Dr. Friedrich Julius Freund

Location 
Mommsenstr. 52
District
Charlottenburg
Stone was laid
14 May 2010
Born
04 January 1898 in Darmstadt
Deportation
on 26 January 1943 to Theresienstadt
Later deported
on 18 May 1944 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Dr. Friedrich Julius Freund wurde am 4. Januar 1898 in Darmstadt geboren. Er war vom 9. November 1938 bis zum 14. Dezember 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Am 26. Januar 1943 wurde er nach Theresienstadt deportiert und von dort am 18. Mai 1944 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. <br />
<br />
<i>Verstummte Stimmen, Dr. Fritz Freund, Porträtskizze, Ansprache am 27. September 2009 von Elisabeth Krimmel zur Gedenkstunde am „Denkzeichen Güterbahnhof“ Darmstadt. Aus dem Nachlass Wolfgang Knoll:</i><br />
<br />
Nein, er war kein gefeierter Bühnenstar am Hessischen Landestheater in Darmstadt. Er gehörte auch nicht zu den Komponisten, die durch die nationalsozialistische Kulturpolitik aus dem hessischen Landestheater vertrieben und ermordet wurden.<br />
<br />
Er war einer von vielen jüdischen Rechtsanwälten in Darmstadt, wegen seiner juristischen Schärfe gefürchtet und seiner rhetorischen Eleganz bewundert.<br />
<br />
Fritz Freund wurde am 4. Januar 1898 in der Elisabethenstraße 54 in Darmstadt geboren. Aufgewachsen ist er in der Landgraf-Philipps-Anlage 44, jenem mehrstöckigen Haus, in dem bis kurzem die Hessische Brandversicherungskammer residierte.<br />
<br />
Er besuchte das Alte Realgymnasium am Kapellplatz, dem Vorläufer der heutigen Georg-Büchner-Schule und ging gerne zur Schule, saugte alles Neue gierig auf, wollte immer mehr lernen. Deutsch und Geschichte, Französisch und Englisch waren seine Lieblingsfächer.<br />
<br />
Und Musik. <br />
<br />
Früh wurde seine musikalische Begabung entdeckt. Schon mit 13 Jahren komponierte er eine Oper, spielte Orgel, Klavier und Violine. Musik half ihm, den frühen Tod der Mutter zu bewältigen. Musik blieb seine Leidenschaft.<br />
<br />
Mit 17 Jahren reiste er nach Hannover und gab mit dem Schulorchester ein Konzert. Der Dirigent des Hannoveraner Orchesters war so begeistert von den musikalischen Fähigkeiten des Darmstädter Schülers, dass er ihn gleich dabehalten und weiter ausbilden wollte. Aber der Vater befahl dem Sohn, sofort nach Darmstadt zurückzukommen, die Geschichte mit den „brotlosen Künsten“ zu vergessen und sich auf einen sicheren Beruf vorzubereiten. Fritz fügte sich und machte 1916 sein Abitur.<br />
<br />
Im Frühjahr 1917 wurde er ohne jede militärische Ausbildung dem Artillerie Regiment 25 zugeteilt und an die Westfront versetzt. Dort in den umkämpften flandrischen Mooren half der 19-Jährige tote und verletzte Soldaten zu bergen und militärisches Gerät aus dem Schlamm zu ziehen. Bei einer dieser Aktionen wurde er in den Rücken geschossen. Die Kugel konnte nicht entfernt werden. Schwer verletzt kehrte er im Herbst 1918 nach Darmstadt zurück. Man ehrte ihn mit dem Verwundetenabzeichen.<br />
<br />
Fritz Freund immatrikulierte sich 1919 an der Großherzoglich Badischen Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, wechselte an die Universität Frankfurt und beschloss sein Studium in Gießen. Er promovierte mit einer Arbeit über „Das Wesen des Staates als Problem der Rechtswissenschaft“. <br />
<br />
1924 wurde der 26-Jährige „Gerichtsassessor Dr. Friedrich Freund zur Rechtsanwaltschaft beim Landgericht der Provinz Starkenburg in Darmstadt“ zugelassen. Anfangs lebte er in der väterlichen Wohnung an der Landgraf-Philipps-Anlage. Im März 1927 erwarb er eine Stadtvilla mit Garten an der Bismarckstraße 37. Er wurde Mitglied der Starkenburg Loge der B’nai B’rith Bruderschaft, erwarb eine Dauermiete für Oper und Theater im Hessischen Landestheater, machte Weltreisen, war mit dem Maler Erich Colm-Bialla und dem Fotografen Hermann Collmann befreundet, lud zu Gesellschaftsabenden in sein Haus, machte sich als Anwalt für Ehescheidungen einen Namen und wurde in Darmstadt „Edelkommunist“ genannt.<br />
<br />
Die erfolgreiche Laufbahn des Staranwalts erlebte ihren Einbruch durch die Machtübertragung an Adolf Hitler am 30. Januar 1933. Bei Demonstrationen mit Kommunisten und der SPD nahen „Eisernen Front“ wurde Fritz Freund von SA-Rotten brutal zusammengeschlagen und im sog. „Braunen Haus“ Ecke Landgraf-Philipps-Anlage/Rheinstraße 48 in Schutzhaft genommen. Erst nach Wochen kam er frei.<br />
<br />
Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 wurde Dr. Fritz Freund, zusammen mit den Rechtsanwälten Ebo Rothschild und Dr. Manfred Weinberg in der sog. „Abwaschaktion“ gezwungen, Wahlplakate und Wahlparolen von Linksparteien mit einer Zahnbürste zu entfernen. Herumstehende, gaffende Menschen protestierten nicht. Mit dem, am 23. März 1933 vom Deutschen Reichstag, entgegen den Stimmen von SPD und KPD, beschlossenen „Ermächtigungsgesetz“ wurde dem Rechtsanwalt Freund klar, dass er seinen Status als Persönlichkeit des Öffentlichen Rechtes verloren hatte. Das kurz darauf folgende „Gleichschaltungsgesetz“, das den Regierungen der Länder erlaubte, ohne Beschlussfassung der Landtage frühere Gesetze außer Kraft zu setzen und neue Gesetze nach Belieben zu erlassen, bewirkte, dass Fritz Freund auch als Privatmann rechtlos war. Schließlich verlor er durch das am 22. April 1933 erlassene Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ seine Zulassung am Landgericht der Provinz Starkenburg in Darmstadt.<br />
<br />
Anfangs konnte er heimlich jüdische Landsleute beraten. 1936, nach dem Tode seines Vaters, gab er die Darmstädter Praxis auf und plante sein Leben neu:<br />
zuerst kümmerte er sich um die Rettung seiner Halbschwestern Hildegard und Hanna, betrieb ihre Emigration, die jedoch erst 1938 gelang: auf getrennten Wegen erreichten die beiden Palästina.<br />
<br />
Fritz Freund verabschiedete sich mit einem Klavierkonzert von den Logenbrüdern der B’nai B’rith Bruderschaft, er heiratete die Radio-Therapeutin Hilde Nickelsburg aus Worms, ordnete das Vermögen seiner amerikanischen Tante Hanna, die seit 1935 in Berlin lebte, verkaufte sein Haus in der Bismarckstraße 37 und zog 1937 nach Berlin.<br />
<br />
Vermutlich glaubte Fritz Freund in der Anonymität der Reichshauptstadt eher untertauchen zu können als im provinziellen Darmstadt, was sich als Irrtum herausstellen sollte. Er verdiente sich Geld als Klavierstimmer, knüpfte Fäden zu ehemaligen Kollegen in Kanada und Brasilien, zahlte die Reichsfluchtsteuer und betreute die gebrechliche Tante Hanna in der gemeinsamen Wohnung in der Mommsenstraße 52.<br />
<br />
Die gewalttätigen Ereignisse der reichsweit organisierten Pogrome erlebte Fritz Freund hautnah. Er sah wie SA-Trupps am 9. und 10. November 1938 Synagogen in Brand steckten, wie Angehörige der Hitlerjugend jüdische Geschäfte demolierten und plünderten und er war einer von den 12.000 männlichen Juden, die in Berlin verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg verschleppt wurden. Am 14. Dezember 1938 wurde er als Häftling Nummer 9.059 entlassen, weil er Soldat im Ersten Weltkrieg und für seinen patriotischen Fronteinsatz ausgezeichnet worden war.<br />
<br />
Aber frei waren Fritz und Hilde Freund und Tante Hanna nun nicht mehr. Sie spürten die von den Nationalsozialisten verhängten Gesetze gegen Juden in allen elementaren Lebensbereichen: Sie mussten eine Sondersteuer zahlen als „Sühneleistung“ für die in der Pogromnacht entstandenen Schäden, sie mussten sich „Kennkarten“ ausstellen lassen, die Zwangsnamen Israel und Sara annehmen, sich für zehn Pfennig bei ihrer Gemeinde „Judensterne“ kaufen und sichtbar an ihrer Kleidung tragen, sie durften öffentliche Verkehrsmittel, Telefonzellen und Postkabinen nicht mehr benutzen und ihre Wohnung abends nicht mehr verlassen, sie erhielten keine Bezugsscheine mehr für Lebensmittel und Kleider, durften nicht mehr in Markthallen und auf Wochenmärkten einkaufen und mussten ihr Telefon und das Radio abgeben.<br />
<br />
Noch war es möglich über das Internationale Rote Kreuz Brief- und Postkartenvordrucke nach Palästina zu schicken und so zu erfahren, wie es den Halbschwestern Hanna und Hildegard Freund erging. Aber auch diese umständliche und von der Gestapo kontrollierte Korrespondenz versiegte im Chaos der Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges.<br />
<br />
So erfuhr Fritz Freund nicht mehr, dass seine Halbschwester Hanna in Palästina als Sergeant Higgins für den britischen Geheimdienst arbeitete und im April 1942 bei der kleinen BBC-Radiostation unter dem Decknamen George Turner den ungarischen „Meisterspion“ George Tabori kennen gelernt hatte. Die beiden heirateten am 12. September 1942 in Jerusalem.<br />
<br />
Genauso wenig wusste Fritz Freund, dass Hildegard Freund sich nach ihren Erfahrungen im Jugenddorf „Ben Schemen“ auf abenteuerliche Weise als Kindermädchen, Putzfrau und französische Korrespondentin in Tel Aviv durchs Leben schlug, sich 1942 für den Dienst bei den britischen „Middle East Forces“ in Kairo anwerben ließ und im Büro der Indischen Armee den aus Ungarn geflohenen Cellisten und Rechtsanwalt Francis Shelton kennen lernte und 1948 in Mailand heiratete. <br />
<br />
Hilde Freund fand eine Beschäftigung bei der Jüdischen Kultusvereinigung in der Rosenstraße. Fritz Freund wurde im Sommer 1940 als Zwangsarbeiter bei den Deuta-Werken G.m.b.H., Geschwindigkeitsmesser in der Dresdener Straße 34 eingesetzt und konnte die 72-jährige, kranke Tante Hanna in dem Jüdischen Altenheim an der Grossen Hamburger Straße unterbringen.<br />
<br />
Am 15. Dezember 1941 wurden Hilde und Fritz Freund gezwungen, ihre Wohnung in der Mommsenstraße 52 zu verlassen und in die Levetzowstraße 7 abgeführt. Hier waren sie mit tausenden Juden in der zum Sammellager missbrauchten ehemaligen Synagoge interniert.<br />
<br />
Als Fritz Freund erfuhr, dass auch das Jüdische Altenheim in der Grossen Hamburger Straße als Sammellager für die Deportationen benutzt wurde, holte er seine Tante, die immer noch ihren amerikanischen Pass hatte, aus dem Altenheim und brachte sie in das Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße. Hier starb Hanna Kay, geb. Freund am 22. Februar 1943. Ihr Leichnam wurde am 1. März 1943 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.<br />
<br />
Am 26. Januar 1943 wurde Dr. Fritz Freund und am 2. Februar 1943 wurde Hilde Freund geb. Nickelsburg nach Theresienstadt „abgeschoben“. Beide mussten zusätzlich zu ihren Vornamen die Zwangsnamen Israel bzw. Sara tragen. Die Transporte umfassten jeweils hundert Personen und fuhren mit einem normalen Zug vom Anhalter Bahnhof in das Getto-Lager Theresienstadt.<br />
Bereits am 5. Februar 1943 berichtete die Gestapo dem Berliner  Oberfinanzpräsidenten, dass das „Vermögen der Juden, die mit dem 85. Alterstransport nach Theresienstadt abgeschoben“ wurden, „durch Einziehung dem Reich“ verfallen sei.<br />
<br />
Und am 15. März 1943 listete Obergerichtsvollzieher Becker in der Wohnung des „früheren Mieters Friedrich Freund“ 27 Gegenstände mit Schreibmaschine auf. Unter Nummer 21 verzeichnete er ein Steinway Klavier, zwei Notenschränke und einen Lampentisch, die er insgesamt mit 770 RM bewertete und einem Berliner Möbelhändler übergab.<br />
<br />
Darüber, in welcher körperlichen und seelischen Verfassung Hilde und Fritz Freund sich befanden, als sie im Getto-Lager Theresienstadt ankamen und wie sie sich dort zurechtfanden, gibt es keine Notizen.<br />
<br />
Dokumentiert ist, dass am 15., 16. und 18. Mai 1944 etwa 7.500 Juden und Jüdinnen von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt wurden. Das RSHA und die Kommandantur erwartete zum 23. Juni 1944 Vertreter einer internationalen Kommission des Roten Kreuzes und „reduzierte“ den „Lagerbestand“, um den „Ort schöner und wohnlicher“ erscheinen zu lassen. <br />
Das Ehepaar Freund wurde am 18. Mai 1944 mit dem 3. Transport, der die Theresienstädter Bezeichnung „Eb“ hatte, zusammen mit 1062 Männern und Knaben sowie 1437 Frauen und Mädchen verschleppt. In einer mit Schreibmaschine geschriebenen Transportliste ist das Ehepaar Freund als „680 Freund, Friedrich Israel 4.1.1898 Rechtsanw. 10639-1/86“ und „681 Freund, Hilde Elis. Sara 9.9.01. ohne Beruf 10888-1/89“ verzeichnet. Der Transport kam am 19. Mai 1944 in Auschwitz an.<br />
<br />
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann Hildegard Shelton, geb. Freund nach ihrem Halbbruder Fritz zu suchen. Am 6. Juni 1946 erhielt sie aus Prag die Nachricht, dass „Herr Friedrich Israel Freund und seine Ehefrau Hilde Elisabeth Sara Freund, geb. Nickelsburg“ 1943 in Theresienstadt ankamen und am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert wurden, ihr weiteres Schicksal jedoch unbekannt sei.

Dr. Friedrich Julius Freund wurde am 4. Januar 1898 in Darmstadt geboren. Er war vom 9. November 1938 bis zum 14. Dezember 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Am 26. Januar 1943 wurde er nach Theresienstadt deportiert und von dort am 18. Mai 1944 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Verstummte Stimmen, Dr. Fritz Freund, Porträtskizze, Ansprache am 27. September 2009 von Elisabeth Krimmel zur Gedenkstunde am „Denkzeichen Güterbahnhof“ Darmstadt. Aus dem Nachlass Wolfgang Knoll:

Nein, er war kein gefeierter Bühnenstar am Hessischen Landestheater in Darmstadt. Er gehörte auch nicht zu den Komponisten, die durch die nationalsozialistische Kulturpolitik aus dem hessischen Landestheater vertrieben und ermordet wurden.

Er war einer von vielen jüdischen Rechtsanwälten in Darmstadt, wegen seiner juristischen Schärfe gefürchtet und seiner rhetorischen Eleganz bewundert.

Fritz Freund wurde am 4. Januar 1898 in der Elisabethenstraße 54 in Darmstadt geboren. Aufgewachsen ist er in der Landgraf-Philipps-Anlage 44, jenem mehrstöckigen Haus, in dem bis kurzem die Hessische Brandversicherungskammer residierte.

Er besuchte das Alte Realgymnasium am Kapellplatz, dem Vorläufer der heutigen Georg-Büchner-Schule und ging gerne zur Schule, saugte alles Neue gierig auf, wollte immer mehr lernen. Deutsch und Geschichte, Französisch und Englisch waren seine Lieblingsfächer.

Und Musik.

Früh wurde seine musikalische Begabung entdeckt. Schon mit 13 Jahren komponierte er eine Oper, spielte Orgel, Klavier und Violine. Musik half ihm, den frühen Tod der Mutter zu bewältigen. Musik blieb seine Leidenschaft.

Mit 17 Jahren reiste er nach Hannover und gab mit dem Schulorchester ein Konzert. Der Dirigent des Hannoveraner Orchesters war so begeistert von den musikalischen Fähigkeiten des Darmstädter Schülers, dass er ihn gleich dabehalten und weiter ausbilden wollte. Aber der Vater befahl dem Sohn, sofort nach Darmstadt zurückzukommen, die Geschichte mit den „brotlosen Künsten“ zu vergessen und sich auf einen sicheren Beruf vorzubereiten. Fritz fügte sich und machte 1916 sein Abitur.

Im Frühjahr 1917 wurde er ohne jede militärische Ausbildung dem Artillerie Regiment 25 zugeteilt und an die Westfront versetzt. Dort in den umkämpften flandrischen Mooren half der 19-Jährige tote und verletzte Soldaten zu bergen und militärisches Gerät aus dem Schlamm zu ziehen. Bei einer dieser Aktionen wurde er in den Rücken geschossen. Die Kugel konnte nicht entfernt werden. Schwer verletzt kehrte er im Herbst 1918 nach Darmstadt zurück. Man ehrte ihn mit dem Verwundetenabzeichen.

Fritz Freund immatrikulierte sich 1919 an der Großherzoglich Badischen Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, wechselte an die Universität Frankfurt und beschloss sein Studium in Gießen. Er promovierte mit einer Arbeit über „Das Wesen des Staates als Problem der Rechtswissenschaft“.

1924 wurde der 26-Jährige „Gerichtsassessor Dr. Friedrich Freund zur Rechtsanwaltschaft beim Landgericht der Provinz Starkenburg in Darmstadt“ zugelassen. Anfangs lebte er in der väterlichen Wohnung an der Landgraf-Philipps-Anlage. Im März 1927 erwarb er eine Stadtvilla mit Garten an der Bismarckstraße 37. Er wurde Mitglied der Starkenburg Loge der B’nai B’rith Bruderschaft, erwarb eine Dauermiete für Oper und Theater im Hessischen Landestheater, machte Weltreisen, war mit dem Maler Erich Colm-Bialla und dem Fotografen Hermann Collmann befreundet, lud zu Gesellschaftsabenden in sein Haus, machte sich als Anwalt für Ehescheidungen einen Namen und wurde in Darmstadt „Edelkommunist“ genannt.

Die erfolgreiche Laufbahn des Staranwalts erlebte ihren Einbruch durch die Machtübertragung an Adolf Hitler am 30. Januar 1933. Bei Demonstrationen mit Kommunisten und der SPD nahen „Eisernen Front“ wurde Fritz Freund von SA-Rotten brutal zusammengeschlagen und im sog. „Braunen Haus“ Ecke Landgraf-Philipps-Anlage/Rheinstraße 48 in Schutzhaft genommen. Erst nach Wochen kam er frei.

Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 wurde Dr. Fritz Freund, zusammen mit den Rechtsanwälten Ebo Rothschild und Dr. Manfred Weinberg in der sog. „Abwaschaktion“ gezwungen, Wahlplakate und Wahlparolen von Linksparteien mit einer Zahnbürste zu entfernen. Herumstehende, gaffende Menschen protestierten nicht. Mit dem, am 23. März 1933 vom Deutschen Reichstag, entgegen den Stimmen von SPD und KPD, beschlossenen „Ermächtigungsgesetz“ wurde dem Rechtsanwalt Freund klar, dass er seinen Status als Persönlichkeit des Öffentlichen Rechtes verloren hatte. Das kurz darauf folgende „Gleichschaltungsgesetz“, das den Regierungen der Länder erlaubte, ohne Beschlussfassung der Landtage frühere Gesetze außer Kraft zu setzen und neue Gesetze nach Belieben zu erlassen, bewirkte, dass Fritz Freund auch als Privatmann rechtlos war. Schließlich verlor er durch das am 22. April 1933 erlassene Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ seine Zulassung am Landgericht der Provinz Starkenburg in Darmstadt.

Anfangs konnte er heimlich jüdische Landsleute beraten. 1936, nach dem Tode seines Vaters, gab er die Darmstädter Praxis auf und plante sein Leben neu:
zuerst kümmerte er sich um die Rettung seiner Halbschwestern Hildegard und Hanna, betrieb ihre Emigration, die jedoch erst 1938 gelang: auf getrennten Wegen erreichten die beiden Palästina.

Fritz Freund verabschiedete sich mit einem Klavierkonzert von den Logenbrüdern der B’nai B’rith Bruderschaft, er heiratete die Radio-Therapeutin Hilde Nickelsburg aus Worms, ordnete das Vermögen seiner amerikanischen Tante Hanna, die seit 1935 in Berlin lebte, verkaufte sein Haus in der Bismarckstraße 37 und zog 1937 nach Berlin.

Vermutlich glaubte Fritz Freund in der Anonymität der Reichshauptstadt eher untertauchen zu können als im provinziellen Darmstadt, was sich als Irrtum herausstellen sollte. Er verdiente sich Geld als Klavierstimmer, knüpfte Fäden zu ehemaligen Kollegen in Kanada und Brasilien, zahlte die Reichsfluchtsteuer und betreute die gebrechliche Tante Hanna in der gemeinsamen Wohnung in der Mommsenstraße 52.

Die gewalttätigen Ereignisse der reichsweit organisierten Pogrome erlebte Fritz Freund hautnah. Er sah wie SA-Trupps am 9. und 10. November 1938 Synagogen in Brand steckten, wie Angehörige der Hitlerjugend jüdische Geschäfte demolierten und plünderten und er war einer von den 12.000 männlichen Juden, die in Berlin verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg verschleppt wurden. Am 14. Dezember 1938 wurde er als Häftling Nummer 9.059 entlassen, weil er Soldat im Ersten Weltkrieg und für seinen patriotischen Fronteinsatz ausgezeichnet worden war.

Aber frei waren Fritz und Hilde Freund und Tante Hanna nun nicht mehr. Sie spürten die von den Nationalsozialisten verhängten Gesetze gegen Juden in allen elementaren Lebensbereichen: Sie mussten eine Sondersteuer zahlen als „Sühneleistung“ für die in der Pogromnacht entstandenen Schäden, sie mussten sich „Kennkarten“ ausstellen lassen, die Zwangsnamen Israel und Sara annehmen, sich für zehn Pfennig bei ihrer Gemeinde „Judensterne“ kaufen und sichtbar an ihrer Kleidung tragen, sie durften öffentliche Verkehrsmittel, Telefonzellen und Postkabinen nicht mehr benutzen und ihre Wohnung abends nicht mehr verlassen, sie erhielten keine Bezugsscheine mehr für Lebensmittel und Kleider, durften nicht mehr in Markthallen und auf Wochenmärkten einkaufen und mussten ihr Telefon und das Radio abgeben.

Noch war es möglich über das Internationale Rote Kreuz Brief- und Postkartenvordrucke nach Palästina zu schicken und so zu erfahren, wie es den Halbschwestern Hanna und Hildegard Freund erging. Aber auch diese umständliche und von der Gestapo kontrollierte Korrespondenz versiegte im Chaos der Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges.

So erfuhr Fritz Freund nicht mehr, dass seine Halbschwester Hanna in Palästina als Sergeant Higgins für den britischen Geheimdienst arbeitete und im April 1942 bei der kleinen BBC-Radiostation unter dem Decknamen George Turner den ungarischen „Meisterspion“ George Tabori kennen gelernt hatte. Die beiden heirateten am 12. September 1942 in Jerusalem.

Genauso wenig wusste Fritz Freund, dass Hildegard Freund sich nach ihren Erfahrungen im Jugenddorf „Ben Schemen“ auf abenteuerliche Weise als Kindermädchen, Putzfrau und französische Korrespondentin in Tel Aviv durchs Leben schlug, sich 1942 für den Dienst bei den britischen „Middle East Forces“ in Kairo anwerben ließ und im Büro der Indischen Armee den aus Ungarn geflohenen Cellisten und Rechtsanwalt Francis Shelton kennen lernte und 1948 in Mailand heiratete.

Hilde Freund fand eine Beschäftigung bei der Jüdischen Kultusvereinigung in der Rosenstraße. Fritz Freund wurde im Sommer 1940 als Zwangsarbeiter bei den Deuta-Werken G.m.b.H., Geschwindigkeitsmesser in der Dresdener Straße 34 eingesetzt und konnte die 72-jährige, kranke Tante Hanna in dem Jüdischen Altenheim an der Grossen Hamburger Straße unterbringen.

Am 15. Dezember 1941 wurden Hilde und Fritz Freund gezwungen, ihre Wohnung in der Mommsenstraße 52 zu verlassen und in die Levetzowstraße 7 abgeführt. Hier waren sie mit tausenden Juden in der zum Sammellager missbrauchten ehemaligen Synagoge interniert.

Als Fritz Freund erfuhr, dass auch das Jüdische Altenheim in der Grossen Hamburger Straße als Sammellager für die Deportationen benutzt wurde, holte er seine Tante, die immer noch ihren amerikanischen Pass hatte, aus dem Altenheim und brachte sie in das Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße. Hier starb Hanna Kay, geb. Freund am 22. Februar 1943. Ihr Leichnam wurde am 1. März 1943 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.

Am 26. Januar 1943 wurde Dr. Fritz Freund und am 2. Februar 1943 wurde Hilde Freund geb. Nickelsburg nach Theresienstadt „abgeschoben“. Beide mussten zusätzlich zu ihren Vornamen die Zwangsnamen Israel bzw. Sara tragen. Die Transporte umfassten jeweils hundert Personen und fuhren mit einem normalen Zug vom Anhalter Bahnhof in das Getto-Lager Theresienstadt.
Bereits am 5. Februar 1943 berichtete die Gestapo dem Berliner  Oberfinanzpräsidenten, dass das „Vermögen der Juden, die mit dem 85. Alterstransport nach Theresienstadt abgeschoben“ wurden, „durch Einziehung dem Reich“ verfallen sei.

Und am 15. März 1943 listete Obergerichtsvollzieher Becker in der Wohnung des „früheren Mieters Friedrich Freund“ 27 Gegenstände mit Schreibmaschine auf. Unter Nummer 21 verzeichnete er ein Steinway Klavier, zwei Notenschränke und einen Lampentisch, die er insgesamt mit 770 RM bewertete und einem Berliner Möbelhändler übergab.

Darüber, in welcher körperlichen und seelischen Verfassung Hilde und Fritz Freund sich befanden, als sie im Getto-Lager Theresienstadt ankamen und wie sie sich dort zurechtfanden, gibt es keine Notizen.

Dokumentiert ist, dass am 15., 16. und 18. Mai 1944 etwa 7.500 Juden und Jüdinnen von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt wurden. Das RSHA und die Kommandantur erwartete zum 23. Juni 1944 Vertreter einer internationalen Kommission des Roten Kreuzes und „reduzierte“ den „Lagerbestand“, um den „Ort schöner und wohnlicher“ erscheinen zu lassen.
Das Ehepaar Freund wurde am 18. Mai 1944 mit dem 3. Transport, der die Theresienstädter Bezeichnung „Eb“ hatte, zusammen mit 1062 Männern und Knaben sowie 1437 Frauen und Mädchen verschleppt. In einer mit Schreibmaschine geschriebenen Transportliste ist das Ehepaar Freund als „680 Freund, Friedrich Israel 4.1.1898 Rechtsanw. 10639-1/86“ und „681 Freund, Hilde Elis. Sara 9.9.01. ohne Beruf 10888-1/89“ verzeichnet. Der Transport kam am 19. Mai 1944 in Auschwitz an.

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann Hildegard Shelton, geb. Freund nach ihrem Halbbruder Fritz zu suchen. Am 6. Juni 1946 erhielt sie aus Prag die Nachricht, dass „Herr Friedrich Israel Freund und seine Ehefrau Hilde Elisabeth Sara Freund, geb. Nickelsburg“ 1943 in Theresienstadt ankamen und am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert wurden, ihr weiteres Schicksal jedoch unbekannt sei.