Hulda Zadek née Adelsheimer

Location 
Schierkerstraße 5
District
Neukölln
Stone was laid
14 November 2009
Born
05 August 1886 in Schermbeck
Deportation
on 02 April 1942 to the Ghetto Warschau
Murdered

Am 13. Juli 1933 unterschrieb Siegfried Zadek den Mietvertrag für seine Parterre-Neubauwohnung in der Schierker Straße 5 unweit des Körnerparks. Im Vorderhaus bezog er mit seiner Frau Hulda und den damals neunjährigen Zwillingstöchtern Hanna und Ruth dreieinhalb Zimmer auf 93 Quadratmetern. Weil ihn sein Arbeitgeber, das Discount-Warenhaus EPA („Einheitspreis Aktiengesellschaft“), nach Berlin versetzt hatte, war die Familie von Hannover in die Hauptstadt umgezogen. Mit in die Wohnung zog außerdem Siegfrieds 70-jährige Mutter Wilhelmine Zadek, geborene Löwenherz.<br />
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Siegfried Zadeks Familie war ursprünglich in Magdeburg ansässig. Den jungen Mann, 1889 geboren, zog es früh aus Sachsen-Anhalt fort: Ab 1906 arbeitete Siegfried Zadek als Verkäufer in Einrichtungshäusern, Kaufhäusern und Konfektionsgeschäften in Brandenburg (Havel), Halle, Berlin, Düsseldorf und Dortmund. Seit Ende der 1920er Jahre leitete er EPA-Filialen in Hildesheim und Hannover. Seine Frau Hulda, die aus Schermbeck in Nordrhein-Westfalen stammte, war in derselben Branche wie ihr Mann tätig: Als Verkäuferin für Damenkonfektion arbeitete sie vor 1933 ebenfalls im Warenhaus EPA, zeitweise auch in Düsseldorf und Recklinghausen.<br />
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Siegfried und Hulda Zadek engagierten sich nicht nur in der Jüdischen Gemeinde. Siegfried war als Weltkriegsteilnehmer seit Vereinsgründung im Jahr 1919 führendes Mitglied im „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“. Jahrelang hatte er außerdem den Vorsitz der jüdischen Jugendbünde Magdeburg und Düsseldorf inne. Dort hat er, wie es 1938 der Neuköllner Rabbiner Kantorowsky in einem Empfehlungsschreiben lobend erwähnt, „werbend, belehrend, organisierend und schriftstellernd – als Verfasser der Broschüre ‚Iwri Onauchi‘ – sich um die heranwachsende jüdische Jugend außerordentliche Verdienste erworben.“ Im selben Jahr 1938 verlor er seine Arbeit als Textilien-Einkäufer und Abteilungsleiter im „WIRO Haus für Bedarfsartikel“ in Berlin, weil die Firma aufgrund ihres jüdischen Eigentümers Willy Rosenthal liquidiert wurde. Siegfried Zadek suchte sich ein neues Betätigungsfeld, beriet und betreute fortan auswanderungswillige Juden. Seine Frau Hulda war derweil in der Jüdischen Winterhilfe tätig.<br />
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Ihre Töchter Hanna und Ruth träumten von einer Zukunft als Ärztin. Nach dem Abschluss der Mittelschule konnten sie 1941 – ein halbes Jahr, bevor die Judendeportationen aus Berlin begannen – lediglich bei der Reichsvereinigung der Juden eine Ausbildung als Kindergärtnerin und Hortnerin in der Meinekestraße 10 absolvieren.<br />
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Im Centrum Judaicum in Berlin sind die Auswanderungsbemühungen der Familie Zadek während des Zweiten Weltkrieges dokumentiert. Empfehlungsschreiben und Arbeitszeugnisse von ehemaligen Arbeitgebern finden sich ebenso in dem Bestand wie Briefe des Ehepaars Zadek aus ihrer letzten Wohnung in der Schierker Straße 5 und ein Schreiben des dortigen Luftschutzwarts vom 21. Dezember 1939 an Siegfried Zadek. Die Verfasserin belehrt ihn darin kühl, „dass für Nichtarier die Benutung des gemeinsamen Luftschutzraumes im Hause nicht mehr zulässig ist. Im Falle eines Fliegeralarms müssten Sie den eigenen Keller aufsuchen, dessen luftschutzmäßige Ausgestaltung Ihnen anheimgestellt wird. Ein Verbleiben in der Wohnung während eines Fliegeralarms ist nach wie vor nicht gestattet.“ In diesen Jahren bewohnte Paul Rosenstein als jüdischer Untermieter ein kleines Zimmer in Zadeks Wohnung, bis er im Februar 1942 verstarb. Für zweieinhalb Jahre bis zu ihrer Emigration im Mai 1941 nahmen Hulda und Siegfried Zadek außerdem ihre damals elfjährige Nichte Marga Silbermann mit deren Mutter aus Schermbeck in ihrer Neuköllner Wohnung auf.<br />
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Die Zadeks hofften, in die USA emigrieren zu können, wo Huldas Schwester und weitere Familienangehörige lebten. Hanna und Ruth lernten fleißig Englisch. Ihre Bemühungen schienen zunächst erfolgreich: Für die Überfahrt am 24. Mai 1941, als eine Ausreise aus Deutschland kaum noch möglich war, hatten sie Plätze auf einem Schiff von Lissabon nach New York ergattert. Allerdings ließen die nötigen Visas des amerikanischen Konsulats in Berlin auf sich warten, sodass die Familie in Deutschland bleiben musste.<br />
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Am 14. Juni 1941 denunzierte eine Frau namens Obst aus dem Nachbarhaus Wittmannsdorferstraße 6 auf dem 211. Polizeirevier Neukölln die Familie Zadek. Die judenfeindlich eingestellte Frau hatte ihre Nachbarn seit längerem argwöhnisch beobachtet. Ihr passte nicht, so protokolliert es der Polizeibeamte, „dass bei dem Juden Israel Siegfried Zadek [...] mehrere Juden zusammenkommen und in den Abendstunden gejohlt und auf einem Grammophon laut gespielt wird. Da diese Handlungsweise erst seit dem Kriege mit Russland seinen Anfang genommen hatte, und sie wohl eine Niederlage Deutschlands erwarten, nimmt man an, dass sie durch den ruhestörenden Lärm ihre Freude zum Ausdruck bringen wollen.“ Frau Obst, die sogar die Staatspolizei alarmierte, witterte offenbar „Wehrkraftzersetzung“, ein Delikt, das mit hohen Strafen belegt war. Zwei Monate später rief sie abermals die Polizei an und berichtete verärgert, dass die Zadeks „zu jeder Tageszeit in Geschäften und auf Märkten ihren Einkauf an Waren tätigen.“ Ein Bäcker gab zu, dass er der jüdischen Familie außerhalb der für Juden zugelassenen Einkaufszeiten zwischen 16 und 17 Uhr Brot verkauft hatte.<br />
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Vom Sammellager in der Levetzowstraße aus wurde das Ehepaar mit seinen Zwillingstöchtern ein Jahr später einem Transport mit 1025 Juden aus Berlin eingereiht, der am 2. April 1942 Berlin in Richtung Osten verließ. Es war der erste Tag des jüdischen Pessach-Festes. Nach drei Tagen erreichte der Zug sein Ziel, das Warschauer Ghetto. Gerhard Zadek hat in seinem Buch „Mit dem letzten Zug nach England“ das letzte Lebenszeichen seiner geliebten Cousinen Hanna und Ruth festgehalten, die an ihm hingen „wie an einem älteren Bruder“: eine Postkarte aus Warschau „mit einem einzigen, allessagenden Satz: ‚Heute wurden Hulda und die Mädels zum Entlausen abgeholt.‘ Weitere Post kam nicht mehr.“

Am 13. Juli 1933 unterschrieb Siegfried Zadek den Mietvertrag für seine Parterre-Neubauwohnung in der Schierker Straße 5 unweit des Körnerparks. Im Vorderhaus bezog er mit seiner Frau Hulda und den damals neunjährigen Zwillingstöchtern Hanna und Ruth dreieinhalb Zimmer auf 93 Quadratmetern. Weil ihn sein Arbeitgeber, das Discount-Warenhaus EPA („Einheitspreis Aktiengesellschaft“), nach Berlin versetzt hatte, war die Familie von Hannover in die Hauptstadt umgezogen. Mit in die Wohnung zog außerdem Siegfrieds 70-jährige Mutter Wilhelmine Zadek, geborene Löwenherz.

Siegfried Zadeks Familie war ursprünglich in Magdeburg ansässig. Den jungen Mann, 1889 geboren, zog es früh aus Sachsen-Anhalt fort: Ab 1906 arbeitete Siegfried Zadek als Verkäufer in Einrichtungshäusern, Kaufhäusern und Konfektionsgeschäften in Brandenburg (Havel), Halle, Berlin, Düsseldorf und Dortmund. Seit Ende der 1920er Jahre leitete er EPA-Filialen in Hildesheim und Hannover. Seine Frau Hulda, die aus Schermbeck in Nordrhein-Westfalen stammte, war in derselben Branche wie ihr Mann tätig: Als Verkäuferin für Damenkonfektion arbeitete sie vor 1933 ebenfalls im Warenhaus EPA, zeitweise auch in Düsseldorf und Recklinghausen.

Siegfried und Hulda Zadek engagierten sich nicht nur in der Jüdischen Gemeinde. Siegfried war als Weltkriegsteilnehmer seit Vereinsgründung im Jahr 1919 führendes Mitglied im „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“. Jahrelang hatte er außerdem den Vorsitz der jüdischen Jugendbünde Magdeburg und Düsseldorf inne. Dort hat er, wie es 1938 der Neuköllner Rabbiner Kantorowsky in einem Empfehlungsschreiben lobend erwähnt, „werbend, belehrend, organisierend und schriftstellernd – als Verfasser der Broschüre ‚Iwri Onauchi‘ – sich um die heranwachsende jüdische Jugend außerordentliche Verdienste erworben.“ Im selben Jahr 1938 verlor er seine Arbeit als Textilien-Einkäufer und Abteilungsleiter im „WIRO Haus für Bedarfsartikel“ in Berlin, weil die Firma aufgrund ihres jüdischen Eigentümers Willy Rosenthal liquidiert wurde. Siegfried Zadek suchte sich ein neues Betätigungsfeld, beriet und betreute fortan auswanderungswillige Juden. Seine Frau Hulda war derweil in der Jüdischen Winterhilfe tätig.

Ihre Töchter Hanna und Ruth träumten von einer Zukunft als Ärztin. Nach dem Abschluss der Mittelschule konnten sie 1941 – ein halbes Jahr, bevor die Judendeportationen aus Berlin begannen – lediglich bei der Reichsvereinigung der Juden eine Ausbildung als Kindergärtnerin und Hortnerin in der Meinekestraße 10 absolvieren.

Im Centrum Judaicum in Berlin sind die Auswanderungsbemühungen der Familie Zadek während des Zweiten Weltkrieges dokumentiert. Empfehlungsschreiben und Arbeitszeugnisse von ehemaligen Arbeitgebern finden sich ebenso in dem Bestand wie Briefe des Ehepaars Zadek aus ihrer letzten Wohnung in der Schierker Straße 5 und ein Schreiben des dortigen Luftschutzwarts vom 21. Dezember 1939 an Siegfried Zadek. Die Verfasserin belehrt ihn darin kühl, „dass für Nichtarier die Benutung des gemeinsamen Luftschutzraumes im Hause nicht mehr zulässig ist. Im Falle eines Fliegeralarms müssten Sie den eigenen Keller aufsuchen, dessen luftschutzmäßige Ausgestaltung Ihnen anheimgestellt wird. Ein Verbleiben in der Wohnung während eines Fliegeralarms ist nach wie vor nicht gestattet.“ In diesen Jahren bewohnte Paul Rosenstein als jüdischer Untermieter ein kleines Zimmer in Zadeks Wohnung, bis er im Februar 1942 verstarb. Für zweieinhalb Jahre bis zu ihrer Emigration im Mai 1941 nahmen Hulda und Siegfried Zadek außerdem ihre damals elfjährige Nichte Marga Silbermann mit deren Mutter aus Schermbeck in ihrer Neuköllner Wohnung auf.

Die Zadeks hofften, in die USA emigrieren zu können, wo Huldas Schwester und weitere Familienangehörige lebten. Hanna und Ruth lernten fleißig Englisch. Ihre Bemühungen schienen zunächst erfolgreich: Für die Überfahrt am 24. Mai 1941, als eine Ausreise aus Deutschland kaum noch möglich war, hatten sie Plätze auf einem Schiff von Lissabon nach New York ergattert. Allerdings ließen die nötigen Visas des amerikanischen Konsulats in Berlin auf sich warten, sodass die Familie in Deutschland bleiben musste.

Am 14. Juni 1941 denunzierte eine Frau namens Obst aus dem Nachbarhaus Wittmannsdorferstraße 6 auf dem 211. Polizeirevier Neukölln die Familie Zadek. Die judenfeindlich eingestellte Frau hatte ihre Nachbarn seit längerem argwöhnisch beobachtet. Ihr passte nicht, so protokolliert es der Polizeibeamte, „dass bei dem Juden Israel Siegfried Zadek [...] mehrere Juden zusammenkommen und in den Abendstunden gejohlt und auf einem Grammophon laut gespielt wird. Da diese Handlungsweise erst seit dem Kriege mit Russland seinen Anfang genommen hatte, und sie wohl eine Niederlage Deutschlands erwarten, nimmt man an, dass sie durch den ruhestörenden Lärm ihre Freude zum Ausdruck bringen wollen.“ Frau Obst, die sogar die Staatspolizei alarmierte, witterte offenbar „Wehrkraftzersetzung“, ein Delikt, das mit hohen Strafen belegt war. Zwei Monate später rief sie abermals die Polizei an und berichtete verärgert, dass die Zadeks „zu jeder Tageszeit in Geschäften und auf Märkten ihren Einkauf an Waren tätigen.“ Ein Bäcker gab zu, dass er der jüdischen Familie außerhalb der für Juden zugelassenen Einkaufszeiten zwischen 16 und 17 Uhr Brot verkauft hatte.

Vom Sammellager in der Levetzowstraße aus wurde das Ehepaar mit seinen Zwillingstöchtern ein Jahr später einem Transport mit 1025 Juden aus Berlin eingereiht, der am 2. April 1942 Berlin in Richtung Osten verließ. Es war der erste Tag des jüdischen Pessach-Festes. Nach drei Tagen erreichte der Zug sein Ziel, das Warschauer Ghetto. Gerhard Zadek hat in seinem Buch „Mit dem letzten Zug nach England“ das letzte Lebenszeichen seiner geliebten Cousinen Hanna und Ruth festgehalten, die an ihm hingen „wie an einem älteren Bruder“: eine Postkarte aus Warschau „mit einem einzigen, allessagenden Satz: ‚Heute wurden Hulda und die Mädels zum Entlausen abgeholt.‘ Weitere Post kam nicht mehr.“