetrieb registriert wurde.

Am 1. Juni 1903 wurde ihr Sohn Ernst Max Kantorowicz geboren. Die Mutter stammte aus einer wohlhabenden polnischen Familie, lernte ihren ersten Ehemann vermutlich in seiner Buchhandlung kennen und widmete sich nach der Geburt des zweiten Sohnes Kurt-Heinz Kantorowicz am 23. September 1918, wie damals in gutsituierten bürgerlichen Mittelstandsfamilien üblich, der Familie und dem Haushalt. So jedenfalls berichtete Kurt, der 1938 mit einem Kindertransport entkommen und sich in die USA retten konnte. Dort änderte er seine Namen in Kurt Kent. Er arbeitete in seinem noch in Berlin erlernten Tischlerberuf zunächst in New York, später in Detroit und erfuhr erst in den 1950er Jahren vom Holocaust-Schicksal seiner Mutter und seines älteren Bruders.

Edmund Kantorowicz, der Buchhändler aus der Potsdamer Straße, starb wahrscheinlich 1927 – doch sein Geschäft bestand weiter unter seinem Namen, aber an neuem Standort und unter der Inhaberschaft seiner Witwe.

Seit 1928 war sie im Einwohnerverzeichnis und im Gebäudeverzeichnis des Adressbuchs eingetragen. 1933 stand dann allein H.’s Name im Adressbuch. Im Branchenbuch 1935 stand wiederum E. Kantorowicz, allerdings in der Westfälischen Straße 59. Und im Adressbuch 1938 war unter der Westfälischen Straße 59 angegeben:

Hedwig Goldstein heiratete wieder, aber ihr zweiter Mann, der Kaufmann Max Goldstein, hinterließ keine Spuren in Berlin. Er emigrierte ohne seine Ehefrau entweder 1934 oder 1938/39 nach Argentinien und starb 1952 in Buenos Aires. Für das frühere Datum spricht, dass Ernst Kantorowicz 1934 zur Mutter in die Westfälische Straße 59 zog. Kurt, der 1938 verließ, suchte seinen Stiefvater Goldstein erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, als die Berliner Entschädigungsbehörde einen Nachweis für seine alleinige Erbberechtigung verlangte. Die Ehe von Hedwig und Max Goldstein war kinderlos, auch die beiden Söhne blieben unverheiratet und hatten keine Kinder.

1938 wurde die West-Buchhandlung liquidiert. 1942, als Hedwig Goldstein immer noch unter dem Namen Kantorowicz im Adressbuch stand, musste sie als Zwangsarbeiterin bei der Firma Rappe, Ernst & Hecht in Reinickendorf arbeiten und vierdiente 36 Reichsmark wöchentlich. Der Sohn Ernst Kantorowicz verdiente im Elektroinstallationsgeschäft Theodor Körner in Friedenau damals 80 RM in der Woche. Ihre Zweizimmer-Wohnung im zweiten Stock des Hauses Westfälische Straße 59, das dem jüdischen Ehepaar Carl und Johanna Fuchs gehörte, die beide am 23. September 1942 nach Theresienstadt deportiert worden sind, kostete 88,20 RM Miete. Zuletzt mussten sich Mutter und Sohn auf ein einziges Zimmer beschränken, um das zweite für 50 RM an Sara Reimann (Sara war wahrscheinlich der ihr aufgezwungene, nicht ihr echter Vorname) unterzuvermieten.

Am 14. August 1942 wurden Mutter und Sohn von der Geheimen Staatspolizei abgeholt und in die Sammelstelle in der entweihten Synagoge Levetzowstraße in Moabit verschleppt. Tags zuvor hatten sie Vermögenserklärungen ausfüllen müssen, wonach beide fast nichts mehr besaßen. Hedwig Goldstein hatte ein Konto bei der Commerzbank mit 180 RM Guthaben.

Dieses Guthaben und die ausstehenden Löhne wurden von der Oberfinanzdirektion beansprucht und eingezogen. Das Wohnungsinventar wurde vom Obergerichtsvollzieher Karl Schneider auf 1 330 RM geschätzt und an einen Händler für 931 RM verhökert. Am 8.10.1942 wurde die Wohnung geräumt. Im November erstattete die BEWAG noch 10 RM für vorausbezahlten Strom zurück, die Gothaer Feuerversicherung forderte nachträglich von der Oberfinanzverwaltung eine Prämie mit dem Hinweis: „Die Versicherungsnehmerin ist unbekannt verzogen.“ Und noch im März 1943 meldete sich das Finanzamt Wilmersdorf und verlangte von Ernst Kantorowicz 10 RM Vermögenssteuer plus 2 RM Vollstreckungsgebühr, was von der übergeordneten an die nachgeordnete Behörde beglichen wurde. Selbst diese allerletzte Gewinn- und Verlustrechnung bei der vollständigen Entrechtung und Ausraubung der deutschen Juden war im zuletzt 1941 novellierten „Reichsbürgergesetz“ geregelt worden.

Am 15. August 1942 sind Hedwig Goldstein und Ernst Kantorowicz zu Fuß aus Moabit durch bewohnte Straßen nach Grunewald und dort am Gleis 17 mit über 1 000 anderen Verfolgten in die überfüllten Güterwagen getrieben worden. Drei Tage später wurden sie nach der Ankunft in den Wäldern um Riga erschossen.