Helene Toczek

Verlegeort
Wilhelmsaue 136
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
30. Juli 2005
Geboren
04. Mai 1884 in Lublinitz (Schlesien) / Lubliniec
Deportation
am 04. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Helene Toczek kam am 4. Mai 1884 in Lublinitz, einem Ort am Rande des oberschlesischen Hütten- und Industriereviers (heute: Lubliniec/Polen), als Tochter des Brauereibesitzers Arnold Toczek und seiner Ehefrau Selma, geb. Friedenstein, auf die Welt. Sie war das zweite Kind ihrer Eltern, nach der 1882 geborenen Schwester Martha. Die beiden Schwestern sollten ledig bleiben und als „Töchter“ mit den Eltern und nach deren Tod als „Geschwister Toczek“ viele Jahre in einem gemeinsamen Haushalt leben – dies war damals nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich war es eher, dass die beiden später einen der für Frauen neuen Büroberufe ergriffen.

In Lublinitz gab es seit 1821 eine Synagoge und seit 1845 (1855) einen jüdischen Friedhof. Zu den wenigen erhaltenen Grabsteinen gehört der eines Vorfahren von Helene Toczek. Ihre zahlreichen Verwandten lebten über Generationen in Oberschlesien oder waren von dort nach Breslau und Berlin gegangen. Auch ihre Eltern waren Oberschlesier, die Mutter stammte aus der Nähe von Kattowitz, der Vater aus Boronow (Boronów), einem Dorf im Landkreis Lublinitz.

Anfang Juli 1904 starb Helenes Mutter Selma Toczek nach langer Krankheit in der Berliner Wohnung ihres Bruders Daniel Friedenstein (1853–1920). Sie war in Berlin nur „auf der Durchreise“ gewesen, ihre Heimat mit Ehemann und Kindern war noch immer Lublinitz – aber sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee begraben.

Der erste Vorfahr von Helene Troczek war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aus Lublinitz nach Berlin gekommen, er hatte sich taufen lassen und seinen Vornamen geändert. Mehr als ein halbes Jahrhundert später finden sich im Berliner Adressbuch von 1908 die Schwestern Helene und Martha Toczek als „Frls.“ mit dem Beruf Verkäuferin. Sie wohnten in der ersten Etage des gerade fertig gebauten Hauses Chodowieckistraße 15 in Berlin-Prenzlauer Berg. Ein Jahr später lebte dort auch der verwitwete Vater, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und nun der „Haushaltsvorstand“ war. Die Wohnung wurde wohl zu klein, und Vater und Töchter zogen in die Nähe der Spree, zuerst in die Lessingstraße 32 (ein nicht mehr existierendes Haus im heutigen Hansaviertel), dann in das Gartenhaus der Thomasiusstraße 11. Die Nachbarn – zumindest die Bewohner des Vorderhauses – waren nun andere, nicht mehr die Handwerker, kleinen Kaufleute, Briefträger und Schutzmänner der Chodwieckistraße, sondern auch Offiziere oder Künstler wie der Opernsänger Julius Lieban (1857–1940) in der Lessingstraße 32.

Der Vater starb bereits nach kurzer Zeit in der Thomasiusstraße. Im Adressbuch von 1912 ist Helenes Schwester Martha als „Buchhalterin“ die Hauptmieterin der Wohnung. In den folgenden Jahren wurden die beiden Schwestern in den Berliner Adressbüchern – wenn überhaupt – als Stenotypistinnen oder Korrespondentinnen notiert. Helene Toczek muss zumindest eine zeitlang bei der Metallgesellschaft AG Frankfurt/Main gearbeitet haben. Das 1881 gegründete Unternehmen für Rohstoffhandel und Bergbau besaß ein Büro im Berliner Bankenviertel.

Anfang der 1920er-Jahre zogen die Schwestern in den vierten Stock des Gartenhauses Bleibtreustraße 32 und wohnten dort fast zehn Jahre. – Zu den Bewohnern des Hauses gehörten später Max und Amalie Rychwalski, umgekommen in Theresienstadt, an die seit 2005 zwei Stolpersteine erinnern.

Um 1934 besaßen Helene Toczek und ihre Schwester ein letztes Mal und nur für sehr kurze Zeit eine gemeinsame Wohnung: Das Wohnhaus stand (und steht noch immer) in der Wilskistraße 49a am Rand der berühmten Waldsiedlung Zehlendorf, gebaut von der Gagfah (Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten).

Danach scheint Helene Toczek erst 1936 wieder Hauptmieterin einer Wohnung gewesen zu sein: Als Rentnerin wohnte sie nun allein in der Wilhelmsaue 136 und bezog eine Pension der Versorgungskasse der Beamten der Metallgesellschaft – eine „Betriebsrente“, würden wir heute sagen.

Die Wohnung war klein. Helene Toczeks Schwester Martha war psychisch krank geworden: Im Mai 1939 lebte sie bereits in den Wittenauer Heilstätten. Von dort kam sie am 9. Juli 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch und weiter noch in demselben Monat in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel. In der ehemaligen Strafanstalt, eine der sechs Tötungsanstalten der „Aktion T4“, wurde Martha Toczek mit Giftgas ermordet.

Helene Toczek lebte nach dem Tod ihrer Schwester noch fast drei Jahre in der Wilhelmsaue 136.

Am 4. März 1943 wurde sie mit dem „34. Osttransport“ nach Auschwitz verschleppt. Über 1100 Menschen kamen nach zwei Tagen in Auschwitz an. Von den Frauen wurden nur 96 zur Zwangsarbeit in das Lager selektiert – es werden die jungen und kräftigen Frauen gewesen sein. Die übrigen Frauen und Mädchen wurden sofort ermordet. Helene Toczek gehörte zu den Ermordeten.