Gertrud Grodszinsky geb. Eisenstein

Verlegeort
Wielandstr. 17
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
01. Juli 2010
Geboren
10. Mai 1900 in Krebschen / Pokrovskoe
Deportation
am 29. Januar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Gertrud Grodszinsky wurde als Gertrud Ewenstein am 10. Mai 1900 in Krebschen geboren, ein kleines Dorf im Kreis Insterburg in Ostpreußen. Heute liegt es im russischen Oblast Kaliningrad (früher: Königsberg) und heißt Pokrowskoje. Gertruds Eltern, Josef Ewenstein und Anna, geb. Starsky, stammten aus Wystiten, heute ein litauischer Grenzort. Josef war Landwirt, Gastwirt und Pferdehändler. Gertrud hatte drei Schwestern, Jenny, Grete und Ida. <br />
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1922 heiratete Gertrud Leo Grodszinsky in Berschkallen (gegenwärtig auch zu Kaliningrad gehörig), wo Ewensteins inzwischen lebten. Leo betrieb ein Textilwarengeschäft in Insterburg und dort wurde am 28. April 1925 Gertruds und Leos Tochter Margot Astrid Grodszinsky geboren. 1928 siedelte die Familie nach Königsberg um, wo Leo Grodszinskys Geschäft – trotz Wirtschaftskrise – sehr gut gelaufen sein soll. Nicht ganz klar ist, warum sie dennoch 1932 nach Berlin zogen. Gertruds Schwester Ida war schon früher nach Berlin gegangen und 1929 an einer Grippe gestorben. Grodszinskys bezogen in der Hauptstadt eine komfortable 4½-Zimmer-Wohnung in der Nachodstraße 1. <br />
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Leo wurde Hauptinhaber der Firma A. Wolff & Co, Textil-Gelegenheitskäufe, mit der Adolf Wolff 1932 Konkurs gegangen war, die aber nun, mit Leos Kapital und auf ihn und Adolfs Frau Anna Wolff eingetragen, wieder florierte. Gertrud, die die Handelsschule in Insterburg besucht hatte, arbeitete als Buchhalterin in der Firma mit. Auch Gertruds Schwager Siegfried Bernhard, der Mann ihrer Schwester Grete, beteiligte sich eine Zeitlang an dem Unternehmen, bis er 1935 sein eigenes Geschäft aufmachte. 1935 zog die Firma A. Wolff von der Kaiser-Wilhelm-Straße in Mitte (heute Karl-Liebknecht-Straße) in ein größeres Geschäftslokal in der Heiligegeiststraße um die Ecke. Die Geschäfte liefen weiterhin gut – bis 1937. Denn inzwischen machten sich auch für Leo Grodszinsky die Folgen der antisemitischen Diskriminierungen wirtschaftlich bemerkbar. Leo und Gertrud sahen sich gezwungen, in eine bescheidenere Wohnung in der Wielandstraße 17 umzuziehen.<br />
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Am 11. November 1938, im Zuge der Novemberpogrome, wurde Leo Grodszinsky festgenommen und in Sachsenhausen inhaftiert. Als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg wurde er bereits am 23. November wieder entlassen, aber mit der Auflage, das Land sofort zu verlassen. Leo, der sich in Sachsenhausen einen Leistenbruch geholt hatte, musste operiert werden, und die Ausreise fand erst im Juni 1939 statt. Durch Vermittlung der jüdischen Gemeinde kam er in ein Lager für jüdische Flüchtlinge in England. Das Geschäft hatte er in aller Eile an einen Herrn Hugo Scheidgen verkauft, die Wechselscheine sollen aber nie eingelöst worden sein. Die Firma wurde 1940 auf Antrag von Anna Wolff gelöscht.<br />
<br />
Leo hatte nach eigenen Angaben seiner Frau 25000 RM hinterlassen, um ihre und ihrer Tochter Flucht zu organisieren. Die Vorbereitungen gingen auch voran, unter anderem waren zwei große Schrankkoffer schon gekauft worden, aber mit Beginn des Krieges verwehrte man Juden die Auswanderung. In England wurde Leo als Kriegsgefangener behandelt und im Juni 1940 nach Australien in ein Gefangenenlager deportiert.<br />
<br />
Gertrud, bei der seit 1938 ihre alten Eltern wohnten, wurden zu Zwangsarbeit herangezogen und auch die 14/15-jährige Margot – die davon geträumt hatte, Kinderärztin zu werden. Noch zur Jahreswende 1942/43 sprachen beide in Briefen an Leo von der Hoffnung, irgendwann mit ihm wieder zusammenzukommen, waren aber „dankbar für jeden Tag, wo wir unsere alte Adresse haben“, es seien schon viele aus der Wielandstraße „abgeholt“ worden. Auch Gertruds Eltern, von denen sie keine Nachricht habe, wie sie an Leo schrieb. Margot schrieb ebenfalls an ihren Vater, bemühte sich um optimistische Stimmung. Vermutlich waren das ihre letzten Briefe, denn Ende Januar wurden auch Gertrud und Margot „abgeholt“, in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 gebracht und am 29. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. <br />
<br />
Wir wissen nicht, ob sie dort sofort ermordet wurden oder ob sie zu den 140 Frauen von 1004 mit dem gleichen Zug Deportierten gehörten, die zunächst – nebst 140 Männern – zur Arbeit „selektiert“ wurden. Auschwitz überlebten beide nicht. <br />
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Leo Grodszinsky blieb in Australien, heiratete 1950 erneut und starb 1965. Josef und Anna Ewenstein, Gertruds Eltern, wurden im August 1942 nach Theresienstadt und kurz darauf nach Treblinka deportiert und dort umgebracht. Gertruds Schwester Grete konnte noch 1941 mit Mann und zwei Kindern über Portugal in die USA flüchten, Jenny floh mit ihrem Mann Gabriel Schwartz nach Antwerpen, beide wurden dort aber aufgegriffen und Mitte Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt – möglich, aber eher unwahrscheinlich, dass Gertrud sie in Auschwitz noch mal gesehen hat. Anna Wolff geb. Kopelmann (auch Chana genannt), die Firmenmitinhaberin, wurde im Dezember 1942 deportiert und in Riga ermordet.<br />
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Gertrud Grodszinsky wurde als Gertrud Ewenstein am 10. Mai 1900 in Krebschen geboren, ein kleines Dorf im Kreis Insterburg in Ostpreußen. Heute liegt es im russischen Oblast Kaliningrad (früher: Königsberg) und heißt Pokrowskoje. Gertruds Eltern, Josef Ewenstein und Anna, geb. Starsky, stammten aus Wystiten, heute ein litauischer Grenzort. Josef war Landwirt, Gastwirt und Pferdehändler. Gertrud hatte drei Schwestern, Jenny, Grete und Ida.

1922 heiratete Gertrud Leo Grodszinsky in Berschkallen (gegenwärtig auch zu Kaliningrad gehörig), wo Ewensteins inzwischen lebten. Leo betrieb ein Textilwarengeschäft in Insterburg und dort wurde am 28. April 1925 Gertruds und Leos Tochter Margot Astrid Grodszinsky geboren. 1928 siedelte die Familie nach Königsberg um, wo Leo Grodszinskys Geschäft – trotz Wirtschaftskrise – sehr gut gelaufen sein soll. Nicht ganz klar ist, warum sie dennoch 1932 nach Berlin zogen. Gertruds Schwester Ida war schon früher nach Berlin gegangen und 1929 an einer Grippe gestorben. Grodszinskys bezogen in der Hauptstadt eine komfortable 4½-Zimmer-Wohnung in der Nachodstraße 1.

Leo wurde Hauptinhaber der Firma A. Wolff & Co, Textil-Gelegenheitskäufe, mit der Adolf Wolff 1932 Konkurs gegangen war, die aber nun, mit Leos Kapital und auf ihn und Adolfs Frau Anna Wolff eingetragen, wieder florierte. Gertrud, die die Handelsschule in Insterburg besucht hatte, arbeitete als Buchhalterin in der Firma mit. Auch Gertruds Schwager Siegfried Bernhard, der Mann ihrer Schwester Grete, beteiligte sich eine Zeitlang an dem Unternehmen, bis er 1935 sein eigenes Geschäft aufmachte. 1935 zog die Firma A. Wolff von der Kaiser-Wilhelm-Straße in Mitte (heute Karl-Liebknecht-Straße) in ein größeres Geschäftslokal in der Heiligegeiststraße um die Ecke. Die Geschäfte liefen weiterhin gut – bis 1937. Denn inzwischen machten sich auch für Leo Grodszinsky die Folgen der antisemitischen Diskriminierungen wirtschaftlich bemerkbar. Leo und Gertrud sahen sich gezwungen, in eine bescheidenere Wohnung in der Wielandstraße 17 umzuziehen.

Am 11. November 1938, im Zuge der Novemberpogrome, wurde Leo Grodszinsky festgenommen und in Sachsenhausen inhaftiert. Als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg wurde er bereits am 23. November wieder entlassen, aber mit der Auflage, das Land sofort zu verlassen. Leo, der sich in Sachsenhausen einen Leistenbruch geholt hatte, musste operiert werden, und die Ausreise fand erst im Juni 1939 statt. Durch Vermittlung der jüdischen Gemeinde kam er in ein Lager für jüdische Flüchtlinge in England. Das Geschäft hatte er in aller Eile an einen Herrn Hugo Scheidgen verkauft, die Wechselscheine sollen aber nie eingelöst worden sein. Die Firma wurde 1940 auf Antrag von Anna Wolff gelöscht.

Leo hatte nach eigenen Angaben seiner Frau 25000 RM hinterlassen, um ihre und ihrer Tochter Flucht zu organisieren. Die Vorbereitungen gingen auch voran, unter anderem waren zwei große Schrankkoffer schon gekauft worden, aber mit Beginn des Krieges verwehrte man Juden die Auswanderung. In England wurde Leo als Kriegsgefangener behandelt und im Juni 1940 nach Australien in ein Gefangenenlager deportiert.

Gertrud, bei der seit 1938 ihre alten Eltern wohnten, wurden zu Zwangsarbeit herangezogen und auch die 14/15-jährige Margot – die davon geträumt hatte, Kinderärztin zu werden. Noch zur Jahreswende 1942/43 sprachen beide in Briefen an Leo von der Hoffnung, irgendwann mit ihm wieder zusammenzukommen, waren aber „dankbar für jeden Tag, wo wir unsere alte Adresse haben“, es seien schon viele aus der Wielandstraße „abgeholt“ worden. Auch Gertruds Eltern, von denen sie keine Nachricht habe, wie sie an Leo schrieb. Margot schrieb ebenfalls an ihren Vater, bemühte sich um optimistische Stimmung. Vermutlich waren das ihre letzten Briefe, denn Ende Januar wurden auch Gertrud und Margot „abgeholt“, in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 gebracht und am 29. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert.

Wir wissen nicht, ob sie dort sofort ermordet wurden oder ob sie zu den 140 Frauen von 1004 mit dem gleichen Zug Deportierten gehörten, die zunächst – nebst 140 Männern – zur Arbeit „selektiert“ wurden. Auschwitz überlebten beide nicht.

Leo Grodszinsky blieb in Australien, heiratete 1950 erneut und starb 1965. Josef und Anna Ewenstein, Gertruds Eltern, wurden im August 1942 nach Theresienstadt und kurz darauf nach Treblinka deportiert und dort umgebracht. Gertruds Schwester Grete konnte noch 1941 mit Mann und zwei Kindern über Portugal in die USA flüchten, Jenny floh mit ihrem Mann Gabriel Schwartz nach Antwerpen, beide wurden dort aber aufgegriffen und Mitte Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt – möglich, aber eher unwahrscheinlich, dass Gertrud sie in Auschwitz noch mal gesehen hat. Anna Wolff geb. Kopelmann (auch Chana genannt), die Firmenmitinhaberin, wurde im Dezember 1942 deportiert und in Riga ermordet.